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China und Christenverfolgung

Im chinesischen Archipel Gulag

Schon die Einleitung dieses Buches hat es in sich. Sachlich und nüchtern, dabei aber klar in Fakten erklärt Franz Kronbeck, was in China im 20. Jahrhundert passierte. Die Untertitel dieser konzentrierten Einleitung sprechen für sich: „Der rote Terror“, „Die Umformung Chinas zu einem kommunistischen Musterstaat“, „Der ‘Große Sprung nach vorn’“ – der nun alles andere als ein großer Sprung war, sondern vielmehr eine Hungersnot verursachte, die Zigmillionen Chinesen das Leben kostete. Weiter geht es mit „Die Große Kulturrevolution“, „Die Laogai: Chinas Straf- und Arbeitslager“ sowie schließlich „Die Unterdrückung der Christen in China“.

Die Unterdrückung der Christen hat, wie Kronbeck berichtet, eine lange, unheilige Tradition in China. In immer neuen Vorstößen versuchen die Machthaber in Peking, die christlichen Kirchen zu vereinnahmen, ja, zu korrumpieren. Kronbeck lässt Joseph Kardinal Zen zu Wort kommen, den heute 92-jährigen emeritierten Bischof von Hong Kong: „Es macht das Wesen einer kommunistischen Partei aus, alles zu kontrollieren, sobald sie an der Macht ist. Warum? Weil sie wissen, dass ihnen, wenn sie nicht alles unter Kontrolle haben, alles zusammenbricht. Nur mit Gewalt, durch Angst, durch Verfolgungen schaffen sie es, ihre Macht zu erhalten.“

Kardinal Zen sagt klipp und klar, wie die Christenverfolgung in China zu werten ist: „Man ist da zu optimistisch, auch in Rom!“ Diese insgesamt katastrophale Entwicklung für alle Religionen, vor allem aber für die Christen, ist denjenigen, die nur Chinas heutiges Wirtschaftswachstum bestaunen, völlig aus dem Blickfeld geraten. Umso wichtiger ist ein Blick in das Innere der Kulturrevolution, die das heutige China maßgeblich formte. Die Leser, bereits in den Grundzügen mit der Materie vertraut, begegnen nun einer jungen Frau, Hu Meiyu.

Christliches Bekenntnis, gegen den Kommunismus

Am 16. April 1949 wurde diese Hu Meiyu, damals war sie 16 Jahre alt, in ihrer Heimatstadt Shanghai katholisch auf den Namen Rose getauft. Als Grund für ihre Bekehrung zum Christentum nennt die junge Frau, dass sie eine „enge Beziehung zur Gottesmutter“ entwickelt habe. Folgerichtig trat sie nach dem Empfang des Taufsakraments der aus Irland stammenden Gebetsgemeinschaft Legion Mariens bei. Auch sozialer Druck aus der eigenen Familie änderte daran nichts. Stattdessen wurde ihr Bruder, der sie bespitzeln sollte, selbst bald zum überzeugten Christen. Die Machtübernahme von Mao Tse-tung stellt den zeitgeschichtlichen Hintergrund für dies Geschehen dar.

Was bedeutete die Machtübernahme der Kommunisten für Menschen wie Rose Hu? Beispielhaft seien ihre Eingangssätze aus Kapitel 10 zitiert:

„Der Kommunismus und der Katholizismus stehen sich als unversöhnliche Feinde gegenüber. Die Kommunisten unternehmen alles, um die Katholiken zu vernichten. In den Augen der Kommunisten sind alle ausländischen Priester und Nonnen, egal aus welchem Land sie auch kommen, ‘Imperialisten’.“ 

Stück für Stück wird dem Leser danach klar, wie richtig diese Aussage damals war – und bis heute ist. 

24 Jahre Arbeitslager ohne Unterbrechung

Am 8. September 1955 wurde die Chemiestudentin Rose erstmals verhaftet. Sie wurde nicht angeklagt, bekam keine Arbeit zugeteilt, wurde aber allein in den ersten acht Monaten rund 120 Verhören unterzogen, denn sie sollte gebrochen werden, und zwar auf vielerlei Art. Einmal wurde ihre Mutter in die Verhörzelle gebracht – mit einem Teller, auf dem ihre Lieblingsspeise war. Rose Hu war dramatisch unterernährt, doch sie blieb standhaft und aß nicht von den Speisen, was der Mutter schier das Herz brechen lassen wollte. Und damit auch ihr. Zeitweise wurden schließlich ihre Haftbedingungen noch verschärft, man isolierte sie. Ihre völlige Einsamkeit beantwortete sie mit diesem Gedicht:

„Gefesselt sein bedeutet frei sein 
verlieren bedeutet gewinnen
So viele Gnaden wurden meiner Seele geschenkt!“ 

Am 3. Juni 1957 wurde sie freigelassen, ohne dass Anklage erhoben worden wäre. Doch am 12. September 1958 wurde Rose Hu abermals festgenommen – ausschließlich deswegen, weil sie Katholikin war. Ein erfundenes Verbrechen begründete eine ohne Prozess verfügte Haftstrafe: fünfzehn Jahre Arbeitslager. Binnen weniger Tage wurde sie im fensterlosen Laderaum eines Frachtschiffes von Shanghai aus landeinwärts in das Arbeitslager „Weißer See“ gebracht. Auch aus dieser Zeit berichtet sie von bewegenden Erlebnissen mit christlichen Leidensgenossinnen. Was Rose Hu in schlichten Worten aufschreibt, ist für einen mitteleuropäischen Erfahrungshorizont fast nicht zu fassen: 24 Jahre Arbeitslager ohne Unterbrechung.

Szenen wie aus der Apostelgeschichte

Die Begegnungen im Arbeitslager Weißer See, die Rose Hu beschreibt, reihen sich aneinander, ähneln sich, die Gleichförmigkeit des Lageralltags wird deutlich. Daraus resultierend weist der Duktus des Buches hier gewisse Längen auf. Trotzdem ist Aufmerksamkeit gefragt, denn einige Male flicht die Autorin Episoden aus der Zeit nach der Haft ein, auch Reminiszenzen in die eigene Vergangenheit. Immer wieder sind allerdings auch Wiederholungen dabei. Bereits hier deutet sich an, dass dies keine chronologische Biographie ist. Ein von Gott gegebener Heilsplan, der sich im irdischen Leiden entfaltet und erst in der Rückschau seinen Sinn offenbart – so könnte der thematische Kettfaden dieses Buches erklärt werden.

Im Jahre 1962 wurde Rose Hu in das Lager Dangshan verschleppt – eines der gefürchteten „Laogai“. Auch mit dieser Situation, in der ihr Leben auf mancherlei Weise immer in Gefahr war, arrangierte sie sich. Man versteht, wie groß die Rechtlosigkeit, die Unsicherheit und die Willkür waren, denen die Lagerinsassen ausgesetzt waren. Ihren Schilderungen ist hier abermals anzumerken, wie sehr das Leben im Arbeitslager zu einer Routine werden konnte.

 Auch hier begegnete sie immer wieder ihren Schwestern und Brüdern im Glauben. Zu diesen bestand vertraulicher Kontakt, man kannte sich untereinander, vertraute sich Geheimnisse an – ein wenig erinnert die Szenerie an die Apostelgeschichte und andere Schilderungen, in denen von den Christenverfolgungen unter den Römern die Rede ist. Immer wieder finden sich eingestreute Schilderungen des dauernden Hungers, des Mangels an Nahrung und sauberem Wasser.

Nonnen wurden gefoltert

In insgesamt 28 Kapiteln, auf 130 Seiten, beschreibt Rose Hu ihr Martyrium in den chinesischen Arbeitslagern. Schwerste Folter, immer wieder Todesfälle von Weggefährten, täglich neue Grausamkeiten. Exemplarisch dafür sei das Kapitel 42 genannt, überschrieben mit: „Eine Perle im Lager Dangshan“ – die Geschichte der Ordensfrau Yicheng, einer Nonne der Kongregation der Helferinnen der Armen Seelen im Fegfeuer. Die kommunistischen Schergen folterten Schwester Yicheng, nur weil sie an Jesus Christus glaubte. Nach 25 Jahren Lager entlassen, starb Yicheng an einer Blinddarmentzündung, der in einem schlechten Altersheim vom Personal keine Beachtung geschenkt wurde.

1982 endete schließlich Roses Martyrium. Ihr wurde 1989 gestattet, in die USA zu emigrieren; die Umstände bleiben unscharf. Generell wird ab hier ihre Lebensgeschichte nur noch fragmentarisch aufgeschlüsselt. Offenkundig ist es die eigentliche Intention von Autorin, Übersetzer und Verlag, einen spirituellen Weg hin zu Gott zu beschreiben. Der Idee einer durchgängigen Biografie, die sich bis in die Schilderung der ersten Haftzeit, bis 1957 also, durchaus erkennen lässt, wird das Buch damit je länger, je weniger gerecht.

Wundersame Heilung einer Krebserkrankung

1997 wurde bei Rose Hu eine Krebserkrankung diagnostiziert. Auch diese Schicksalswendung wird nicht streng chronologisch erzählt, sondern in einen von der Autorin subjektiv empfundenen Heilsplan Gottes quasi nahtlos eingebaut. So geschieht es auch mit ihrer zeitweiligen Heilung vom Krebs: Die ereignete sich nach der Berührung einer Reliquie des Erzbischofs Marcel Lefebvre, so beschreibt es Rose Hu, wobei ihr Brustkrebs zum großen Erstaunen der Ärzte in schier unglaublich kurzer Zeit zum Stillstand kam – und verschwand.

 Zwar ist dies in der nüchternen Form einer biografischen Notiz erzählt, aber exemplarisch wird beschrieben, dass auch katholische Traditionalisten ihre Frömmigkeit durch Wunderglaube ausleben. Auch in diesem Abschnitt gibt es wieder Rückgriffe auf vergangene Begegnungen mit chinesischen Priestern, die die Autorin noch aus den 1950er Jahren kannte.

2001 kam Rose Hu bei Exerzitien mit der Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX) in Kontakt: Sie hatte dort die hl. Messe ihrer Kindheit wiedergefunden. Zwei Jahre darauf legte sie ihr Gelübde als Mitglied des Dritten Ordens der FSSPX ab, dem zumeist Laien angehören. Als Grund dafür gibt sie an, dass sie von den Reformen der Kirche durch das Zweite Vatikanische Konzil „enttäuscht“ gewesen sei. 

Ein Beispiel für Christen aller Konfessionen

Die Schilderung ihres Charakters, die für die Jahre im chinesischen Arbeitslager überaus stringent und überzeugend ausfällt, verliert hier etwas an Klarheit. In intensivem Gebet und Frömmigkeitsübungen lebte Rose Hu noch bis 2012 in den USA; 79jährig starb sie dann schließlich doch an der Krebserkrankung, die sie wieder ergriffen hatte.

Der Sarto-Verlag vertritt innerhalb der katholischen Kirche die sogenannte traditionalistische Schiene. Das ist vor allem wegen der Klarheit dieses Standpunktes bemerkenswert. Verlagsseitig geht es dabei erkennbar um die Förderung der Feier der heiligen Messe nach tridentinischem Ritus. Das ist, für sich genommen, interessant und nachdenkenswert. Doch dieses Buch hat einen weit größeren Bedeutungsradius. 

Rose Hu hat mit ihrer Autobiographie einen „chinesischen Archipel Gulag“ geschrieben. Eine Frau, die unfassbar viel Gottvertrauen hat, gibt uns ein Beispiel, was das heißt, wie Simon von Cyrene Christus zu helfen, das Kreuz zu tragen. Eindrucksvoll lebt sie das Prinzip der Nachfolge stellvertretend für alle Christen vor. Konfessionelle, innerchristliche Fragen verblassen angesichts einer Diktatur, die gegenüber allen, die nicht bedingungslos systemkonform sind, ihre Maske ablegt und maximal brutal und menschenverachtend agiert.

Rose Hu, „Mit Christus im chinesischen Straflager. Freude im Leiden“, Bobingen 2024, mit einem Vorwort versehen durch Franz Kronbeck, broschiert, 261 Seiten, ISBN 978-3-96406-077-8, 14,80 Euro.

 

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