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Frauen und Mode

Kampf dem Ugly Chic

Eine Bekannte aus der Slowakei bezeichnete die Österreicher einmal als das „Sneaker-Volk“. Hinter dieser sarkastischen Bemerkung der in Wien lebenden Dame verbirgt sich Kritik am Schuhwerk der Österreicherinnen. Statt eleganter und dem Fuß schmeichelnder Pumps, Highheels, Sandalen oder Loafers setzten sie eher auf Bequemes.

Eine andere, auch aus dem Osten Europas stammende Verwandte kritisierte regelmäßig die in ihren Augen schlecht angezogenen Kinder auf Feiern wie Geburtstagen, Hochzeiten oder Taufen. Unfrisiert seien sie, und liefen herum nicht anders als im Alltag mit Leggins oder Shorts, Sportschuhen und T-Shirt.

Geht man durch die Straßen Roms, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit sicher sein, dass Frauen jenseits der 50 in Jeans, Turnschuhen und Steppjacken keine Einheimischen, sondern Deutsche, Österreicher oder Schweizer sind. „Die Römerin bleibt bei Regen daheim oder holt sich nasse Füße in schicken Schuhen“, bemerkte die in Rom lebende und im römischen Oktoberregen Gummistiefeltragende österreichische Journalistin Gudrun Sailer einmal in einer Kolumne.

Die Boomer-Generation durchzieht das Diktat des Praktischen

Leicht ist man versucht, auf der Jugend ob ihres schlechten Modegeschmacks herumzuhacken. Aber müsste man nicht auch mit der Boomer-Generation ins Gericht gehen? Als Vorbild in Sachen Stilsicherheit dienen sie allenfalls nicht, zumindest nicht diejenigen aus den deutschsprachigen Ländern. Hier herrscht nicht nur das Diktat der Bequemlichkeit, sondern auch das des Praktischen.

Sagt der Wetterbericht am Tag einer Feierlichkeit Regen voraus? Dann wird schnell das schicke Jäckchen gegen eine Regenjacke ausgetauscht – Zweckmäßigkeit geht vor Schönheit. Wie die moderne Architektur, so scheint sich auch der Modegeschmack nach dem Mantra „form follows function“ zu richten – Klamotten, die zwar einen Zweck erfüllen, von Stil und Eleganz jedoch entfernt sind wie der Nordpol vom Südpol.

Was uns nun zur Jugend bringt: Ugly Chic und der Aufstieg der Fitness-Mode, beziehungsweise Sportswear als Alltagskleidung zeugen davon, dass auch für die Jüngeren Bequemlichkeit, Laissez-faire, aber auch Androgynität an erste Stelle getreten sind. Der meistverkaufte Artikel in der Geschichte der deutschen Modemarke Hugo Boss ist kein Herrenanzug, sondern ein schlichter, schwarzer Hoodie mit der Aufschrift „Boss“.

Schule verbietet Jogginghose und bauchfreie Oberteile

Sportswear-Marken wie Adidas, Nike aber auch über die vergangenen Jahrzehnte ins Hintertreffen geratene Labels wie Champion, The North Face oder Fila, erleben einen neuen Frühling unter Jugendlichen. Längst haben die Kapuzenpullover, bauchfreien Tops und Jogginghosen Einzug in die Schulen gefunden – so sehr, dass sich manche Direktoren genötigt fühlen, einzugreifen.

Eine Sekundarschule in Nordrhein-Westfalen beschloss im März eine Kleiderordnung einzuführen. Schüler, die in Jogginghose oder bauchfreien Oberteilen zum Unterricht erscheinen, werden nach Hause geschickt. In einem Brief an die Eltern begründete die Schule ihre Entscheidung damit, dass zum „Bildungsalltag der Schule“ auch „die Vorbereitung auf ein Leben in der Öffentlichkeit und im Arbeitsleben“ gehöre. Der Kleidungsstil in der Öffentlichkeit solle sich von dem zu Hause abgrenzen.

Die deutsche Knigge-Gesellschaft befürwortet die neuen Regeln. Durch das Arbeiten im Homeoffice habe sich „eine gewisse Nachlässigkeit und Bequemlichkeit eingestellt“, führte eine Sprecherin als Ursache des Jogginghose-Tragens in der Öffentlichkeit gegenüber der Deutschen Presseagentur an. Mit der Kleidung werde darüber hinaus eine „bestimmte Aufgabe, Autorität oder Zugehörigkeit ausgedrückt“.

Modischer Einfluss der Generation Z kommt von Influencern

Doch für Kleiderordnungen hat die Generation Z, die oft eine 30-Stunden-Woche, Work-Life-Balance oder gleich das Grundeinkommen wünscht, wenig Verständnis. Schließlich will man seine Persönlichkeit durch Kleidung frei ausdrücken, ohne Einschränkungen durch Lehrer oder Arbeitgeber zu erhalten.

Den größten modischen Einfluss erhalten Jugendliche heute über Instagram und TikTok. Sie wollen so freizügig, exklusiv und teilweise verrückt durch den Alltag laufen wie ihre Lieblingsinfluencer und -stars.

Eine Ikone des Ugly Chic ist Billie Eilish. Seit ihrem Aufstieg 2016 macht der Stil des heute 21-jährigen Popstars von sich reden: schwarz-grellgrün gefärbtes Haar, riesige Ugly-Sneakers, Klamotten, die aus der Herrenabteilung stammen könnten. Sie kleide sich so, weil sie nicht wolle, dass jemand ein Urteil über ihren Körper fälle, bekannte Eilish 2019 in einem Werbeclip für Calvin Klein.

Vorschau Billie Eilish im Dezember 2019
Billie Eilish, hier im Dezember 2019, in ihrer typischen „Uniform“: Ugly Sneaker, Jogginghose, XL-Oberteil. 2021 änderte sie ihren Stil, zur Überraschung ihrer Fans

Die Dekonstruktion der Schönheit

An diesem Punkt muss die Frage erlaubt sein: Haben nicht all diese Trends gemeinsam, dass sie mehr oder weniger der Hässlichkeit frönen? „Hässlich“ darf man heute nichts mehr nennen. Genauso wie eine übergewichtige Person nicht dick ist, sondern „body positiv“. Ein schlecht angezogener Mensch ist nicht unschön angezogen, sein Geschmack unterscheidet sich lediglich vom eigenen. Schönheit ist kein objektiv messbarer Wert mehr, sondern obliegt dem persönlichen Geschmack.

Was aber, wenn die Hässlichkeit gewollt ist? Wenn das Tragen von Adidas-Socken über Leggins, das Verzichten auf BHs („No-Bra-Trend“), unrasierte Achselhöhlen und einer um den Oberkörper geschnallten schwarzen Bauchtasche, die vor 20 Jahren noch 50-jährige Männer im Italien-Urlaub um den Bierbauch trugen, einem Statement gleichkommt?

Jacques Derrida lässt grüßen. Für den Vater der Dekonstruktion stellen Zeichen, womit Begriffe gemeint sind, nichts Festgeschriebenes dar, sondern sind in ihrem Sinn veränderbar. Ein sprachliches Zeichen stünde in keiner natürlichen und daher keiner unveränderlichen Verbindung zu dem, was es bezeichnete. Machtverhältnisse würden hergestellt, da Begriffspaare, wie zum Beispiel „schön / hässlich“, als unverrückbar gelten.

Daher ist, laut dem Philosophen, Identität nichts Feststehendes, sondern immer etwas Konstruiertes, was man jederzeit wieder dekonstruieren könne. Eine ontologische Ordnung, ein Sein, gibt es in dieser Denkschule nicht, und damit auch keine Objektivität. Und: Den traditionell abgewerteten Teil eines Begriffspaares möchte Derrida aufgewertet wissen.

Femininer Trend „Barbiecore“

Blickt man sich ein wenig an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten oder linken Demonstrationen um, könnte man meinen, ein Großteil der Personen dort sind fleißig dabei, die Derrida’sche Lehre in die Praxis umzusetzen, vor allem was ihren Modegeschmack betrifft. Dieser lässt sich umschreiben mit: „Hässlich ist das neue Schön“.

Doch es gibt auch gute Nachrichten aus der Modewelt: Feminine Trends setzen sich allmählich durch. Hand in Hand mit dem Film „Barbie“ kam „Barbiecore“. Wie man sich vorstellen kann, dominiert bei diesem Trend die Farbe pink. Die Mode ist fröhlich, süß und hyperfeminin. Schauspielerin Margot Robbie, die in dem erfolgreichen Blockbuster die Original-Barbie darstellt, kann man getrost als einen Prototyp klassischer weiblicher Schönheit bezeichnen.

Im Film fällt sie auf mit eleganten, zeitlosen Outfits: Von XL-Sonnenhut über französischer Baskenmütze bis klassisches Kostüm ist alles dabei. Tatsächlich griff die Kostümdesignerin Jacqueline Durran bei der Outfit-Auswahl für Barbie laut dem Modemagazin Vogue auf Chanel zurück – aus den Archiven des französischen Modehauses wählte sie Anzüge, Strand- und Sportbekleidung aus.

Mit „Barbiecore“ ist auch der Tussi-Look der frühen 2000er-Jahre à la Paris Hilton und Pamela Anderson zurück. Auch, wenn man kein Freund von wasserstoffblonden Haaren, Mini-Röcken und Glitzer ist: Es ist schön, dass nach Ugly Chic und der Dominanz von Unisex-Mode und Minimalismus wieder feminine, opulentere Mode „in“ wird.

Mode zwischen Freizügigkeit und Charmebefreitheit

Möchte frau sich heute elegant und gleichzeitig „mit dem gewissen Etwas“ anziehen, hat sie es dennoch nicht leicht. Zur Auswahl hat sie auf der einen Seite die in jeder größeren Stadt vorhandenen Modeketten Zara, Mango und H&M. Die richten sich jedoch stark nach den jeweils aktuellen Trends.

Außerdem ist die Kleidung dort selten chic und tauglich für Jobs, denen die Durchschnittsbevölkerung nachgeht, ganz zu schweigen von den oft sehr freizügigen Schnitten bei Kleidern. Niemand hat Lust, im Alltag alle fünf Minuten am Saum der Röckchens herumzuzupfen, damit ja alles verdeckt bleibt.

Auf der anderen Seite stehen der Frau konservativere Modehäuser wie Kleider Bauer in Österreich oder Peek & Cloppenburg zur Verfügung. Die Stücke dort sind in der Regel eleganter und zeitloser, doch leider auch bieder und charmebefreit. Es bleibt Frau nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach ausgewählten Boutiquen zu machen, die französische oder italienische Mode führen, oder das Internet nach entsprechenden Onlineshops zu durchforsten.

Zeitlose Eleganz bleibt

Prinzipiell lässt sich sagen: Es in Modefragen den Französinnen gleichzumachen, ist nie verkehrt. Egal, ob dick oder dünn, Jeans, Chinohose, weiße Bluse, einfärbiges T-Shirt, dazu den von Chanel inspirierten Tweed-Blazer, welchen man für wenig Geld bei H&M erwerben kann, oder Trenchcoat, steht jeder Frau und überdauert jeglichen Trend.

Jugendliche werden irgendwann erwachsen. Ein regelrechter Aufschrei ging durch die Medien, als die grün-schwarzen Haare von Billie Eilish im Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Happier than ever“ (2021) plötzlich Geschichte waren. Stattdessen sind sie auf dem Cover platinblond und Billie „Vanillagirl“ Eilish hüllt sich in einen eleganten cremefarbenen Strickpullover.

Enttäuscht waren viele ihrer Fans, als sich die Grammy-Gewinnerin im selben Jahr auf der Titelseite der britischen Vogue ablichten ließ. Doch nicht, wie gewohnt, in XXL-T-shirt und Ugly-Sneaker, sondern in aufreizenden Dessous im Pin-up-Stil der alten Hollywood-Diven.

Kleidung, die man als „zeitlos“ oder „klassisch“ betiteln würde, heißt heute „Old Money Style“. Typische „Old Money“-Modemarken sind Ralph Lauren, Tommy Hilfiger, Burberry oder auch Chanel. Damit einher geht der Preppy-Look. Dazu zählen Polohemden, Tweed-Anzüge und Mini-Röcke im Schuluniform-Stil. In den Vintageläden, die in den letzten Jahren wie die Pilze aus dem Boden gewachsen sind, finden Jugendliche ein Paradies an „Old Money“- beziehungsweise Preppy-Look-Kleidungsstücken.

Es sind die Klassiker, die begehrt sind: Bis heute ist die ikonische, schwarze Chanel-Handtasche 2.55 aus Kalbsleder, die erstmals 1955 auf den Markt kam, ein begehrenswertes Stück unter Frauen. Auch 2023 wird sie noch von dem französischen Modehaus produziert. Man findet sie aber auch in unzähligen, nobleren Vintagegeschäften als Secondhand-Stück wieder.

Die Geschichte lehrt es, aber die unsterbliche Coco Chanel brachte es auf den Punkt: „Mode ist vergänglich, Stil niemals“.

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Kommentare

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Kommentar
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Carola K.
Vor 8 Monate 4 Wochen

Auf der Suche nach dem Innersten trifft man hier überraschend auf die Idealisierung des Äußeren – ist das der Ausgleich zu der exorxistischen Verdammnis alles Irdischen, rheinischer Pfarrer?

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Isis Alina Klinken
Vor 8 Monate 3 Wochen

Verdammung der Welt war noch nie katholisch. Ich denke nicht, dass hier das Äußere verherrlicht wird, sondern vielmehr Geschmacksbewusstsein bei Mode gefördert wird. Nicht alle Farben etwa passen ja zueinander. In Bezug auf Menschen wird ja auch nicht gesagt :"Nur wer so und so aussieht, ist schön", Margot Robbie wird nur als Beispiel "klassischer" Schönheit genannt, es gibt aber noch viele weitere Schönheitsarten, unkonventionell, exotisch etc.

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Paulus
Vor 8 Monate 2 Wochen

Wie schockierend muss es für die Autorin sein, wenn sie merkt, dass auch Italienerinnen und Französinnen oft keine BHs tragen und sogar oben ohne am Strand liegen. Ein Skandal!! Wer No Bra mit Ugly Chic verbindet, sollte dringend an seinen eigenen Körperkomplexen arbeiten.

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Piet Grawe
Vor 8 Monate

???
Was soll uns das sagen?

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Carola K.
Vor 8 Monate 4 Wochen

Auf der Suche nach dem Innersten trifft man hier überraschend auf die Idealisierung des Äußeren – ist das der Ausgleich zu der exorxistischen Verdammnis alles Irdischen, rheinischer Pfarrer?

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Evan Garrett
Vor 8 Monate 2 Wochen

Es gehört durchaus zum katholischen Glauben zu erkennen, dass der Leib für das geistliche Leben alles andere als irrelevant ist.

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Isis Alina Klinken
Vor 8 Monate 3 Wochen

Verdammung der Welt war noch nie katholisch. Ich denke nicht, dass hier das Äußere verherrlicht wird, sondern vielmehr Geschmacksbewusstsein bei Mode gefördert wird. Nicht alle Farben etwa passen ja zueinander. In Bezug auf Menschen wird ja auch nicht gesagt :"Nur wer so und so aussieht, ist schön", Margot Robbie wird nur als Beispiel "klassischer" Schönheit genannt, es gibt aber noch viele weitere Schönheitsarten, unkonventionell, exotisch etc.