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Kolumne „Ein bisschen besser“

Unser Auto ist tot

Heute ist es dann passiert: Es ist Sonntag, es nieselt, die Familie steigt zum Ausflug ins Auto, Hündin hinten, im Kindersitz das Töchterchen, der Sohnemann war dabei, Judith und ich vorn, Schlüssel rein, Kupplung treten, Knopf drücken – und nichts. Noch mal und nichts. Kein Lebenszeichen.

Es ist nicht so, dass sich der Moment, an dem unser Auto stirbt, nicht angekündigt hätte. Der Malaisen waren viele in den vergangenen Monaten, mal stank es nach Öl, mal rumpelte die Achse. Mehr als 300.000 Kilometer sind ja auch kein Pappenstiel, wenngleich ich Judith versicherte, es sei gerade erst eingefahren. Ich habe Benzin im Blut, habe ich stets von mir gesagt. Ein Patrolhead. Das ist zwar nicht zeitgemäß, aber das hat mir besonders daran gefallen.

Mache mir keinen Vorwurf, wenn ich auch anderen Autos einen Klaps gebe

Das Problem: Judith hatte das brave Autochen mitgebracht in unsere Beziehung. Es ist schon länger dabei als ich. Eifersüchtig war ich trotzdem nicht, wenn die beiden ab und an zusammen weg waren. Unser Verhältnis war eher nüchtern. Nur einmal entsinne ich mich, habe ich ihm einen freundschaftlichen Klaps aufs Heck gegeben, nachdem es uns fast 1.000 Kilometer am Stück bei Sauwetter aus Italien zurückgebracht hatte.

Es gibt Menschen, die sich zu leblosen Objekten hingezogen fühlen. Die Psychologie nennt das Objektsexualismus. Den derart Verfallenen geht es mal um die Form des Dings, mal um den Geruch oder auch die Geräusche, die das Objekt erzeugt. Bei Geruch und Geräuschen war das Autochen zuletzt besonders gut. Objektsexualisten, so erfahre ich, sind nicht unbedingt monogam. Ich muss mir also keine Vorwürfe machen, wenn ich auch anderen Autos einen Klaps gebe.

Ein bisschen besser wäre es gewesen, wir hätten uns schon vorher nach Ersatz umgeschaut

Ein spektakulärer Fall von Objektsexualität ist der der Schwedin Eija-Riitta Eklöf. Sie heiratete 1979 die Berliner Mauer. Die Ehe hielt zehn Jahre. Seit dem Mauerfall 1989 bezeichnet sich Eija-Riitta Eklöf-Berliner-Mauer, wie sie seit ihrer Hochzeit geheißen hatte, allerdings als geschieden. Verwitwet wäre passender gewesen, aber irgendetwas muss zwischen den beiden vermutlich schon vorher vorgefallen sein.

Bei uns war nichts vorgefallen. Das Autochen ist einfach von uns gegangen. Ein bisschen besser wäre es gewesen, wir hätten uns schon vorher nach Ersatz umgeschaut. Aber Bigamie ist teuer, weswegen Judith und ich das stets gelassen haben.

 

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