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Familienkolumne „Ein bisschen besser“

Vergesst Kochsendungen

Netflix ist irre. Dort filmen sie jetzt nicht die Realität ab, sondern lassen ihre Filme Realität werden. Jedenfalls hat der Streamingdienst Mahlzeiten und Drinks aus seinen Kochsendungen mal eben „from screen to table“ Wirklichkeit werden lassen und ein abgefahrenes Eatery (zu Deutsch: Restaurant) in Los Angeles eröffnet.

Meine Frau Judith und ich, die Kinder und die Hündin leben nicht in L.A., sondern diesen Sommer lang in einem kleinen italienischen Dörfchen. Hier glauben sie noch, dass es ein bisschen besser ist, die Liebe und das Leben nicht an sich vorbei streamen zu lassen, sondern beides bei den Hörnern zu packen. Das ist nach unserem Geschmack.

Denn wir zwei haben selten etwas anbrennen lassen. „Mitunter ist uns das schlecht bekommen“, sage ich zu Judith. „Es war zumindest etwas abgestanden“, gibt sie zu: „Oder wurde wieder aufgewärmt.“ „Es gab auch was zum Vernaschen“, stelle ich sachlich fest. „Oft sah es aber besser aus, als es war“, fällt Judith nickend ein. „Bedauerlicherweise war ich schon manchmal einfach satt und konnte nicht mehr“, erzählt sie weiter und wird ganz melancholisch. Ich tröste sie und sage: „Der Appetit kommt mit dem Essen.“

Blutwurst mit Austernschaum, Kalbsniere mit Kaviarmus

Wir sind leidenschaftliche Köche, bei uns spritzt es, uns rinnt der Schweiß beim Kochen, bei uns wird eiskalt und glühheiß serviert. Wir haben uns mehr als einmal die Finger verbrannt, meistens ist genug Salz in der Suppe, und bei uns hat immer einer die Kochmütze auf. Der andere darf zuschauen, dabei niedrige Tätigkeiten verrichten und Küchenwein in den Koch hineingießen. Uns ist klar: Es kann nur einen geben, und mehr als ein Koch verdirbt den Brei.

In unserer persönlichen Eatery gibt es keine Herdprämie, keine Diät, und Kalorien sind unseres Wissens nach diese kleinen fiesen Tierchen, die nachts die Kleider enger nähen. Bei uns gibt es Himmel und Erde, Blutwurst mit Austernschaum, Kalbsniere mit Kaviarmus. Eis ohne Stil und Apfel ohne Baum. Die Hündin frisst Chappi mit Schlagsahne, und wenn ich den Küchenschrank öffne, versucht der Camembert zu entlaufen. „Liebst du mich?“, frage ich Judith. „Ja, bis zum Kühlschrank und zurück“, ruft sie, und wir schwören „from table to screen“: So irre wie Netflix werden wir niemals.

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Claudia Beier
Vor 10 Monate 1 Woche

Ein Prost auf diese köstliche Kolumne, die einzige, die mir auch im Urlaub schmeckt und mich dazu verführt, auf Zwergentastaturen Kommentare in ein Zwergenfenster zu tippen. Grazie mille!

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Claudia Beier
Vor 10 Monate 1 Woche

Ein Prost auf diese köstliche Kolumne, die einzige, die mir auch im Urlaub schmeckt und mich dazu verführt, auf Zwergentastaturen Kommentare in ein Zwergenfenster zu tippen. Grazie mille!