Atemlos

Was haben Helene Fischer und Andrea Berg mit Ostern zu tun? Gar nichts! Obwohl beide Schlagersängerinnen für jeweils einen ihrer Songs einen Titel gewählt haben, der wie gemalt zu Ostern passt, näherhin zu dem Bericht des Lukasevangeliums von den beiden Jüngern, die nach dem Tod Jesu von Jerusalem zum zirka elf Kilometer entfernten Emmaus unterwegs sind (vgl. Lk 24,13-35). Denn in den Schlagern ist man – ähnlich wie die beiden Jünger am Ende des Berichtes – einmal „Atemlos durch die Nacht“ und einmal „Barfuß durch die Nacht“ unterwegs.
Was war geschehen? Die Bibel schildert den Fußmarsch zweier Jünger, die Jerusalem verlassen, nachdem das Unfassbare geschehen und ihr Meister gekreuzigt worden war. Ratlos und niedergeschlagen sind sie auf ihrem Weg in ein Gespräch über die Ereignisse in Jerusalem vertieft, bis sich ein unbekannter Fremder zu ihnen gesellt, der sich auf eine unerwartet kenntnisreiche und beruhigende Weise in ihr Gespräch einmischt. Er hilft ihnen, in dem, was geschehen war, das zu erkennen, was geschehen musste, damit die Verheißung der Heiligen Schrift erfüllt und die Erlösung, die das Volk Israel schon so lange erwartete, eintreten konnte.
Die beiden Jünger beginnen zu ahnen, dass alles, was sie gerade betrauern, womöglich der Anfang einer großen Heilsgeschichte sein könnte. Sie drängen den Fremden, bei ihnen zu bleiben, als sie Emmaus erreichen, zumal es schon Abend ist und eine Weiterreise in der Nacht gefährlich.
Atemlos vor Freude eilen sie trotz dunkler Nacht zurück nach Jerusalem
Beim abendlichen Mahl fällt es ihnen dann wie Schuppen von den Augen, und sie erkennen in dem Fremden Jesus, den Messias – just in dem Augenblick, in dem Er das Brot bricht und ihnen reicht. Denn darin erkennen sie das, was Jesus am Abend vor Seinem Tod als Vermächtnis hinterlassen hatte: die Eucharistie.
Dann ist Er vor ihren Augen verschwunden. Von jetzt auf gleich ist alles anders, gut, verstanden und schön. Der Herr lebt, und sie haben Ihn gesehen! Sie eilen trotz der stockdunklen Nacht zurück nach Jerusalem. Nichts hält sie mehr in der Verzagtheit. Ihre Enttäuschung ist gewandelt in eine neue Begeisterung.
Im Gegensatz zur Schilderung des Evangeliums geht es in den Songs der Schlagerqueens Andrea Berg und Helene Fischer bei deren atemlosem Unterwegssein einmal um einen nächtlichen Zug durch die Gemeinde und bei der barfüßigen Nacht um ein verliebtes Tanzen im Mondschein. Das, was die beiden Titel jedoch sagen, trifft eins zu eins auf die Jünger zu, die nach ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen nichts mehr in Emmaus hält, sondern die trotz der Gefahren, die für einen Fußweg in der Finsternis der Nacht bestanden, nach Jerusalem zurücklaufen – atemlos vor Freude und möglicherweise auch barfuß wie damals durchaus üblich.
Die Auferstehung wird plötzlich ihre Auferstehung
Der Grund für diese Eile und für das gefährliche Aufbrechen in der Nacht ist die Erkenntnis, dass es Wahrheit ist, was sie geahnt, aber nicht für möglich gehalten hatten: dass die Berichte der Frauen und einiger Jünger zutrafen und Jesus tatsächlich von den Toten auferstanden war. Und dass damit ihre Verzweiflung darüber, dass alles vorbei sein sollte und die alte Aussichtslosigkeit sie wieder eingefangen hatte, verjagt ist. Der Sieg Jesu Christi ist real. Das war ihre Erkenntnis, als sie den unbekannten Fremden abends bei sich zu Gast hatten.
Sie hatten Ihn erkannt, in dem Moment, in dem das geschah, was wir heute „Eucharistie“ nennen – als Er sich im Geheimnis Seines Leibes und Blutes offenbarte. So hatte Er es ja am Abend vor Seinem Leiden auf den Weg gebracht: bei Seinen Jüngern zu sein und zu bleiben. Die Auferstehung sollte nicht Sein einsamer Sieg bleiben, sondern für alle, die glauben, immer greifbar, nah und erfüllend sein.
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„Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“ (Joh 6,56) hatte Er einmal gesagt. Die Auferstehung, von denen die beiden Jünger ungläubig vernommen hatten, wird plötzlich „ihre“ Auferstehung. Denn der Herr lässt sie Anteil finden an Seinem Leib und Blut.
Kein Wunder, dass sie das den anderen erzählen müssen, damit auch sie verstehen, dass jetzt alles eingelöst ist, was der Herrn versprochen hatte. Und dass jetzt nicht nur ein Sieger bewundert werden sollte, sondern die Frucht des Todes und der Auferstehung Jesu Christi angenommen und buchstäblich einverleibt werden konnte.
Die Vielen, die ohne Glauben und Verheißungen leben
In diesen Tagen nach Ostern, die in der Kirche auf der ganzen Welt geprägt sind von der Unruhe, die ein leerer Papstthron mit sich bringt, ein wichtiger Impuls. Denn die Zukunftsängste, die sich nach dem Tod eines Papstes ausbreiten, sind nicht geringer und auch nicht ungefährlicher als für die beiden Emmausjünger, die sich ja genauso wie wir fragen, wie es weitergehen soll.
Weswegen es gut und hilfreich ist, von der Weckung der beiden verzagten und wenig hoffnungsfrohen Jünger in Emmaus zu hören, die dort zu einer neuen und bleibenden Hoffnung gelangen.
Hinzu kommt die Aussichtslosigkeit, der die Vielen verfallen sind, die ohne Glauben und Verheißungen leben. Elke Heidenreich hat sie zu Ostern in einem Beitrag für die Tageszeitung Welt zusammengefasst:
„Ich sitze vorm Fernseher und heule über ausgemergelte Gestalten im Sudan und Gewehre schwenkende junge Männer, ich heule über die Oma im Vorort von Kiew, deren Häuschen gerade abbrennt und die ihre Katze im Arm hat und neben sich eine Plastiktüte, das ist ihr geblieben. Ich sehe den verwüsteten Gaza-Streifen und frage mich, wie ein Mensch in so etwas überleben, wie ein Kind dort aufwachsen kann. Und was aus so einem Kind dann wird. Der Hass geht weiter.“
Eine treffende Beschreibung dessen, was uns derzeit beschäftigt. Und was bleibt da? Die Schriftstellerin, die es nicht so mit dem Glauben hat, ruft nach der Aufklärung: „Kant, wo bist Du“ schreibt sie weiter mit Blick auf die Menschen, die augenblicklich zwischen den Machtblöcken zerrieben werden, „wer hilft ihnen raus aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, wer streut mal ein bisschen Verstand über die Welt, wo bleibt sie, die dringend nötige neue Aufklärung, verdammt noch mal? Darf man Dummheit nicht mehr Dummheit, Grausamkeit nicht mehr Grausamkeit, Unrecht nicht mehr Unrecht nennen?“
Umkehren, loslaufen und den anderen davon erzählen
Nach dem, was das Lukasevangelium vom Wandel der Resignation in Zukunftsfreude zu berichten hat, hat die Welt mehr geschenkt bekommen als eine Aufklärung, von der sich hinlänglich gezeigt hat, dass sie entgegen allen Beteuerungen zu einer Rettung der Menschheit wenig tauglich ist, weil die Mittel des Verstandes nicht ausreichen, um den Abgründen des Herzens zu begegnen. Dazu braucht es die Umkehr – die Umkehr zur Liebe. Und die wird nicht anders zu haben sein als durch die Umkehr zu dem, der die Liebe ist.
Wer das verstanden hat, wird es leben und er wird loslaufen und davon den anderen künden. Und sei es in der Nacht, wo sich sonst keiner vor die Türe traut. Um davon zu berichten, dass Christus mitgeht, auch wenn es Abend wird. Atemlos wird man in solchen Nächten als glaubender Mensch nicht deswegen, weil man vor der Gefahr wegläuft, sondern weil man sich rastlos aufmacht, allen zu erzählen, welche Botschaft im eigenen Herzen brennt.
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Kommentare
Die Geschichte von den Emmausjüngern bei Lukas ist einer der schönsten und ergreifendsten Texte im Evangelium. Und Ihnen fällt dazu der Dosenschrott von Helene Fischer und Andrea Berg ein?
Da bleibt einem in der Tat die Luft weg.