Direkt zum Inhalt
Markus Hoffmann im Interview

Homosexualität überwinden? Ein Ja zu sich kann alles auf den Kopf stellen

Das Verlieren seines jugendlichen Aussehens beschreibt er als „struggle“, englisch für Kampf. Mit „why ever“ drückt er aus, dass er nicht versteht, warum er ein Mädchen sehr attraktiv fand. Im Gespräch mit Markus Hoffmann hat man das Gefühl, sein Herz ausschütten zu können, denn er ist im Herzen jung geblieben und erzählt seine Geschichte, egal wie er am Ende dasteht. Der sehr zugängliche Entwicklungspsychologe leitet das Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung (IdiSB e.V.) in Tamm, Baden-Württemberg, in dem er auch Menschen berät, die mit Homosexualität ringen.

 

Herr Dr. Hoffmann, Sie sind bekannt für Ihre Arbeit im Bereich Identität und Sexualität. Wie sind Sie zu Ihrem Ansatz der „dialogischen und identitätsstiftenden Seelsorge“ gekommen?

„Es fing alles mit meiner eigenen Betroffenheit an. Schon als Kind, bevor ich in die Pubertät kam, habe ich gemerkt: Ich fühl mich zu Jungs hingezogen. Aber irgendwie war da so ein Ding, wo ich dachte: ‘Das passt nicht.’ Nicht aus moralischen Gründen, ich bin nicht superreligiös aufgewachsen, sondern weil ich immer das Gefühl hatte: ‘Ich such was, aber ich find mich selbst einfach scheiße.’“

Hoffmann beschreibt, wie er als Jugendlicher sich vor allem zu Jungs hingezogen fühlte, die irgendwo bessere Leistungen erbrachten als er, beispielsweise im Sport. Mit 15 Jahren erlebte er eine Bekehrung zu Jesus, die seinen Glauben prägte. 

„Ich war dann erst mal im freikirchlichen Raum unterwegs, später mit 19 in einer evangelischen Kommunität. Da habe ich angefangen, mich zu fragen: Wer bin ich eigentlich vor Gott? Die ersten Gespräche über meine sexuelle Orientierung in der Seelsorge waren aber irgendwie nicht so der Hit. Da hieß es oft: ‘Beten wir das weg.’ Aber das war nicht weg, ich habe weiter gelitten.“

Was hat Ihnen dann geholfen, mit Ihrer Homosexualität Frieden zu schließen?

„Der Gamechanger war die dialogische Beziehung – zu Gott und zu Menschen. Ich habe gemerkt: Identität entsteht im Dialog. Mit 19 habe ich in der Kommunität zum ersten Mal die Eucharistie intensiv erlebt, diese Realpräsenz von Christus. Das war so: ‘Wow, Christus spricht in meine Situation rein, er begibt sich in meinen Schmerz.’ Das hat mich total fasziniert.“ 

Später, während seines Studiums der Praktischen Theologie und Sozialen Arbeit, vertiefte er diesen Ansatz. 

„Ich habe mich gefragt: Kann der Glaube meine Identität heilen? Nicht so charismatisch ‘Zack, weggebetet’, sondern echt, im Dialog mit Gott. Da habe ich auch Erik Erikson entdeckt, der über Identität im Lebenszyklus schreibt.“

Erik H. Erikson, ein Entwicklungspsychologe, beschrieb Identität als Kern seiner Theorie der psychosozialen Entwicklung. Für ihn war Identität nicht nur eine persönliche Eigenschaft, sondern sie entstehe aus dem Zusammenspiel von Psyche, Körper und sozialem Umfeld.

„Identität entfaltet sich im Austausch mit anderen, und für mich war das mit Gott und mit Freunden der Schlüssel. Ich habe irgendwann kapiert, ich werde aus meiner Homosexualität nicht rauskommen, wenn ich keine Freundschaft wage.“

Heilung durch Freundschaft

Hoffmann erzählt von seiner ersten Freundschaft zu einem jungen Mann, der ihn respektiere, aber nicht in ihn verliebt war – umgekehrt war das aber der Fall. Hoffmann bewunderte ihn sehr für seine Männlichkeit und Unabhängigkeit.

„Jetzt bin ich genau wieder in dieser Abhängigkeit, wo ich nicht reinwollte, aber jetzt bin ich drin, und meine Frage war immer ‘Wie komm ich jetzt aber zu meinem inneren Frieden?’“

Durch dieses Beispiel zeigte sich, wie Hoffmann außerhalb von sich selbst nach Eigenschaften suchte, die er eigentlich selbst beherrschen wollte.

Auslöser für einen Konflikt mit diesem Freund war die Absage zu einem Treffen, was Hoffmann total aus der Bahn warf. 

„Ich wusste mir einfach nicht mehr zu helfen und habe dann einfach losgebrüllt.“

Der Freund habe aber gut reagiert und kein weiteres Drama daraus gemacht, und so wusste Hoffmann: 

„Er steht zu mir, er hat meinem ganzen Schmerz Verständnis gegenüber gebracht“. 

Für Hoffmann war diese Akzeptanz Teil des Heilungsprozesses. Im Erleben dieser Freundschaft sind weitere Meilensteine der Selbstannahme erreicht worden, die das erotische Verlangen auf der anderen Seite stark reduzierten. Je mehr Annahme von Personen gleichen Geschlechts, desto geringer das erotische Bedürfnis nach ihnen. So lautete Hoffmanns persönliche Formel der Selbsterkenntnis.

› Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge

„Ich habe zum Beispiel alte Bilder durchgeguckt, und dann habe ich so einen jungen Kerl gesehen, der da auf diesem Bild drauf war, und dann dachte ich ‘Oh, der sieht ja eigentlich ganz gut aus’, also ich habe für ihn erotische Gefühle entwickelt, und dann habe ich beim dritten Mal Hingucken gemerkt, dass ich das bin.“

Dass Hoffmann tatsächlich sein eigenes Äußeres angenehm empfand, führte ihn zu dieser ersehnten inneren Einheit: 

„Das war mitunter zum ersten Mal so ein Riesendurchbruch, dass ich eigentlich kein Interesse jetzt mehr groß an anderen erotischen Kontakten hatte. Das heißt natürlich nicht, dass so was dann ein für alle Mal vorbei ist.“

Heilung durch die Liebe

Wie haben Sie den Prozess des Kennenlernens und Verliebens erlebt? Ist das zu persönlich?

„Nein, das ist nicht zu persönlich. Mein Weg war etwas chaotisch. Aufgrund eines Missbrauchs durch eine Frau in meiner Kindheit empfand ich lange Ekel vor Frauen, während ich mich gleichzeitig zu Männern hingezogen fühlte. Eine Frau zu berühren war für mich undenkbar. 

In der Pubertät hatte ich dennoch vereinzelt Gefühle für Mädchen, etwa für eine Mitschülerin, in die ich lange verliebt war. Mit 17 hatte ich eine kurze Beziehung mit einer Freundin eines Freundes. Ich empfand nicht viel für sie, aber die Erfahrung zeigte mir überraschend, dass Nähe zu einer Frau sich gut anfühlen konnte. Das war wichtig, auch wenn ich die Beziehung nach ein paar Monaten beendete, weil ich sie nicht wirklich liebte. 

Später, während meines Studiums in Theologie und Sozialer Arbeit, traf ich am zweiten Tag der Einführungswoche meine Frau. Es war Liebe auf den ersten Blick. Damals plante ich, in einen halb eremitischen Orden in Frankreich einzutreten, um soziale Arbeit und Gebet zu verbinden. Doch sie veränderte alles. 

Sie war so schön, dass ich überwältigt war. Nach einem langen Hin und Her gestand ich ihr meine Liebe, und wir kamen zusammen. Während unserer vierjährigen Beziehung, in der wir uns täglich auf dem Campus sahen, war meine Homosexualität wie abgeschaltet. Wir lebten in getrennten WGs, was ich bewusst so wollte. Nach vier Jahren heirateten wir.“

Wie haben Sie diesen Prozess in Ihrer Ehe erlebt?

„Das war echt heavy. Meine Frau hat viel mitgemacht. Ich habe ihr früh von meiner Homosexualität erzählt, aber anfangs so, als wäre das Schnee von gestern. Als wir geheiratet haben, kam das Thema aber wieder hoch. Besonders in einer Freundschaft, wo ich wieder in eine Abhängigkeit gerutscht bin. Das hat sie verletzt, weil ich oft diesen Freund wichtiger genommen habe als sie. Aber sie war großzügig, hat mir Raum gegeben, das zu verarbeiten. Es war eine Zerreißprobe, aber wir haben es durchgestanden.“

Wie hat sich der Konflikt in Ihrer Ehe gelöst?

„Ich durchlebte zwei große Heilungsphasen. Die erste, die etwa neun Monate dauerte, bezog sich auf meinen Körper. Die zweite, die vier bis fünf Monate dauerte, drehte sich um Verlassenheitsängste. Diese Phase begann unerwartet während einer Selbsterfahrung, die mich emotional überwältigte. Ich kam traumatisiert nach Hause, brach in Tränen aus und wusste zunächst nicht, was los war. 

Mit einem engen Freund arbeitete ich diese Ängste durch, da ich sie nicht mit meiner Frau bearbeiten konnte. Ich lernte, mich meinen Gefühlen zu stellen und erkannte, dass ich mich im Moment größter Verlassenheit an diesen Freund wenden würde, weil er immer für mich da war. Danach fühlte ich mich wieder ‘ganz’. 

Seitdem ist mein Bedürfnis nach intensiven Freundschaften stark zurückgegangen. Früher war es wie eine Abhängigkeit, heute genieße ich Freundschaften, ohne sie zwingend zu brauchen. Parallel dazu hat sich meine Gottesbeziehung vertieft, die heute eine zentrale Rolle in meinem Leben spielt.“

Dialog und Identität

Sie haben auch Kinder. Wie haben Sie versucht, deren Identität zu stärken, damit sie nicht in ähnliche Krisen geraten?

„Meine Kinder sind total verschieden. Mein Ältester ist superbegabt, aber unsicher, ein Denker. Ich schreib ihm lange Briefe, bestärke ihn, dass er was kann. Meine Tochter hat einen mega Drive, die weiß, was sie will. Da sag ich nur: ‘Go for it!’ Mein Jüngster ist ein lieber Kerl, aber manchmal zu nett. Ich habe ihm beigebracht, für seine Würde einzustehen. Einmal hat er auf meinen Rat hin einen Freund konfrontiert, der ihn versetzt hatte, und gesagt: ‘Ich habe verdient, dass du mir Bescheid gibst.’ Das war so ein stolzer Moment als Vater.“

Was ist Ihre Botschaft an Menschen, die mit ihrer Identität ringen?

„Identität entsteht im Dialog – mit Gott, mit anderen, mit dir selbst. Es geht nicht darum, nur deine Gefühle zu leben, sondern deine Gefühle mit der Realität in Einklang zu bringen. Heute wird oft gesagt: ‘Fühl, was du fühlst, und das bist du.’ Aber ich habe gelernt: Meine Gefühle wollten, dass ich jemand anderes bin. Identität heißt, dich so anzunehmen, wie du bist, und im Dialog mit Gott und anderen zur Ruhe zu kommen.“

Buchtipps von Markus Hoffmann

Für alle, die sich tiefer mit dem Thema Identität auseinandersetzen wollen, empfiehlt Markus Hoffmann zwei Bücher: „Der Siegeszug des modernen Selbst“ von Carl Trueman (Verbum Medien), das kulturgeschichtlich erklärt, warum Gefühle heute so stark die Realität überlagern, und „Die Annahme seiner selbst“ von Romano Guardini (Topos plus), ein Klassiker, der zeigt, wie man sich selbst als von Gott gegeben annehmen kann.

„Weil ich es will“ ist im Fontis-Verlag erschienen und erzählt die Geschichten von 30 Menschen, die ihren Weg mit homoerotischen Gefühlen und Identität suchen – ein mutiges Plädoyer für einen offenen Dialog abseits des Mainstreams, zusammengestellt von Markus Hoffmann.

› Folgen Sie uns schon auf Instagram oder LinkedIn?

4
Kommentare

Kommentare