Direkt zum Inhalt
Nachruf auf Benedikt XVI.

Ein Patriarch, ein Frommer, ein Versöhner

„Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen“, heißt es in Psalm 116. Jetzt ist Benedikt XVI., „Professor Papst“, 95-jährig gestorben. Viele sahen in ihm nicht nur den Frommen, sondern die Verkörperung einer alten, konservativ-katholischen Welt, die man ablehnen und bekämpfen müsse – besonders in Deutschland. Denn zu seinen größten Kritikern gehörten deutsche katholische Bischöfe.

Mit Benedikt ist tatsächlich ein Patriarch gestorben, der zwei Jahrtausende lateinisch-abendländischer Frömmigkeit und Kirchlichkeit repräsentierte und mit der Moderne versöhnen wollte.

Das „Habemus Papam“ am 18. April 2005 zeigte bereits die ganze Spannweite an Gefühlen, die der deutsche Papst in den Medien auslöste. Die Bild titelte: „Wir sind Papst“, die britische Sun schrieb „From Hitler Youth to Papa Ratzi“, und die taz sah gleich die Moderne untergehen und klagte auf schwarzem Hintergrund an: „Oh mein Gott“. Der in Deutschland als „Panzerkardinal“ geschmähte Geistliche war nun der 265. Papst der Kirchengeschichte.

Pontifikat-Beginn unter „Wir sind Papst“-Stimmung

Sein Pontifikat begann mit einer positiven Wahrnehmung. Beim Weltjugendtag 2005 in Köln schwelgte Deutschland in der „Wir sind Papst“-Stimmung. An Weihnachten desselben Jahres erschien eine Enzyklika mit dem Titel „Deus caritas est“ – „Gott ist die Liebe“ – und man fragte sich, ob man in der deutschen Öffentlichkeit vielleicht zu Unrecht in Joseph Ratzinger den harten, streng-dogmatischen Kardinal sah, der vor allem die deutschen Bischöfe in ihren progressiven Reformen „bremse“.

Was all jene nicht berücksichtigten, die in Benedikt XVI. eine wandelnde Wagenburgmentalität sahen, war dessen Lebenserfahrung. Benedikt XVI. wurde 1927 geboren und 1951 zum Priester geweiht. Er begann als junger, aufstrebender Theologe, der Modernisierungen nicht abgeneigt war. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) war er der Berater des Kölner Kardinals Josef Frings und offen für Änderungen.

1968 erschien sein Bestseller „Einführung in das Christentum“, das bis heute Pflichtlektüre in vielen Priesterseminaren ist. Es ist durchaus kein genuin konservatives Werk, aber geprägt von einer Skepsis gegen allzu großen Optimismus und Fortschrittsgläubigkeit.

Das ist auch seiner eigenen theologischen Prägung geschuldet: Joseph Ratzingers theologisches Vorbild war nicht der rational-kühle Thomas von Aquin, sondern der brennende Bischof Augustinus von Hippo, der in Nordafrika starb, als die Vandalen einfielen. Augustinus hatte ein pessimistisches Menschenbild und hielt eine „Massa damnata“, eine „Masse von Verdammten“, für viel wahrscheinlicher als einen „Heaven for Everyone“.

Der Dogmatikprofessor im Hinterland

1968 war auch das Jahr der Studentenunruhen. Als Professor in Tübingen erlebte Ratzinger offenen Kirchen- und Traditionshass – von seinen eigenen Studenten. Er erlebte, wie sich eine Mentalität des Traditionsbruchs breitmachte, der nichts heilig war und die alles Bisherige zerstören wollte. Die persönliche Antwort Ratzingers auf diesen Aufstand bestand in der Flucht nach Regensburg 1969.

Jetzt war er der Dogmatikprofessor im Hinterland. Hier konnte er in aller Ruhe Bücher schreiben und sich bei Konservativen einen Namen machen, weil er exzellente Analysen verfasste und anders als Hans Küng in Tübingen keinen Kreuzzug gegen den Papst führte.

1977 wurde Joseph Ratzinger Erzbischof von München und Freising sowie 1982 Präfekt der Glaubenskongregation. Das ist die Zeit, in der sein Ruf in Deutschland besonders litt. Er trieb das „Nein“ zur Schwangerschaftskonfliktberatung mit „Beratungsschein“ entschieden voran. Viele liberale Bischöfe und Caritas-Verbände haben ihm das bis heute nicht verziehen. Dabei sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die katholische Kirche nicht an Abtreibungen mitwirkt, sondern entschieden für das Leben eintritt.

Die Missbrauchskrise als Wendepunkt

Die größte Krise seines Pontifikats begann 2010, und sie sollte ihn bis zu seinem Rücktritt im Februar 2013 nicht mehr verlassen: die Missbrauchskrise in der katholischen Kirche. Von nun an hatte er keine Ruhe mehr. Fast schon in prophetischer Weitsicht bat er in der Predigt zu seiner Amtseinführung am 24. April 2005: „Betet für mich, dass ich nicht furchtsam vor den Wölfen fliehe.“ Das Amt wurde zu dem von ihm sprichwörtlich gemachten „Fallbeil, das auf mich herabfiel“.

Positiv hervorheben sollte man, dass Benedikt Missbrauchsskandale angegangen ist, viel mehr als seine Vorgänger. Ob er genug getan hat, mögen andere beurteilen. Er hat den skandalösen Gründer der Legionäre Christi, Marcial Maciel, ins Exil geschickt und das Thema sexueller Missbrauch mehrfach in Briefen und Ansprachen thematisiert und so dem toxischen Schweigen entgegengewirkt.

Der theologische Schwerpunkt während seines Pontifikats lag auf der Versöhnung von Tradition und Moderne. Direkt zu Beginn seines Pontifikats 2005 kritisierte er, dass es im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruches“ gegeben habe. Dem stellte Benedikt eine „Hermeneutik der Reform“ gegenüber, in der es „Erneuerung unter Wahrung der Kontinuität“ gebe. Seine Theologie entfaltete Benedikt XVI. in der Trilogie „Jesus von Nazareth“.

Ein vehementer Verfechter des Naturrechts

Konkrete Schritte dieser Agenda war das Motu propio „Summorum Pontificum“ 2007, das allen Priestern weltweit gestattete, die „Alte Messe“ zu feiern, die traditionelle Liturgie der katholischen Kirche. 2009 nahm er als weiteren Schritt in Richtung Versöhnung die Exkommunikation der Weihbischöfe der Piusbruderschaft zurück – was zu starker Kritik führte, nicht zuletzt, weil sich unter ihnen der Holocaustleugner Richard Williamson befand, der seit 2012 nicht mehr Teil der Piusbruderschaft ist und inzwischen erneut exkommuniziert wurde.

Unvergessen ist auch die Rede des Papstes im Deutschen Bundestag 2011, in der er die Wichtigkeit des Naturrechts betonte: „Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande“, zitierte er Augustinus und betonte: „Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. 

Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Sein Rücktritt im Februar 2013 aus gesundheitlichen Gründen bot Stoff für zahlreiche Spekulationen. Viele Krisen waren dem vorausgegangen. 2012 hatte sein eigener Butler Dokumente von seinem Schreibtisch gestohlen (Vatileaks-Affäre). Hatte Benedikt noch die Kontrolle über den Vatikan?

Sein Pontifikat sollte versöhnen und endete in der Tragödie

In den (sozialen) Medien gab es keine Rücktrittstheorie, die zu abwegig war. Auch deshalb sehen bis heute einige im Rücktritt eine Schwächung des Papstamtes. Benedikt war der erste Papst seit 600 Jahren, der vom Amt zurückgetreten war. Gleichzeitig behielt er seine weiße Soutane und nannte sich „Papa emeritus“. Das reichte für Netflix, ein Drama mit dem Titel „Die zwei Päpste“ zu drehen. Der konservative Benedikt gegen den modernen Franziskus war ein mediales Dauerthema.

Kurz vor seinem Tod flammte das Thema Missbrauch erneut auf. Als Bischof von München und Freising habe er einen Priester aus dem Bistum Essen trotz Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs in der Seelsorge eingesetzt. Vor dem Landgericht Traunstein startete im September sogar eine Zivilklage gegen den Papst. Noch im November verkündete er, sich gegen die Klage zu verteidigen.

Sein Pontifikat wollte versöhnen und endete in einer Tragödie, die kein Ende fand. Die Missbrauchsskandale und dunkle Seilschaften im Vatikan verfolgten ihn bis zuletzt. Benedikt XVI. hatte keine glückliche Hand bei seiner Personalwahl. Leider verstellen die Krisen den Blick auf die theologische Qualität des Papstes, die sich vor allem in seinen Zeitgeistanalysen manifestierte.

Eine seiner letzten Warnungen lautete: „Die moderne Gesellschaft ist dabei, ein antichristliches Credo zu formulieren, dem sich zu widersetzen mit gesellschaftlicher Exkommunikation bestraft wird … Die eigentliche Bedrohung der Kirche liegt in einer weltweiten Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien.“ Wie es derzeit aussieht, wird er mit seinen Einschätzungen recht behalten.

7
2