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Kolumne „Ein bisschen besser“

Himmel über Turin

Judith und ich gehen offline, machen Hochzeitsreise nach Turin und noch weiter. Nicht, dass wir gerade erst geheiratet hätten. Nein, wir hatten nur bisher keine Zeit zur Reise. Aber jetzt haben wir sechs Tage und sind im siebten Himmel. Das Baby kommt mit, wo soll es auch anders hin. Wir hätten ja besser aufpassen können, dann wären wir zu zweit geblieben, haben wir aber nicht, und das ist auch ein bisschen besser so.

Judith bevorzugt Taschen, weil sie „atmen“, das heißt, sie packt sie so, dass sie ganz außer Atem sind und nicht mehr zugehen. Jeder sieht, was wir mithaben, und manchmal kullert auch etwas heraus. Das ist in edlen Hotels nicht schlimm, weil sich dann Livrierte bücken, und es dir hinterhertragen. Wir hatten aber keine edlen Hotels, obwohl wir es eigentlich richtig knallen lassen wollten.

Es kullerte also mal ein Schuh und mal ein Fläschchen und mal eine Sonnenbrille um uns herum. Ich hebe sie auf, reiche sie Judith, sage mit tiefer Stimme: „Per favore, amore“, denn ich glaube, das ist auf Hochzeitsreisen angemessen. Vielleicht gewöhne ich es mir auch ganz an.

Ganz langsam an den Traum heranfahren

Wir hatten verschiedene sehr schöne und sehr lustige Erlebnisse. Tränen gelacht habe ich über den Siebenschläfer in der Toilettenschüssel, den ich erst bemerkte, als Judith mit einem spitzen Schrei vom Klo gestürmt kam. Der Hotelier, dessen Sohn Trüffelrichter in Alba war, hat ihn herausgefischt. Das arme Tier kennt das Hochzeitsreisepaar jetzt von unten.

Sehr schön finde ich immer den Augenblick, kurz bevor wir an einem unbekannten Ziel ankommen. Etwas, das wir uns lange vorher ausgeguckt, wovon wir vielleicht ein bisschen geträumt haben und jetzt wissen, dass es hinter der nächsten Kurve liegt. Ich fahre dann ganz langsam, um die Vorfreude noch zu steigern, oder vielleicht auch aus Angst, dass der Traum platzt.

Ich mag ihr Talent, geplatzte Träume zu reparieren

Wie sehen eigentlich geplatzte Träume aus? Kullert dann alles heraus, wie aus Judiths atmender Tasche? Ich persönlich glaube, dass sie sich stets irgendwie reparieren lassen. Träume sind keine Raketenwissenschaft, sondern eher wie ein altes Fahrrad: mit Öl und Schraubenschlüssel und Klebeband läuft’s wieder. Was ich an Judith so mag, ist, dass sie quasi immer ein Klebeband zur Hand hat, um Träume zu reparieren.

Das letzte Hotel zum Beispiel war wirklich ein Schuppen, wo gelangweiltes Personal zuschaute, wie ich acht atmende Taschen in den ersten Stock bugsierte, dabei das Baby bei Laune hielt, das seinen Schuh verlor. Aber Judith hatte eine Kingsize-Terrasse dazugebucht, die Einzige im ganzen Ort, die direkt ins Mittelmeer ragte.

Und so werden die Wellen immer durch unsere Köpfe rauschen, Trüffelgeschmack wird noch auf unserer Zunge liegen, wenn wir längst schon wieder online und lange, lange verheiratet sind. Und wenn Judith alle Träume repariert hat, wird sie mich stets mit tiefer Stimme sagen hören: „Per favore, amore“.

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