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Kolumne „Mild bis rauchig“

Hart kirchensteuerbord!

Die katholische Kirche hat im letzten Jahr in Deutschland eine halbe Million Mitglieder verloren! So hören wir es in den säkularen Medien, und so lesen wir es in den Kirchenzeitungen. Man hält dies gemeinhin für einen bedrückenden Befund, und das ist er sicherlich in gewisser Hinsicht. Und auch wieder nicht. Denn Kirchenmitglieder werden nur in Deutschland nach denen gezählt, die Kirchensteuer zahlen.

Im eigentlichen Sinne aber ist eine Mitgliedschaft in der Kirche eine geistliche Größe, die nicht in erster Linie davon abhängt, ob ich einen finanziellen Beitrag leiste. In den armen Ländern der Welt, wo es meist eine sehr lebendige Kirche gibt mit hohen Zahlen an Gottesdienstbesuchern und Priester- und Ordensberufungen, sind die einzelnen Christen oft gar nicht in der Lage, irgendetwas zu zahlen. Dementsprechend sind die Kirchen dort auch weniger gut ausgeleuchtet und beschallt. Dafür aber voll!

Um die wirkliche Lage der katholischen Kirche unseres Landes einzuschätzen, empfiehlt sich daher eine andere Sichtweise, die nicht auf die Zahlungswilligkeit als vielmehr auf die Gläubigkeit der Getauften schaut.

Nicht einmal eine Million Gottesdienstbesucher

Da sieht die Sache schon anders aus, denn diejenigen, die ihren Glauben wirklich leben und aus dem Glauben den Alltag bewusst gestalten und nicht nur in diffusen Ahnungen aufgehen, was es heißt, ein Christ zu sein, diejenigen, die Zeugnis von ihrem Glauben geben, die die Sakramente Jesu Christi empfangen und sie als einen unverzichtbaren Bestandteil ihres Lebens betrachten, diejenigen, die sich in der Auseinandersetzung um den Glauben und das Christsein nicht verdrücken, sondern Christus und das, was Er der Welt geschenkt hat, bejahen, bewerben und verteidigen, weil sie Jesus Christus wirklich lieben und dem Ruf in Sein Reich folgen, das sind ohnehin die allerwenigsten in unserem Land.

Die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucher in Deutschland kommt nach neuesten Zählungen nicht einmal an eine Million heran. Mit anderen Worten, die Kirche als Kirche – also als Gemeinschaft aktiv glaubender Menschen – ist ohnehin schon seit langem eine verschwindende Minderheit. Optisch hinweggetäuscht werden wir über diese Tatsache dadurch, dass es immer noch beheizte Kirchen, kirchliche Kindergärten, Altenheime und Caritas-Pflegestationen gibt, die den Anschein erwecken, das alles sei ein direkter Ausfluss aus einer Glaubensgemeinschaft.

Um den Trug der Zahlenspiele zu enttarnen, hilft ein Blick auf die Menge an Angestellten der katholischen Kirche. Dann offenbaren sich knapp 700.000 Lohnempfänger, davon eine halbe Million bei der Caritas und der Rest bei der Kirche als Körperschaft des Öffentlichen Rechts, die in Gänze aus der Kirchensteuer alimentiert werden. Wenn man nun zugrunde legt, dass die Dreiviertelmillion Angestellter keineswegs aus Dankbarkeit, bei der Kirche in Lohn und Brot zu stehen, sonntags in den Gottesdienst geht und also die gezählten Sonntagsmessbesucher tatsächlich nur einen geringen Bodensatz von in den Steuerlisten geführten „Mitgliedern der katholischen Kirche“ bilden, sieht man, wie irreführend es ist, die Kirche – ihre Bedeutung, ihre Aufgaben und ihre Zukunft – daran zu messen, wie viele Getaufte das Einwohnermeldeamt zählt.

Die Austrittswelle ist nichts anderes als die Bereinigung eines Missverständnisses

Denn dies verkennt die Tatsache, dass diese Statistik – ob vor oder nach dem Kirchenaustritt – keine aktiven Christen erfasst und folglich ganz andere Fragen gestellt werden müssen, um die wirkliche Lage realistisch einschätzen zu können. Unter dem Strich haben die meisten, von denen es jetzt heißt, sie kehrten der Kirche durch Austritt den Rücken, sich in der Regel niemals wirklich zugewandt, was sie durch den Kirchenaustritt folglich in keinen anderen geistlichen Zustand versetzt, als sie ihn vor dem Kirchenaustritt bereits hatten. Sie wurden von ihren Eltern zur Taufe geführt in einer Mischung aus traditionellem Empfinden („Wir sind in unserer Familie alle katholisch!“), dem Nutzungsbedürfnis nach einem Mitgliederbonus (Erstkommunion, Firmung, Trauung, Beerdigung) und dem diffusen Präventionsgedanken, durch den Status des Christseins irgendwie auf der sicheren Seite zu sein.

Anschließend aber hat eine weitere Mischung aus familiärem Phlegma, substanzlosem Religionsunterricht, sinnfreiem Gemeindeleben im Freizeitparkformat und kirchenamtlicher Geschmeidigkeit in der Anspruchslage dafür gesorgt, dass sich ein nennenswert katholisches Leben mit sattelfesten Überzeugungen und einem lebendigen, persönlichen Gottesverhältnis niemals hat entwickeln können. Katholiken mit einem solchermaßen religiös untertemperierten Stand-by-Profil werden aber dennoch im Mediensprech als „Mitglieder der katholischen Kirche“ bezeichnet, deren Entledigung von der Steuerpflicht durch Kirchenaustritt man derzeit inner- und außerkirchlich als bedrohliches Signal zum Status der Kirche insgesamt wertet.

Dabei ist die sogenannte Austrittswelle nichts anderes als die Bereinigung des Missverständnisses, die römisch-katholische Kirche habe in Deutschland tatsächlich an die 20 Millionen glaubender Mitglieder. In Wahrheit schütteln die „getauften Heiden“ – also diejenigen, die die Taufe empfangen haben, aber nicht wissen, was das bedeutet und deswegen auch nicht dementsprechend leben – lediglich den Mitgliedsbeitrag von sich ab, den sie erfahrungsgemäß ohnehin nicht brauchen, weil freie Trauungen und Beerdigungen dem weltanschaulichen Profil maßgeschneiderter angepasst werden können und man zudem ein besseres Gewissen hat, wenn man nicht in einem Verein ist, dessen Image für einen selbst als schädlich empfunden wird, weil er nach allgemeiner Übereinkunft der Medien den Fortschritt der Menschheit aufhalte.

Das katholische Establishment will auf Biegen und Brechen die Kirchensteuerkirche retten

Diese Bestandsaufnahme, um die Austrittswelle einzuordnen, könnte in ihrer Plausibilität geradezu beruhigen, wäre da nicht die Deutungshoheit des katholischen Establishments, das – statt in dem gigantischen Lackmustest zur Standortbestimmung der Kirche als Glaubensgemeinschaft einen missionarischen Impuls zu einer Neuevangelisierung zu entdecken – auf Biegen und Brechen die Kirchensteuerkirche retten will, zur Not unter vollständiger Preisgabe ihres staats- und zeitgeistkritischen Inhalts.

Wer vor gut einer Woche die Positionierung der offiziellen katholischen Stimmen zum „Marsch für das Leben“ in Köln vernommen hat, die von den leisetreterischen bis schmalllippigen Äußerungen deutscher Bischöfe bis zum offen widerständigen Boykott des nur aus der Kirchensteuer am Leben erhaltenen Bundes der Deutschen Katholischen Jugend reichen (bei dem man jeden einzelnen seiner Namensbestandteile in Anführungszeichen setzen könnte), entdeckt darin den eigentlichen Schaden, den die staatskirchliche Alimentation verursacht. Und zwar die mit Steuermitteln befestige Kursänderung des katholischen Ozeandampfers „hart steuerbord“ – was in der Segelsprache die Gegenbewegung des Ruders auf die Backbordseite bedeutet, also: scharf nach links!

Man darf nach allem, was man in den vergangenen Jahren in Deutschland von den theologischen Verrenkungen beim „Synodalen Weg“ bis hin zu deren populistischer Volksvariante einer zeitgeistigen „Jeder macht, was er will“-Kirche erleben konnte, eines festhalten: Das Steuergeld macht den Kirchenapparat zu einem verbeamteten Transmissionsriemen staatsdoktrineller Wokeness und verschafft ihm mitnichten die zu seinem gedeihlichen Wirken als Salz der Erde notwendige Freiheit. Die Lockungen der Kirchensteuer verführen die immer noch üppig ausgestatteten Ordinariate, den Kurs weiter ins linke Fahrwasser zu lenken und sich darüber hinaus mit Strukturfragen zu befassen, die geistlich so fruchtlos wie overheadkostenlastig sind.

„Wer aber den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm“

Die Verbiegung der Lehre Jesu Christi bis zur Unkenntlichkeit, die mit dem krassen Linkskurs der Steuerleute verbunden ist, macht aber die Kirche überflüssig. Am Ende werden ihre angepassten Botschaften zwischen der Grünen-Partei und diversen NGOs als Nachlassverwalter des Christentums aufgeteilt werden, wie man täglich in der Presse bestätigt bekommt. Vielleicht ist deswegen die Meinung der politischen Kaste zur Abschaffung der Kirchensteuer so geteilt, gibt es doch nicht wenige säkulare Kräfte, die für den Beibehalt des bisherigen Systems schon allein deswegen plädieren, weil sie erkannt haben, dass sich der Untergang der Kirche mit der Finanzierung durch Steuermittel wirkungsvoller abwickeln lässt. Und zwar so, dass die kirchenamtlichen Abwickler es gar nicht merken, wie sie sich selbst den Totenschein ausstellen.

Wer angesichts dieser Analyse nicht in Depression verfallen möchte, sollte den Römerbrief des hl. Apostels Paulus lesen, in welchem er schreibt: „Ihr seid nicht vom Fleisch, sondern vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt. Wer aber den Geist Christi nicht hat, der gehört nicht zu ihm.“ (Röm 8,9)

Es wird daher für den garantierten Fortbestand der Kirche darauf ankommen, ob die Getauften geistliche Menschen sind, Menschen, die sich Gott unterstellen und mit Ihm leben, die den Heiligen Geist, der seit der Taufe in ihnen wohnt, freischalten und Ihn nicht als eine Art Backup in sich ruhen lassen.

Der große Prüfstein, was in der Kirche noch lebt und was nicht

Die Kirche ist eben die Gemeinschaft des Heiligen Geistes und nicht der Verband der Kirchensteuerzahler. Weswegen die Welle der Kirchenaustritte etwas Reinigendes an sich hat. Es ist der große Prüfstein, was in der Kirche noch lebt und was nicht.

Und auch, wenn sich vielleicht der eine oder andere, der austritt, noch als gläubig bezeichnet – es ist dann in der Regel nur eine vage Identifikation mit dem Glauben, die da noch vorhanden ist. Die große Masse an Ausgetretenen bekundet statistisch etwas anderes, nämlich die innere Distanz zu dem, was von Gott kommt.

Darin liegt, wie ich finde, eine Chance. Nämlich für die Entfachung missionarischer Zellen, die es im Übrigen an vielen Stellen gibt und die wie eine Graswurzelbewegung vor allem unter jungen Christen den Glauben nach vorne bringen, der die Grundlage jeder Reform ist. Allein der Glaube als die Innenseite eines lebendigen Gottesverhältnisses lässt Getaufte lebendige Glieder der Kirche sein, die Paulus an einer anderen Stelle den „Leib Christi“ nennt. Dieser Leib wird nicht von Finanzen zusammengehalten, von gesellschaftspolitischen Aktionen und hauptamtlichen Mitarbeitern, sondern einzig durch die Liebe zu Jesus Christus.

Sie haben ihrer Zeit eine andere Welt entgegengehalten

Da, wo diese Liebe lebt, ist die Kirche in der Wahrheit – und deswegen gesund. Sie ist möglicherweise nicht groß, aber sie ist heilig und sie ist Salz der Erde, so wie sie es in ihren Anfängen in den Katakomben war. Wo aus einer kleinen Schar Überzeugter am Ende deswegen eine Weltkirche wurde, weil sich die ersten Christen nicht verbiegen und nicht dazu verführen ließen, die Lebenswirklichkeit ihrer Zeit, die ähnlich kulturell verkommen war wie unsere heutige, zu absorbieren. Sie haben ihrer Zeit eine andere Welt entgegengehalten und entgegengelebt, in der das Heil von Gott und nicht vom Menschen und seiner Bedürfnisbefriedigung kommt.

Ihre Liebe war so stark, dass ihre blutigen Martyrien der Rückenwind für viele Bekehrungen wurden. Viele, die Christus nicht kannten, haben Ihn an den aus Überzeugung Getauften entdeckt und sich zu Ihm bekehrt.

Das war das Erfolgsrezept der frühen Kirche, aus einer kleinen verfolgten Untergrundgemeinschaft eine Weltkirche zu werden. Wer auch immer heute in der Kirche am Ruder ist, sollte dies bei der Kurswahl auf dem Schirm haben.

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Chrizzlybear
Vor 6 Monate 3 Wochen

Einer der besten Texte, die ich zur deutschen "Kirchenkrise" je gelesen habe. Vielen Dank

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Carola K.
Vor 7 Monate

Der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser meint erkundet zu haben, dass „Religionen bislang nur durch andere Religionen zum Untergang gebracht wurden, aber nicht durch politische, säkulare oder antireligiöse Bewegungen und Prozesse“. Die christlichen Kirchen haben aus Proporzgründen dem Islam den Zugang geöffnet zu gleicher Teilhabe an religiöser Macht.
Auf den Straßen sieht man immer mehr Hidschab-verhüllte Frauen, gemäß Erdogans Auftrag „Macht den Islam sichtbar!“ Die Präsenz durch Moscheebauten, das Eindringen dieser Religion und ihre Allgegenwart in Funk und Fernsehen, in Räten, in Medien, Gremien, Schulen und Hochschulen, selbst in Vereinen bis hin zum Bund Moslemischer Pfadfinder und Pfadfinderinnen Deutschlands, das alles dürfte nicht mehr rückholbar sein. Muslimische Reformer bekommen keine Unterstützung, dafür sorgt die absurde, aber listige Wortschöpfung 'antimuslimischer Rassismus', die Kritiker in die rechte Ecke stellt.
In zahllosen Dialogforen wurde und wird der Islam regelrecht unter Artenschutz gestellt. Nein, der Bedeutungsverlust der christlichen Religion geht nicht zu Lasten von Säkularen, dafür sind die Kirchen schon selbst verantwortlich.

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Chrizzlybear
Vor 6 Monate 3 Wochen

Einer der besten Texte, die ich zur deutschen "Kirchenkrise" je gelesen habe. Vielen Dank

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Carola K.
Vor 7 Monate

Der Religionswissenschaftler Hartmut Zinser meint erkundet zu haben, dass „Religionen bislang nur durch andere Religionen zum Untergang gebracht wurden, aber nicht durch politische, säkulare oder antireligiöse Bewegungen und Prozesse“. Die christlichen Kirchen haben aus Proporzgründen dem Islam den Zugang geöffnet zu gleicher Teilhabe an religiöser Macht.
Auf den Straßen sieht man immer mehr Hidschab-verhüllte Frauen, gemäß Erdogans Auftrag „Macht den Islam sichtbar!“ Die Präsenz durch Moscheebauten, das Eindringen dieser Religion und ihre Allgegenwart in Funk und Fernsehen, in Räten, in Medien, Gremien, Schulen und Hochschulen, selbst in Vereinen bis hin zum Bund Moslemischer Pfadfinder und Pfadfinderinnen Deutschlands, das alles dürfte nicht mehr rückholbar sein. Muslimische Reformer bekommen keine Unterstützung, dafür sorgt die absurde, aber listige Wortschöpfung 'antimuslimischer Rassismus', die Kritiker in die rechte Ecke stellt.
In zahllosen Dialogforen wurde und wird der Islam regelrecht unter Artenschutz gestellt. Nein, der Bedeutungsverlust der christlichen Religion geht nicht zu Lasten von Säkularen, dafür sind die Kirchen schon selbst verantwortlich.