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Kolumne „Ein bisschen besser“

Der brütende Mann

„Ich brauch Tapetenwechsel’, sprach die Birke und macht sich in der Dämmerung auf den Weg“. Als wir so des nächtens neulich im Garten auf der roten Parkbank saßen, meine Frau Judith und ich, und wir uns bei den Händen nahmen und vergeblich auf den Mond warteten, weil der sich gerade erneuerte, erklang aus der Lautsprecherbox diese Zeile, die der Schwarm unserer Großväter, Hildegard Knef gesungen hat, das „Hildchen“, wie mein Opa sie zutraulich nannte. Wir fingen gleich an, rumzualbern.

„Stell Dir vor, die Bäume könnten sich einfach so aus dem Staub machen, und wir wären wie angewurzelt“, sagte Judith. „Der Witz ist ja, wenn du nichts anderes kennst, willst du auch nichts anderes“, sagte ich und fügte noch hinzu, es sei eben doof, als angewurzelter Mensch einen anstrengenden Nachbarn zu haben. „Den hast du dann dein Leben lang.“

Der Abend ist noch recht munter geworden. Ich entdeckte im flackernden Licht von Judiths aufglimmenden Feuerzeug einen Maulwurfhügel und Judith sagte, da wachse wahrscheinlich ein Berg. Und wenn wir in zehn Jahren wieder hinguckten, werde man ihn schon mit Seilen und Bergschuhen bezwingen müssen. Irgendwie müssten die Berge ja wachsen. „Großartig“, sagte ich und erklärte, dass es dann sicher eine Bergwuchsversicherung gebe, denn wenn so ein Ungetüm im Garten entstehe, sei das Haus ansonsten im Arsch.

Babys, die aus dem Ei schlüpfen

Alsdann berichtete ich von meiner Lieblingsvorstellung, nämlich, dass Babys nicht aus Bäuchen rutschen, sondern aus dem Ei schlüpfen. Wenn das Standard wäre, gäbe es sicher umfangreiches Brutzubehör wie veganes Nestbaumaterial und nachhaltige Eierabwischer für die werdende Familie. Es gebe politischen Streit, ob das Brüten durch Migranten während des Mutterschaftsurlaubs von der Kasse erstattet würde, es gebe millionenfach Bilder im Netz, wie das Kleine mit seinen winzigen Fingerchen von innen die Schale durchbricht, und ich hätte einen Bestseller geschrieben: „Der brütende Mann“.

Die Welt ist, wie sie ist. Manchmal ist es ein bisschen besser, sie auf den Kopf zu stellen. Die Dinge erscheinen einem dann wie neu. Und der Mond macht das ja auch monatlich. Geht auf, wächst, nimmt ab und verschwindet, geht auf von Neuem. Wir sollten uns eine Scheibe von ihm abschneiden, sage ich zu Judith, und hole das Käsemesser.

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