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„Gehsteigbelästigung“

Die Ampel verbietet die Symptome eines chronischen Missstands

Die Bundesregierung macht ernst. Auf einem Feld, wo es nichts kostet und man nichts können muss: der Symbolpolitik. Und sie schränkt urdemokratische Rechte ein – wo sie doch gerade dieser Tage auf Demonstrationen oder in der Aktuellen Stunde des Bundestags mit kräftiger Rhetorik die Demokratie für sich reklamiert.

Am 24. Januar hat das Kabinett beschlossen, die Abtreibungsbefürwortern verhasste sogenannte Gehsteigberatung zu verbieten, ungeachtet aller Einwände von Lebensschutzorganisationen. Der angenommene Gesetzentwurf von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sieht vor, in einem Umkreis von hundert Metern rund um Beratungsstellen, die den für eine straffreie Abtreibung erforderlichen Schein ausstellen, sowie Abtreibungseinrichtungen Bannmeilen zu errichten. Verstöße können dann als Ordnungswidrigkeit mit bis zu 5.000 Euro Bußgeld geahndet werden.

Dazu schafft die Ampel-Regierung kein neues Gesetz, sondern sie will das bestehende Schwangerschaftskonfliktgesetz ändern. Dieses regelt die Beratung von Schwangeren im Konflikt und stellt die gesetzliche Grundlage jener Beratungsstellen dar. Weiter trifft es Bestimmungen zum Inhalt einer solchen Beratung, zur Ausstellung des Beratungsscheins, dem Verfahren einer vertraulichen Geburt oder der Kostenerstattung durch Krankenkassen und dergleichen mehr.

„Gehsteigbelästigung“ ist ein seltenes Phänomen – die Bahn streikt öfter

Mit dem Vorhaben verfolgt die Ampel nach eigenen Angaben das Ziel, „Schwangere vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wirksamer vor unzulässigen Belästigungen durch Abtreibungsgegnerinnen und Abtreibungsgegner zu schützen“.

Greift eine Bundesregierung zum Instrument des Gesetzes, muss ein dringender Regelungsbedarf bestehen, sollte ein Missstand vorliegen, der nicht durch Appell und gute Worte abgestellt werden kann. Aber das, was die Grünen-Ministerin abschätzig „Gehsteigbelästigung“ nennt, ist ein sehr seltenes Phänomen. Zugespitzt gesagt: Die Bahn streikt öfter.

Eine Recherche im Netz ergibt, dass sich – in ganz Deutschland – Lebensschützer an drei Orten etwa zweimal jährlich für Gebetswachen versammeln, so zum Beispiel vor dem berüchtigten Abtreibungszentrum Stapf in München oder gegenüber der Beratungsstelle von Pro Familia in Frankfurt. Hierbei stehen oder knien Menschen auf der Straße, zeigen Bilder der Gottesmutter Maria, beten halblaut den Rosenkranz, halten Schilder mit Aufschriften wie „Abtreibung ist keine Lösung“, „Frauenrechte auch für Ungeborene“ oder „Unborn Lifes matter“.

Die Bundesregierung qualifiziert selbst solchen stillen, religiös geprägten Aktivismus als „nicht hinnehmbar“ ab. Wohin der Zug offenbar unterwegs ist, zeigt Großbritannien: Dort ist selbst ein stummes Stehen mit einem Bibelvers in der Nähe einer Einrichtung verboten worden.

Gerichte für Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Gerichte, die sich mit den gutgemeinten Aktionen beschäftigten, entschieden durchweg zugunsten der Meinungsfreiheit. 2016 sah das Verwaltungsgericht in München in einem konkreten Fall keinen hinreichenden Beweis für eine Unzumutbarkeit, sondern klassifizierte die Aktion als „sensibles Beratungsmodell“.

In Frankfurt hob das Verwaltungsgericht 2021 Einschränkungen der Stadt gegen eine Gebetswache als rechtswidrig auf und entschied zugunsten des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Außerdem gebe es keinen „Schutz vor Konfrontation mit anderen Meinungen“.

Nötigung, das weiß jeder Autofahrer, ist strafbar, dafür bedarf es keines neuen Paragraphen. Belästigung dagegen ist ein dehnbarer Begriff. Wenn in Fußgängerzonen junge Aktivisten von Greenpeace oder von Tierfreundebund XY auf Passanten zustürzen und mit „Hi, du!“ um Unterschrift und Spenden betteln – dann mag das unangenehm sein, aber ist es schon Belästigung?

Die Beratung soll „die Lage von Mutter und Kind erleichtern“

Auf welchen Missstand also zielt der Gesetzentwurf? Familien- und Frauenministerin Paus findet, dass Meinungsfreiheit vor Beratungsstellen „ihre Grenzen“ habe, „auch im Sinne des Schutzes des werdenden Lebens, der durch die ergebnisoffene Schwangerschaftskonfliktberatung gewährleistet“ werde. „Dafür legt unsere Gesetzesänderung nun den Grundstein.“

Ach, wie süß! Dabei drängt sich doch jedem noch so unvoreingenommenen Beobachter der Eindruck auf, dass für diese Regierung Meinungsfreiheit immer dann Grenzen hat, wenn man etwas sagt, was ihren Ohren nicht schmeichelt. Und ist das nicht dieselbe Bundesministerin, die bis Ende März ein Konzept vorlegen will, wie man das ungewollte Kindchen im Bauch ganz ohne Strafrecht „wegmachen“ kann?

Dabei spricht Paus hier ja etwas ganz Wesentliches an: den Schutz des werdenden Lebens. Dasselbe Schwangerschaftskonfliktgesetz, das hier ganz offensichtlich zur Klientelbedienung frisiert werden soll, hält deutlich fest: „Die Schwangerschaftskonfliktberatung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens“, sie „soll ermutigen und Verständnis wecken“ und umfasst „praktische Hilfen, insbesondere solche, die die Fortsetzung der Schwangerschaft und die Lage von Mutter und Kind erleichtern“.

Der Staat kommt seiner Schutzpflicht nicht nach

Paus’ Ministerium argumentiert nun: „Die Inanspruchnahme der Beratung und der Zugang zu Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sind daher auch mit Blick auf den Versorgungsauftrag der Länder und die Schutzpflicht des Staates zu gewährleisten.“ Als ob wegen einer Handvoll Gebetswachen je eine Schwangere nicht ihre Beratungsstelle erreicht hätte.

Der Hase liegt im Pfeffer, aber zwischen den Zeilen: Wenn die Regierung von „Versorgungsauftrag“ spricht, meint sie den flächendeckenden Zugang zu Abtreibungseinrichtungen, als ob es sich um die Zahnärztebasis im ländlichen Raum handelte. Die Abtreibungszahlen sind zuletzt wieder stark gestiegen. Der Staat kommt seiner Schutzpflicht für das ungeborene Leben nicht nach. Das ist keine Übertreibung, das zeigt der nüchterne Blick auf die hässlichsten Zahlen, die das Statistische Bundesamt in seinen Datenbanken verwahrt.

Bei 103.927 Schwangerschaftsabbrüchen, die 2022 in Deutschland gemeldet wurden, ist ganz offenbar an dem gesamten System der Schwangerenkonfliktberatung, die eine gute Perspektive für alle Beteiligten, Mutter und Kind, aufzeigen soll, aber über 100.000 Mal versagt, etwas verkehrt. In den bisher gemeldeten drei Quartalen des Jahres 2023 sind die Zahlen weiter gestiegen.

Das Gebet vor den Beratungsstellen, ein angebotener Handzettel, ein Plakat, sind Symptome der Krise. Schließlich erinnern sie die Öffentlichkeit an einen himmelschreienden Missstand, den die Regierung dringendst angehen müsste. Doch was macht die Ampel-Koalition? Sie verbietet kurzerhand die Symptome.
 

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Kommentar
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Vinko Vukadin
Vor 3 Monate

Statt gegen Abtreibungen Petitionen zu organisieren, organisieren die katholischen Bischöfe in Österreich nun eine Petition für Tempo 100 auf der Autobahn.
Verkehrte Welt!

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Chrizzlybear
Vor 3 Monate

Ich habe das 30 Seiten lange Kabinetts-Dokument gelesen.
"Die Bundesregierung qualifiziert selbst solchen stillen, religiös geprägten Aktivismus als „nicht hinnehmbar“ ab." - wie kommen Sie darauf? Dort findet sich gar nichts in diese Richtung. Ich bin auf Ihrer Seite, aber objektiv sollten wir trotzdem bleiben.
So wie Gehsteigbelästigung ein Pejorativ ist, ist Gehsteigberatung ein Euphemismus. Ich wünschte es würde dort vor Ort beraten werden von Profemina u.ä. Ich glaube, das würde mehr ausrichten als alte betende Menschen mit Plakaten.
Den Rest des Beitrags finde ich super. Die Schutzpflicht wird hinterhältig verdreht von einer Schutzpflicht für das Ungeborene in eine Schutzpflicht für die Abtreibungswillige.
Greenpeace-Anmache ist für mich in der Tat Belästigung :) aber die muss man halt aushalten. Schade, dass unsere linksliberale Regierung nicht weiß, was Toleranz eigentlich heißt.

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Vinko Vukadin
Vor 3 Monate

Statt gegen Abtreibungen Petitionen zu organisieren, organisieren die katholischen Bischöfe in Österreich nun eine Petition für Tempo 100 auf der Autobahn.
Verkehrte Welt!

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Hildegard tscholl
Vor 3 Monate

Der Beschluss fußt nicht auf der Grundlage des Verfassungsschutzes, soweit ich das verstanden habe. Im Fall eines Rechtsstreites oder auch nur das Vorweisen des Gesetzes im Verfassungsschutz dürfte genügen.
Aber, ja, solange nur alte betende Menschen dort stehen, hat die Regierung leichtes Spiel.

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Stiller Leser
Vor 3 Monate

Ich halte dieses Gesetz für verfassungswidrig. Die Meinungsfreiheit ist ein Abwehrrecht gegenüber dem Staat. Der Staat kann und darf nicht ihm unliebsame Meinungen verbieten.

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Chrizzlybear
Vor 3 Monate

Ich habe das 30 Seiten lange Kabinetts-Dokument gelesen.
"Die Bundesregierung qualifiziert selbst solchen stillen, religiös geprägten Aktivismus als „nicht hinnehmbar“ ab." - wie kommen Sie darauf? Dort findet sich gar nichts in diese Richtung. Ich bin auf Ihrer Seite, aber objektiv sollten wir trotzdem bleiben.
So wie Gehsteigbelästigung ein Pejorativ ist, ist Gehsteigberatung ein Euphemismus. Ich wünschte es würde dort vor Ort beraten werden von Profemina u.ä. Ich glaube, das würde mehr ausrichten als alte betende Menschen mit Plakaten.
Den Rest des Beitrags finde ich super. Die Schutzpflicht wird hinterhältig verdreht von einer Schutzpflicht für das Ungeborene in eine Schutzpflicht für die Abtreibungswillige.
Greenpeace-Anmache ist für mich in der Tat Belästigung :) aber die muss man halt aushalten. Schade, dass unsere linksliberale Regierung nicht weiß, was Toleranz eigentlich heißt.