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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Der Tesla des Todes

Man kommt in die Schweiz, um zu wandern, das Panorama zu genießen – oder um zu sterben. Sie ist eines von sehr wenigen Ländern, die den begleiteten Freitod erlauben. Wer sich bei voller Urteilskraft entschließt, aus dem Leben zu scheiden und den Suizid aus eigenen Kräften in Gang setzen kann, darf das tun. Wer ihm dabei assistiert, bleibt straffrei.

Wie man dazu grundsätzlich steht, ist eine Frage der persönlichen Werte, vor allem aber auch der eigenen Erfahrungswelt. Einige lehnen den Freitod generell ab. Andere sehen schwerstkranken geliebten Menschen beim Leiden zu und empfinden einen selbstbestimmten sanften Tod als willkommene Erlösung.

Solchen schwierigen Debatten kann man aber elegant aus dem Weg gehen, wenn man stattdessen über Details spricht. Beispielsweise dieses: Hat dieser „Sarco“ nun ein edles Äußeres oder ist es eher missglückt?

Sterben mit Stickstoff

„Sarco“: Das ist der Name für eine neuartige „Suizidkapsel“, die schon diesen Monat erstmals in der Schweiz zum Einsatz kommen soll. Das futuristische Design hat der Erfindung bereits den Übernahmen „Tesla der Sterbehilfe“ eingetragen. 

Technisch klingt die Innovation recht banal. Der Sterbewillige legt sich in die Kapsel und betätigt einen Knopf. Daraufhin fließt Stickstoff in die luftdichte Kammer. Der folgende Sauerstoffmangel soll für eine rasche Bewusstlosigkeit und letztlich zum schmerzfreien Ersticken führen. Zeitaufwand: 30 Sekunden. 

Die Hersteller sprechen von einem „angenehmen Gefühl“, das kurz vor dem Tod eintrete. Wobei wie immer in solchen Fällen die Betroffenen das im Nachhinein weder bestätigen noch dementieren können.

2021 war erstmals die Rede vom Einsatz von „Sarco“ in der Schweiz. Danach stritten sich Experten über die Funktionsfähigkeit der Kapsel und ob die behaupteten Erwartungen erfüllt würden. Anhänger des begleiteten Freitods wiesen darauf hin, dass die ganze Angelegenheit damit sehr viel einfacher werde. Bisher musste man bei den bekannten Selbsthilfeorganisationen mehr tun als nur einen Knopf drücken. Nämlich einen Becher mit einer tödlichen Mischung zum Mund führen und den Inhalt schlucken.

Getrennt von den Geliebten

Die Reduktion auf technische Aspekte und den Bedienungskomfort im Zusammenhang mit dem Sterben sagt viel aus über uns. Der Freitod, so seine Verfechter, soll einen würdevollen Abschied aus dem Leben erleichtern. Nicht mehr länger vor sich hinsiechen, nicht mehr länger mit längst gebrochenem Lebenswillen dem Tod entgegendämmern, sondern selbstbestimmt entscheiden, wann es aus sein soll.

Mag sein, dass „Sarco“ eine technologisch ausgereifte Entwicklung ist. Nur: Wie würdevoll ist es, in einer Kapsel zu sterben? Unfähig, eine Hand zu halten, ein letztes Mal menschliche Nähe zu spüren? Und wie steht es um die Würde der Angehörigen, die auf kaltes Glas und die Kreation von Industriedesignern blicken, statt ein letztes Mal den Atem des geliebten Menschen zu hören?

Über „Sarco“ debattierten bisher praktisch ausschließlich Mediziner und Juristen. Eine der Fragen, die sie stellten: Erfüllt die Suizidkapsel die Anforderungen an ein „Medizinprodukt“, die für eine Zulassung nötig sind? So wichtig das in einer durchregulierten Welt auch sein mag: Wir sprechen hier nicht von einem neuen Smartphone, sondern vom Tod auf Bestellung.

Abgekapselt sterben

Wir kommen allein, wir gehen allein. Sterben ist letztlich immer eine einsame Sache, weil nur der Einzelne geht und alle anderen zurückbleiben. Aber die meisten Menschen wünschen sich, sich dabei wenigstens nicht verlassen zu fühlen. Der Anblick vertrauter Gesichter ist wie ein Rückspiegel des Lebens. Da sind die Kinder, denen man ein Leben geschenkt hat und die das eigene Andenken weitertragen. Der Lebenspartner, dem man so viel gegeben und von dem man so viel bekommen hat. Familienangehörige, die schöne Erinnerungen wach werden lassen.

Das, was ein reiches Leben alles mit sich gebracht hat, wird nun förmlich ausgesperrt. Die Suizidkapsel „Sarco“ ist eine Trennwand zu allem, was man geliebt hat und damit letztlich zu sich selbst. Der Name ist Programm: Man wird abgekapselt. 30 Sekunden sind nicht viel, aber Zeit ist relativ. Ein letzter Händedruck kann gefühlt die Ewigkeit bedeuten.

Praktischerweise, darauf verweisen die Erfinder stolz, kann man sich auf Wunsch auch gleich in der Kapsel beerdigen lassen, weil sie abbaubar ist. Zu Lebzeiten schon in den Sarg steigen, als letzte Begleiter einen Knopf und einige Ventile, hermetisch abgeriegelt von den Menschen, die das eigene Leben erst zum Leben gemacht haben: Ist das wirklich eine verführerische Vorstellung?

 

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