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Debatte um Sterbehilfe

Ethische Dammbrüche, in deren Fluten wir untergehen könnten

Um gleich in medias res zu gehen: Nein, nein und nochmals nein zu aktiver Sterbehilfe! Gottes Gebot „Du sollst nicht töten“ gilt immer und für jeden und zu allen Zeiten, und der Verteidigungskrieg gegen Eindringlinge ist die Ausnahme, weil das Recht dem Unrecht nicht weichen muss. Manche Sachen können so einfach sein! Roma locuta, causa finita, Haken dahinter, und wir haben den Kopf frei für leben und leben lassen.

Der Bäcker backt, der Brauer braut, an der Tankstelle gibt’s Kraftstoff, der Gas-Wasser-Installateur macht die Heizung wieder warm, der Friseur hübscht uns auf, der Schriftsteller haucht seinen Romanfiguren Leben ein, die Hebamme hilft bei der Geburt, und der Arzt heilt. Wo aber der nichts mehr vermag, übergibt er an seinen Kollegen, den Priester. Leben über den Tod hinaus – „noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf“. Die Bilder des Babys, das fünfeinhalb Tage nach dem Erdbeben in der Türkei unversehrt aus den Trümmern gerettet wurde, gingen um die Welt – wie groß der Jubel über dieses Wunder des Lebens!

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All unsere Lebensvollzüge, all unser Tun und Streben richten sich auf das Leben, auf das eigene wie das der anderen, isn’t it? Im „Yeah, yeah, yeah!“ der Beatles schrie die Nachkriegsgeneration ihren Lebenshunger hinaus nach dem „Schauer aller Jahre“ (Ingeborg Bachmann).

Wir bewundern Pater Rupert Mayer und Mutter Teresa für ihren hingebungsvollen Dienst am Nächsten, wir sagen „Hut ab“ vor den ukrainischen Lehrerinnen, die ihre Schulklassen auf den Kiewer Metrostationen tief unter der Erde weiter unterrichten, allen Gewalten zum Trotz sich erhaltend. Als der ehrloseste Beruf galt der des Scharfrichters. Und das größte Fest der Christenheit ist Jesu Auferstehung: „Der Tod ist tot, das Leben lebt!“ 

Auftrag: Zugang zum Suizid schaffen

Aber nein, es braucht eine bundesdeutsche Debatte, um alles wieder mächtig zu verkomplizieren und durcheinanderzuwerfen. Jetzt soll doch allen Ernstes der Selbstmord salonfähig gemacht und eine in Paragraphen gegossene Form erhalten! Natürlich mit den allerbesten Absichten. Schon bald hat der Bundestag die Beihilfe zum Selbstmord oder, vornehmer ausgedrückt, die „Suizidassistenz“ neu zu regeln.

Alle vorliegenden drei interfraktionellen Gesetzentwürfe wollen das Betäubungsmittelgesetz dergestalt ändern, dass einem hartnäckig Suizidwilligen todbringende Substanzen ärztlich verschrieben und verabreicht werden dürfen. Nur über die Höhe der Hürden besteht noch Dissens, ein grundsätzliches Stoppschild stellt niemand auf. Denn das Bundesverfassungsgericht fordert den Gesetzgeber auf, eine reale Zugangsmöglichkeit zum assistierten Suizid zu schaffen.

Die radikaleren zwei Gruppenanträge, die um der leichteren Mehrheitsgewinnung wegen möglicherweise zusammengelegt werden, wollen eine Beratungsregelung ganz außerhalb des Strafrechts. Ohne schnüffelnden Staatsanwalt, das hört sich so menschenfreundlich an. Doch Nachtigall, ick hör dir trapsen: Auf die gleiche Tour plant die Ampel-Koalition, die vorgeburtliche Kindstötung (oder, vornehmer ausgedrückt, das „Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung“) noch in dieser Legislaturperiode in ihrem Sinne neu zu fassen.

Dichtung und Dammbrüche

Nötig geworden ist die Neuregelung der aktiven Sterbehilfe, weil Karlsruhe im Februar 2020 ein seit 2015 bestehendes Verbot der geschäftsmäßigen, das heißt auf Wiederholung ausgerichteten Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt hatte. Die Höchstrichter kippten Paragraph 217 des Strafgesetzbuches und erdichteten ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ als Ausdruck persönlicher „Autonomie“, welches sie im allgemeinen Persönlichkeitsrecht grundgelegt erfanden in Verbindung mit – Artikel 1, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Der 217er habe eine „autonomiefeindliche Wirkung“ und verletze „Suizidhelfer“ und Sterbehilfevereine in ihren „Grundrechten“. Ein solch neukonstruiertes Recht stehe ausdrücklich jedem zu, nicht nur unheilbar Kranken. Dieses Selbstbestimmungs- und Autonomie-Gefasel kennt man schon aus den Debatten um Abtreibung.

Ein Verfassungsgericht ist nicht das Heilige Offizium. Karlsruhe ist komplett auf dem Holzweg – und nimmt den Bundestag ins Schlepptau. Es wird langsam immer offenkundiger, dass die entscheidenden Stellen in Staat und Gesellschaft von Leuten besetzt sind, deren Prägung nicht mehr aus dem Glauben stammt.

Wehret den Anfängen!

Wir leben in Zeiten ethischer Dammbrüche, in deren Fluten wir untergehen könnten. Wir leben in Zeiten, wo man Selbstverständliches wieder erklären und verteidigen muss. Der Mensch ist nicht autonom – nicht an seinem Lebensanfang, nicht an seinem Lebensende. Als Säugling ist er ganz auf die Sorge der Eltern angewiesen, bei Krankheit und Gebrechlichkeit auf die Pflege durch die Mitmenschen.

Als Hilflose hier wie da müssen wir uns blindlings darauf verlassen können, dass wir von unseren Artgenossen nur immer Hilfe zum Leben erfahren, Hilfe auch im Leiden, doch niemals Hilfe zum Sterben. Weil das Leben nicht uns gehört, wir es nur empfangen haben, es hegen und schützen und weitergeben dürfen, es aber eine letzte Grenze der Unverfügbarkeit gibt, die unantastbar bleiben muss – um unserer selbst willen.

Wehret den Anfängen! Mit dieser Mahnung sind mehrere deutsche Nachkriegsgenerationen aufgewachsen. Was heute noch als Freiheitsrecht erscheint, kann morgen auch ganz schnell zur Pflicht werden. Schon vergessen, wie das mit dem Corona-Impfen lief? Was zunächst als freiwilliges Impfangebot daherkam, nahm eine Dynamik an und wurde über Locken und Drohen zur Impfnötigung. Wer warum auch immer nicht mitmachen wollte, sah sich Ausgrenzung, Schikanen und Hetze ausgesetzt, die in der Geschichte dieser Republik ihresgleichen suchen.

Viele äußern sich unverhohlen altenfeindlich

Auch aus dem „Angebot“ aktiver, ärztlich überwachter Sterbehilfe kann ganz schnell eine Erwartungshaltung entstehen, das Angebot auch anzunehmen. Pflegekassen, Krankenkassen, Rentenkassen – wenn in den nächsten Jahren Millionen Menschen in Rente gehen, der demographische Niedergang erst richtig durchschlägt und die Steuereinnahmen sinken, werden die Rufe lauter werden, ob wir uns die Versorgung älterer Menschen noch leisten wollen. Der Begriff „Sozialverträgliches Frühableben“ wurde 1998 noch zum Unwort des Jahres gekürt. Und heute?

Ein Twitter-Gewitter verursachte kürzlich ein Talkshow-affiner Wirtschaftsprofessor aus Yale: Yusuke Narita hatte laut darüber nachgedacht, wie man mit den Verwerfungen der unterjüngten japanischen Gesellschaft umgehen könne. Als einzige Lösung schlug der Japaner den Massenselbstmord älterer Menschen vor, einschließlich ritueller Ausweidungen. Apart. Wie oft bei kontroversen Äußerungen sollte später wieder alles aus dem Zusammenhang gerissen gewesen sein.

Bestimmt war auch diese krass altenfeindliche Äußerung nicht so gemeint: Unzufrieden über das Wahlverhalten von Bürgern über 60 bei der Berlin-Wahl, forderte eine jüngere Wählerin ein „Höchstwahlalter“, denn: „Wir dürfen uns die Zukunft nicht von greisen Menschen kaputtmachen lassen, die eh bald sterben.“

Genau wie jene, die mal von Fridays for Future abgesetzt worden war: „Warum reden uns die Großeltern eigentlich immer noch jedes Jahr rein? Die sind doch eh bald nicht mehr dabei.“

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Wege ins Nirgendwo und Wege zum Leben

Die Schamlosigkeiten zeigen: Der Raum des Sagbaren wird ausgetestet, die Debatte um das Lebensrecht der Alten ist längst da und wird an Fahrt gewinnen. In den Benelux-Staaten, die früh schon jegliche Formen der Sterbehilfe legalisiert haben, nehmen die Fälle von Töten auf Verlangen von Jahr zu Jahr erschreckend zu. Sogar Kinder waren schon betroffen.

Kein Mensch will wirklich sterben. Jeder hängt am Leben. Man will nur das Leben unter als unerträglich empfundenen Umständen nicht. Krankheit, Schmerzen, Einsamkeit und Nicht-weiter-Wissen können einem alles vermiesen. Es geht nicht an, jemand zu verurteilen. An unserer Zuwendung und Liebe liegt es, Leiden zu lindern, Hoffnung zu stärken und bis zuletzt Zeugnis für die unveräußerliche Würde eines jeden menschlichen Lebens zu geben.

Einem Verzweifelten Todes-Tabletten hinzulegen ist nichtswürdig. Diesen Weg ins Nirgendwo dürfen wir nicht gehen.

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