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Was passiert im Rechtsausschuss?

Das zähe Ringen um das Leben

Ganze drei Stunden haben sich die Mitglieder und Obleute des Rechtsausschusses im Bundestag am heutigen Mittwoch mit dem Tagesordnungspunkt 46 befasst: „Gesetzentwurf der Abgeordneten Carmen Wegge, Ulle Schauws und weiterer Abgeordneter – Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“.

Der im nüchternen Bürokratendeutsch aufgelistete Punkt hat es in sich. Das war allen 39 Mitgliedern des Gremiums bewusst. Die SPD stellt 12, die Union 11, die Grünen 6, die FDP 5, die AfD 4 und die Linkspartei einen Abgeordneten.

38 davon waren anwesend, ein AfD-Mitglied fehlte. Das ist insofern relevant, als damit ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis herrschte zwischen denen, die für den „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ sind (19), und denen, die ihn ablehnen (19). Kommt bei einer Abstimmung ein Unentschieden heraus, gilt der Antrag als abgelehnt, weil stets einfache Mehrheiten erforderlich sind.

Mit dem Gesetz würden Abtreibungen in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach einer Pflichtberatung ohne Wartezeit rechtmäßig. Außerdem würde ein Tatbestand eingeführt, der hohe Strafen für die Nötigung zum Unterlassen einer Abtreibung vorsieht.

Taktikänderung der Union: Jetzt doch für die Anhörung?

Wie schon vor zwei Wochen versuchte die Union mithilfe der FDP erneut, das Thema von der Tagesordnung zu streichen. Was damals Erfolg hatte, weil sich SPD und Grüne enthielten, nachdem die AfD ihre Zustimmung signalisiert hatte, scheiterte diesmal. Mit 21 zu 17 Stimmen lehnte die Mehrheit des Ausschusses die Abwahl des Tagesordnungspunktes ab, wie Corrigenda von mehreren Mitgliedern erfuhr. Die 21 Stimmen gegen die Abwahl kamen mithilfe von zwei AfD-Abgeordneten zustande. Doch auch wenn sie wie ihr Parteikollege für die Abwahl gestimmt hätten, wäre der Antrag wegen der Pattsituation abgelehnt worden.

Also hatten es SPD, Grüne und das einzige Linksparteimitglied im Ausschuss schon einmal weiter geschafft als vor zwei Wochen. Der Ausschuss diskutierte, und zwar mehrere Stunden lang – inklusive einer einstündigen Pause mit Beratung der Obleute. Ziel der linken Parteien war es, dass der Gesetzesentwurf nach der bereits erfolgen 1. Lesung nun ohne Anhörung direkt in die 2. geht und beschlossen wird. Das wäre schon an diesem Freitag möglich gewesen.

 

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Die Unionsmitglieder, die die gegenwärtige Gesetzes- und Strafrechtslage zum Schutz des ungeborenen Kindes beibehalten wollen, änderten daraufhin ihre Taktik und stellten einen Antrag auf Anhörung. Dieses Minderheitenrecht hat die Opposition, wenn sie 25 Prozent der Mitglieder im Ausschuss dafür gewinnt. Die SPD hatte nämlich vor zwei Tagen ihren Antrag auf Anhörung zurückgezogen, weil sie durch die Rücknahme eine möglichst schnelle Abstimmung im Bundestag erreicht hätte.

Termin für die Anhörung ist am vorletzten Sitzungstag

Als Termin für die öffentliche Anhörung wurde der 10. Februar 2025, 17 bis 20 Uhr, ausgewählt, der erste Tag der zwei Tage umfassenden letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl. Der letzte Sitzungstag ist am 11. Februar, dort könnte der Gesetzesentwurf aufgrund von vorgeschriebenen Fristen jedoch nicht mehr behandelt werden. Dieser Antrag auf Anhörung wurde fast einstimmig angenommen. Ohne Sondersitzung des Bundestags oder andere Sonderregelungen wird der Gruppenantrag zur Legalisierung von Abtreibung vor der Bundestagswahl nicht mehr beschlossen werden.

Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Rechtsausschuss, Carsten Müller, sagte Corrigenda

„Wenn selbst die Initiatoren des Gesetzesentwurfes diesem Zeitablauf zustimmen, dann kann unser ursprünglicher Gedanke nicht verkehrt gewesen sein: Wir wollen dieses Thema, das so zentral ist – denn es geht hier um Leben und Tod –, nicht übers Knie brechen. Wir möchten eine sachverständige Behandlung und eine entsprechend ausreichende Vorbereitung dafür. Das war das Motiv unseres Vorschlags.“

Was ist eine Anhörung?

Bei einer öffentlichen Anhörung lädt ein Bundestagsausschuss Fachleute aus Wissenschaft, Sachverständige, Experten aus der Praxis oder andere Auskunftspersonen ein, um Informationen zu einem in Beratung befindlichen Thema einzuholen. Die Ausschüsse können auch nicht öffentliche Sitzungen mit Fachleuten anberaumen. Typische Fragen, die in einer solchen Anhörung erörtert werden, lauten: Gibt es Alternativen zu dem Gesetzesentwurf? Ist er verfassungskonform? Welche Argumente der Debatte sind stichhaltig und welche nicht?

Bleibt dennoch die Frage, warum zwei AfD-Mitglieder gegen die Abberufung des Antrags von der Tagesordnung gestimmt haben. Laut Informationen dieses Magazins geschah dies aus Prinzip, weil die beiden AfD-Abgeordneten die Abwahl von Anträgen ihrer Partei nicht kritisieren könnten, wenn sie dann gleichzeitig dasselbe Verhalten an den Tag legten.

Stephan Brandner, Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, sagte auf Corrigenda-Nachfrage:

„Ich möchte betonen: Alle AfD-Mitglieder im Rechtsausschuss lehnen dieses Gesetz zur Neuregelung der Abtreibungsregelung ab. Unser Ziel ist es, dass das nicht Realität wird. Nachdem es uns vor zwei Wochen gelungen war, den Punkt von der Tagesordnung zu nehmen, indem wir die sogenannte Brandmauer ad absurdum geführt haben, gab es nun eine andere Ausgangssituation, weil SPD und Grünen ihr Wahlkampfthema offenbar wichtiger ist als die Abgrenzung zu uns. Wir wollen – und werden hoffentlich – diesen Gesetzesvorstoß aufhalten. Mit allen parlamentarischen Mitteln.“

Mitglieder des Ethikrats warnen vor überhasteter Gesetzesänderung

Die hitzige Debatte um die Legalisierung von Abtreibung wird somit auch während des Bundestagswahlkampfs weiterkochen. Außerhalb der Politik regen sich Befürworter und Ablehner der Pläne von SPD, Grünen und Linken. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland sprach sich am Mittwoch für die Neuregelung der Abtreibung aus. Drei Mitglieder des Deutschen Ethikrates, Winfried Hardinghau, Frauke Rostalski und Gregor Thüsing, hatten am Montag hingegen in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gewarnt, eine solch „grundlegende gesellschaftspolitische Richtungsentscheidung noch in dieser Wahlperiode überhastet über die Bühne zu bringen“. Die Mediziner und Juristen mahnten, zwischen dem Gesetzesentwurf und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klaffe eine Lücke, die „nicht im Marginalen, sondern im Kern“ liege. 

„Es geht um die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt die Würde des Menschen auch für das ungeborene Leben im Dasein um seiner selbst willen, woraus konsequent und argumentativ stimmig gefolgert wird: ‘Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen.’“

Doch nicht nur das: Die Experten werfen den Antragstellern von SPD, Grünen und Linken vor, ein irgendwie geartetes juristisches Gebot nach einer Liberalisierung der Abtreibung abzuleiten. „Es ist also schlicht unrichtig, wenn der Eindruck vermittelt wird, dass das, was die Autoren vorschlagen, geboten und deshalb eine Rechtfertigung nicht erforderlich sei.“

Die Abtreibungsdebatte sollte „nicht als eine Art Frontstellung zwischen dem Ungeborenen und der Schwangeren geführt werden. Verloren geht dabei nämlich der Blick auf die Gründe, die nach wie vor in Deutschland dazu führen, dass sich Schwangere gegen das Kind entscheiden.“

Schließlich hatten die Ethikratsmitglieder noch einen konkreten Rat an die Mitglieder des Rechtsausschusses: „Der Rechtsausschuss des Bundestages sollte sich also nicht unter Druck setzen lassen. Auf den letzten Metern einer Wahlperiode in legislativem Hauruckverfahren eine gesellschaftlich so kontroverse, verfassungsrechtlich so sensible und in ihren faktischen Auswirkungen so ungewisse Regelung durchzudrücken leistet auch den Apologeten des Wandels keinen Dienst.“

Wenn Änderungen gewollt und sinnvoll seien, sollte dies nach dem Wahlkampf und in breiter Diskussion unter Einbeziehung auch anderer Baustellen diskutiert werden. „Das Strafrecht ist nicht das Problem – und auch nicht die Lösung.“

 

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