Hat der politische Konservatismus ausgedient?

Die Zeit des „gemütlichen“ Konservatismus ist vorbei und die populistischen Parteien sind die Stimme des Volkes und der wahren Demokratie: Dieses harte Urteil fiel auf einer Brüsseler Konferenz zum Thema „Patriotischer Populismus und was er der Demokratie bietet“. Ich erwartete mir eine Diskussion darüber, wie die Konservativen und Populisten eine Allianz schließen können und wie die neuen Bewegungen die alten befruchten können, doch das sei keine Alternative mehr.
Im Gegenteil: Wir müssten nun die Radikalität und das negative Image des Populismus hinnehmen, anstatt uns hinter alten Etiketten zu verstecken. In Zeiten, wo unliebsame Politiker verhindert werden und demokratische Wahlen hinterfragt würden, habe es mit einem demokratischen Europa nicht mehr viel auf sich.
„Der gemeinsame Nenner der konservativen Parteien ist der wiederholte Verrat an ihren Wählern“, stellte der Chefredakteur des Magazins The European Conservative, Mick Hume, klar. Bestes Beispiel dafür sei die deutsche CDU und insbesondere Friedrich Merz, der mit dem Versprechen einer Rückkehr zum Konservatismus einen Etikettenschwindel betrieben habe. Die Brüsseler Eliten sind nicht irgendwelche Linke, sondern „diejenigen, die behaupten, ‘Mitte-Rechts’ zu sein“ erklärte Hume. Das Instrument, mit dem diese besiegt werden könnten, sei die Demokratie.
Populismus als Verbindung zu Heimat und Volk
Doch, was hat es mit dem Begriff „Populismus“ auf sich? Frank Füredi, Autor und Soziologe, erklärte, warum er diesem Begriff eine positive Bedeutung verleihen will: „Populismus wird als ein Virus, eine Ansteckung, eine Gefahr beschrieben“, doch sei er eine direkte Verbindung zum Patriotismus, zur Heimat, zum Volk.
Es ist ein Moment gekommen, wo Menschen immer mehr bereit sind, zu sagen, was sie schon die ganze Zeit gefühlt haben, nämlich, dass der Kaiser nackt ist. „Die intellektuelle und moralische Nacktheit der Elite-Klassen“ sei nun für immer mehr Menschen erkennbar. Doch nicht nur die Entkoppelung der Konservativen von den Menschen selbst, sondern auch der Mangel an Vision und Strategie wurde auf der Veranstaltung deutlich thematisiert.
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Jahrzehntelang hätten die Konservativen damit verbracht, über freie Märkte zu diskutieren, während die Frage der Kultur ignoriert wurde. Die Konservativen waren die Vorreiter einer Politik, die alles in die Hände der NGOs gelegt haben, lautete die Diagnose.
Keine Furcht vor Blut und Schweiß
Eine Meldung aus dem Publikum fasste zusammen, womit viele wohl hadern, wenn es sich um populistische Politik handelt: Eine junge Frau nannte diese „primitiv“ und erklärte anhand des Beispiels von US-Präsident Donald Trump, warum sie nie Teil einer solchen Bewegung sein möchte. Professor Füredi griff nach dem Mikrofon und bestätigte diese Unterstellung, indem er erklärte, dass das aktuelle System sehr „sophisticated“ (komplex, kultiviert) sei und das „Primitive“ tatsächlich „Blut und Schweiß“ mit sich bringt, man sich aber davor nicht fürchten solle.
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Mein Fazit nach dieser Konferenz ist, dass der alte, feine, bürgerliche Konservativismus ausgedient hat und nicht mehr trägt. Die bittere Pille wollen viele noch nicht schlucken und haben Angst, mit Namen und Kontakten in Verbindung gebracht zu werden, die für gesellschaftlich inakzeptabel erklärt werden. Die europäischen Länder stecken in einer tiefen Krise, weil sie an diesem Dilemma quasi „ersticken“.
Umso mehr muss auch den sogenannten Populisten ans Herz gelegt werden, den Willen der Menschen und die Demokratie authentisch zu vertreten. So wie ihre Slogans es ankündigen: Sie sollen den Menschen die Heimat, Sicherheit und Freiheit zurückgeben.
Sie müssen eine Vision und eine Strategie entwickeln, die zukunftstauglich ist. Dabei ist es unverzichtbar, die Kultur, Kunst und öffentliche Debatte mitgestalten zu wollen. Etwas Radikalität, „Schweiß“ und schlechten Geschmack muss man dabei wohl in Kauf nehmen.
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Kommentare
… sind die Stimme des Volkes und der wahren Demokratie …
Soso. Die Sache mit dem Volk und seiner Stimme würde mich ja schon mal interessieren; sie scheint mir nämlich genauso vertrackt zu sein wie beim „Willen des Volkes“, der gerne mal von den Populisten bemüht wird, von deren schlechten Benehmen wir uns jetzt nicht mehr abschrecken lassen sollen. Wenn ich mir die letzten Wahlergebnisse anschaue, wird mir aber nicht recht klar, warum nur 20–24% nun die wahre Stimme des Volkes sein sollen, die anderen 75–80% aber nicht. Anscheinend reichen meine intellektuellen Kapazitäten dafür nicht aus zu verstehen, warum das Volk anscheinend immer noch so dumm ist, nicht richtig zu wählen.
Und was ist denn „konservativ“? Eine amerikanischer Präsident, der innerhalb eines Tages die Altersvorsorge der Amerikaner in die Tonne tritt und Billionen an Börsenwerten zerstört? Eine Partei, die außenpolitisch im Grunde die Ausrichtung der untergegangen DDR wiederherstellen will? Soll ich diese Bewegungen als „konservativ“ ansehen und mich gar solchen „populistischen“ Bewegungen anschließen, nur weil sie einige richtige Dinge sagen, die ein Katholik auch unterschreiben kann?
Bei allen Schwächen halte ich die Republik basierend auf einer repräsentativen Demokratie, wie wir sie in D haben, mit all ihren schwerfälligen Ausgleichs- und Kompromissmechanismen für ein erhaltenswertes politisches System, das wir nicht den Marktschreiern preisgeben sollten, die behaupten, sie seien die „wahre Stimme des Volkes“ und die brächten die „wahre Demokratie“ zurück. Das ist eine Anmaßung, die ich entschieden zurückweise.
Die ehemals konservativen Parteien sind spätestens seit Corona komplett erpressbar geworden und 'müssen' sich nun dem linken Populismus in allem anbiedern und unterordnen.
Um mit deren Hilfe verzweifelt zu verhindern, nicht von den von ihnen aus Kalkül und völlig zu Unrecht bezeichneten und diffamierten 'Rechtspopulisten' bei ihren eigenen Rechtsbrüchen und Lügen demaskiert bzw. durch ggf. mögliche Untersuchungsausschüsse zur Verantwortung gezogen zu werden.
@Gina F. bei ihren eigenen Rechtsbrüchen und Lügen demaskiert bzw. durch ggf. mögliche Untersuchungsausschüsse zur Verantwortung gezogen zu werden.
Solche Bemerkungen sind nur Chiffren dafür, ob man politische Entscheidungen für richtig oder falsch hält, mehr nicht. Rechtsbrüche und Lügen sind natürlich nur das, was die 'Gegenseite' tut. Es wäre ein Beitrag zur Ehrlichkeit und zur Beruhigung der politischen Diskussion, auf eine solche Rhetorik zu verzichten.
Politische Entscheidungen und Wahlversprechen sind nicht justiziabel, solange sie nicht unter das StGB fallen und die Voraussetzungen für eine Strafe durch Aufhebung der parlamentarischen Immunität geschaffen werden.
Seit Jahrzehnten wird der Konservatismus als "Spielverderber" wahrgenommen, der mit leeren Phasen wie "das tut man nicht" jetzt entdecken durch die populistischen Polemiker die Konservativen eine Art Protestelement, und die Linken mit durch politische Korrektheit den erhobenen Zeigefinger und sofort dreht sich der Wind aber das hält nur solange bis es nicht ins persönlichen Bereich geht (Alle Regierung die die Abtreibung verschärft haben die nächsten Wahlen verloren )
Was genau ist denn am Populismus so unappetitlich? Primitivität und Radikalismus kann es nicht sein, beides stört und störte bei den Linken ja niemals irgendwen - im Gegenteil, dort nennt man diese Dinge seit jeher "jung, wild und vielfältig".
Ja, genau richtig! Man merkt ja heute, wie sich das rächt. Man sollte aber deswegen den Begriff "konservativ" nicht fallen lassen. Es ist sicher gut konservativ ("bewahrend") Kulturpolitik zu einem Hauptanliegen zu machen. Linke haben fälschlicherweise konservative und rechte Politik mit Neo-Liberalismus gleichgesetzt. Auch natürlich, um künstlich ein Feindbild aufrecht erhalten zu können. Denn authentische konservative und rechte Bewegungen gab es ab der Hälfte des 20. Jahrhunderts recht wenig. Ich halte für heutige Konservative und Rechte die "Konservative Revolution" für eine gute Inspirationsquelle. Die Autoren waren alle sehr kapitalismuskritisch, soweit ich sie kenne. Fokus stattdessen auf Religion, Kultur, Familienpolitik. Genau eine solche konservative Politik könnte den linken Zeitgeist nachhaltig brechen und überwinden. Natürlich lässt sich nicht alles aus der Konservativen Revolution auf heutige Verhältnisse übertragen. Manches daran war auch nicht christlich, wie man ehrlich sagen muss. Aber es sind doch recht gute Grundideen mit dabei mit denen man einen authentischen Konservativismus heute revitalisieren könnte. Eine bedenkenswerte Schrift aus dem Bereich sind zB die "politischen Essays" von Edgar Julius Jung.
@EUM Interessant, dass Sie als Katholik einen Autor zur Lektüre empfehlen, der für einen politischen Mord im Jahr 1924 verantwortlich ist. Das ist Lexikonwissen und Belege daher leicht auffindbar.