Der goldene Schnitt

Die Quote an durchgeführten Kaiserschnitten befindet sich hierzulande auf einem Rekordhoch. Doch was bedeutet dies konkret für die betroffenen Mütter und deren Kinder?
2023 kamen deutschlandweit so viele Babys per Kaiserschnitt zur Welt wie nie zuvor. Insgesamt traf dies auf 32,6 Prozent und somit fast ein Drittel aller Geburten zu, wie das Statistische Bundesamt Anfang Mai bekanntgab. Noch vor einigen Jahrzehnten war diese Rate deutlich niedriger, 1993 lag sie gerade einmal bei 16,9 Prozent.
Was die Häufigkeit von Kaiserschnitten angeht, gibt es landesweit große Unterschiede. Spitzenreiter war 2023 das Saarland mit 36,4 Prozent, gefolgt von Hamburg, wo 36,2 aller Babys via Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickten. Schlusslicht war Sachsen mit 25,6 Prozent.
Im internationalen Vergleich befand sich Deutschland 2022, als zuletzt eine statistische Erhebung vorgenommen wurde, im oberen Mittelfeld. Spitzenreiter war die Türkei mit rund 60 Prozent, gefolgt von Rumänien mit 48 Prozent. Das geringste Kaiserschnittaufkommen gab es in jenem Jahr in Israel und Island mit jeweils 15 Prozent.
Höheres Alter, Übergewicht, chronische Erkrankungen, künstliche Befruchtungen
So viel zu den nackten Zahlen. Doch warum gibt es hierzulande, aber auch in vielen anderen Ländern, immer mehr Kaiserschnitte, und was sind die Vor- und Nachteile dieses Trends?
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) führt ein verändertes „Risikoprofil“ der Schwangeren an, etwa ein höheres Alter und sonstige Risikofaktoren der werdenden Mütter, wie etwa Übergewicht oder chronische Erkrankungen, beispielweise Diabetes oder Bluthochdruck. Aber auch die Zunahme von künstlichen Befruchtungen, die häufig zur Schwangerschaft mit Mehrlingen führten, gilt als Grund für sehr viel häufigere Kaiserschnitte als früher.
Allerdings gilt es auch zu berücksichtigen, dass längst nicht alle Kaiserschnitte zwingend notwendig sind. Hierzulande sind sie gesellschaftlich immer mehr akzeptiert, und so werden manche Kaiserschnitte auch auf Wunsch der werdenden Mutter selbst vorgenommen. Diese Frauen bevorzugen einen Kaiserschnitt, da sie Angst vor den Schmerzen bei einer natürlichen Geburt haben. Zudem können sie so die Geburt leichter planen, sei es aus beruflichen Gründen oder zur besseren Organisation des Alltags. Schätzungen zufolge erfolgen ca. zwei bis drei Prozent aller Kaiserschnitte auf Initiative der Schwangeren.
Wunschkaiserschnitt: „Lieber ein paar Tage Schmerzen, als kurz durch die Hölle zu gehen“
Eine von ihnen ist die 33-jährige Jennifer (Name geändert) aus Mannheim, die im August bereits ihr zweites Kind via geplanten Kaiserschnitt zur Welt bringen wird. Zwar habe sie für ihre Entscheidung viel Kritik einstecken müssen, doch das ficht sie nicht an: „Die Geburtsberichte von Freundinnen und Bekannten waren echt heftig und abschreckend, so dass ich mir gesagt habe: ‘Das tue ich mir nicht an’.“ Die Mutter eines bereits fünfjährigen Sohnes erinnert sich an „Horror-Storys“, bei denen Frauen „weit über 20 Stunden“ in den Wehen lagen und dabei beinahe „kaputtgegangen“ wären.
Dass auch ein Kaiserschnitt kein Zuckerschlecken ist, ist ihr sehr wohl bewusst, „doch lieber habe ich danach ein paar Tage Schmerzen, als davor für eine ungewisse Dauer durch die Hölle zu gehen“. Bereits jetzt hat Jennifer einen festen Kaiserschnitt-Termin, dieser ist rund zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin.
Angst vor Haftungsrisiken und finanzielle Anreize
Auch wenn Jennifer nach wie vor eher eine Ausnahme ist und die meisten Kaiserschnitte auf Anraten des Arztes durchgeführt werden, so erfolgen auch diese laut der DGGG größtenteils ohne zwingende Notwendigkeit. Tatsächlich seien gerade einmal zehn Prozent aller Kaiserschnitte in Deutschland unerlässlich („absolute Indikation“). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn das Baby quer im Bauch beziehungsweise die Plazenta ungewöhnlich tief in der Gebärmutter liegt (Placenta praevia) oder die Mutter unter sehr hohem Blutdruck zusammen mit Organschäden leidet – eine Präeklampsie, ob leicht oder schwer, ist eine Erkrankung, die nur in Schwangerschaft oder Wochenbett auftreten kann.
Die restlichen 90 Prozent aller Kaiserschnitte werden aufgrund einer „relativen Indikation“ durchgeführt, beispielsweise wegen eines fehlenden Geburtsfortschrittes, auffälliger Herztöne des Babys oder aufgrund eines vorherigen Kaiserschnittes.
Doch es gibt auch andere Gründe für die wachsende Zahl der Kaiserschnitte: Zum einen werden Ärzte immer risikoscheuer. Sie haben Angst vor etwaigen Haftungsrisiken, falls doch einmal etwas schiefgehen könnte. Aufgrund besserer Operations- und Narkosetechniken sind Kaiserschnitte heutzutage deutlich risikoärmer als früher.
› Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge
Der Hauptgrund dürfte allerdings finanzieller Natur sein, denn Kaiserschnitte sind besser vergütet als natürliche Geburten. In Deutschland erhalten Krankenhäuser Pauschalbeträge für diverse Leistungen – die berüchtigten Fallpauschalen –, so auch für Kaiserschnitte.
Dies, und nicht das Alter, dürfte sowohl in Deutschland als auch in der Türkei der primäre Grund für die zahlreichen Kaiserschnitte sein, denn während das Alter der Erstgebärenden in Deutschland 2023 bei durchschnittlich 30,3 Jahren lag, waren Türkinnen bei ihrem Kind im Schnitt erst 27 Jahre – dennoch kamen dort noch mehr Babys per Kaiserschnitt zur Welt als in Deutschland.
Die Wahl zwischen Kaiserschnitt und Saugglocke
Die 37-jährige Nicole aus Bodenheim ist eine der Frauen, die ihre heute zweijährige Tochter Cora-Lou per Kaiserschnitt „ohne absolute Indikation“ holen ließ. „Ideal fand ich das nicht“, so Nicole, „aber ich lag bereits 22 Stunden in den Wehen, und Cora-Lou wollte irgendwann einfach nicht mehr tiefer rutschen.“ Der Arzt stellte sie dann, als der Geburtsprozess ins Stocken geriet, vor die Wahl „zwischen einem Kaiserschnitt oder einer Geburt mit der Saugglocke. Da mir bei letzterem die Gefahr, starke Schmerzen oder Verletzungen zu erleiden, zu groß war, fiel meine Wahl auf den Kaiserschnitt.“
Für viele werdende Mütter ist ein Kaiserschnitt also das kleinere Übel, da sie in ihrem persönlichen Fall eine vaginale Geburt als noch wesentlich unangenehmer erachten. Nichtsdestotrotz sollten Kaiserschnitte nicht verharmlost oder gar glorifiziert werden, da sie immer noch operative Eingriffe sind und somit einige Gefahren für die Mutter, zum Beispiel Infektions-, Blutungs- oder Organverletzungsrisiken, bergen. Auch bedarf es einer längeren Erholungszeit, und es kann im Bauchbereich schmerzen.
Notkaiserschnitt: „Als schnitte man mir den Bauch auf“
Von diesen Schmerzen kann die 28-jährige Jessica (Name geändert) ein Lied singen. Eigentlich wollte sie ihre Tochter Sophie (Name geändert) ganz klassisch zur Welt bringen – doch dann kam alles anders, als plötzlich zu Beginn der 36. Schwangerschaftswoche die Fruchtblase platzte. „Daraufhin war klar, dass Sophie nicht mehr länger im Bauch bleiben kann, und als dann auch noch mein Kreislauf kollabiert ist, brauchte ich dringend einen Notkaiserschnitt“, erinnert sich die Wiesbadenerin mit Schrecken.
Ihre Befürchtung, dass der Kaiserschnitt nicht sehr angenehm würde, war noch untertrieben: „Als ich wieder aufwachte, hatte ich nicht nur heftige Schmerzen, sondern meine Tochter wurde mir auch sofort weggenommen, da sie als Frühchen besondere Pflege brauchte. Ohne den Kaiserschnitt hätte ich sie zumindest kurz sehen können.“ Auch einen Tag danach waren Jessicas Schmerzen noch so intensiv, dass sie bei dem Versuch aufzustehen schreien musste und das Gefühl hatte, als würde ihr immer noch jemand „den Bauch aufschneiden“.
Gefahren für das Neugeborene
Abgesehen von den negativen Aspekten für die Mutter ist ein Kaiserschnitt auch nicht ganz unbedenklich für das Kind. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Atemprobleme, etwa das Atemnotsyndrom, oder für eine zu schnelle Atmung (transiente Tachypnoe). Außerdem durchlaufen die Babys keine hormonellen Reifungsprozesse, welche für die Lungenreifung und Immunaktivierung sorgen.
Eine vaginale Geburt stärkt dagegen das Immunsystem, da die Mutter Bakterien an ihr Kind weitergibt. Dieser Prozess findet bei Kaiserschnittgeburten nicht statt, so dass diese Babys ein verändertes Mikrobiom haben. Langfristig laufen diese Kinder Gefahr, Allergien, Asthma oder Autoimmunerkrankungen zu entwickeln.
Weniger Geburtskliniken, höherer Interventionsdruck
Kritik an der hohen Anzahl an Kaiserschnitten übt auch der Landesverband der Hebammen Nordrhein-Westfalen. „Kaiserschnitte sind große operative Eingriffe, die nicht nur medizinische, sondern auch wirtschaftliche Folgen haben: Sie verursachen höhere Kosten im Gesundheitssystem“, so Michelle Rump, Vorsitzende des Verbandes.
Ein weiteres Problem sei der Rückgang der Geburtskliniken. Im bevölkerungsreichsten Bundesland haben laut Rumpf „seit 2007 knapp 60 Geburtskliniken geschlossen“ – ein Trend, der „insbesondere in ländlichen Regionen zu einer Unterversorgung“ führe, mit dem Resultat, dass Schwangere weitere Anreisen hätten und dann in überlasteten Kliniken mit „höherem Interventionsdruck“ landeten.
Natürliche Geburt mit vielen Vorzügen
Kaiserschnitte sind also nicht auf die leichte Schulter zu nehmen – eine vaginale Geburt sollte, wenn möglich, stets vorgezogen werden, sowohl der Mutter als auch dem Kind zuliebe. Die Mütter haben nach der Sectio starke Schmerzen, wogegen die Schmerzen unmittelbar nach der natürlichen Geburt in der Regel vorbei sind; Kaiserschnitte sind mit Komplikationen wie Blutungen oder Infektionen verbunden, und das Risiko für Krankheiten ist bei diesen Babys größer.
Zudem erfüllt viele Mütter das Gefühl, das eigene Kind ganz klassisch zur Welt gebracht und somit eine Leistung vollbracht zu haben, mit Stolz. Manchmal sind Kaiserschnitte jedoch unerlässlich – was ja auf rund zehn Prozent aller Fälle zutrifft. Dann sind sie wiederum eine große Errungenschaft, denn auch so konnte die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate in Deutschland drastisch um das 300-fache gesenkt werden.
Im Jahr 1900 starb eine von 100 Frauen an den Geburtsfolgen, heute kommen auf 100.000 Geburten lediglich noch 3,5 mütterliche Todesfälle. Ähnlich sieht es bei der Kindersterblichkeit aus. Während in den 1950er Jahren auf 1.000 Geburten noch 30 Totgeburten kamen, sind es heute lediglich noch 3,4.
Kommentare
Der Intuition als Mutter vertrauen. Nach mehreren Fehlgeburten und einem Notkaiserschnitt hab ich mich beim nächsten Kind für einen geplanten Kaiserschnitt entschieden. Der Gynäkologe hat mir nachher zu der Entscheidung gratuliert, da nicht nur die Naht des Notkaiserschnitts offen war, sondern unser Kind auch die Nabelschnur zweimal um den Hals gewickelt hatte ... Deshalb: gut informieren, fest beten und im Vertrauen auf Gott und die mütterliche Intuition entscheiden. Übrigens: 5 Kaiserschnitte sind auch möglich.
@Maria S. Ja, 5 Kaiserschnittte sind möglich, ich hatte 5
Toller Titel!
Hmm...Diese negative Darstellung von der Kaiserschnitt Geburt sehe ich etwas problematisch. Auch eine "natürliche" Geburt kann einige Risiken birgen.
Dieses schwarz-weiß Denken sollte vor allem bei diesem Thema abgelegt werden, denn
das wichtigste ist doch, dass es nach der Geburt Mutter und Kind gut geht, oder etwa nicht?
Viele, das heißt nicht alle, wollen Kaiserschnitt weil : .....
" der Scheideneingang kann sich nach der Geburt tatsächlich verändern und größer wirken. Dies ist eine normale Reaktion des Körpers auf die Dehnung während der Geburt. Die Vulva kann breiter und geschwollen erscheinen, und die Vaginal- und Beckenmuskulatur sind stark gedehnt. In den meisten Fällen erholt sich der Bereich innerhalb weniger Wochen wieder. " In "meisten Fällen " heißt, aber nicht in allen Fällen.
.....mit stillen sieht die Sache gleich. Viele Frauen fürchten um ihre Brüste und deshalb verweigern sie den eigenen Kindern die Muttermilch.
Leo.