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Koalition in der Krise

Der Umfall-Kanzler

Ich habe am 23. Februar CDU gewählt. Ich habe Friedrich Merz meine Stimme gegeben, weil ich nach quälenden Monaten und Jahren des Ampelchaos eine energische Politik wollte, die sich an Vernunft und den Interessen der Bürger orientiert. Genau das hatte Merz versprochen: Migrationswende, Wirtschaftswende, Ausrichtung des Sozialstaats auf seine eigentlichen Zwecke. Also die Unterstützung Hilfsbedürftiger und nicht die Freizeit-Alimentierung von großenteils Arbeitsfähigen und solchen, die aus aller Herren Länder zu uns gekommen sind, ohne einen einzigen Cent in die Sozialkassen eingezahlt zu haben.

Und jetzt haben wir also seit drei Monaten Schwarz-Rot. Das Chaos um die Verfassungsrichternominierung von Frauke Brosius-Gersdorf hat auch dem Letzten gezeigt, wie wenig Lust Union und SPD schon jetzt aufeinander haben. Inzwischen wird jede Kleinigkeit zur Grundsatzfrage aufgeblasen, zur Entscheidung über den Untergang der Demokratie, wenn nicht gleich des Abendlandes. Mittlerweile frage ich mich, ob diese Koalition überhaupt das kommende Jahr überstehen wird.

Außen- oder Wendekanzler?

So sehr Merz sich als Außenkanzler – nicht zuletzt durch seinen Auftritt im Oval Office bei Donald Trump – einigen Respekt verschafft hat, setzt er diesen Ruf bereits wieder aufs Spiel. Als ob er dem innenpolitischen Hickhack noch die außenpolitische Krone aufsetzen wollte, verkündet der Bundeskanzler am Freitag einen Lieferstopp für Rüstungsexporte nach Israel

Auch wenn die praktischen Auswirkungen sehr gering sein dürften, ist der politische Symbolgehalt umso größer. Keine Waffen, die auch im Gazastreifen eingesetzt werden könnten, aber kein Wort zu den Geiseln. Nicht wenige befürchten nun, dass die Lage auf deutschen Straßen für Juden noch unangenehmer wird, als sie es ohnehin ist. Die Anzahl eskalierender Pro-Palästina-Demonstrationen wird weiter zunehmen. Die Hamas und ihre Sympathisanten dürften angesichts dieses Berliner PR-Geschenks ihr Glück kaum fassen können.

Offene Empörung aus den eigenen Reihen

Für Kanzler Merz könnte sich sein Schwenk noch als fatal erweisen. Aus den Reihen der Unionsmitglieder ist zum Teil offene Empörung zu vernehmen. Was ich aus diversen Unionskreisen mitbekomme, bewegt sich zwischen Fassungslosigkeit und Wut. Offensichtlich hat Merz seine Volte vorher mit niemandem in Partei und Fraktion abgesprochen, einzig mit Lars Klingbeil gab es eine gemeinsame Abstimmung ihrer Statements.

Die Kritik folgte auf dem Fuß: CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter erklärte auf X: „Die Aussetzung von Waffenlieferungen an Israel halte ich persönlich für einen schweren politischen und strategischen Fehler Deutschlands. Dem schloss sich der CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag, Klaus Holetschek, ebenfalls auf X an: „Ich halte diese Entscheidung für falsch. (…) Gerade in herausfordernden Zeiten müssen wir zu unseren Freunden stehen. Israels Sicherheit ist und bleibt für uns Staatsräson.

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Auch von der Jungen Union kam harte Kritik: „Staatsraison abgehakt? Ein Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik“, postete der Unions-Nachwuchsverband auf Instagram. Und JU-Chef Johannes Winkel, der für die CDU im Bundestag sitzt, kommentierte bitter-sarkastisch: „Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.“ 

Gerade das letztgenannte Statement ist bemerkenswert, denn anders als der Parteinachwuchs bei SPD oder Grünen neigt die Junge Union zumeist nicht zu klaren Attacken auf die eigene Parteiführung. Passiert so etwas doch, dann wurde offensichtlich vorher intern nicht kommuniziert. Und Merz hat allem Anschein nach überhaupt nicht kommuniziert, sondern – wieder einmal – einen einsamen Entschluss zur 180-Grad-Wende gefasst. 

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Sollen die anderen doch zusehen, wie sie damit zurechtkommen. Seine eigene Parteiführung wusste nichts, die Fraktion wusste auch nichts, die CSU wusste erst recht nichts. Und das in einer Frage, die vielen in der Union, zumal unter den bayerischen Christsozialen, Herzenssache ist.

Und wie es aussieht, gab es auch keinen besonderen Druck seitens der SPD, jetzt eine so weitreichende Entscheidung zu treffen. Damit offenbart Merz erneut schwere handwerkliche Fehler. Er wiederholt das Muster der plötzlichen Abkehr von der Schuldenbremse und zeigt damit, dass er nicht aus seinen Fehlern lernt.

Kein Wunschkonzert

Mir ist natürlich klar, dass eine Regierungspartei mit einem Wahlergebnis von 28,6 Prozent keine Bäume ausreißen kann. Aber wie sich die Union von einer deutlich über ihrer Gewichtsklasse boxenden SPD ein ums andere Mal vorführen lässt, erzeugt bei manchen Zuschauern nur noch Missvergnügen. Eine Koalition ist nie ein Wunschkonzert, schon gar nicht mit einer derart desolaten SPD. Aber die Volten und Sprünge, die die Parteiführung ihren Mitgliedern und Mandatsträgern zumutet, werden immer schwerer vermittelbar.

Selbst gestandene Unionspolitiker haben Probleme, die Entscheidungen ihrer Partei nachzuvollziehen. Das gilt erst recht für Wähler, die nicht durch ein Parteibuch gebunden sind, aber in der Hoffnung auf einen Politikwechsel für die Union gestimmt hatten.

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Natürlich gibt es einiges Vorzeigbares: Die Unternehmenssteuersenkung geht in die richtige Richtung, wenn auch zu gering und auch zu spät. Die Einführung der Grenzkontrollen, die Zurückweisungen und auch die Abschiebeflüge signalisieren eine Wende in der bislang vor allem von Blauäugigkeit und Besitzstandswahrung geprägten Migrationspolitik. Aber viel länger wird die Haben-Liste nicht. 

Im Soll ist dagegen so einiges. Trotz nie gekannter Finanzmittel dank des Infrastruktur-Sondervermögens muss der Bund bis 2029 sage und schreibe 172 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Und die Mittel fließen nicht etwa in die strukturelle Ertüchtigung und Verbesserung der Effizienz, sondern enden im Wunschkonzert der Wohltaten wie der CSU-Mütterrente. Wie überhaupt die Rentenpolitik eine veritable Katastrophe ist, weil sie die strukturellen Probleme nicht angeht, sondern kommenden Generationen unerträgliche Lasten auflädt.

Auch um den groß angekündigten Bürokratieabbau ist es still geworden, von der Abschaffung etwa des unsinnigen Lieferkettengesetzes ist keine Rede mehr.

Der Mittelstand ächzt

Gerade der Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, könnte ein paar positive Signale aus der Politik gut gebrauchen. Denn die Lage ist alles andere als rosig. Das zeigen die Zahlen der Insolvenzen, die die Unternehmen schütteln: nach 18.000 Pleiten im Jahr 2023 waren es 2024 schon 22.000, und in diesem Jahr könnten sogar mehr als 30.000 Firmen für immer zusperren

Dass die Regierung ausgerechnet in dieser Zeit das Tariftreuegesetz beschließt, empfinden viele Mittelständler als Ohrfeige aus Berlin. Es sieht nämlich vor, dass Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten, ihre Mitarbeiter nach Tarifbedingungen bezahlen müssen, auch wenn sie nicht tarifgebunden sind. Befürworter sagen, das verhindere Lohndumping. 

Kritiker werfen der SPD hingegen vor, damit den Bedeutungsverlust der Gewerkschaften kompensieren zu wollen, denen seit Jahren die Mitglieder in Scharen davonlaufen. Und weil Länder und Kommunen die neue Regelung umsetzen und kontrollieren müssen, bedeutet das für die Betriebe noch mehr Bürokratie, noch mehr Hürden.

Umfragewerte im Keller

Im Wahlvolk macht sich darum steigendes Befremden über den erratisch agierenden Kanzler und seine Regierung breit. Schon zuletzt waren die Umfragewerte für die Union bescheiden, für den Bundeskanzler mittelmäßig. Würde jetzt gewählt, käme die Union noch nicht einmal auf ihr schwaches Ergebnis vom Februar, während die AfD als lachender Dritter fast gleichauf liegt. Die persönlichen Werte Friedrich Merz’ sind im Keller. Beim ARD-„Deutschlandtrend“ äußerten gerade noch 32 Prozent der Befragten ihre Zufriedenheit mit dem Kanzler (ein Rückgang zum Vormonat um satte zehn Prozent), die Bundesregierung schnitt mit 29 Prozent sogar noch schlechter ab.

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Mit seinen einsamen Entscheidungen, ohne die Union oder gar gegen ihre Inhalte, wird Merz auf Dauer Schiffbruch erleiden. Die Unionsfraktion ist längst nicht mehr der brave Gefolgschaftsverein wie noch zu Zeiten von Volker Kauder. Das hat sie in Sachen Richterwahl gerade erst deutlich gemacht.

Und angesichts der im Herbst anstehenden Entscheidungen zu Bürgergeld und Migration – beides Themen mit höchstem Erregungspotenzial – kann ich schon jetzt sagen: So wird das nichts, Herr Merz.

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