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Von zwei Seiten unter Druck

Christen im Heiligen Land: Gewalt, Schikane und stille Vertreibung

Die kleine, seit vielen Jahren schrumpfende Minderheit der Christen in den Palästinensergebieten ist in Not. Die weniger als 900 christlichen Palästinenser im Gazastreifen leiden seit fast zwei Jahren unter dem schrecklichen, verheerenden Krieg zwischen Israel und der islamistischen Terror-Organisation Hamas; die rund 50.000 Christen im Westjordanland und in Jerusalem klagen über die Zunahme von Gewalt und Diskriminierung, für die aggressive jüdische Siedler, militante Ultra-Orthodoxe und rücksichtslose Militärs verantwortlich seien.

Israels Regierung spricht angesichts von christlichen Toten und Verletzten sowie zerstörten kirchlichen Einrichtungen meist von „bedauerlichen Missverständnissen“, zuweilen auch beschwichtigend von „Übertreibungen“ und „Lügen“ der Palästinenser, der Kirchen und westlicher Medien. Dabei gibt es kaum einen Zweifel an zahlreichen hasserfüllten Übergriffen auf christliche Palästinenser und Geistliche in Jerusalem und im Westjordanland.

Hier, im biblischen Judäa und Samaria, leben inzwischen neben den 2,5 Millionen Palästinensern mehr als 400.000 jüdische Siedler, das Gebiet wird politisch von der palästinensischen PLO unter Präsident Mahmud Abbas geführt, militärisch weitgehend von der israelischen Armee kontrolliert. Größte Fraktion in der PLO ist die Fatah, die mit Mohammad Mustafa den Regierungschef stellt. Im Gazastreifen sagen Christen, sie fühlten sich seit dem Krieg doppelt eingesperrt: einerseits durch Israel, einerseits durch die Hamas.

Asymmetrischer Krieg in Gaza: Gezielte Tötung von Zivilisten?

Christen im Gazastreifen leiden wie die mehrheitlich 2,2 Millionen moslemischen Palästinenser in diesem winzigen Landstrich seit nunmehr fast zwei Jahren unter dem Krieg. Im Juni wurde die katholische Kirche in Gaza von einer israelischen Granate getroffen, drei Menschen wurden getötet, zehn weitere verletzt. Das Lateinische Patriarchat warf Israel die „gezielte Tötung unschuldiger Zivilisten“ vor. Die israelische Armee sprach von einem „bedauerlichen Missgeschick im Gefecht während urbaner Kampfhandlungen“.

Israelische Militärexperten verweisen immer wieder darauf, dass trotz allem Bemühen, Unschuldige zu verschonen, der Tod von Zivilisten, von Frauen und Kindern, in diesem asymmetrischen Krieg kaum vermeidbar ist. Schließlich kämpfen hier hochtechnisierte Streitkräfte gegen Terroristen, die gezielt den Schutz und die Tarnung ziviler Gebäude – insbesondere Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser – nutzen. Die Stärke der Terrororganisationen ist zudem der Guerrillakampf in den dicht besiedelten Häusermeeren der Städte. 

International großes Aufsehen erregte jüngst aber auch abseits des Kriegsgeschehens ein Angriff jüdischer Siedler auf Taybeh, das einzig weitgehend christliche Dorf im Westjordanland.

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Maskierte Männer überfielen nach palästinensischen Angaben in der letzten Juniwoche nachts das Dorf nahe Ramallah, attackierten Olivenbauern, zündeten Gebäude und Autos an und legten ein Feuer auf dem Friedhof hinter der St.-Georgs-Kirche, die aus dem 5. Jahrhundert stammt. Zunächst war – wie sich herausstellte, fälschlicherweise – gemeldet worden, Brandstifter hätten die Kirche selbst angezündet. Zehn Palästinenser seien bei den Angriffen verletzt worden, berichteten die örtlichen Behörden.

„Barbarei und Brutalität der Siedler“

Es handelte sich dabei nach den Worten des römisch-katholischen Priesters Bashar Fawadleh um den jüngsten von zahlreichen Übergriffen jüdischer Siedler. „Wir leben in diesen Tagen in großer Angst... leben wir unter dem Feuer, der Barbarei und der Brutalität der Siedler“, sagte der Geistliche. Neue jüdische Siedlungen seien in der Nähe errichtet worden, deren Bewohner „uns vertreiben wollen (...) Sie lassen ihre Kühe zwischen unseren Olivenbäumen weiden, was die Ernte zerstört und die Bäume beschädigt.“

Seither patrouillieren nachts Männer einer Bürgerwehr durch die Straßen des mehr als 4.000 Jahre alten Ortes mit seinen etwa 2.000 Einwohnern. Schon Jesus Christus hatte sich dem Johannesevangelium zufolge nach der Auferweckung des Lazarus in diesen Ort zurückgezogen – damals Ephraim genannt. Heute leben in Taybeh etwa 1.300 griechisch-orthodoxe, griechisch- und römisch-katholische Christen. 

Angst und Unsicherheit seien groß, berichtet Fawadleh, viele erwägten, ihre Heimat zu verlassen – wie Zehntausende von Christen in den palästinensischen Gebieten zuvor, die den enormen Belastungen durch Besatzungstruppen, Siedlern, aufkommende Islamisten und Terrororganisationen, aber auch aus wirtschaftlicher Not entfliehen wollten.

Die absolute Zahl der Christen in den Palästinensergebieten hat sich in den vergangenen 80 Jahren deutlich – von etwa 140.000 auf 50.000 – verringert; besonders krass aber sank der Anteil an der Gesamtbevölkerung – von einst knapp zehn auf heute höchsten zwei Prozent. In Bethlehem waren vor 80 Jahren fast 90 Prozent der Bewohner Christen. Heute sind in der Geburtsstadt Jesu nur noch maximal 15 Prozent der knapp 30.000 Einwohner Christen. Auch wenn solche Daten zwischen den verschiedenen Parteien umstritten sind, gibt es an den teilweise krassen Entwicklungen keine Zweifel.

Kirchen verurteilen Gewalt und Übergriffe der Siedler

Seit den Attacken Ende Juni haben hochrangige Kirchenvertreter und Politiker Taybeh besucht, wie Patriarch Theophilos III., Oberhaupt der Griechisch-Orthodoxen Kirche, und Kardinal Pierbattista Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem. Sie riefen die internationale Gemeinschaft und die Kirchen weltweit dazu auf, Druck auf Regierungen – gemeint war vor allem die israelische – auszuüben, damit die Religionsfreiheit im Heiligen Land gewahrt bleibe. 

Die Patriarchen und andere Repräsentanten der christlichen Kirchen in Jerusalem verurteilten in einer gemeinsamen Erklärung in scharfem Ton die Angriffe jüdischer Siedler. Brandstiftungen und Hass-Graffiti seien „ein eindeutiger Akt der Einschüchterung“ gegen friedfertige Christen.

Zahlreiche Vorfälle belegten eine „alarmierende Entwicklung von Gewalt der Siedler“. Israels Behörden verharmlosten die „kriminellen (...) Verstöße gegen Völkerrecht und Menschenrechte“ als „Sachbeschädigungen“ und ignorierten die „systematische Einschüchterung und Misshandlung“ der arabischen Christen.

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Der katholische Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem, Nikodemus Schnabel, beklagte erneut die schwierige Lage der Christen und fragte: „Wann endet dieser unfassbare Hass?“ Schon lange kritisiert er Angriffe jüdischer Extremisten auf Christen und die unbefriedigenden Reaktionen der israelischen Regierung – unter anderem im Corrigenda-Interview; auch Schnabel selbst war in Jerusalem schon von national-religiösen jüdischen Extremisten attackiert und bespuckt worden.

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Die provokante Formulierung von den „jüdischen Neonazis“

„Uns Christen geht’s schon ziemlich an den Kragen“, zitierte die Catholic News Agency den Benediktiner. Er erinnerte auch an die Brandstiftung im Benediktinerkloster Tabgha am See Genezareth 2015, für die ultra-orthodoxe Zionisten verantwortlich gewesen seien. Solche „terroristischen Gruppen“ seien von „fremdenfeindlichem Rassismus“ geprägt und hätten einen „tiefsitzenden Christenhass“.

In einem Gespräch mit der Welt zitiert der Geistliche den israelischen Schriftsteller Amos Oz, der vor den inneren Gefahren für Israel durch „jüdische Neonazis“ gewarnt hatte. In israelischen Ohren wird es einen besonderen Beiklang haben, wenn ein deutscher Kirchenvertreter jüdische Extremisten mit Neonazis vergleicht, selbst wenn er dabei einen Israeli zitieren kann.

Abt Nikodemus Schnabel: „Uns Christen geht’s schon ziemlich an den Kragen“

Wenige Tage nach dem Überfall auf das christliche Dorf besuchte auch der amerikanische Botschafter in Jerusalem, Mike Huckabee, den Tatort und kündigte „harte Konsequenzen“ nach diesem „Terrorakt“ an. Der als großer Freund Israels bekannte Diplomat, ein Baptistenprediger und Ex-Gouverneur von Arkansas, kritisiert Israel derzeit ohnehin scharf, weil evangelikalen Gruppen aus den USA offenbar die Einreise nach Israel deutlich erschwert wird.

Hintergrund ist auch das Bemühen vereinzelter Evangelikaler – beispielsweise der „Jews for Jesus“ und anderer messianischer Juden –, in Israel und den Palästinensergebieten zu missionieren. Das ist gesetzlich nicht verboten, stößt aber auf heftigen Widerstand sowohl jüdischer als auch muslimischer Organisationen.

Auch die New York Times (NYT) griff in mehreren, teils ausführlichen Beiträgen das Thema der bedrängten Christen im Heiligen Land auf. Gewalttätige Siedler würden zwar gelegentlich von der israelischen Armee vorübergehend festgenommen; dann allerdings nicht vor Gericht gestellt, insbesondere seitdem in der Regierung auch „radikale Vertreter der Siedler-Lobby“ Minister seien.

Verrat der US-Evangelikalen an den Christen vor Ort?

Der für seine israelisch-kritische Einstellung bekannte US-Journalist Nicholas Kristof berichtete in der NYT über die israelische Unterdrückung der Christen in Bethlehem. Der Kolumnist beschuldigte die Evangelikalen, traditionell in den USA sehr einflussreich, eindeutig und lautstark pro-israelisch, die Christen in den Palästinensergebieten mehr oder minder zu verraten. Er zitierte dazu den lutherischen Pfarrer, den Palästinenser Mitri Raheb: „Fühlen wir uns betrogen? (...) Ja, bis zu einem gewissen Grad. Leider ist das für uns nichts Neues.“

Die Lage im Westjordanland ist seit dem barbarischen Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 und Israels Feldzug im Gazastreifen äußerst angespannt. Mehr als 850 Palästinenser und 40 Israelis sind nach Angaben der UN seither in Judäa und Samaria getötet worden. Menschenrechtsgruppen beschuldigen Israel, weder israelische Soldaten noch jüdische Siedler ausreichend strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie unrechtmäßig Palästinenser angegriffen hätten.

Die Reaktion in Israel auf die vehemente Kritik ist durchaus differenziert. Israels Präsident Isaac Herzog bezeichnete vor zwei Jahren Angriffe auf christliche Einrichtungen und auf Christen als völlig inakzeptabel; er versprach „rücksichtslose Aufklärung“ und die Bekämpfung solcher Hass-Taten. „Wir müssen die Angehörigen aller Religionen respektieren, dazu haben wir uns seit Anbeginn unserer Existenz verpflichtet“, sagte Herzog damals

2023 hatte es – keineswegs zum ersten Mal – besonders viele Übergriffe und Aggressionen gegen Christen und christliche Einrichtungen in Jerusalem gegeben. Auch 2024 wurden in Jerusalem mehr als 100 Angriffe auf Christen registriert.

Stadt Jerusalem geht gegen das Griechisch-Orthodoxe Patriarchat vor

Für Empörung sorgte jüngst auch eine Entscheidung der Stadtverwaltung von Jerusalem, die Bankkonten des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats einzufrieren und damit ein seit dem 19. Jahrhundert informelles Abkommen zu verletzen. Dem vorausgegangen war ein jahrelanger Streit um die Arona-Immobiliensteuer. Es war Usus, dass diese Abgabe für religiöse und karitative Einrichtungen ausgesetzt wird. 

Seit 2018 beharrt die Jerusalemer Stadtverwaltung jedoch darauf, dass die Steuererleichterungen nur denen zustehen, die rein religiöse Dienste anbieten. Pilgerhotels etwa seien davon ausgenommen. Die Stadtverwaltung wird inzwischen von orthodoxen Juden und Parteien kontrolliert, die den Siedlern nahestehen.

Griechische-orthodoxe Pilger in Jerusalem

Die griechisch-orthodoxe Kirche besitzt neben Kirchen, Schulen, Hospizen und anderen sozialen Einrichtungen auch Pilgerstätten. Sie ist eine der größten Grundbesitzer im Heiligen Land, selbst das israelische Parlament steht auf Grundstücken der Kirche. Auch andere christliche Denominationen sehen sich nun unter Druck und befürchten Schlimmes.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Stimmung in Israel und dem anhaltenden Krieg im Gazastreifen inzwischen deutlich verändert. Die Israelis reagieren mehrheitlich äußerst empfindlich und zornig auf die weltweite Welle der Anschuldigungen wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen, „Kriegsverbrechen“ oder gar „Völkermord“. Für die Regierung in Jerusalem sind die massiven Vorwürfe – auch von den Vereinten Nationen (UN) oder dem Strafgerichtshof in Den Haag – vor allem Ergebnis einer extrem erfolgreichen Propaganda- und Verleumdungskampagne arabischer und islamistischer Organisationen.

Palästinenser setzen auf den weltweiten Antisemitismus

Auch die unbestreitbaren Konflikte zwischen jüdischen Siedlern und Palästinensern wird von israelischen Politikern und Medien zum großen Teil bezweifelt. Die Palästinenser versuchten demnach gezielt mit Fehlinformationen und Übertreibungen Israel international an den Pranger zu stellen. Letztendlich könnten sie dabei auf den offenen und den latenten Antisemitismus weltweit bauen. 

„Gestern war der Bösewicht einfach ‘der Jude’. Heute ist es ‚der Siedler‘. Das Etikett aktualisiert das Klischee für das moderne Publikum, aber die reflexartige Schuldzuweisung ist genau dieselbe“, meinte der Historiker Amit Barak in der Jerusalem Post. Barack, der seit langem im Auftrag israelischer Institutionen und des Militärs bei der Integration arabischsprachiger Christen arbeitet, vertritt besonders pointiert die Skepsis in Israel über die vielen Berichte, in denen Militärs und Siedler der Gewalt und der Verbrechen gegen zivile Palästinenser beschuldigt werden. 

Israel Ganz, Vorsitzender des Yesha Council, der Dachorganisation der jüdischen Bewohner und Siedler in Judäa und Samaria, bezeichnete die „Taybeh-Saga“ als eine „Blutlegende, die inszeniert wurde, um Schlagzeilen zu machen und diplomatischen Einfluss zu gewinnen“.

Die Jerusalem Post verweist auf die verheerende internationale Wirkung der ersten Meldungen, Siedler hätten die alte St.-Georgs-Kirche in Taybeh angezündet – was sich im Nachhinein als falsch herausstellte. „Innerhalb weniger Stunden verkauften die Nachrichtenagenturen das Bild israelischer Brandstifter, die voller Freude eine alte Kirche niederbrannten.“ Dabei hätten auch die ranghohen Repräsentanten der Kirchen in Jerusalem eine unselige Rolle gespielt, behauptet der Kommentar. 

Kein Zweifel an anti-christlichen Übergriffen und Vandalismus

Siedler hätten in Taybeh entgegen allen Berichten sogar aktiv versucht, die Flammen in der Stadt zu bekämpfen, seien aber „prompt mit einem Steinhagel von Dorfbewohnern belohnt worden“. Berichte in den Vortagen über Brandstiftungen Unbekannter seien später unterdrückt worden. Fehlinformationen über die Siedler-Angriffe und jüdische Brandstifter, die eine Kirche anzünden, „sind eine tolle Story, wenn man genug Geld hat, um die Nachricht zu verbreiten.“

Allerdings spricht die renommierte Zeitung auch von zahlreichen „echten Fällen von antichristlichem Vandalismus“. Die Christen von Taybeh verdienten „Schutz vor Vandalismus und Schikanen“. Das gelte aber auch „für die jüdischen Bauern, deren Weiden in diesem Monat bereits dreimal in Brand gesteckt wurden“. 

Eine Nonne betet im Dezember 2023 in der Grotte unterhalb der Geburtskirche Bethlehem

Die zu Unrecht aufgebauschten Vorfälle in Taybeh lenkten „von der tatsächlichen Verfolgung ab, der palästinensische Christen innerhalb der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgesetzt sind, betont die JerusalemePost. Die islamistisch dominierte Behörde sei schließlich verantwortlich für das „routinemäßig enteignete Kirchenland“, für die Streichung der christlichen Geschichte aus den palästinensischen Schulbüchern und die Vertreibung von arabischen Christen ins Ausland. 

Schweigen der Kirchen angesichts islamischer Übergriffe

Die israelische Zeitung trifft damit einen besonders wunden Punkt der christlichen Kirchen im Heiligen Land: ihr lautes Schweigen über die Benachteiligung, Diskriminierung und Drangsalierung der Christen in den Palästinensergebieten, vor allem im Gazastreifen. All das kann sicher auch als wesentliches Motiv für die anhaltende Auswanderungswelle der Christen im Westjordanland angesehen werden. 

Vor 20 Jahren waren es der Zeitung zufolge muslimische Bewohner eines Nachbardorfes, die in Taybeh einfielen und vierzehn Häuser niederbrannten. Die „Ehre ihres Dorfes“ sollte wiedergestellt werden – nachdem zuvor ein Christ aus Taybeh ein Verhältnis zu einer verheirateten Muslimin gehabt habe. Kein Mensch außerhalb der Region habe sich interessiert, die Kirchen hätten sich extrem zurückgehalten – wie so oft bei der Drangsalierung und Diskriminierung von Christen durch die muslimischen Mitbürger. 

So nachvollziehbar die heftige Kritik an Israel wegen aggressiver Siedler und gewalttätiger Zionisten gegen palästinensische Christen ist, so verständlich der Zorn über getötete und verletzte Christen im Gaza-Krieg, über zerstörte Kirchen, so berechtigt scheinen allerdings auch skeptische Fragen an die israelkritischen Kirchenfürsten zu sein. Wieso schallt ihre Stimme vor allem dann durch die Welt, wenn Juden die Täter sind? 

Diese Frage hat auch deswegen eine hohe Brisanz, weil seit vielen Jahren – belegt durch die akribischen Dokumentationen von „Open Doors“ – Millionen Christen insbesondere in der islamischen Welt Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind. Massaker an Christen in Nigeria, Syrien oder im Irak, übelste Verfolgung in anderen islamischen Ländern sind im wahrsten Sinne des Wortes meist nur in „Sonntagsreden“ – beim Gottesdienst hin und wieder ein Thema. Noch nie habe es eine derartige Verfolgung von so vielen Christen in der Welt gegeben, klagt das internationale, überkonfessionelle christliche Hilfswerk.

Die „Verbrechen“ des jüdischen Staates sind Dauerthema insbesondere der evangelischen Kirchen in Europa. Israel steht ständig am Pranger, obwohl die 180.000 Christen in Israel mehr Rechte als in jedem anderen Staat des Nahen Ostens haben. Christliche Gemeinden in Israel betreiben Schulen, Hochschulen, Krankenhäuser, Altenheime und zahlreiche andere Einrichtungen ohne jede Beeinträchtigung durch staatliche Behörden oder das jüdische Umfeld. 

In Israel sind etwa 20 Prozent der zehn Millionen Einwohner Araber – oder Palästinenser, wie sie sich in der Region seit den 70er Jahren selbst nennen. Von einem „palästinensischen Volk“ gibt es in den Geschichtsbüchern keinerlei Erwähnung – bis PLO-Chef Yassir Arafat vor mehr als 60 Jahren mit großem Erfolg den Begriff international einbringen konnte. 

Die etwa zwei Millionen Araber haben im jüdischen Staat so gut wie alle demokratischen und zivilen Rechte, allerdings unterliegen sie nicht der Wehrpflicht. Der Vorwurf der Apartheid – jüngst erst wieder öffentlichkeitswirksam vom Ökumenischen Rat der Kirchen erhoben – ist nicht nur bei oberflächlicher Betrachtung geradezu absurd. 

In keinem arabischen Staat haben muslimische Bürger so viele politische und persönliche Rechte wie in Israel. Der jüdische Staat beansprucht, Schutzmacht religiöser Minderheiten in der ganzen Region zu sein – was die Unterstützung der Drusen in diesem Sommer gegen mörderische Kampftruppen der Islamisten in Syrien erneut zu belegen scheint. Dort wurden Schätzungen zufolge mehr als 1.100 Menschen getötet, mehr als 100.000 vertrieben, überwiegend Drusen, aber auch viele Christen. 

„Von linken Parteien (...) gab es keine Demonstrationen, Statements oder starke Reden, wie es sofort der Fall ist, wenn es gegen Israel geht“, kritisierte die pro-israelische Stiftung Audiatur, die im deutschsprachigen Raum Europas aktiv ist. „Dabei waren diese monströsen Taten offensichtlich religiös motiviert, brutal und gezielt gegen Drusen, Christen und andere Minderheiten gerichtet.“

„Extremistischer Islam ist bedeutsamste Triebkraft“

Verglichen mit der massiven Kritik an Israel widmen sich die Kirchen nur selten mit lautstarken, öffentlichen Protesten der Verfolgung von 380 Millionen Christen weltweit – wobei die Christen besonders große Probleme in der islamischen Welt haben. Das bestätigt auch der Sprecher von Open Doors, Jens Fischer, gegenüber Corrigenda: „Der extremistische Islam ist die mit Abstand bedeutsamste Triebkraft der Verfolgung, die wir im Rahmen der Forschungsarbeiten zum Weltverfolgungsindex untersuchen.“

Auch wenn der Islamismus im Heiligen Land erst im Aufkommen ist und, selbst dort, wo er wie in Gaza bereits Fuß gefasst hat nicht mit jener Brutalität vorgeht, wie es Christen in Nigeria, im Sudan oder im Irak erleben, so sprechen die Zahlen doch eine klare Sprache. Wenn der Geburtsort Jesu Christi entchristianisiert wird, sollten Kirchen aller Denominationen eigentlich hörbar aufschreien und etwas unternehmen.

Festzuhalten bleibt somit: Die Christen im Heiligen Land stehen von zwei Seiten unter Druck. Und ihre Lage ist ernster denn je.

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Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hatten wir geschrieben, Abt Nikodemus Schnabel sei von ultra-orthodoxen Juden bespuckt worden. Das ist falsch. Tatsächlich handelte es sich um national-religiöse jüdische Extremisten. Wir haben den Fehler schnellstmöglich korrigiert und bitten ihn zu entschuldigen.

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