Diskriminierung auf Samtpfoten
Geköpfte Heiligenstatuen, eingeschlagene Kirchenfenster und Graffiti-Slogans wie „Verbrennt Kirchen“ oder „Fundamentalisten gehören abgetrieben“ an Gotteshäusern - solche und ähnliche Hassverbrechen gegen Christen sind keine Seltenheit in Europa. Gerade am 16. November, dem von der UNESCO erklärten „Tag für Toleranz“, wurden in einer Wiener Kirche vier Heiligenstatuen zerschmettert. Da Opferstock und Blumenschmuck verschont wurden, geht die Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler (ÖVP) von einer zielgerichteten Tat aus, wie die Sprecherin für Menschenrechte der ÖVP auf ihrem Instagramkanal mitteilt.
Der Täter wurde bis jetzt nicht ausfindig gemacht. „Die Polizei hält es für fast unmöglich, dass er gefasst wird“, sagt die Sekretärin der Pfarre Maria Magdalena, wo der Vandalismus stattgefunden hat, gegenüber Corrigenda. Wird die Pfarre nun Sicherheitsvorkehrungen treffen? Eine Kamera dürfe man aus Datenschutzgründen nicht installieren, meint sie. Schließe man die Kirche von nun an untertags zu, würde das die Falschen, die Beter, bestrafen. „Man kann nur hoffen, dass sich so eine Tat nicht wiederholt“, seufzt die Sekretärin.
Christen am meisten von Hassverbrechen betroffen
Leider sind Hassverbrechen gegen Christen wie die zerstörten Heiligenstatuen kein Einzelfall. Am „Tag für Toleranz“ veröffentlicht die OSZE („Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“) traditionell ihren jährlichen „Hate Crime Data“-Bericht. Die Daten für das Jahr 2021 ergeben, dass mit 679 Fällen Christen am meisten von Hassverbrechen betroffen sind. An zweiter Stelle kommen LGBTI-Personen mit 641 Fällen, gefolgt von 567 Hassverbrechen mit einem rassistischen und xenophobischen Motiv. Zu diesen Zahlen kommt es, rechnet man Nordamerika nicht mit.
Gibt man die Zahlen aus den USA dazu, sind Christen, im Verhältnis zu den anderen geschützten Identitätsgruppen, an dritter Stelle. Davor kommen Hassverbrechen mit rassistischen und xenophobischen Motiven. Nummer Eins sind mit 1267 Fällen Hassverbrechen gegen Juden.
Wenige NGOs berichten über Vorfälle gegen Christen
Lediglich zehn Staaten und 16 zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs) übermitteln Daten zu Hassverbrechen gegen Christen an die OSZE. Dies bedeutet, wenn mehr ZGOs darüber berichten würden, noch viel mehr Fälle bekannt werden würden, erklärt die Nichtregierungsorganisation „Observatory On Intolerance And Discrimination Against Christians In Europa“ (OIDAC) in ihrer Presseaussendung. Zum Vergleich: Über rassistische und xenophobische Hassverbrechen berichten 25 Staaten und 48 ZGOs.
Die Daten der OSZE setzten sich aus staatlichen Polizeidaten und deskriptiven Fällen zusammen, welche von den ZGOs bereitgestellt werden.
Eine ZGO, die seit mehr als zehn Jahren Fälle von Hassverbrechen gegen Christen in Europa sammelt und an die OSZE übermittelt, ist das „Observatory On Intolerance And Discrimination Against Christians In Europa“ (OIDAC). Laut der in Wien ansässigen Beobachtungsstelle wurden im Zeitraum von Januar bis Dezember des Vorjahres vier Christen in Europa ermordet und 14 körperlich angegriffen. 76 Prozent der Hassverbrechen seien allerdings Vandalismus und Zerstörung von Eigentum. Danach käme Diebstahl von Kircheneigentum, zum Beispiel Kelche oder Monstranzen. Die meisten der von ihnen dokumentierten Fälle ereigneten sich in Frankreich (124), dicht gefolgt von Deutschland (112).
Eine neue Form von Intoleranz
„OIDAC wurde gegründet, weil ein neues gesellschaftliches Phänomen in Europa auftrat, nämlich die Tendenz zur Ausgrenzung und Diskriminierung von Christen und die Verdrängung des Glaubens aus dem öffentlichen Raum“, sagt OIDAC-Geschäftsführerin Madeleine Enzlberger gegenüber Corrigenda. „Glaube hat unter dieser neuen Entwicklung nur noch im privaten Raum stattzufinden. Diese Form der Säkularisierung kann als eine Dynamik der säkularen Intoleranz bezeichnet werden“, erklärt Enzlberger.
Dies führe dazu, dass sich Christen im öffentlichen Raum, auf Medienplattformen, aber auch im privaten Bereich selbst zensieren würden. „Selbstzensur“ bedeute, dass sich Christen nicht trauen, ihre religiösen Überzeugungen auszudrücken, da sie fürchten, sonst ihre Arbeitsstelle zu verlieren, von Freunden und Kollegen abgelehnt zu werden oder eine Konfrontation dadurch auszulösen.
Vor zehn Jahren habe es noch niemanden gegeben, der die immer häufig werdenden Fälle von Hassverbrechen gegen Christen dokumentierte. OIDAC fokussiere sich speziell auf Christen, da es diese Art von Arbeit für andere Religionen und Minderheiten schon gebe.
Hassverbrechen, aber auch Diskriminierung und Intoleranz gegen Christen seien gesellschaftliche Tabuthemen, sagt die Geschäftsführerin. „Die Opferrolle von Christen passt nicht in das heutige Narrativ, das Christen vorwiegend als Täter portraitiert. Dies bedeutet, Christen sind in der Öffentlichkeit nicht als Opfer, sondern als Täter zu betrachten“, erklärt Enzlberger.
Bei Politikern nimmt sie eine Wissenslücke wahr, was das Thema betrifft. „Die allermeisten Politiker, denen ich von unserer Arbeit erzählt habe, waren im ersten Moment geschockt angesichts der Zahlen und Darstellung einiger tragischer Einzelfälle“, erzählt Enzlberger.
Rot beleuchtete Gebäude
Eine Politikerin, die nicht nur um die Hassverbrechen und weltweite Verfolgung von Christen weiß, sondern auch darauf reagiert, ist die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler. Durch ihren Hinweis seien andere Politiker auf den sogenannten „Red Wednesday“ aufmerksam geworden. 2020 wurden das österreichische Parlament sowie das Innenministerium zum ersten Mal in rotes Licht getaucht – um dadurch auf das Schicksal von Millionen verfolgter, unterdrückter und bedrohter Christen aufmerksam zu machen.
Die Idee stammt von dem internationalen katholischen Hilfswerk „Kirche in Not“. Den Aktionstag gibt es seit 2015. Damals erstrahlte erstmals die Christusstatue in Rio de Janeiro (Brasilien) in Rot.
Am „Red Wednesday“, der 2022 auf den 16. November fiel, wurden in ganz Österreich 130 Kirchen und Monumente rot beleuchtet, darunter die Regierungsgebäude. Parteien oder einzelne Politiker, die sich gegen die Aktion ausgesprochen hätten, habe es nicht gegeben, sagt Kugler gegenüber Corrigenda. „An der österreichischen Staatsspitze gibt es zahlreiche Politiker, denen der Schutz von verfolgten Christen wichtig ist“, erklärt sie. Im Parlament wäre die Beleuchtung auf Vorschlag von Wolfgang Sobotka (ÖVP), dem Präsident des Nationalrats, vom Präsidium beschlossen worden.
„Millionen von Christen werden verfolgt“
„Millionen von Christen werden heutzutage noch immer schonungslos durch den Schmutz gezogen, verfolgt und davon abgehalten, ihre Religion frei auszuüben“, meint die Politikerin. „In mindestens zwölf Ländern müssen Menschen wegen ,Gotteslästerung, Glaubensabfall oder Abwerbung von Gläubigen‘ Angst um ihr Leben haben. Allein für Blasphemie ist in sieben von diesen Ländern mit der Todesstrafe zu rechnen. Religionsfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht“, sagt Kugler. In ihrer politischen Arbeit möchte sie diesem Thema weiterhin Priorität einräumen.
In Deutschland beteiligten sich am „Red Wednesday“ 2022 169 Pfarreien, darunter die Gemeinde St. Canisius in Berlin. Dort fand zum Anlass eine Podiumsdiskussion mit Monika Grütters statt, die Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU/CSU) ist. Grütters ist auch die Vorsitzende des Stephanuskreises, einer Einrichtung der Unions-Bundestagsfraktion, die den Schutz verfolgter Christen und Religionsfreiheit ins Zentrum ihrer Arbeit stellt. Der Gesprächskreis benennt sich nach dem ersten Märtyrer der Christenheit, dem heiligen Stephanus.
Unions-Gesprächskreis setzt sich für verfolgte Christen ein
„Wer sich mit dem Schicksal verfolgter Christinnen und Christen auseinander- und sich für die Verbesserung ihrer Lage einsetzt, begibt sich sogleich in den Bereich eines universellen und individuellen Menschenrechts: der Religionsfreiheit“, sagt die CDU-Abgeordnete in ihrem Eingangsstatement in St. Canisius. Erfreulicherweise habe das allgemeine Interesse an der Religionsfreiheit zugenommen. Das wäre allerdings deshalb der Fall, da der „Bedarf“ gestiegen sei. In immer mehr Ländern werde dieses Menschenrecht unzureichend gewährt, erklärt Grütters.
Ein Mitglied des Stephanuskreises ist auch der Bundestagsabgeordnete Thomas Rachel (CDU). „Initiativen, die die Belange der verfolgten Christen in den Vordergrund stellen, sind wichtig. Wir stehen in der Verantwortung, diese Diskriminierung und Verfolgung nicht passiv hinzunehmen“, so Rachel, der auch kirchenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion ist, gegenüber Corrigenda. Man müsse entschlossen für den Schutz und die Sicherheit von Christen und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften in der Welt eintreten. Rachel selber hätte in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gemeinschaft für Menschenrechte (IGFM) politische Patenschaften für verfolgte Christen im Iran übernommen.
Laut „Kirche in Not“ gebe es in Zusammenarbeit mit dem Stephanuskreis Überlegungen, für den „Red Wednesday“ 2023 eine öffentlichkeitswirksame Beleuchtung eines nicht-kirchlichen Gebäudes in Berlin zu organisieren.