Direkt zum Inhalt
Kolumne „Der Schweizer Blick“

Das Konglomerat der Wahrheit

Politiker sind eine interessante Spezies. Sie beschreiben zunächst wortreich, was sie sich wünschen. Fasst man das dann zusammen und reduziert es auf die Kernbegriffe, wehren sie sich: Das war natürlich nicht gemeint.

Zu ihnen gehört Jon Pult, Mitglied des Schweizer Parlaments für die Sozialdemokratische Partei (SP). Er hat zwar klare Vorstellungen, was seine Pläne angeht, aber er möchte nicht, dass man sie in ebenso klare Worte kleidet. Pult findet, dass eine neue Behörde „Fake News“, falsche Behauptungen und fehlgeleitete Thesen aus dem öffentlichen Raum verbannen sollte. Sie soll dafür sorgen, dass in sozialen Medien, auf Google, Facebook, Twitter und Co. nur noch anerkannte Wahrheiten kursieren.

Man braucht nicht einmal besonders belesen zu sein, um sich an das „Wahrheitsministerium“ in George Orwells „1984“ erinnert zu sehen. Aber dagegen wehrt sich der Politiker, das wolle er natürlich nicht. Was die von ihm erhofften gesetzlichen Bestimmungen anderes sind, „die dazu dienen, die Verbreitung von Falschinformationen auf den genannten Internet-Plattformen einzudämmen“, kann er allerdings nicht sagen.

Wer definiert, was wahr und was unwahr ist?

Der Vorstoß, den Jon Pult übrigens später zurückzog, krankt an einem sehr entscheidenden Detail. Er geht davon aus, dass es immer eine belegbare Wahrheit gibt und dass alles, was an dieser kratzt, eine Lüge ist. Es ist eine Welt in Schwarz-Weiß, und sie ist gerade dann nicht real, wenn es um Wissenschaft geht, die sich bekanntlich laufend weiterentwickelt. Vor allem aber: Wer genau definiert, was wahr und was unwahr ist? Völlig egal, wie man es nennt, es läuft auf ein „Wahrheitsministerium“ hinaus.

Aber so grotesk solche Ideen auch anmuten: Sie haben einen Lauf. Die SRG, die Trägergesellschaft des öffentlich-rechtlichen Schweizer Fernsehens und Radio, will den grassierenden „Fake News“ gemäß groben Plänen eine neue Online-Plattform entgegensetzen, die den Bürgern nur das vermittelt, was garantiert stimmt. Oder in ehrlichen Worten: was der offiziellen Linie entspricht. Sie selbst spricht von einem „fairen und konstruktiven Dialog“, der „frei von Hate Speech“ ist. Letzteres wünscht sich niemand. Aber in den letzten Jahren wurde auch nur schon der Widerspruch zur Politik als ungebührlich definiert.

Die SRG will mit dem ZDF zusammenarbeiten

Allein will das die SRG nicht tun, sie arbeitet dafür mit dem deutschen ZDF und öffentlichen Medienhäusern in Kanada und Belgien zusammen. Einige Medien sprechen von einer „Twitter-Alternative“, die entstehen soll. Auch dieser Begriff wird von den Verantwortlichen dementiert. Aber letztlich geht es um nichts anderes als einen von unangenehmen Ansichten gesäuberten Informationskanal, auf dem nur stattfindet, was behördlich abgesegnet ist. Und wo jede Gegenrede gar nicht erst Einlass findet.

Die SRG ist laut den Freunden der Idee, unter ihnen natürlich auch wieder der Politiker Jon Pult, die einzige Institution, die so etwas vorantreiben kann. Denn sie habe „einen viel höheren Anspruch an Ausgewogenheit und Korrektheit der Informationen als Twitter oder Facebook“. Das ist eine blinde Behauptung, die sich zudem leicht überprüfen lässt – indem man die TV- und Radiosender der SRG konsumiert.

Selbstverständlich kursieren in sozialen Medien auch abstruse Thesen, die bis zur Verleugnung von Naturgesetzen gehen. Allerdings kann man dort immerhin darauf reagieren, kommentieren, einen Dialog auslösen. Das Schweizer Fernsehen hingegen ist eine Einbahnstraße.

Links, grün, woke

Was auf die hilflosen Konsumenten auf dem Sofa einprasselt, kommt ungefiltert. Beziehungsweise: Der Filter wurde schon bei der Produktion eingesetzt. Klima, Trump, Gender, Abtreibung, Feminismus und so weiter: Es gibt zu solchen Themen keinen „fairen, konstruktiven Dialog“. Stattdessen wird die Haltung der TV-Journalisten vermittelt. Und an der gibt es keinen Zweifel: links, grün, woke. Der „hohe Anspruch an Ausgewogenheit“ mag ein Teil der SRG-Leitlinien sein, aber nicht von deren Umsetzung.

Verkauft wird diese öffentlich-rechtliche Dialogoffensive natürlich in rosaroten Worten. Damit werde „die Kompetenz der Menschen geschärft, unterscheiden zu können, was eine seriöse Quelle ist“. Das sind wiederum Worte von Jon Pult, der ganz offensichtlich nicht verstanden hat, wie man Menschen mit einer solchen Kompetenz befähigt. Ganz bestimmt nicht, indem man ihnen zuerst mit der Hilfe von staatlichen Medien verordnet, was richtig und was falsch ist und dann via eine Behörde versucht, alle anderen Meinungen zu eliminieren.

Die Wahrheit ist in Wahrheit immer die Suche nach der Wahrheit. Wer sie eindämmen will, leistet der Lüge Vorschub. Dass das einzelne Politiker oder Medien tun wollen: Das gab es schon immer. Wenn es der Staat vorhat, wird es brandgefährlich.

3
0