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Bürger gegen Windkraft

Wenn der Naturschutz unter die Rotorblätter kommt

In ganz Deutschland wächst unübersehbar die Zahl der Windkraftanlagen (WKA). Nach dem Willen der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP sollen die heute bereits bestehenden 30.000 Windräder nur ein „laues Lüftchen“ sein – ihre Zahl soll weit mehr als verdoppelt werden: Das demnächst ab 1. Februar geltende „Wind-an-Land-Gesetz“ gibt dann verpflichtende Flächenziele vor.

Bis zum Jahr 2032 sollen zwei Prozent des deutschen Landes für den Bau von Windkraftanlagen bereitstehen und in fünf Jahren schon mindestens 1,4 Prozent. Derzeit sind bloß 0,8 Prozent des Landes für Onshore-Windräder ausgewiesen und davon tatsächlich nur 0,5 Prozent verfügbar.

Vergegenwärtigt man sich, dass alle Industrie- und Gewerbeflächen zusammen nur 1,8 Prozent des deutschen Territoriums in Anspruch nehmen, wird klar, um welche gigantomanischen Vorhaben es hier geht.

Windenergie „im überragenden öffentlichen Interesse“

Aufgrund des Gesetzes – das mit vollem Namen „Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land“ heißt – werden Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt sowie die Bundesländer verpflichtet, schon bis Ende Mai kommenden Jahres entsprechende „Flächenbeitragswerte“ in Raumordnungsplänen oder ähnlichem nachzuweisen. Auch die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen müssen trotz begrenzten Territoriums verbindlich Flächen ausweisen, bis Ende 2027 schon je 0,25 Prozent der Landesfläche und bis Ende 2032 mit dann 0,5 Prozent noch einmal das Doppelte.

Der Schutz von Tier- und Pflanzenarten wird hintangestellt: Auch in Landschaftsschutzgebieten können WKAs gebaut werden, denn nach Ansicht der Bundesregierung liegt „der Betrieb von Windenergieanlagen im überragenden öffentlichen Interesse“ und diene „der öffentlichen Sicherheit“. So steht es auf der Netzseite der Bundesregierung.

Dafür hat die Regierung extra das Bundesnaturschutzgesetz novelliert – mit dem Ziel, Genehmigungsverfahren schneller durchzukriegen.

Der Verspargelung der Heimat nicht tatenlos zusehen

Ein besonderes Anliegen war es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), auch die garantierten Mindestabstände zu Siedlungen minimieren zu können. Die waren bisher stets ein Hindernis für den Bau weiterer Windräder. Nach dem neuen Gesetz dürfen die Länder nur noch bedingungsweise über Mindestabstände entscheiden, denn sie kommen nicht darum herum, ihr jeweiliges Flächenziel für den Windkraftausbau zu erreichen – so Bayern 1,8 Prozent, Brandenburg oder Hessen 2,2 Prozent seiner Fläche.

Erreichen die Bundesländer das Ziel nicht, treten die landesspezifischen Abstandsregeln außer Kraft. Denn, so Habeck: „Eine Verhinderungsplanung aber schließen wir aus.“

Die Zahl der Windräder wächst, die Industrieanlagen fressen sich an Dörfer und Städte heran, was jede Überlandfahrt zeigt. Aber auch die Zahl der Bürger nimmt zu, die der immer weiteren Verspargelung ihrer Heimat nicht tatenlos zusehen wollen – ob im Reinhardswald, im Odenwald oder im Liepnitzwald vor den Toren Berlins.

Bürgerinitiative seit 2010 für ihren Wald im Einsatz

Fährt man vom im Berliner Speckgürtel gelegenen Städtchen Bernau weiter nördlich nach dem Örtchen Lanke, verunstalten östlich der Straße ein Dutzend riesig hohe Windkraftanlangen das Landschaftsbild. Lieblich zwischen Seen gelegen, ist der Wandlitzer Ortsteil Lanke ein beliebtes Ziel von Touristen vor allem aus dem nahen Berlin. Die Stadtgrenze der Hauptstadt ist keine 20 Kilometer weit entfernt.

Damit der Erholungswald auf der Gemarkung Lanke nicht auch noch durch Windräder beeinträchtigt wird, kämpft die Bürgerinitiative „Hände weg vom Liepnitzwald“ schon seit 2010 für dessen Unantastbarkeit. Der nahegelegene Liepnitzsee ist Teil des Naturparks Barnim, also Landschaftsschutzgebiet. Doch ungeachtet dieses Status wies der letzte Regionalplan-Entwurf der Landkreise Barnim und Uckermark den Liepnitzwald als „Windeignungsfläche“ aus.

Zur Neujahrswanderung der Bürgerinitiative am dritten Sonntag des Jahres sind um die 200 Personen gekommen. Es ist die erste Wanderung nach der Corona-Zeit und gleichzeitig die zehnte, ein kleines Jubiläum. Sogar finnische und japanische Journalisten sollen schon im Liepnitzwald gucken gewesen sein, so sehr hätten die Waldschützer von Wandlitz von sich reden gemacht.

Ein Windkraftbetreiber hat schon seine Fühler ausgestreckt

Enthusiasten aus dem Ort und auch aus den umgebenden Landkreisen sowie Berlin haben sich eingefunden, der ungemütlichen Kälte zum Trotz. Die frühere Wandlitzer Bürgermeisterin Jana Radant wandert mit. Waltraud Plarre, die rührige Sprecherin der „Volksinitiative Rettet Brandenburg“, ist extra aus Kloster Lehnin angereist. Die Volksinitiative ist auch Mitglied bei Vernunftkraft, einem bundesweiten Dachverband von Anti-Windkraft-Initiativen, Plarre ist dort im Vorstand.

Einige Mitstreiter haben sich Plakate umgehängt: „Keine Windräder in Wäldern“, „Windmonster verhindern“, „Größere Mindestabstände zur Wohnbebauung“ steht darauf geschrieben. Dass die konkreten Sorgen der Menschen nicht aus der Luft gegriffen sind, wird unterwegs schnell klar.

Revierförster Klaus Meier führt die Wandergruppe durch den Buchen- und  Mischwald. Er unterstützt das Anliegen der Bürgerinitiative. Der Wald liegt in Brandenburg, ist aber seit 1905 Eigentum von Berlin. Während gelegentlicher Pausen tritt er vor und spricht zum Stand der Dinge. Die Leute hören gespannt zu. Die erste Windkraftfirma sei schon vorgeprescht und habe ihre Fühler nach diesem Waldstück ausgestreckt: „Es gibt im Moment eine Anfrage eines Betreibers, der hier bauen möchte.“

Befürchtungen schwerer Umweltschäden

Die Zahl der Windräder ist noch unbekannt, denn Details wurden in der Voranfrage nicht genannt. Aber: „Für eine einzige Windkraftanlage lohnt es sich nicht, Wege zu bauen, sondern nur, wenn man mindestens sechs oder acht Stück aufbauen möchte. Da müssen die Wege verbreitert werden, Kabel gelegt werden und, und, und – dieser ganze Aufwand, der da mit dranhängt“, so der Förster.

Vorschau Revierförster Klaus Meier, Revierförsterei Lanke
Revierförster Klaus Meier (M.) im Gespräch mit Bürgern auf der Neujahrswanderung gegen Windkraft im Liepnitzwald, 15. Januar 2023

Waltraud Plarre warnt engagiert, Wald zu roden und zu industrialisieren. „Ein Windrad wiegt 7.000 Tonnen. Die Fundamente sind bis zu 30 Meter tief, denn nicht überall eignet sich der Boden für Flachfundamente“, spricht sie ins Megafon. Die Folge: „Unterirdische Wasserläufe werden zerstört, Bodenorganismen abgetötet, so dass wir der Natur auch damit keinen Dienst tun.“

Zuwegungen müssten gebaut werden für die Schwertransporter: „Deren Kurvenradius beträgt 90 Meter, dann werden ringsherum noch mehr Bäume abgeholzt.“ Denn, um effektiver zu sein, sind moderne Windkraftanlagen weit höher als zuvor. „Die Rotorblätter sind inzwischen 80 bis 100 m lang.“

Die Frage des Recyclings ist völlig offen

„Man hat außerdem die Rotorblätter in der Außenhaut mit glasfaserverstärktem Kunststoff gemacht und seit einigen Jahren Carbonfasern daruntergemischt, weil die noch leichter sind“, macht sie auf eine weitere Problematik aufmerksam. „Der Abrieb, der durch Wind und Wetter, Eis und Schnee entsteht, verteilt Partikel von diesen Stoffen überall im Wald und auf dem Acker, der dringt ins Grundwasser ein.“ Von der Weltgesundheitsorganisation seien die Carbonfasern in die Gefahrenklasse 3 eingestuft, „weil ihre Auswirkungen in etwa wie Asbest sind, nämlich krebserregend“.

Gerate ein Windrad in Brand, dann würden aus den Carbonfasern Nanofasern, die in der ganzen Luft umherschwirren und lungengängig sind. „Hochgradig gesundheitsgefährdend“, warnt Plarre.

Aktuell gebe es einen Fall, wo sich Betreiber, Hersteller und Grundstücksbesitzer darüber stritten, wer ein abgebrochenes Windrad entsorgen muss. Das könne jedoch niemand offiziell entsorgen, denn auf keiner Deponie dürften Carbonfasern abgelegt werden. „Es existiert dafür kein Recyclingprogramm.“

„Nächsten Monat ist Wahl, vielleicht ändert sich da noch was“

Vorschau Waltraud Plarre
Die Sprecherin der „Volksinitiative Rettet Brandenburg“ Waltraud Plarre: „Wir können gar nicht laut genug fiepen“

Frau Plarre spricht die Sprache des Volkes, einfache, gerade Sätze, sie ist in ihrem Element. Sie kommt auf eine grundsätzliche Ebene: „Daseinsvorsorge heißt, dass die Politik nichts entscheiden darf, was den Bürgern letzten Endes zum Schaden gereichen könnte. Aber hier haben wir eine ganze lange Latte von möglichen oder sogar ziemlichen sicheren Schäden; zum einen die Klimaschutzfrage, die hier regelrecht in Doppelmoral unterlaufen wird.“

Brandenburg sei ohnehin das trockenste aller Bundesländer, „und wenn Wälder entfernt werden, dann kann einem schon angst und bange werden, denn Wälder sind in ihrer ökologischen Funktionen Trinkwasserneubildner“.

Einmal gibt es Rückkopplungen des Megafons, ein hässliches Pfeifen belästigt für einen Augenblick die Ohren. Plarre greift das auf: „Wir können gar nicht laut genug fiepen!“, sagt sie verschmitzt.

„Was können wir tun? Jeder ist aufgerufen, auch direkt an den Bundeswirtschaftsminister zu schreiben, er ist schließlich dafür zuständig.“

„Das Problem ist natürlich, dass die Stadt Berlin Geld braucht, und als Verpächter wird sie wahrscheinlich darüber nachdenken, den Wald der Windkraft zu opfern. Aber wir haben im nächsten Monat ja eine neue Wahl in Berlin, vielleicht ändert sich da noch was.“ Die Mitwandernden quittieren mit Gelächter.

Der Protest der Bürgerinitiative konnte 2016 einen Teilerfolg erreichen: Die ursprünglich für Windräder vorgesehenen 577 Hektar wurden auf 207 Hektar verkleinert, zwei Ortsteile aus der Regionalplanung herausgenommen.

„Und das vernichtet ihr für ein Windrad!“

„Wir haben jetzt nur noch die Chance, die Öffentlichkeit zu mobilisieren“, so der Sprecher von „Hände weg vom Liepnitzwald“, Hans-Jürgen Klemm, gegenüber Corrigenda. Der in Wandlitz lebende Rentner Klemm engagiert sich ehrenamtlich als Regionalrat in der Regionalversammlung Uckermark-Barnim, die den regionalen Raumordnungsplan beschließt, und er kennt das neue „Wind-an-Land-Gesetz“. Wegen der neuen Vorgaben des Bundes ist der im Juni 2022 beschlossene Entwurf des Regionalplans Makulatur und wird neu aufgestellt. Im Moment gilt gar kein Plan, erfuhr Corrigenda auch aus der Regionalen Planungsstelle in der Kreisstadt Eberswalde.

Doch für die Windkraftgegner scheint die Kuh noch lange nicht vom Eis, das Bangen geht weiter. „Naturschutz spielt“, so sieht Klemm die Lage, „nur noch eine untergeordnete Rolle, Menschenschutz genauso.“ Schon heute stünden pro Kopf „in Brandenburg die meisten Windräder“. Aber der 75-jährige zeigt sich kämpferisch: „Wir wollen, dass der Liepnitzwald als Erholungswald mit hochwertigem Charakter erhalten bleibt!“

Bei früheren Protesten hatten er und viele Bürger mal 1,5 Hektar im Wald abgesteckt, um plastisch zu machen, wieviel Wald gerodet wird: „Und das vernichtet ihr für ein Windrad!“

 

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Jürgen Hintze
Vor 1 Jahr 2 Monate

Vielen Dank -für Ihre ehrlichen und offenen Zeilen - Sie sind mehrere Schritte unserer örtlichen öffentlichen Presse voraus-die es leider vorzog nicht zu berichten - und das ist schade!!

Wir wünschen Ihnen weiterhin unbefangenen Erfolg für unsere Menschen und Leser!!

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Björn Heiland
Vor 9 Monate

Die 30.000 WKA decken ca. 3,1 % des Gesamt-Energieverbrauchs ab.
Um klimaneutral (bis 2045) zu sein, müßte ca. 20x soviele WKA gebaut sein, also weit über 0,5 Mio. Anlagen.
WAHNSINN!!!
Aber falls sich genug Leute angesichts der verschandelten Landschaft den Strick nehmen, kommt man natürlich mit weniger WKA aus...
Wenn die 30.000 WKA abgerissen würden, enstände ein CO2-Anstieg von ca. 4 %, knapp 30 Mio. t CO2. Das entspricht in etwa dem monatlichen Zuwachs der CO2-Emission in der VR China.

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Björn Heiland
Vor 9 Monate

Die 30.000 WKA decken ca. 3,1 % des Gesamt-Energieverbrauchs ab.
Um klimaneutral (bis 2045) zu sein, müßte ca. 20x soviele WKA gebaut sein, also weit über 0,5 Mio. Anlagen.
WAHNSINN!!!
Aber falls sich genug Leute angesichts der verschandelten Landschaft den Strick nehmen, kommt man natürlich mit weniger WKA aus...
Wenn die 30.000 WKA abgerissen würden, enstände ein CO2-Anstieg von ca. 4 %, knapp 30 Mio. t CO2. Das entspricht in etwa dem monatlichen Zuwachs der CO2-Emission in der VR China.

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Jürgen Hintze
Vor 1 Jahr 2 Monate

Vielen Dank -für Ihre ehrlichen und offenen Zeilen - Sie sind mehrere Schritte unserer örtlichen öffentlichen Presse voraus-die es leider vorzog nicht zu berichten - und das ist schade!!

Wir wünschen Ihnen weiterhin unbefangenen Erfolg für unsere Menschen und Leser!!