Zusammengehörigkeit. Eine deutsche Gefühlsambivalenz
Honeckers Kurzeiterbe als Partei- und Regierungschef, Egon Krenz, habe Günter Schabowski, „einfach diesen Zettel in die Hand gedrückt, so wie eine Frau ihrem Mann einen Einkaufszettel“, erinnerte sich Schabowskis Frau Irina gegenüber Bild vor zehn Jahren. Da lag der Fall der Mauer 25 Jahre zurück, heute feiern wir das 35. Jubiläum dieses historischen Ereignisses.
Günter Schabowski liest Krenz’ Zettel in der Pressekonferenz am Abend des 9. November 1989 vor, der über die neuen Regelungen der Reisen von DDR-Bürgern in das westliche Ausland informiert. Auf die Nachfrage eines Reporters, wann die Bestimmungen in Kraft treten würden, antwortet Schabowski: „Nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich“.
Die verkürzte Nachricht, dass die Grenzen zum Westen offen sind, verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Immer mehr Ostberliner gehen zum Grenzübergang Bornholmer Straße und überraschen die Grenzsoldaten, die nicht wissen, was sie tun sollen. Schließlich lassen sie die Menschen passieren.
Wohl kaum ein früherer DDR-Bürger erinnert sich nicht daran, was er gerade tat, als ihn diese Nachricht erreichte. Die meisten freuen sich, doch nicht alle. Die zwanzigjährige Sahra Wagenknecht würde später über diesen Tag sagen: „Dann kam die Maueröffnung. Ich erfuhr von ihr per Telefon: jemand rief mich freudetrunken an, die Grenze sei offen – ich war erledigt für den Rest des Tages. Spätestens ab da war mir eigentlich klar, dass nichts mehr zu retten ist, dass es die DDR nicht mehr geben würde. Der Herbst 1989 war, glaube ich, die schlimmste Zeit, die ich bisher erlebt hatte.“
Noch ist die Wiedervereinigung tabu
Die Züge nach Berlin sind bald schon überfüllt, DDR-Bürger beeilen sich, so schnell wie möglich Westberlin oder die Bundesrepublik zu besuchen; manche nutzen sogar die Chance, in den „Westen zu fliehen“, denn viele trauen den offenen Grenzen nicht, viele rechnen damit, dass die Grenzen wieder geschlossen werden könnten. Was Sahra Wagenknecht als schlimmste Zeit ihres Lebens empfindet, nehmen viele als Befreiung, als eine ungemein schöne Zeit, als Aufbruch wahr.
Doch noch ist das Thema Wiedervereinigung tabu, tabu in den politischen Parteien der Bundesrepublik ohnehin, auch in der CDU, aber auch für viele Bürgerrechtler und Intellektuelle in der DDR, die noch heftig von einer fortgesetzten Eigenstaatlichkeit der DDR träumen, von einem dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Aber im Grunde wissen sie, dass mit der Grenzöffnung, mit diesem 9. November, diesen Träumen die Geschäftsgrundlage entzogen worden ist.
Am 10. November soll eine Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg in Westberlin stattfinden, dort, wo John F. Kennedy 1963 auf Deutsch sagte: „Ich bin ein Berliner.“ Doch der Beginn muss immer wieder verschoben werden, weil Walter Momper von der SPD nicht seine Koalition mit der Alternativen Liste gefährden will. Die Alternativen beziehungsweise Grünen finden Vaterlandsliebe ohnehin schon immer „zum Kotzen“ und können mit Deutschland nichts anfangen.
Linke und Grüne schreien gegen Einigkeit, Recht, Freiheit
Deshalb findet die Kundgebung nicht schon am frühen Nachmittag, sondern erst in der Dunkelheit statt, weil man sich lange nicht auf eine Resolution einigen kann. Während der Kundgebung wird Helmut Kohl von der linksalternativen, grünen Szene ausgepfiffen, Willy Brandt bejubelt, und der Gesang der Nationalhymne geht in den Pfiffen der Linken und Grünen unter.
Vielleicht wird Willy Brandt auch bejubelt, weil er den Satz, der zum geflügelten Wort werden wird, auf dieser Kundgebung nicht äußert. Stunden vorher hatte ein Reporter vom SFB Brandt gefragt: „Sie standen oft hier – was geht in Ihnen vor?“ Brand darauf: „Sie haben recht: Ich habe hier oft gestanden, vor allen Dingen am 16. August 1961, kann ich mich erinnern, da haben wir unseren Zorn, unsere Ohnmacht hinausgeschrien. Jetzt sind wir in einer Situation, in der wieder zusammenwächst, was zusammengehört.“ Der O-Ton wurde von Rundfunkanstalten übernommen, von dpa. So wird Brandts Statement zum geflügelten Satz, weil er eine Stimmung trifft.
Doch vielleicht ist bewegender noch die Silvesternacht. In dieser Nacht von 1989 auf 1990 kann man Europa, kann man die kurze Dauer einer überwältigenden Freude und Ausgelassenheit am Brandenburger Tor erleben, das einst das Symbol für die Teilung Europas war, vermag man Friedrich Schillers „Ode an die Freude“ in ganzer Euphorie zu empfinden, buchstäblich, mit allen und in allen übertragenen Sinnen. Den Himmel über Berlin illuminieren Feuerwerkskörper, die in Gelb, in Rot, in Blau, in Orange, in einer Vielfalt von Farben und Farbtönen explodieren.
Die Augen der Menschen, die sich in dieser Nacht an der Berliner Mauer einfinden, auf das Bollwerk der Teilung klettern, von dort aus in den Osten und in den Westen weiterwandern, je nachdem, woher sie kamen, wohin sie wollen, leuchten sternenklar und sternenhell. Das Gefühl des Glücks, dass die Teilung Europas endet, erfüllt alle Herzen.
Wie eine unerlöste Geschichte
Wohl kaum eine Sprache der Welt, die man an diesem erinnerungswürdigen Jahreswechsel von 1989 auf 1990 am Brandenburger Tor nicht hört. Menschen, die einander nicht kennen und sich gleich wieder aus den Augen verlieren, stoßen miteinander mit Sektflaschen an, die sie bei sich tragen. Man wandelt auf einem dicken Teppich, gewoben aus Flaschen und Glasbruch, wie über äolische Wiesen. Alles scheint damals möglich zu sein, der Enthusiasmus breitet seine Schwingen aus und hat noch nicht mit der Schwerkraft der Wirklichkeit zu kämpfen.
So erleben viele Ostdeutsche den Herbst 1989 und das Jahr 1990. Dieses erhabene Gefühl, das aus der Tiefe kommt, legt sich wie ein Firnis auf unser Land, wirkt aber nicht in die Tiefe zurück, weil es das nicht kann.
Inzwischen ist der Lack ab. Zwischen Ost und West kriselt es, in Deutschland und in der Europäischen Union. Es ist kein Zufall, dass 35 Jahre nach dem Fall der Mauer die historischen Ereignisse wie eine unerlöste Geschichte, wie historische Wiedergänger in die Diskussion geraten, weil damals keine Debatte darüber stattgefunden hatte, welches gemeinsame Deutschland die Deutschen sich eigentlich wünschen.
Fünf Waggons an den BRD-Zug angekoppelt
Stattdessen hat man einfach fünf Waggons an den Zug Bundesrepublik angekoppelt. Man versuchte bundesrepublikanische Geschichte bruchlos fortzuschreiben. Die geisteswissenschaftliche Elite Ostdeutschlands wurde effizient ausgegrenzt, und es wurden Stellen auch für drittklassige Leute aus dem Westen geschaffen, die ihr Glück gar nicht so recht fassen konnten, noch einmal Chefredakteure, Professoren oder Minister zu werden.
Hinzuzufügen ist, dass auch fähige Fachleute aus dem Westen kamen, die in der Tat Beachtliches beim „Aufbau Ost“ geleistet haben. Doch nicht von ungefähr zeigt eine Reportage des Mitteldeutschen Rundfunks unter dem Titel „Wem gehört der Osten“, dass Ostdeutschland eben nicht den Ostdeutschen gehört. Für viele, ob sie nun gegen die SED-Herrschaft demonstrierten oder sich die großen Demos zu Hause im Fernseher ansahen, ob sie über Ungarn, über Prag oder später über die offene Grenze die DDR verließen, bedeutete das, von heute auf morgen umzudenken.
Fünfunddreißig Jahre später haben sie sich in der Tat ein neues Leben aufgebaut und sind in der Bundesrepublik angekommen, um festzustellen, dass nun die Bundesrepublik schwindet und droht zu verschwinden, ein Land in Auflösung wird.
Topos der „rechtsextremen“ Ostdeutschen
Gerade das Juste Milieu der alten Bundesrepublik, das sich in den Jahren nach 1968 herausbildete und dem die Toskana näher als Thüringen war, nahm es den Ostdeutschen übel, dass sie nicht mehr eine Welt ertragen wollten, die für viele Kaviarlinke als das bessere Deutschland galt, in dem man nur selbst nicht zu leben beabsichtigte, dessen Existenz aber für den eigenen Seelenhaushalt konstitutiv war.
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Der Grünenpolitiker Jürgen Trittin hatte 1993 in dem Buch „Gefahr aus der Mitte. Die Republik rutscht nach rechts“ die Wiedervereinigung als „Anschluss ohne Befragung der BRD-Bevölkerung“ bezeichnet.
Wie abgrundtief Trittins Hass auf die Ostdeutschen, die in einer friedlichen Revolution die Freiheit erkämpften, zu sein scheint, zeigt sich in einem Vergleich, den Trittin insinuiert, wenn er zuvor behauptet, der „Anschluss“ habe stattgefunden, weil „die Bevölkerung der ehemaligen DDR dies wollte“. Damit war der Topos der „rechtsextremen“ Ostdeutschen gefunden, denn den „Anschluss“ Österreichs an Deutschland hatten die Nazis ins Werk gesetzt.
Hadern mit der wiedervereinigten Nation
Der Grüne behauptete 1993 schon: „Die Bundesrepublik rutscht nach rechts.“ Nach rechts ist die Bundesrepublik indes nicht gerutscht, dafür unaufhaltsam nach links. Mit der deutschen Wiedervereinigung und Trittins Buch startet die Verschwörungstheorie vom Rechtsruck der Gesellschaft ihre Karriere.
Von Anfang an hadern die Grünen, Linken und Linksliberalen der alten Bundesrepublik mit der wiedervereinigten Nation, weshalb dieses neue Deutschland, bevor es wirklich zu existieren beginnt, in der EU aufgehen soll. So gesehen stellt sich die Frage, ob die Euphorie deutscher Eliten für die schnellstmögliche Vertiefung der Brüsseler EU aus dem Trauma der Wiedervereinigung resultiert?
Diese Frage wurde bis heute nicht beantwortet. Die ostdeutsche Erfahrung der Diktatur auf der einen Seite und das ostdeutsche Selbstbewusstsein, das aus der Tatsache resultiert, dass man die Freiheit und die Demokratie erkämpft und eine Diktatur in einer Revolution gestürzt hat, ging in die Identität des wiedervereinigten Deutschlands nicht ein. Diejenigen, die heute von der „wehrhaften Demokratie“ reden, erinnern viele Ostdeutsche an Ulbrichts und Honeckers Vorstellung von Demokratie, an den Nanny-Staat, der wieder auflebt, an den Verlust der Privatheit, weil der Staat in alles hineinregieren will.
Die Freiheit als das verbindende Element der Deutschen
1990 hätte eine Diskussion einsetzen müssen, welchen Gründungsmythos sich das neue, das wiedervereinigte Deutschland geben sollte. Patriotismus ist Liebe zum Vaterland, zu dessen Bedingtheiten das Grundgesetz zählt, zu dem aber Geschichte, Tradition und Kultur treten. Eine gelingende Einigung hätte einer gemeinsamen Basis für diesen Patriotismus bedurft.
Was aber wäre ein besserer, ein tauglicherer, ein haltbarerer und ein konsistenterer Gründungsmythos für das neue Deutschland gewesen als die Friedliche Revolution als Vollendung der demokratischen Revolution von 1848/49? Existiert denn ein schöneres Pathos der Freiheit, als Menschen, die unbewaffnet gegen eine bis an die Zähne bewaffnete Staatsmacht auf die Straße gingen mit den Rufen „Wir sind das Volk“ und „Keine Gewalt“? Sollte denn nicht die Freiheit das verbindende Element der Deutschen in Ost und West, in Süd und Nord sein? Hätte dieser Gründungsmythos nicht einen optimistischen, nach vorn gerichteten Blick ermöglicht?
Verdrängte Debatten von 1989/1990 kehren zurück
Und in Europa? Hat nicht auch die Europäische Union darauf verzichtet, sich neu zu begründen, anstatt ebenfalls ein paar Waggons mehr an den Zug zu koppeln? In dem Wort „Osterweiterung“ steckt das ganze Problem. Es ging dem Westen um eine Erweiterung des eigenen Macht-und Wirtschaftsbereiches, anscheinend nicht um mehr.
Hätte man nicht auch hier eine große Debatte über den Gründungsmythos des neuen Europas, das nicht mehr durch eine Mauer geteilt wurde, eröffnen müssen? Gib es denn eine erhabenere Erzählung als die von der Selbstbefreiung der Völker Mittel- und Osteuropas?
Die verdrängten Debatten von 1989/1990 kehren zurück. Wir täten gut daran, sie jetzt zu führen. Allzumal für Deutschland. Denn wieder geht es um die Freiheit und um die Demokratie.
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Was ist Freiheit? Sind wir wirklich frei? Leben wir nicht in einem Käfig? Dem Deutschen Volk wird vorgeschrieben, was es nicht will. Denken wir an das Aus von Verbrennerautos, dem Abschalten der Atomkraftwerke, dem Wärmedämmungsgesetz oder Pflicht zu einer sogenannten Wärmepumpe. Die Corona-Impfung wurde mit repressiven Maßnahmen durchgesetzt. Die Menschen wurden nahezu dazu genötigt. Die Folgen sind bekannt. Wird die Befreiung jetzt gelingen, da eine Neuwahl ansteht? Ich bezweifle das. Ohne das Gebet ist alles nichts. Ohne das Gebet ist der Mensch der Unfreiheit, dem Laster der Sünde verfallen und geknechtet. Ohne das Gebet kann nicht zusammenwachsen, was zusammen gehört. Das Gebet ist der Anfang aller Freiheit. Das fehlt. Der Mensch wird weiter in der Knechtschaft leben müssen.
Du liebe Güte - schon vergessen, wie viele blutige Gemetzel durch Religionen ausgelöst worden sind?
Hier geht es um Anerkennung für Menschen, die das Unglaubliche geschafft haben, sich ihre Freiheit unblutig zu erringen, gegen eine scheinbare Übermacht. Mächtige, ob religiös oder atheistisch-säkular,
neigen ohne eine aufgeklärte, wache Zivilgesellschaft, die sie einhegt, zu Machtmissbrauch.
Was ist Freiheit? Sind wir wirklich frei? Leben wir nicht in einem Käfig? Dem Deutschen Volk wird vorgeschrieben, was es nicht will. Denken wir an das Aus von Verbrennerautos, dem Abschalten der Atomkraftwerke, dem Wärmedämmungsgesetz oder Pflicht zu einer sogenannten Wärmepumpe. Die Corona-Impfung wurde mit repressiven Maßnahmen durchgesetzt. Die Menschen wurden nahezu dazu genötigt. Die Folgen sind bekannt. Wird die Befreiung jetzt gelingen, da eine Neuwahl ansteht? Ich bezweifle das. Ohne das Gebet ist alles nichts. Ohne das Gebet ist der Mensch der Unfreiheit, dem Laster der Sünde verfallen und geknechtet. Ohne das Gebet kann nicht zusammenwachsen, was zusammen gehört. Das Gebet ist der Anfang aller Freiheit. Das fehlt. Der Mensch wird weiter in der Knechtschaft leben müssen.
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