Verschwindet das Private, verschwindet Europa
Die alte Verachtung des Privaten hat in neuen Gewändern den Diskurs der Gesellschaft erobert. Doch die „Königs-Inquisition“ der „Cancel Culture“ macht aus dem Dialog der Gesellschaft den Monolog der Herrschenden. Auf dem Weg vom Ich zum Wir hat alles öffentlich zu werden, weil man nur so jeden zu zwingen vermag, sich in den Marsch in die jeweils aktuelle Zeitgeistobsession einzureihen.
Nicht länger wird Privates, auch Intimes, geduldet. Bürgerlichkeit, die die Trennung von privatem und öffentlichem Leben voraussetzt, jenem der Öffentlichkeit entzogenen Bereich, hat dem neuen Kollektiv, dem Aktivismus, dem #wirsindmehr, zu weichen.
Wer sich heute im öffentlichen Dienst weigert, einem Antirassismus-Workshop von NGO-Aktivisten beizuwohnen, läuft Gefahr, als potenzieller Rassist eingestuft zu werden. So macht Ideologie aus Bürgern Aktivisten, reduziert den Bürger auf den Menschen, das entrechtete Objekt der Sozialstaatsbetreuung, auf die Person, auf eine Chimära in der Inflation der immer neuen sexuellen Identitäten.
Aus Bürgern werden Aktivisten
Denn auch die sexuelle Veranlagung hat alle Privatheit verloren, sondern wurde zur Staatssache, zur öffentlichen Angelegenheit, über die bis hinauf zur Bundesregierung Diversitätskommissare öffentlich befinden, sie loben oder strafen. Schon wird ein „bundesweit einzigartiges System von Meldestellen“ eingerichtet, in dem nach dem Willen der von der CDU geführten Landesregierung von Nordrhein-Westfalen „insbesondere auch die Diskriminierungsvorfälle“ registriert werden, „die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen und deswegen nicht in den polizeilichen Statistiken erfasst werden“. Wer die DDR noch erlebt hat, verknüpft mit dem „einzigartigen System von Meldestellen“ höchst lebhafte Vorstellungen.
Die neue Öffentlichkeit bedeutet, dass jeder Mensch, jede Person sich bis in die allerprivatesten Lebensregungen hinein als modern, als fortschrittlich oder als progressiv, als linksliberal oder als grün, vor allem aber als Aktivist zu erweisen hat, der ständig über alles reden und Zeichen setzen will, weil er nur so seine Haltung allen zeigen und in seiner Fortschrittlichkeit sichtbar werden kann.
Alles muss ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, alles muss von allen und von jedem überprüft, benotet und beurteilt werden, damit auch jedem die richtige Haltung zum entsprechenden Thema vom Veganismus, über die „Klimarettung“ bis hin zum Stromverbrauch vorgeführt und eingebläut wird.
Nicht der privateste Bereich wird ausgespart
Abweichungen werden nicht geduldet. Leute, die das Klima retten wollen, sind allerdings nicht mehr zu retten vor der neuen säkularen Staatsreligion, dessen Kreuz der Waschlappen und dessen Kirche der Windpark ist.
Der Comedian Eckart von Hirschhausen, der so gern Wissenschaftsjournalist sein will, hatte in der Sendung „Hart aber fair“ gefordert, dass die Energierechnungen der Nachbarn zu veröffentlichen seien, um eine soziale Kontrolle über den Energieverbrauch in der Nachbarschaft zu errichten. Das dürfte dann zu einem Energieblockwartsystem führen. Oder man löst das Problem über Energie-IMs. Privatheit war gestern, Öffentlichkeit ist heute, wobei nicht die Öffentlichkeit der res publica gemeint ist, sondern die Öffentlichkeit als sich gegenseitig bedingendes System von Exhibitionismus und Voyeurismus, wo die Demokratie in die Pornokratie umschlägt.
Nicht der privateste Bereich wird ausgespart, nicht die Kindheit, nicht die Sexualität. Eine der großen Leistungen der bürgerlichen Gesellschaft, den geschützten Bereich der Kindheit geschaffen zu haben, wird außer Kraft gesetzt und Kinder der Früh- und Zwangssexualisierung von LGBTQ-Propagandisten ausgesetzt. Auch der Bereich der persönlichen Hygiene wird unter den Grünen zum öffentlichen Akt. Der Waschlappen ersetzt die Sonnenblume, weil die Sonnenblumen längst den Stromtrassen und Windparks gewichen sind. Wehmütig erinnert man sich der alten Weise: „Sag’ mir, wo die Blumen sind, / wo sind sie geblieben?“
Wenn Klima und Menstruation zusammenhängen
Der Heyne-Verlag brachte vor einiger Zeit Franka Freis „Manifest gegen das Menstruationstabu“ unter dem Titel „Periode ist politisch“ heraus. Und tatsächlich waren es auch männliche Leser, die unerbittlich forderten, man müsse über die Menstruation reden.
Doch nicht nur das: Auch Klima und Menstruation hängen angeblich miteinander zusammen, denn in beiden Bereichen gehe es um „Unterdrückung“, um „überkommene Weltbilder“, um „unterschwellige Rassismen“, um die „Ausbeutung von Menschen“.
Inzwischen wimmelt es nur so von Aktivisten, die ständig über alles reden müssen – und auch gern alle zwingen wollen, öffentlich darüber zu reden: Menstruationsaktivisten, Klimaaktivisten, es gibt inzwischen sogar „klebende Aktivisten“. Sie alle sind besonders eifrig dabei, Zeichen zu setzen, denn diese sollen uns dazu nötigen, ihre Haltung zu übernehmen.
Aktivistischer Journalismus treibt die Kollektivierung voran
Wenn Aktivisten verkünden, über etwas reden zu müssen, dann beabsichtigen sie nicht, eine Diskussion zu führen, sondern sie möchten uns zum Bekenntnis und zur Rechtfertigung treiben. Sie wollen darüber reden, warum wir noch nicht ihre Haltung eingenommen haben, was „mit uns nicht stimmt“. Der Rückzug ins Private wird als Eingeständnis irgendeiner Schuld gewertet – die im Notfall noch zu erfinden ist.
Dementsprechend ist der von den öffentlich-rechtlichen Medien betriebene aktivistische Journalismus nicht dazu da, zu informieren, sondern zu überzeugen. Es soll sichergestellt werden, dass die Menschen die richtige Haltung auch übernehmen und verinnerlichen, und zwar öffentlich verinnerlichen, indem sie aus ihrem Inneren kein Geheimnis machen. Sowohl die Medien als auch die Politik haben die Grundlagen der Aufklärung vergessen, die darin bestehen, mündig zu sein, sich der Leitung seines eigenen Verstandes anzuvertrauen, wie Kant es definierte, und wie Lessing dichtete: „Wohlan! Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach!“
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist es sinnvoll, praktische Fragen praktisch zu lösen, beispielsweise Mädchen und Frauen einen Tag im Monat schul- oder arbeitsfrei zu geben. Das sind weder weltanschauliche noch politische Themen. Wirklich im Zentrum aktivistischen Wollens steht auch nicht die Frage des Klimas oder der Menstruation.
Die Ideologie der Non-Binarität verhüllt nur die eigene Feigheit
Es sind Aktivisten und aktivistische Journalisten, die diese Themen in Ideologien verwandeln, die sie zu Bestandteilen von kleinen Weltanschauungen mit säkularreligiösem Charakter verarbeiten, die nicht rationale Überprüfung, sondern Glauben verlangen. Der im wahrsten Sinne des Wortes himmelweite Unterschied zur Religion besteht im Fehlen von Transzendenz. Die Erlösung hat innerweltlich zu erfolgen.
Wenn Aktivisten glauben, dass etwas so ist, dann ist es auch so. Wie ich mich fühle, so bin ich, lautet ihre Devise. Das Lebenselixier der Aktivisten ist die möglichst mit Steuergeldern finanzierte Kampagne. In der Kampagne und im Kollektiv, im #wirsindmehr, vergessen sie ihre Feigheit, ihre Unsicherheit und kompensieren beides mit Geltung.
In einen Aktivismus abzutauchen, bewahrt vor dem schwersten, nämlich sich mit sich selbst, mit seiner Begrenztheit an Fähigkeit und Lebenszeit auseinanderzusetzen. Der Ideologie der Non-Binarität etwa wohnen in Wahrheit Feigheit vor dem Anderen, die Angst vor persönlicher Auseinandersetzung und davor, Verantwortung für Kinder, Familie und auch das Vaterland zu übernehmen, inne.
Freiheit und Privatheit bedingen einander
Doch die von linken Aktivisten geforderte kollektive Verantwortung ist keine mehr. Verantwortung ist immer persönlich, weil es unsere persönliche Antwort auf eine Notwendigkeit, auf eine Aufgabe, auf eine Anforderung ist. Im #wirsindmehr, im Kollektiv existiert keine Verantwortung. Im Aufgehen in einer Sekte, im Gang vom Ich zum Wir, in der totalitären Forderung geht Gemeinnutz vor Eigennutz.
In der Forderung, die Kreativität der Wirtschaft dadurch zu zerstören, dass sich die Wirtschaft willkürlichen und ideologischen ethischen Normen zu unterwerfen habe, aus denen man Gemeinwohlkriterien für eine Gemeinwohlwirtschaft zu destillieren wünscht, steckt die Utopie, dass Wirtschaft ohne Wirtschaft geht, dass der Strom aus der Steckdose kommt und das Biobrot im Biosupermarkt wächst.
Am Anfang der europäischen Erfolgsgeschichte, von Wissenschaft und Technik, von Kunst und Kultur, steht die Entdeckung des Individuums. Mit ihm einher gehen Freiheit und Privatheit. Beides bedingt einander. Existiert keine Privatheit, gibt es auch keine Freiheit. Im Gegenteil, das Private ist die letzte Verteidigungslinie der Freiheit.
Europa wurde stark dank des Individuums
Deshalb richten totalitäre Diktaturen ihre Bemühungen darauf, die Privatheit zu brechen, alles öffentlich, als kontrollierbar, alles überwachbar, manipulierbar, bewertbar zu machen und jeden unter die von oben verordnete Norm zu jedem Zeitpunkt seines Lebens zu zwingen.
Sebastian Haffner hat die Atmosphäre in Deutschland beschrieben, als die Nationalsozialisten begannen, ihre Diktatur der totalen Öffentlichkeit durchzusetzen. Er notierte:
„Was es nicht mehr gab, war Lebensfreude, Liebenswürdigkeit, Harmlosigkeit, Wohlwollen, Verständnis, Gutwilligkeit, Großzügigkeit und Humor. Es gab auch kaum mehr gute Bücher, und sicher keine Leute mehr, die sich dafür interessierten. Die Luft in Deutschland war rapide stickig geworden“ („Geschichte eines Deutschen“, 1939).
Stickig und hysterisch. Diktatur beginnt mit Gewöhnung. Mit Gewöhnung an den Verlust von Freude, von Freiheit, an den Verlust von Großzügigkeit und Humor, mit dem Verlust von Privatheit. Die große Geschichte Europas beginnt mit der Trennung von Öffentlichem und Privatem.
Verantwortlicher Bürger, nicht Untertan
Diese Trennung setzt in der Frühen Neuzeit ein, mit der Verbürgerlichung der Familien, mit der Entdeckung des Individuums, das selbst sein Verhältnis zu Gott und zur Welt erklären muss. Es fußt auf drei Entwicklungen, die eng miteinander zusammenhängen: mit der Entdeckung der Freiheit eines Christenmenschen, mit Descartes’ Rationalismus, des Cogito ergo sum, und der Entdeckung der Wissenschaft durch Galileo Galilei und anderen.
Es entsteht ein bürgerliches Privatleben und eine bürgerliche Öffentlichkeit. Das Private ist nicht öffentlich. Der Mensch übernimmt Verantwortung für sich selbst, er lebt sein Leben in der Familie und tritt in der Öffentlichkeit immer stärker als Bürger und immer weniger als Untertan auf. Mit dem Ende der Privatheit endet auch die europäische Geschichte.
Ferienhalber lesen wir rückwärts und freuen uns, hier auf geschätzte Autoren von anderswo zu treffen, die uns helfen, unseren Zorn auf Prides und Queer-Gottesdienste nach dem Motto "Zeit, sich zu zeigen" irgendwie zu kanalisieren. https://www.evangelisch.de/blogs/kreuz-queer/216459/07-06-2023
Ja, was um aller Welt hat Hrn. Wüst geritten, die CDU zum Adepten der woken Grünen zu degradieren, und den Spitzeldienst a'la IM Anetta Kahane einzurichten, mit dem sie sogar bei der Böll-Stiftung auf Widerstand stieß? Und warum protestiert niemand? Wie Herr Thunes eben berichtet, liegen neun von 15 Städten mit den meisten Bürgergeld-Beziehern in NRW, also im Verantwortungsbereich von Hrn. Wüst. Die Erzählung, der Osten wähle blau, weil er abgehängt sei, ist also unzutreffend. Wer analysiert, inwieweit Wüsts Akzeptanz der hohen Abhängigkeit seiner Bürger vom Staat zu verdanken ist? Bleibt zu hoffen, dass Hr. Merz nicht soweit in Sack und Asche geht, dass MP Wüst auch noch zum Kanzlerkandidaten aufsteigt.
Zur Pandemie-Zeit sah man auf youtube einen Roboter-Hund leere chinesische Straßen überwachen. Braucht es hier gar nicht, das erledigt die ÖR-Journaille allein.
Ferienhalber lesen wir rückwärts und freuen uns, hier auf geschätzte Autoren von anderswo zu treffen, die uns helfen, unseren Zorn auf Prides und Queer-Gottesdienste nach dem Motto "Zeit, sich zu zeigen" irgendwie zu kanalisieren. https://www.evangelisch.de/blogs/kreuz-queer/216459/07-06-2023
Ja, was um aller Welt hat Hrn. Wüst geritten, die CDU zum Adepten der woken Grünen zu degradieren, und den Spitzeldienst a'la IM Anetta Kahane einzurichten, mit dem sie sogar bei der Böll-Stiftung auf Widerstand stieß? Und warum protestiert niemand? Wie Herr Thunes eben berichtet, liegen neun von 15 Städten mit den meisten Bürgergeld-Beziehern in NRW, also im Verantwortungsbereich von Hrn. Wüst. Die Erzählung, der Osten wähle blau, weil er abgehängt sei, ist also unzutreffend. Wer analysiert, inwieweit Wüsts Akzeptanz der hohen Abhängigkeit seiner Bürger vom Staat zu verdanken ist? Bleibt zu hoffen, dass Hr. Merz nicht soweit in Sack und Asche geht, dass MP Wüst auch noch zum Kanzlerkandidaten aufsteigt.
Zur Pandemie-Zeit sah man auf youtube einen Roboter-Hund leere chinesische Straßen überwachen. Braucht es hier gar nicht, das erledigt die ÖR-Journaille allein.