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Interview mit Nena Brockhaus

Frau Brockhaus, hat sich Ihr Blick auf das Leben verändert, seitdem Sie Mutter sind?

Einen Termin bei Nena Brockhaus zu erhalten, ist nicht einfach. Die Journalistin hat vor knapp neun Monaten ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Im Juni hat sie nach rund drei Jahren und mehr als 230 Ausgaben der Talkshow „Viertel nach Acht“ BILD verlassen. Gerade arbeitet sie an einer neuen Politik-Show für einen anderen Sender, pendelt zwischen Düsseldorf und Berlin. Und als wäre das nicht genug, recherchiert sie gerade für ihr fünftes Buch. Wer hartnäckig dranbleibt, schafft es dann doch noch, mit der gutgelaunten Powerfrau zu sprechen. Zäh, das verrät sie in dem Interview, musste sie auch für das Interview-Buch „Alte weise Männer“ sein, das sie zusammen mit der WELT-Journalistin Franca Lehfeldt veröffentlicht hat. In dem Gespräch verrät Brockhaus auch, wie die Mutterschaft ihr Leben verändert hat, warum sie alte Männer der Soja-Latte-Generation vorzieht und warum sie am liebsten mit Ex-Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Uroma zu Abend essen möchte.

Frau Brockhaus, würden Sie jetzt lieber mit einem alten weißen Mann hier sitzen?

Das kommt darauf an, wie weise Sie in dem Interview sein werden.

Sie haben mit Ihrer Kollegin Franca Lehfeldt ein Buch über „alte weise Männer“ geschrieben. Der Name ist angelehnt an den „alten weißen Mann“. Wann fällt ein alter weißer Mann in die Kategorie alter weiser Mann?

Ein alter Mann ist nach unserer Definition zunächst einmal über 70. In Abgrenzung zum Kampfbegriff „alter weißer Mann“, der von den überhitzten Feministinnen unabhängig vom Alter verwendet wird. Auch ein Philipp Amthor (CDU-Politiker, Jahrgang 1992, Anm.) kann deren Theorie zur Folge ein alter weißer Mann sein. Unserer Definition nach muss man auch zwingend männlich sein. Das Konzept „alter weißer Mann“ wäre schließlich kein paradoxes Wunderwerk der Identitätspolitik, wenn es nicht auch das andere Geschlecht mit einschließen würde. Es ist irre, dass jeder und jede ein alter, weißer Mann sein kann, solange diese Menschen das vermeintlich falsche Weltbild vertreten. Weise ist ein Mann, wenn er eine außergewöhnliche Lebensleistung vollbracht hat. Dazu gehört auch der Umgang mit anderen Menschen. Heiner Lauterbach habe ich beispielsweise interviewt, weil mir zahlreiche Maskenbildner erzählt haben, wie großartig er stets mit den Mitarbeitern am Set umgeht. Jeden gleich zu behandeln ist weise!

Ist es ein Buch über eine aussterbende Spezies?

Ja. Wenn ich mich in unserer Gesellschaft umblicke, dann sind Tugenden wie Disziplin, Leistungsfähigkeit und Opferbereitschaft auf dem Rückzug. Außerdem: Es will keiner ein alter, weißer Mann mehr sein, weil es so ein Kampfbegriff geworden ist. Man hört und liest es ständig: „Typisch alter, weißer Mann.“ Es mangelt uns in der Gesellschaft an Respekt vor Lebensleistung. Wir wollen mit unserem Buch das Alter und die Weisheit feiern. Alte, weiße Frau ist ja glücklicherweise kein Feindbild und gerade jetzt: Nach einer weltweiten Pandemie, dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und der Energiekrise brauchen wir dringend einen Ältestenrat, der sein Wissen und seine Erfahrungen weitergibt.

Warum haben Sie ausgerechnet alte weiße Männer ausgesucht? Sie hätten ja auch ein Buch über junge Talente mit Migrationshintergrund schreiben können. Dann wäre Ihr Buch noch mehr gefeiert worden.

Wir sind für „Alte weise Männer“ ja nicht gefeiert, sondern vor allem niedergeschrieben worden. „Liebesbriefe an Platzhirsche“ lauteten die Überschriften. Es kam auch oft die Frage, die Sie hier anklingen lassen: „Warum bietet man denen eine Bühne? Die haben doch schon eine Bühne, die reden doch eh genug. Frag doch lieber junge Migranten!“

Was erwidern Sie darauf?

Dass die Lebensweisheiten eines 30-Jährigen langweilen. Weisheit kommt von Erfahrung. Und, dass Männer wie Mario Adorf es bestimmt nicht nötig hatten, dass wir Ihnen eine Bühne geben. Allein für das Adorf-Interview habe ich wochenlang gekämpft, seine Absage nicht akzeptiert und mir seine private Handynummer besorgt. Es ist eine Ehre, dass ich Mario Adorf, Thomas Strüngmann, Heiner Lauterbach, Herbert Reul und Edmund Stoiber interviewen durfte. Die Männer haben mir eine Bühne geboten, nicht andersherum.

„Es gibt keinen faireren Wettkampf als den mit Leistung“

Wieso möchten Sie ausrechnet in jener Zeit leben, aus der Ihre Interviewpartner stammen? Viele Ihrer Geschlechtsgenossinnen behaupten ja, Frauen sei es damals wesentlich schlechter ergangen als heute.

Ich frage mich schon seit längerem, wie aus Sex and Drugs and Rock and Roll Soja-Latte, Helene Fischer und Gendern werden konnte. Das bringt es, glaube ich, ganz gut auf den Punkt, warum ich lieber in der damaligen Zeit leben würde.

Ist das Werk eine Absage an den Feminismus?

Nein, ich bin wahnsinnig dankbar, was Feministinnen erreicht haben. Ich wurde von meiner Uroma mit großgezogen. Als sie 1923 geboren wurde, hatten Frauen in Deutschland gerade einmal fünf Jahre das Wahlrecht. Ich weiß sehr genau, was Frauenrechte sind. Bereits im Alter von 16 Jahren habe ich alle Werke von Alice Schwarzer verschlungen. Mein Freundeskreis hat meine feministischen Themen oft belächelt. 2018 habe ich – vor dem rosa Feminismus-Hype – mein Videoformat „Nena trifft Deutschlands Businessfrauen“ bei der Verlagsgruppe Handelsblatt moderiert, wo ich verschiedene Frauen interviewte, weil wir mehr weibliche Vorbilder brauchen. Aber die Gleichberechtigung erreichen wir nicht gegen-, sondern ausschließlich miteinander. Den amtierenden Female-Only-Trend lehne ich beispielsweise rigoros ab. Reine Herren-Netzwerke sind genauso falsch wie reine Damen-Netzwerke. Es geht nur gemeinsam!

Würden Sie sich selbst als Feministin bezeichnen?

Ja, Feminismus bedeutet in der ursprünglichen Form die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Dafür bin ich, und es gibt noch viel zu tun. Stichwort: Gender-Pay-Gap, Frauen in Führungspositionen oder auch das Gender-Pension-Gap. Die Alterseinkünfte von Frauen sind heute noch durchschnittlich knapp ein Drittel niedriger als die von Männern. Feminismus ist für mich auch, andere Frauen zu stärken. Dafür richte ich jährlich, gemeinsam mit meinen Freundinnen Vivien Wulf und Franca Lehfeldt, den „Women on Top“ aus, wo wir einmal jährlich eine leistungsstarke Studentin auszeichnen, der wir mit unseren Partnern den kompletten Studienkredit bis zu 30.000 Euro zurückzahlen. Die anfallenden Steuern werden zusätzlich übernommen. Bei „Women on Top“ sind immer zu gleichen Teilen Frauen und Männer anwesend. Der Dialog ist uns wichtig, und spätestens, wenn man Kinder hat, merkt man: Es geht nur zusammen.

Vorschau Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus
Die Autorinnen Franca Lehfeldt und Nena Brockhaus: „Jeden gleich zu behandeln ist weise“

Einer der für Sie wichtigsten Werte oder Kriterien ist die Leistung. Warum ist Ihnen Leistung so wichtig?

Weil es keinen faireren Wettkampf gibt als den mit Leistung. Wenn wir nur nach Leistung bewerten, ist es egal, welchen Hintergrund du hast, es ist egal, aus welchem Elternhaus du kommst, es ist egal, ob du Migrant bist oder nicht. Wenn es um Leistung geht, geht es nicht darum, wer man ist, wie man aussieht oder wo man herkommt. Leistung ist der fairste Wettbewerb, den es gibt.

Sie hatten bei der Recherche für das Buch und bei Ihrer Sendung „Viertel nach Acht“ mit vielen erfolgreichen, alten weißen Männern zu tun. Wie wichtig ist diesen Menschen die Familie?

Ich möchte zurück in eine Welt der Individualisten und nicht der Generalisten. Ich kann nicht sagen, wie das bei alten weißen Männern ist, obwohl ich viele getroffen habe. Wir sind doch alle Individuen. Edmund Stoiber hat das anders gelebt als beispielsweise Heiner Bremer. Bremer hat die zwei Kinder seiner Frau angenommen und adoptiert und auf eigene verzichtet. Das sind völlig unterschiedliche Leben. Ich finde, wir sollten aufhören, alle über einen Kamm zu scheren, wenn man „Alte weise Männer“ liest, merkt man, es kommt nicht auf Merkmale wie Alter an, sondern auf die innere Haltung. Was Heiner Bremer getan hat, würde doch jede Feministin feiern, oder nicht?

Stoiber hat mehrfach auf einen beruflichen Sprung wegen der Familie verzichtet. Ist das nicht auch eine Leistung?

Ja, und das ist auch kein Widerspruch. Inwiefern sollte den Bundespräsidentenjob abzulehnen und lieber weiter Politik in Bayern zu machen gegen das Leistungsprinzip sprechen? Dasselbe gilt, wenn die Kinder klein sind. Ich sehe das gerade bei meinem Sohn, der knapp neun Monate alt ist. Kleine Kinder machen mehr Arbeit als große Kinder. Es widerspricht auch nicht dem Leistungsprinzip zu sagen: Im ersten Jahr trete ich kürzer, um dem Kind Zeit zu geben, und danach geht man wieder mehr aufs Gaspedal. Edmund Stoiber ist im Übrigen das personifizierte Leistungsprinzip. Er stammt nicht aus einer wohlhabenden Familie, hat sich alles selbst erkämpft. Der Klassismus ist ein Thema, über das wir gesellschaftlich viel mehr sprechen müssen.

Sie sind auch beruflich kürzergetreten. War das eine bewusste Entscheidung oder doch eher Zwang?

In meinem Fall war es Zwang. Ab sechs Wochen vor der Geburt darf man nicht mehr arbeiten, das heißt, man wird einfach rausgenommen. Für mich gehört das System reformiert – hin zu mehr Individualismus. Mir ging es hervorragend, und eine Sendung wie „Viertel nach Acht“ zu moderieren, kann man auch noch im neunten Monat. Schwangerschaft ist keine Krankheit. Ich hätte gerne bis zwei Wochen vor der Geburt moderiert. Auch seitens meiner Ärztin hat nichts dagegengesprochen, aber gesetzlich war es nicht erlaubt. Siebzehn Tage nach der Geburt von Baby Brockhaus flog ich für ein Fotoshooting für die Cosmopolitan nach Berlin, aber „Viertel nach Acht“ durfte ich erst acht Wochen nach der Geburt wieder moderieren. Das halte ich für falsch. Nicht falsch verstehen: Der gesetzliche Mutterschutz ist ganz wichtig und eine große Errungenschaft. Aber ich bin der festen Überzeugung: Wenn eine Frau früher arbeiten will, dann muss sie schneller zurückkehren dürfen. Und wenn eine Frau harte körperliche Arbeit verrichtet, sollte der Mutterschutz für sie länger gelten. Lasst uns mehr auf die individuelle Lage der Frauen schauen, anstatt starre Regeln zu befolgen.

„Ich habe vorher null Prozent Demut besessen, jetzt besitze ich zehn Prozent“

Hat sich Ihr Blick auf Ihren Beruf oder vielleicht sogar auf das ganze Leben verändert, seitdem Sie Mutter sind?

Ich würde sagen, dass ich demütiger geworden bin. Vor der Gesundheit und dem Leben. Es ist so: Selbst wenn man beruflich weg ist, bleibt ein Teil des Herzens beim Kind. Ich habe nie gedacht, dass man jemanden so sehr vermissen kann, wie ich unseren Sohn vermisse.

Wie heißt Ihr Sohn?

Das sage ich öffentlich nicht. Deswegen verwende ich stets den Spitznamen „Baby Brockhaus“ und werde auch niemals sein Gesicht zeigen. Seitdem ich ihn habe, kann ich noch weniger verstehen, wie man sein Kind in den sozialen Medien zur Schau stellen kann.

Was hat sich durch Ihren Sohn verändert?

Wie gesagt: Man wird demütiger vor dem Leben. Ich habe vorher null Prozent Demut besessen, jetzt besitze ich zehn Prozent Demut. Das steigert sich bei mir wahrscheinlich jetzt pro Lebensjahr von ihm.

Welche Werte möchten Sie Ihrem Sohn unbedingt weitergeben?

Leidenschaft, Lebendigkeit und Leistung.

Sie schreiben in Ihrem Buch, das Scheitern einer Ehe ist am Ende auch ein Versagen. Heute werden rund 40 Prozent der Ehen geschiedenen. Wie wichtig ist Ihnen der Wert der Ehe?

Sehr wichtig! Ich bin seit vergangenem Jahr verheiratet, aber mit meinem Mann zusammen, seit ich 18 Jahre alt bin. Ich war schon mit 14 nie die, die sich möglichst viele Freunde gewünscht hat. Ich habe eine sehr romantische Seite, mein Guilty Pleasure sozusagen: Ich schaue Rosamunde Pilcher und ich verschlinge Liebesromane. Ich schaue sehr regelmäßig „Herzkino“ in der ZDF-Mediathek. Für mich war sehr früh klar, dass ich eine beständige Beziehung haben will. Ich bin aber gleichzeitig Scheidungskind, und auch wenn meine Eltern es sehr gut hinbekommen haben, bin ich trotzdem der Meinung, gerade wenn Kinder im Spiel sind: Wenn man eine Ehe aufgibt, ist es ein Versagen.

Sie haben den Namen Ihres Mannes angenommen. Frauen, die sich selbst als unabhängig und stark bezeichnen, tun das ja oft nicht. Häufig sieht man dann Doppelnamen. Wieso haben Sie den Familiennamen Ihres Mannes angenommen?

Ich sehe meinen Mann und mich als Team. Für mich ist ein gemeinsamer Familienname nicht verhandelbar. Es ist ein einzigartiges Gefühl, denselben Namen zu tragen, und ich würde niemals anders heißen wollen als mein Sohn. Was die Wahl des Familiennamens angeht, da bin ich sehr pragmatisch: Der bessere, wohlklingendere Familienname gewinnt. Bei Caspar und mir galt es zwischen Brockhaus und Schink zu entscheiden. Da hat Brockhaus gewonnen. Eine meiner liebsten Freundinnen, die Schauspielerin Vivien Wulf, hat vor kurzem ihren Alexander Dercho geheiratet, der wiederum ihren Namen angenommen hat. Jetzt heißen beide Wulf.

Zur Person Nena Brockhaus

Nena Brockhaus, Jahrgang 1992, ist Fernsehmoderatorin, Wirtschaftsjournalistin, politische Kommentatorin, Kolumnistin und vierfache Spiegel-Bestsellerautorin („Unfollow", „Pretty Happy“, „Ich bin nicht grün. Ein Plädoyer für die Freiheit“ sowie „Alte weise Männer“). Der Literat Michel Abdollahi beschrieb Brockhaus in seinem Stern-Podcast „Heute wichtig“ als „Gegenstück zu Luisa Neubauer und Sophie Passmann“. Von August 2021 bis Juni 2023 moderierte Brockhaus für BILD die Polit-Talkshow „Viertel nach Acht“. Vorher moderierte die studierte Politikwissenschaftlerin für die Verlagsgruppe Handelsblatt das Online-Format „Nena trifft Deutschlands Businessfrauen“. Im September 2021 gründete Brockhaus die journalistisch kuratierte Veranstaltungsreihe „Women on Top“. Im Dezember 2022 gründete sie ihre Produktionsfirma Blonde Productions. Brockhaus lebt in Düsseldorf und Berlin. Sie ist seit 2022 verheiratet mit Caspar Brockhaus, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn großzieht.

Kommen wir zur Politik: Reul und Stoiber haben sich in den Interviews als Verfechter der Frauenquote geoutet. Sie sind bekanntlich dagegen. Wie enttäuscht waren Sie, als Sie herausgefunden haben, dass Ihre Idole für die Frauenquote sind?

Gar nicht. Ich würde Edmund Stoiber und Herbert Reul auch nicht als meine Idole bezeichnen. Da gibt es andere. Ich habe in dem Buch Menschen interviewt, die ich nicht kannte und bei denen ich wusste, dieses Interview bringt mich und den Leser weiter. Was die Frauenquote betrifft: Herbert Reul (71) ist dafür, ich (31) dagegen. Das beweist, dass die Geisteshaltung nicht immer etwas mit dem Alter und äußerlichen Merkmalen zu tun hat. Die Frauenquote ist für mich auch kein emotionales Thema, sondern ein sachliches. Ich finde, es gibt Argumente für die Quote, aber die besseren Argumente sind gegen die Quote und deswegen bin ich dagegen.

Nach dem Gespräch mit Stoiber sagten Sie, Sie möchten jetzt zwei Dinge: Kinder und in die Politik. Mutter sind Sie inzwischen. Wann folgt der Schritt in die Politik, und welche Partei würde Ihnen zusagen?

Ich habe geschrieben, dass ich nach dem Gespräch mit Stoiber das brennende Verlangen nach Familie und Politik empfinde, und in meinem Fall beschäftige ich mich als Journalistin, Moderatorin und Autorin ja fortwährend mit der Politik. Den Beruf der Politikerin kann ich mir Stand jetzt nicht vorstellen, es gäbe auch keine Partei für mich. Ich bin weder FDP, noch CDU, noch SPD, noch Grüne, ich bin gar keine dieser Parteien. Ich beschreibe mich selbst immer als Neocon, das ist aber eine amerikanische Richtung, das ist in Deutschland am ehesten Schwarz-Gelb, das ist Irving Kristol ...

… US-amerikanischer Soziologe und einer der Mitbegründer des Neokonservativismus …

… genau. Den Neokonservativismus gibt es in Deutschland nicht. Ich kann mich mit keiner Partei identifizieren. Stand jetzt weiß ich nicht einmal, welche Partei ich bei der nächsten Bundestagswahl wählen werde. Bislang überzeugt mich keine.

Ihre Äußerungen über Individualismus und Leistung würden gut zur FDP passen.

Die Liberalen haben in der Corona-Pandemie unfassbar enttäuscht. Ich habe in dieser Zeit einen starken Guido Westerwelle in den Reihen der FDP vermisst. Klar, einige sind für unsere Grundrechte eingetreten, aber ein großer Teil der FDP hat gar mit der allgemeinen Impfpflicht geliebäugelt – beziehungsweise diese, wie ich vermute, aus taktischen Gründen nicht öffentlich ausgeschlossen. Doch wenn man in dem furchtbaren 2G-Winter nicht das Gefühl hatte, vehement und mit aller Härte für die Freiheit eintreten zu müssen, ja wann denn dann? Für mich hat die FDP in den vergangenen Jahren massiv an Glaubwürdigkeit verloren.

„Merkel wäre eine großartige Außenministerin gewesen“

Was läuft denn außer in der Parteipolitik sonst noch schlecht in Deutschland für Sie?

Wir sind müde und faul, das hat sich vor allem in der Corona-Pandemie leider manifestiert. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass man wenig macht, dass man wenig Gas geben muss, um durchzukommen. Doch es ist ein großartiges Gefühl zu brennen, und das fand ich bei allen alten weisen Männern, die ich interviewt habe, inspirierend: das Brennen! Bei zu vielen ist heutzutage Chillen angesagt. „Ich will chillen, Homeoffice, chillen!“ Dieses Mindset tut den Menschen psychisch nicht gut. Wenn du nur im Homeoffice bist, vereinsamst du, und du merkst es irgendwann gar nicht mehr. Menschen sind Rudeltiere. Wir brauchen den Austausch mit anderen Menschen.

Was läuft denn gut? Wofür brennt Deutschland?

Wir sind das Land der Hidden Champions. Im Jahr 2020 wies Deutschland mit annähernd 1.600 fast die Hälfte der weltweit circa 3.400 Hidden Champions auf. Das muss man sich mal vorstellen! Ich bin mir sicher: Deutschland kann wieder Spitzenreiter werden!

Heiner Lauterbach sagte, im Alter wird man klüger. Würden Sie das nach den vergangenen 17, 18 Jahren Politik auch sagen?

Sie spielen auf die frühere Kanzlerin Angela Merkel an. Doch ich bin keine absolute Merkel-Gegnerin, wie so viele es sind. Ich finde, sie hat Deutschland die „German Angst“ genommen. Sie hat Deutschland zu einem Land gemacht, das in der Welt sehr geehrt wird, das ankommt, das als großartig empfunden wird. Wer hatte vorher Bock auf Deutschland? Merkel hat nicht nur die Herzen der Amerikaner, sondern auch die vieler anderer Nationen im Sturm erobert, und ich glaube, rückblickend, sie wäre eine großartige Außenministerin gewesen.

Eine Frage, die Sie in einigen Interviews gestellt haben, lautete: Was bedeutet Heimat für Sie?

Heimat ist für mich keine Stadt und kein Ort. Ich liebe Düsseldorf und empfinde viel für diese Stadt. Mein erstes Date, mein erster Kuss, mein erster Clubbesuch, Nächte mit meinen Freunden bis zum Morgengrauen, der Ort meiner Verlobung, meiner Hochzeit – all das ist Düsseldorf für mich. Mit Berlin verbinde ich mittlerweile eine große Hassliebe. Wenn ich zu lange nicht in Berlin bin, vermisse ich die Lebendigkeit, das Vibrierende. Wenn ich zu lange da bin, hasse ich es, aber ich schweife ab. Sie hatten nach meiner Heimat gefragt: Heimat ist für mich mein Vater. Er ist der Fels. Meine Mutter die Brandung. Man braucht beides im Leben. Ich könnte mit meinem Papi auch in New York sein und wäre heimisch. Er ist meine Heimat.

Wenn Sie einen beliebigen Menschen zum Abendessen einladen könnten, welcher wäre das?

Tot oder lebendig?

Wir machen beides.

Tot: Meine Uroma. Sie ist gestorben, als ich 23 Jahre alt war. Ich bin jetzt selbst Mutter und acht Jahre älter. Ich würde gerne mit ihr über meine Erfahrungen der vergangenen Jahre sprechen. Ich vermisse sie bis heute. Und lebendig: Angela Merkel. Ein Gespräch mit ihr über die aktuellen Strömungen des Feminismus wäre wertvoll. Was ich an ihr bewundere: Sie war Feministin wider Willen. Sie hat nie die Frauenkarte gezogen, sich nie mit einer Ideologie gemein gemacht, und gleichzeitig mit ihrer Kanzlerschaft Frauen ein Grundverständnis gegeben, wie es keiner der überhitzten Feministinnen jemals gelingen wird. Von ihren Wegbegleitern höre ich auch oft, dass sie einen wahnsinnig guten Humor haben soll. Ich würde mit beiden gleichzeitig essen gehen. Am besten im Osten, dem Geburtsort meiner Uroma und Angela Merkel. Jahrgang 1923, Jahrgang 1954 und Jahrgang 1992 zusammen – das wäre doch was!

Wie geht es mit Ihnen nun beruflich weiter?

Ich habe im Juni bei BILD gekündigt. Die Polit-Talkshow „Viertel nach Acht“ zu moderieren war zwei Jahre lang mein Leben. Insbesondere in der Corona-Pandemie war es ein exorbitant wichtiges Format. Wir waren beispielsweise die Ersten, die massenwirksam über Impfnebenwirkungen berichtet haben. Auch kamen Kritiker der Corona-Maßnahmen bei uns zu Wort, denen nirgendwo sonst zugehört wurde. Zeitweise war „Viertel nach Acht“ meine Droge. Ich habe für die Sendung gelebt, 60 Stunden die Woche gearbeitet, Urlaube abgesagt, Junggesellenabschiede meiner Freundinnen verpasst. Ohne Bedauern. Es war alles gut, aber es war jetzt auch genau der richtige Zeitpunkt, BILD zu verlassen und weiterzuziehen. Seit einiger Zeit befinde ich mich in intensiven Gesprächen mit einem anderen Sender und plane aktuell mein fünftes Buch. Da es sehr rechercheintensiv ist, wird es nicht vor 2025 erscheinen. Meine letzten vier Bücher waren allesamt Spiegel-Bestseller. Mein Ziel für das fünfte ist Platz 1 der Liste!

Was ist das für ein Format und in welchem Sender wird es erscheinen?

Ich bleibe der politischen Debatte treu, aber ich brauchte einen klaren Schnitt, um mich weiterzuentwickeln. Ich möchte auch in Zukunft nicht „nur“ moderieren, sondern zusätzlich produzieren. Ich kann nur jedem raten, der noch große Träume hat, ruhig den Bruch zu wagen und zu sagen: Das war eine irre gute Zeit, aber das war es jetzt. Fleiß und Leidenschaft zahlen sich am Ende immer aus. Glück wird aus Mut gemacht. Daran glaube ich ganz fest.

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Kommentare

Comment

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Kommentar
11
Veritas
Vor 7 Monate 2 Wochen

Nena Brockhaus ist eine außergewöhnliche Frau. Das sage ich mit der Ergänzung, nicht alle ihre Werte zu teilen. Mit ihrer Kritik an der jungen Generation gebe ich ihr aber mehr als Recht. Möge sie in ihrer Ehe und ihrer Mutterschaft noch weiter wachsen.

3
Kausalitä
Vor 7 Monate 2 Wochen

Ich bin der Meinung dass sich diese Frau sehr überschätzt und die Ansichten sind leider von anno Tobak.

8
Mark Aurel
Vor 7 Monate 2 Wochen

"Die Ansichten sind leider von anno Tobak."

Ha, und ich finde sie genau deswegen so toll. ;)

0
Julia
Vor 7 Monate

Nena Brockhaus sollte Kanzlerin werden

0
Anna
Vor 7 Monate 1 Woche

Selten gibt es Interviews, in die man bei jeder Antwort mit "Wat'n Blödsinn" reingrätschen möchte.

Es gibt z.B. für die Mutterschutzfrist VOR der Geburt die Besonderheit, dass Frau so lange arbeiten darf, wie sie möchte. Die Aussage "6 Wochen davor MUSS man in Mutterschutz" ist definitiv falsch.

"Viertel nach Mumpitz" ist von Springer wegen der sehr geringen Reichweite eingestampft worden. Und "alte weiße Männer" ist ein Symptom und zeigt die Geisteshaltung von Männern jeglichen Alters und Frauen aller Haarfarben.

3
Amira C.
Vor 7 Monate 1 Woche

Immer wieder aufs Neue begeistert mich Nena Brockhaus! Für mich ist sie eine imponierende, durch Fakten überzeugende Journalistin. Nicht immer einer Meinung, aber sie hasst nicht, sondern diskutiert und widerlegt einiges! Inspiration pur …

1
Pablito
Vor 7 Monate 1 Woche

Vernunft ist ein hohes Gut. Glauben ist essenziell. Wer nicht glaubt, kann vernünftige Entscheidungen treffen und doch verlorengehen.

3
Kausalitä
Vor 7 Monate 2 Wochen

Ich bin der Meinung dass sich diese Frau sehr überschätzt und die Ansichten sind leider von anno Tobak.

8
Mark Aurel
Vor 7 Monate 2 Wochen

"Die Ansichten sind leider von anno Tobak."

Ha, und ich finde sie genau deswegen so toll. ;)

11
Veritas
Vor 7 Monate 2 Wochen

Nena Brockhaus ist eine außergewöhnliche Frau. Das sage ich mit der Ergänzung, nicht alle ihre Werte zu teilen. Mit ihrer Kritik an der jungen Generation gebe ich ihr aber mehr als Recht. Möge sie in ihrer Ehe und ihrer Mutterschaft noch weiter wachsen.