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TV-Kritik „Viertel nach acht“

Wenn Streber und Bad Boys aufeinandertreffen

Beim 45. Klassentreffen des jesuitischen Internats begegnen sich vier ehemalige Klassenkollegen: der Streber, der Optimist und die zwei Bad Boys. Dabei entbrennt eine lebhafte Diskussion vor Kameras über Themen, die die vier angejahrten Herren gleichermaßen beschäftigt.

„Politiker müssen geradestehen für das, was sie machen und was sie beschließen. Jeder Politiker müsste seine Kinder in Brennpunktschulen schicken. Was meinen Sie, wie schnell wir die Migration gelöst hätten? Politiker müssten ein Windrad direkt vor ihre Wohnung gestellt bekommen“, fordert Ex-ZDF-Moderator Peter Hahne ganz in Bad-Boy-Manier am Mittwochabend in der Bild-Talkshow „Viertel nach acht“. Es geht um den Aufreger, dass die Diäten für Bundestagsabgeordnete ab Juli um 350 Euro auf 10.674 Euro im Monat steigen. Dann mäßigt Hahne seine Meinung doch: Er findet es gut, wenn Politiker ordentlich bezahlt werden, spricht sich aber dafür aus, den Bundestag zu halbieren.

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Welt-Kolumnist Henryk M. Broder schließt sich in seiner typisch ironischen Art an. „Es ist ein Selbstbedienungsladen“, kritisiert Broder den Bundestag und den Parteienapparat. Er spricht sich gegen die Gehaltserhöhung aus. Broder schlägt vor, den Neubau des Bundeskanzleramts umzuwidmen und daraus ein Flüchtlingsquartier zu machen. „Sehr gut“, kommentiert Hahne.

„Die EU finanziert sich aus der Druckerpresse“

Der ehemalige Ifo-Institut-Präsident Hans-Werner Sinn wird seiner Bezeichnung als Volksökonom gerecht. Sachlich und verständlich erklärt er, warum die Erhöhung der Diäten gerecht sei. Die Diäten im privaten Sektor stiegen ja auch um vier Prozent an bei gleichzeitig acht Prozent Inflation, was hieße, dass sie real um vier Prozent heruntergingen. Wie die Bürger, so hätten auch die Abgeordneten keinen vollen Inflationsausgleich. Die Anpassung der Gehälter sei indexiert mit der allgemeinen Gehaltsentwicklung. Das Thema, ob Politiker generell ein zu hohes Gehalt bekämen, sei ein völlig anderes. Später wird Sinn den Zuschauern auch noch einen Crashkurs in Sachen Inflation und Euro-Krise geben.

Ohne Umschweife betont Sinn: „Die EU finanziert sich aus der Druckerpresse“ anstatt aus Eigenmitteln. Man möchte Staatsverschuldung abbauen, indem man Schuldpapiere an Banken verkauft. Die Lösung, die Sinn vorschlägt: Eine Reformation des Euro-Systems. Dafür fordert er ein Viertel des Stimmrechts für Deutschland innerhalb der EU, berechnet nach der Größe der Haftung. Deutschland habe außerdem eine „größere Präferenz für Stabilität“, ergänzt der Volkswirt.

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Hier schließt sich Broder an. Der Sinn fürs Geld sei verlorengegangen. Ob Neun-Euro-Ticket oder Olaf Scholz’ „Doppelwumms“, alles werde schlussendlich durch die Steuern der Bürger finanziert. Den Begriff „Sondervermögen“ findet der Kolumnist irregeleitet. „Schulden werden als Vermögen klassifiziert“, merkt er an.

Hier fragt der CDU-Bundestagsabgeordnete – und brave Parteisoldat – Michael Grosse-Brömer, der Ruhigste der Runde, ob Deutschland denn ohne Euro, EU und mit D-Mark besser dastehen würde? „Der Schweiz geht’s gut“, ruft Bad Boy Hahne aus dem Hintergrund dazwischen. „Gibt es denn einen Weg zurück zur D-Mark?“, fragt die Moderatorin. Darauf beweist der Realist Sinn seinen trockenen Humor: „Nein, das ist wie mit dem Rührei: Sie können aus einem Rührei nicht die Eier wiederherstellen. Wir sind jetzt drinnen in dieser Tinte.“

In der zweiten Hälfte der launigen Gesprächsrunde wird über den Zustand der Deutschen Bahn – Hahnes Thema – und Migration – Broders Thema – debattiert. Der Ex-ZDF-Moderator macht die insgesamt 16 Jahre Regierung unter CDU-Führung für das Versagen der Bahn, der Energiewende und der Bundeswehr verantwortlich. Grosse-Brömer kontert, dass man dafür nicht einzelnen Ministerien die Schuld geben kann. Für Sinn liegt die Wurzel der Probleme der Bahn bei ihrer Privatisierung, da es keinen Wettbewerb gäbe und das Personal nicht mehr das klassische Beamten-Verantwortungsverständnis habe.

Mut zu alten, weißen Männern

Doch Hahne lässt nicht locker, einzelnen Politikern die Verantwortung für die Zustände im Land zu geben, zum Beispiel Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bei der Flüchtlingspolitik. Da wird es Hans-Werner Sinn zu bunt mit dem „politischen Gezänk“. Er möchte inhaltlich debattieren, nicht, wie er sagt, ad hominem.

Der Streit ist schnell beigelegt, denn die Zeit rinnt. Kolumnist Broder legt noch eins drauf: Nancy Faeser sei ein Fall für den Verfassungsschutz. Spätestens bei diesem Satz würden linkere Talkshow-Teilnehmer empört reagieren und die Moralkeule schwingen. Doch die Altherrenrunde nimmt solche Aussagen gelassen hin. Auch Broders Einwurf „Der Name Nancy gefällt mir nicht, Natalie wäre schöner“, wird unaufgeregt und mit einem „Natalie gefällt mir nicht“ von Hahne zur Kenntnis genommen. Leider kam das brandaktuelle Flüchtlingsthema zu kurz.

Trotzdem war das Klassentreffen, Pardon: die Talkshow ein Gewinn: Edutainment und Debatte. Anne Will oder Sandra Maischberger vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk könnten sich daran ein Vorbild nehmen, wie man Streit, sachliche Debatte und sogar Spaß bei ansonsten oft schnöden Themen zulassen kann. Mehr Gelassenheit, Sachlichkeit und Ideologiefreiheit würde dem Fernsehen guttun. Freilich müssten die öffentlich-rechtlichen Redaktionen auch den Mut haben, solch streitbare alte, weiße Männer einzuladen.

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