„Ihr ruiniert das Land, und da mache ich nicht mit“
Tim Drygala ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht. Bevor Sie jetzt wegklicken, lesen Sie bitte weiter. Denn der Leipziger Professor ist um ein Vielfaches lustiger und interessanter als der Name seines Lehrstuhls. Drygala provoziert und führt derzeit die Linke auf der Kurznachrichtenplattform X (ehemals Twitter) gekonnt vor. Das ging sogar so weit, dass die Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag, Heidi Reichinnek, Anzeige gegen Drygala erstattete.
Anlass dafür war eine social-media-typische Provokation. Am Abend des 31. Oktober 2025 stellte der 62-Jährige einen Eintrag online, der ein Foto einer Kühlschranktür zeigte, auf dem ein Bild einer breit grinsenden Heidi Reichinnek angebracht war. Dazu schrieb Drygala:
„Unsere Kühlschranktür schließt schlecht. Man muss immer mit der Faust dagegenschlagen, damit sie richtig zu ist. Damit ich das nicht vergesse, habe ich mir jetzt einen kleinen Reminder gebastelt. Wirkt 1a.“
Weil Reichinnek anscheinend der Humor fehlt oder sie sich einfach nur einreihen wollte in die Riege der Politiker, die mit der Staatsgewalt gegen Internetmemes vorgehen, leitete sie juristische Schritte gegen den Jura-Professor ein. In dem entsprechenden Schreiben heißt es: „Die Geschädigte Reichinnek fühlt sich beleidigt und bedroht und erstattet Strafanzeige.“
Falls sie damit bezwecken wollte, dass Drygala fortan schweigt, hat sie sich mächtig getäuscht. Schon aus der Formulierung „Die Geschädigte Reichinnek“ machte sich der Jura-Prof den nächsten Spaß. Das alles kann man lustig finden oder nicht. Aber im Internet gibt es eine Regel: „Don’t feed the troll!“ – füttere nicht den Provokateur. Und mit der Strafanzeige servierte Reichinnek dem freiheitlichen Troll nicht nur einen Happen, sondern ein üppiges Menü. Die Reichweite von Drygalas X-Konto stieg, die Follower-Zahl wuchs.
Sofort sprangen der ach so bedrohten Fraktionschefin Reichinnek alte weiße Männer bei. Zum Beispiel der linke Aktivist Ruprecht Polenz, der früher einmal CDU-Generalsekretär war. Oder der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der von „schlimmen Gewaltfantasien und Frauenhass“ fabulierte. Oder der Chemnitzer Rechtsanwalt Andreas Pitsch, der die Abberufung Drygalas als Professor forderte.
Das ficht den gebürtigen Lübecker aber nicht an. Er macht weiter. Zwischen zwei neuen X-Einträgen fand er Zeit, die Fragen von Corrigenda zu beantworten.
Herr Drygala, haben Sie ein Gewaltproblem?
Ganz sicher nicht. Ich habe noch nie im Leben jemandem etwas getan. Also jedenfalls körperlich nicht. Nur geistig stehe ich manchen manchmal auf den Füßen, die fremdeln mit meinem manchmal etwas schwarzen Humor. Und in deren Welt ist das dann natürlich schon Gewalt, Mikroaggression nennen sie das. Die Kollegin Frauke Rostalski hat ein kluges Buch dazu geschrieben: „Die vulnerable Gesellschaft. Die neue Verletzlichkeit als Herausforderung der Freiheit“. Kann ich nur empfehlen. Sie beschreibt sehr gut, warum Leute heute nichts mehr aushalten können und was das mit uns macht.
Liest man die Beiträge vorwiegend linker Politiker und Social-Media-Nutzer, könnte man aber zu diesem Schluss kommen. Die meisten Menschen erkennen in Ihrem Eintrag hingegen einen mehr oder weniger gelungenen Witz oder denken sich: Die haben sich das selbst eingebrockt. Ist es wirklich klug, die Linken mit ihren eigenen Mitteln zu bekämpfen?
Dass die Leute das denken, liegt am Wokismus. Wokismus beruht auf Lüge und bewusster und böswilliger Fehlinterpretation. Wenn jemand anderer Meinung ist als die Wokisten, stecken sie einen in Schubladen, auf denen dann wahlweise Misogynie, Rassismus, Faschismus oder ähnliches steht. An einer inhaltlichen Auseinandersetzung sind sie überhaupt nicht interessiert, und man kann den Vorwurf auch nicht widerlegen. Wir hatten im Sommer zum Beispiel eine Diskussion um den Fakultätsnamen, der früher „Juristenfakultät“ lautete. Manche empfanden das als nicht mehr zeitgemäß und wollten lieber „juristische Fakultät“.
Weil angeblich weibliche Juristen nicht mitgemeint sein könnten?
Ja. Andere waren dagegen, vor allem aus Gründen der Tradition. Die wurden öffentlich niedergemacht, mit exakt den oben genannten Schlagworten. Bis hin zu dem absurden Vorwurf, wir wären alle misogyn und würden Frauen, beispielsweise bei der Vergabe von Promotionsstellen, gezielt benachteiligen. Ob das wahr ist oder nicht, interessiert dann irgendwann nicht mehr, und manche Leute geben dann nach, weil sie sich einfach diese absurden Vorwürfe nicht mehr anhören wollen. Und so haben sich die Wokisten letztlich durchgesetzt. Für mich war dieser Vorgang der Anlass, dass ich gesagt habe: Den Scheiß mach ich nicht mehr mit, von jetzt an gibt es Gegenfeuer. Ob das klug ist oder nicht, ist mir jetzt auch ein Stück weit egal. Ich habe genug davon, dass eine laute Minderheit in Universität und auch in der Gesamtgesellschaft den Ton angibt, und das dann auch noch mit unlauteren Argumenten, wie aktuell der Gleichsetzung einer symbolischen Handlung mit der Befürwortung von tatsächlicher Gewalt.
„Das ist nun wirklich schwer totalitäres Denken“
Linksradikale spielen oft mit derartigen Sprachbildern, man denke nur an den Ausspruch „Nazis töten“. Jetzt empört sich halb Linkstwitter über Sie, obwohl Sie denen nur den Spiegel vorhalten. Die Doppelmoral ist offensichtlich und doch nicht offensichtlich genug, weil Sie jetzt jede Menge Dresche einstecken, unter anderem von Ex-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz und Juristen-Kollegen.
Mir ist klar, dass ich da offensichtlich in ein Wespennest gestochen habe. Aber die Leute, die sich jetzt aufregen, sollen das mal zu Ende denken: Wenn man ein Politiker-Bild nicht mehr symbolisch verspotten darf, haben wir eine Rechtslage wie in Nordkorea oder wie sie im Dritten Reich und in der DDR schon mal galt. Auch da wurde man bestraft, wenn man das Bild des Anführers verspottete oder entehrte. Wollen wir so was wirklich? Oder soll es nur in Bezug auf Frauen verboten, aber gegen Männer erlaubt sein? Oder gegen Rechte okay, aber gegen Linke verboten? Das ist doch alles absurd. Und wir müssen hier mal zwei Sachen klar unterscheiden: Natürlich muss das, was ich da grad mache, keiner gut finden. Ich kann jeden akzeptieren, der das blöd, niveaulos, unangemessen für einen Professor findet und das auch artikuliert. Meinungsfreiheit wirkt in beide Richtungen. Eine ganz andere Ebene ist der Versuch des Cancelns. Herr Polenz und auch Herr Kowalczuk sind ja der Meinung, ich müsste achtkantig aus dem Job geworfen werden.
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Das ist nun wirklich schwer totalitäres Denken, völlig unverhältnismäßig und zudem auch das zweite Hauptmerkmal des Wokismus: Der Andersdenkende, der sich nicht unterwirft, wird nicht nur schubladisiert und als Unmensch markiert, sondern soll auch wirtschaftlich vernichtet und sozial isoliert werden. Diese Leute fordern einen zivilisierten Umgang ein und befürworten gleichzeitig völlig totalitäre Herrschaftsformen, wie wir sie nur aus schlimmsten Diktaturen kennen. Und haben bei diesem Vernichtungswillen noch ein gutes Gewissen. Und das ist, Entschuldigung, zum Kotzen.
Kritik an Ihrem Eintrag kontern Sie unter anderem mit dem Argument „Den Neosozialismus kann man nicht mit Kant-Zitaten abwehren“. In Umfragen reüssiert die SED-Nachfolgepartei wieder mit zweistelligen Werten. Und auch in anderen Parteien nehmen sozialistische Tendenzen zu. Bevor Sie uns erklären, wie man dagegen vorgeht, beantworten Sie bitte die Frage, weshalb dunkelrote Politik wieder beliebter wird?
Deutschland ist, vor allem durch den Klimaschutz und die damit einhergehende Deindustrialisierung, in eine Phase wirtschaftlichen Niedergangs eingetreten. Das Geld wird für alle und alles knapper, Steuern und Abgaben immer höher, und die Leistung des Staates zugleich schlechter. Die Lösung dieser Problematik sehen manche Leute darin, die Löcher einfach mit dem Geld derer zuzustopfen, die aus besseren Zeiten noch Rücklagen haben. Das ermöglicht dann ein gechilltes Leben mit maximal Viertagewoche, während das seit 1949 erwirtschaftete Volksvermögen nach und nach verfressen wird. Zu diesem Lied mit der Oma, die angeblich die „alte Umweltsau“ sein soll, gibt’s eine weitere Version, die da lautet: „Wir versaufen unsrer Oma ihr klein’ Häuschen, klein’ Häuschen, mit der ersten und der zweiten und der dritten Hypothek.“ Genau das steht hinter dem Motto „Tax the rich“: Wir machen uns mit dem Geld anderer Leute eine gute Zeit.
Verstärkt wird das Ganze noch durch den vordringenden Antinatalismus, Kinder sind ja anstrengend und außerdem auch klimaschädlich. Und wer keine hat, hat dann natürlich auch kein Problem damit, dass das Geld anderer Leute auch endlich ist. Denn für die eigene Generation wird’s schon noch reichen.
„Es ist Zeit, mal deutlich zu werden und Klartext zu reden“
Und was kann man dagegen unternehmen?
Es ist Zeit, mal deutlich zu werden und Klartext zu reden. Natürlich kann man versuchen, ruhig zu erklären, dass es die fixed pie fallacy gibt, also dass das Volksvermögen keine konstante Größe ist, sondern dass mehr Umverteilung zu weniger Produktion führt, und dass hohe staatliche Transferleistungen Leistungsanreize mindern und dass das Planungsvermögen des Staates nicht ausreicht, um eine Volkswirtschaft effizient zu lenken. Alles wissenschaftlich belegte Erkenntnisse. Aber die Leute sind nicht bereit, weiter zu denken als bis zur nächsten Ecke. Und an der nächsten Ecke klingt es natürlich gut zu sagen „Hey, wir nehmen den Unternehmern jetzt was weg und dann geht’s allen besser“. Nur dass hinter der Ecke dann die Verarmung lauert, das sehen diese Leute nicht. Sie sind TikTok-sozialisiert. Und deshalb muss man denen jetzt mal sagen: Was ihr vorhabt, das ist Scheiße. Ihr ruiniert das Land, und da mache ich nicht mit. Nur über meine Leiche!
Die Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag, Heidi Reichinnek, hat Sie wegen Ihres X-Eintrags angezeigt. Wie fühlt sich das an? Was macht das mit Ihnen?
Mir ist bewusst, dass diese Anzeige rechtlich gesehen Bullshit ist. Dass die symbolische „Misshandlung“ von Politikerbildern keine Beleidigung ist, wurde mehrfach festgestellt. Von daher lässt mich die Anzeige als solche ziemlich kalt. Was mich aufregt, und dazu hatte ich mich ja auch schon zum „Schwachkopf“-Verfahren geäußert, ist, dass die Politik solche Anzeigen einsetzt, um die Bürger einzuschüchtern. Oft in dem Bewusstsein, dass sie rechtlich unbegründet sind. Der Bürger soll vor dem Rechner sitzen und zittern, ob er vielleicht Ärger kriegt, wie er das und das jetzt so und so schreibt, das ist das Ziel. Und Kritik dann nur noch vorsichtig und leise äußern. Wie ein Untertan gegenüber der Majestät. Das ist einer Demokratie unwürdig.
Und by the way, ich hatte den Eintrag ja zwischenzeitlich schon gelöscht. Mit Rücksicht auf die Fakultät übrigens, die sich wegen „Verwaltungsaufwands“ durch Studentenbeschwerden gestört fühlte. Wenn weiter nichts passiert wäre, wäre die Sache dann im Sande verlaufen. Erst als die Heidi mich dann angezeigt hat, war bei mir der Punkt erreicht, wo ich gesagt habe: So Genossin, aber nicht mit mir. Dann habe ich halt die polizeiliche Anhörung gepostet und das Foto wurde wieder hochgeladen, und von da an gab’s eine Welle und die große Diskussion. So ist das manchmal. Reaktion und Gegenreaktion.
Hand aufs Herz: Frauen, auch mit kommunistischen Tendenzen, schlägt man nicht, auch nicht metaphorisch, oder?
Nein, da mache ich keinen Unterschied, sorry. Spitzenpolitiker sind Spitzenpolitiker, egal ob mit Pimmel oder ohne. Meine Verachtung gilt der Ideologie, die sie vertreten, und Samthandschuhe aufgrund des Geschlechts sind eine falsche Idee. Die jungen starken Frauen sind entweder wirklich stark und selbstbewusst, und dann können sie auch was ab, oder eben nicht. Aber bitte nicht je nach Situation mal „empowered“ und mal vulnerabel. Das ist Doppelmoral.
„Dass linke Frauen überdurchschnittlich oft Ziel von Kritik werden, liegt schlicht daran, dass es so viele von ihnen gibt“
Linke Politiker punkten überdurchschnittlich bei jungen Frauen. Glauben Sie, mit so einer Rhetorik können Sie sie von der sozialistischen Bahn abbringen?
Junge Frauen wählen links, weil sie bisher von linker Politik profitiert haben. Die von linker Seite betriebene Politik, die nicht auf Chancen-, sondern auf Ergebnisgleichheit bis hin zur starren Quote jenseits von Eignung und Leistung zielt, hat viele von ihnen in Positionen gespült, die sie sonst nicht erreicht hätten. In der Politik, aber vor allem auch im öffentlichen Dienst, in der Wissenschaft und der Justiz haben Frauen massiv von Quoten und sonstigen Fördermaßnahmen profitiert. Und jetzt wollen sie natürlich mehr davon, das ist durchaus rational. Sie müssen sich nur die Frage stellen, ob noch mehr Links ihnen jetzt guttut. Selbst wenn man davon ausgeht, dass viele solcher Frauen im öffentlichen Dienst tätig sind, wird eine massiv wirtschaftsfeindliche Politik, wie sie die Linke betreibt, am Ende allen schaden. Auch denen, die sich im Moment für die Gewinnerinnen halten. Wenn der Kuchen kleiner wird, wird er für alle kleiner.
Sie lehren in Leipzig, einer Hochburg der linksextremen Szene. Haben Sie keine Angst?
Ich nicht. Aber meine Frau schon ein bisschen. Die mahnt mich auch öfters zur Zurückhaltung, meine 90-jährige Mutter übrigens auch. Aber unser Voreigentümer war Kunstsammler, der hat aus dem Haus eine ziemliche Festung gemacht. Wir haben Kameras, Bewegungsmelder, Trittsensoren, Videoaufzeichnung, Sicherheitsdienst. Das ganze Programm. Wir haben das auch alles in Betrieb, weil meine Frau gehörlos ist und ein nächtlicher Einbruch ihr Alptraum wäre. Also ziemlich sicher, das Ganze. Und ein großer Freund großer Hunde bin ich auch noch, und mein Tipp zum Spielausgang lautet: Rottweiler gegen Antifa, das gibt kein Unentschieden.
Hinzu kommt: Die von der Antifa sind zwar vom Woke Mind Virus befallen und teilweise verblödet, aber nicht völlig instinktlos. Das Dümmste, was sie machen könnten, wäre doch, Gewaltverherrlichung vorzuwerfen, aber selbst Gewalt anzuwenden. Das demaskiert sie doch total. Deshalb glaube ich, dass die sich beherrschen werden. Es wäre in ihrem Interesse.
Viele X-Nutzer „feiern“ Ihren ironischen Umgang mit den Linken. Aber haben Sie schon einmal daran gedacht, dass diese Strategie letztendlich müßig sein könnte – dass Linke keinen Spaß verstehen, zeigt ein Blick in die Geschichte. Und dass sie nicht zimperlich mit ihren weltanschaulichen Gegnern umgehen, sobald sie an der Macht sind, ebenfalls …
Ach, so schlimm wird es schon nicht kommen. Und wenn, dann hilft nur rechtzeitiges Abhauen, wie die Leute es vor 1961 ja auch getan haben.
Liberal-konservative Social-Media-Nutzer scheinen sich gern an weiblichen Akteuren der politischen Linken abzuarbeiten: von Ricarda Lang über Jette Nietzard bis hin zu Heidi Reichinnek. Geht man damit aber nicht letztlich vielleicht doch deren Attention Game auf den Leim und wäre ein gekonntes Ignorieren strategisch klüger?
Dass linke Frauen überdurchschnittlich oft Ziel von Spott und Kritik werden, liegt schlicht daran, dass es so viele von ihnen gibt. In den linken Parteien ist das Führungspersonal inzwischen fast durchgehend weiblich. Linksparteichef Jan van Aken und Reichinneks Amtskollege Sören Pellmann treten kaum in Erscheinung, die Wortführer sind durchgehend weiblich. Bei den Grünen ist seit dem Abgang Robert Habecks die gesamte Spitze weiblich, mit Ausnahme des isolierten Cem Özdemir, der bald in die baden-württembergische Landespolitik flüchtet. Die sind auf dem Weg zur FPD, der Frauen-Partei Deutschlands. Da ist es kein Wunder, dass Kritik vor allem die Damen trifft. Und ignorieren, nein, das wäre sicher nicht klug, das hat ja bei der AfD auch schon nicht funktioniert.
„Ein Staat, der so was nötig hat, der kann nur scheiße sein“
Sie sind in Westdeutschland geboren und aufgewachsen, haben den realen Sozialismus der DDR nicht miterlebt. Was lässt Sie jetzt zum Kämpfer gegen dessen Wiederauferstehung werden?
Ich bin in Westdeutschland aufgewachsen, aber direkt an der Zonengrenze, und unser Haus stand 500 Meter Luftlinie vom Zaun entfernt. Wenn es geknallt hat, hast du dir gedacht: Hoffentlich war das ein Reh. Auf dem Grenzfluss, der Wakenitz, war ich als Junge paddeln. Da standen rechts am Ufer die Schilder vom Bundesgrenzschutz: „Halt! Hier Grenze – Wirkungsbereich sowjetzonaler Minen“. Da habe ich schon mit zehn Jahren erkannt: Ein Staat, der so was nötig hat, der kann nur scheiße sein. Ich war zwar auf der anderen Seite, aber nah genug dran, um das mitzukriegen. Und später beim Studium in Gießen ja auch, weil da das Durchgangslager für die Flüchtlinge und die Freigekauften war. Da hat man schon das eine oder andere mitbekommen. Und nach der Wiedervereinigung natürlich auch. Von daher habe ich eine recht tiefgehende Abneigung gegen den Sozialismus entwickelt.
Zur Person Tim Drygala
Prof. Dr. Tim Drygala, geboren 1963 in Lübeck, ist Professor an der Universität Leipzig. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft promovierte er in Gießen. Nach Rechtsreferendariat in Frankfurt am Main und Zweitem Juristischen Staatsexamen arbeitete Drygala als wissenschaftlicher Assistent bei Marcus Lutter an der Universität Bonn. Seit 2002 lehrt er in Leipzig. Er ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Seit 2025 ist er Mitgründer und stellvertretender Bundesvorsitzender der neuen Partei Team Freiheit.
Und wenn Frau Reichinnek jetzt sagt, beim nächsten Mal werde das doch alles ganz demokratisch, dann übersieht sie eins: Schon die erste Runde von Enteignungen, die sie plant, also erst mal „nur“ Großunternehmen, wird dazu führen, dass a) in diesem Unternehmen Misswirtschaft einzieht, weil der staatliche Leiter das Ganze weniger gut macht als der Eigentümer und b) natürlich kein Schwein mehr auch nur einen Cent investiert, weil er jederzeit der Nächste sein könnte, der enteignet wird. Dann muss sie mit weiteren Interventionen reagieren, damit ihre Wähler nicht unruhig werden, und das zieht die Wirtschaft noch weiter runter, was weitere Interventionen hervorruft. Am Ende steht zwangsläufig ein Staat, der nicht nur arm ist, sondern auch durch und durch von oben gesteuert. Freiheit gibt es da nicht. Da kann man auch an den Weihnachtsmann glauben.
Sie sind 62 Jahre alt, könnten als Beamter Ihr Leben genießen. Stattdessen engagieren Sie sich in einem unkonventionellen Parteiprojekt namens Team Freiheit. Was ist Ihre Motivation?
Einmal natürlich, dass was getan werden muss gegen den Neosozialismus. Aber ich bin nicht nur dagegen, sondern auch dafür: nämlich für Freiheit. Insofern habe ich versucht, mich bei der FDP einzubringen. Das ist aber, wenn man dort mit Anfang 50 eintritt, gar nicht so leicht. So durfte ich zwar für den Stadtrat kandidieren, aber natürlich nur auf einem aussichtslosen Platz hinter einem langjährigen Urgestein. Ich hatte zwar deutlich über 1.000 Stimmen, was für die FDP Leipzig ganz respektabel war, aber rein kam ich natürlich nicht. Und auf meine Frage, ob ich weiteres tun könnte, bedeutete mir die damalige Kreisvorsitzende, nein, besser nicht, sie wolle nicht so viele alte weiße Männer. Da war ich dann erst mal bedient. Dazu kamen dann ein Sexskandal – die ehemalige Spitzenkandidatin wurde begrapscht – und ein Untreue-Skandal – einer der Parteioberen ist mit der Kasse durchgebrannt. Da habe ich mir gedacht, hier bist du falsch, und bin ausgetreten. Und wenn die FDP Sachsen heute hinter der Tierschutzpartei einläuft, kann ich nur sagen: Wohl bekomm’s, ihr schrägen Vögel! Hättet ihr euch mal mit Inhalten befasst statt mit Intrigen. Insgesamt war der FDP-Kreisverband Leipzig eine sehr abstoßende Erfahrung.
Und jetzt sind Sie im Team Freiheit. Wie kam es dazu?
Im vergangenen Jahr bin ich im Internet zufällig auf das Papier von Frauke Petry gestoßen, in dem sie sich sehr kritisch mit den inneren Parteistrukturen und dem herrschenden Klüngel auseinandersetzt und eine andere Struktur vorschlägt. Das hat mich sehr überzeugt, deckt sich auch voll mit meinen Erfahrungen in der FDP. Ich bin dann online direkt Fördermitglied geworden und habe später, nachdem ich die Leute besser kennengelernt habe, auch die Partei mitgegründet. Ich sehe darin eine Chance, der Freiheit in Deutschland wieder eine Stimme zu geben, und das ist dringend nötig. Das Land erstickt an seiner eigenen Schwerfälligkeit. Ob es was wird, ist natürlich unsicher. Aber mit Im-Sessel-Sitzenbleiben hat noch keiner was verändert, und da ist es auch egal, ob man 26 ist oder 62.
„Ich habe den Eindruck, dass viele darauf gewartet haben, dass mal einer aufsteht“
Nehmen wir an, wir befänden uns heute nochmal am Morgen des 31. Oktober. Würden Sie den Kühlschrank-Eintrag wieder veröffentlichen?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe den Eindruck, dass viele darauf gewartet haben, dass mal einer aufsteht und sagt: So, jetzt ist Schluss mit dem Unsinn! Dass das nun ausgerechnet ich sein muss, hat sich zufällig so ergeben, ist aber jetzt nicht mehr zu ändern. Den damit verbundenen Ärger werde ich schon aushalten.
Was ist eigentlich drin in Ihrem Kühlschrank? Wären Sie für einen spontanen Besuch des Wurstessers Markus Söder, der weißweintrinkenden Altkanzlerin Angela Merkel oder gar der Vegetarierin Heidi Reichinnek gewappnet?
Ich koche gerne und auch recht gut, nicht auf Sterne-Niveau, aber wenn ich mir Mühe gebe, schaffe ich eine 13 bis 14 auf der Gault-Millau-Skala. Ohne einzukaufen könnte ich heute Kürbissuppe anbieten, selbstgemachten Kebab mit Yoghurt-Minz-Dip und Salat, Hähnchenbrustfilet in Zitronensauce mit Broccoli und selbstgemachten Gnocchi, als vegetarische Alternative Orecchiette mit Weintrauben und Pinienkernen in karamellisierter Sauce, als Nachtisch Panna Cotta vom Espresso mit Passionsfruchtspiegel. Bei „Globus“ (kein Witz!) bin ich über einen Auxerrois aus Luxemburg gestolpert, das ist im Moment unser weißer Lieblingswein, rot hätte ich einen Kräftigen aus Südafrika da.
Aber um das ganz klar zu sagen: Die Reichinnek kriegt hier nix, nicht mal das Hack, die kann sich selbst gehackt legen. Diese Leute sind unbelehrbar, und mit denen setze ich mich nicht an einen Tisch. In diesem Sinne: Mahlzeit!
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Kommentare
Danke, Professor Drygala, für diese erhellenden und dabei, trotz des bitteren Ernstes, humorvollen Ausführungen!