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KOLUMNE „DER SCHWEIZER BLICK“

Wasser, Wein und 22 Grad

Das eine Beispiel mag als inhaltlich harmlose Frechheit gesehen werden. Das andere ist von handfester Natur, weil es um Geld geht. Aber beide beweisen, dass so mancher Politiker nach erfolgter Wahl die zuvor proklamierte Volksnähe geschickt abstreift. Sie ist nur lästig und hinderlich auf dem Weg zu persönlichen Vorteilen.

Die Schweiz will wie so manche Nation im Zug des Kriegs in der Ukraine Energie sparen, weil eine Mangellage befürchtet wird. Derzeit herrscht diesbezüglich zwar etwas Entspannung, aber an der Botschaft soll bis auf weiteres festgehalten werden. Sie lautet: „Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.“ Das ist der Slogan einer Kampagne für „freiwilliges Energiesparen“ bei den Bürgern. Heizung runterdrehen, duschen statt baden oder – mit vermutlich unfreiwilligem Humor – der Ratschlag der früheren Energieministerin, sogar zu zweit unter der Dusche zu stehen.

Von den Schweizern wird also stillschweigend erwartet, dass sie nun gefälligst verzichten sollen zum Wohle aller. Der Bundesrat, die Landesregierung, hat als Auftakt der Kampagne verkündet, mit gutem Beispiel voranzugehen. In den öffentlichen Bauten werde man die Temperatur von den bisher üblichen 22 Grad auf 20 hinunterschrauben.

Politiker drehen ihre Heizungen hoch

In den Sälen von Nationalrat und Ständerat, den beiden Kammern des Landes, gilt das aber seit letzter Woche nicht mehr. Es herrschte Zugluft, der eine fröstelte leicht, die andere hüstelte ein bisschen. Also erteilte die Ständeratspräsidentin den Befehl, wieder zu den weit kuschligeren 22 Grad zurückzukehren. Die Radiatoren wurden raufgedreht. Während gerade ein Kredit von weiteren sieben Millionen Franken ansteht, um die Bevölkerung ab dem nächsten Herbst wieder mit der Botschaft „Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht“  zu beschallen, auf Plakaten und in Inseraten.

Es ist ein krasser Fall von Doppelmoral. Es wird Wasser gepredigt und Wein getrunken. Die gesundheitlich angeschlagene, schon ein bisschen ältere Frau Müller in ihrer Altbauwohnung soll ruhig ein bisschen frieren, die Politiker müssen es aber warm haben.

Apropos Frau Müller: Sie führt uns auch gleich zum zweiten Beispiel. Nehmen wir an, die Dame ist bereits im Rentenalter. Sie bezieht eine AHV, das ist die Alters- und Hinterbliebenenvorsorge, die man in der Schweiz nach dem Arbeitsleben bekommt. In vielen Fällen ist es zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Der Nationalrat hat es unlängst dennoch abgelehnt, den vollen Teuerungsausgleich auf die AHV auszurichten. Es wäre im Schnitt um etwa fünf Franken mehr pro Monat und Bezieher gegangen.

Das kann man natürlich machen. Es ist ein politischer Entscheid, und wenn ein Parlament versucht, Steuergelder einzusparen, darf man das auch positiv sehen. Es kommt selten genug vor. Seltsam nur: Gleichzeitig treibt das Parlament das Ansinnen voran, sich selbst diesen Teuerungsausgleich zu gönnen. Was den AHV-Beziehern verwehrt wird, soll den Politikern also zugutekommen. Eine innere Logik sollte man da gar nicht erst suchen, es gibt sie nicht.

Rentner gehen leer aus, Politikern werden die Taschen gefüllt

Vor allem aber: Es gibt auch keine gute Begründung für einen solchen Schritt. Die Schweiz hat ein Milizparlament. Wer in einem der nationalen Räte sitzt, geht noch einer anderen Arbeit nach. Wobei das je nach Lebensstil nicht mal nötig wäre. Je nach Kammer beziehen die Politiker zwischen über 130.000 und über 140.000 Franken pro Jahr. Für ein Mandat, das erfahrungsgemäß etwa 50 Prozent Arbeitszeit entspricht. Ein Teuerungsausgleich nach den aktuellen Werten entspricht demnach mehreren tausend Franken mehr. Während es bei den Rentnern nicht einmal um hundert Franken pro Jahr gegangen wäre.

Die Details sind zwar noch unklar, insbesondere, wie hoch dieser Teuerungsausgleich ausfallen soll. Aber schon das pure Ansinnen ist Anstoß erregend. Während alte Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben, hilflos zusehen müssen, wie alles teurer wird, ohne dass mehr in die Kasse kommt, soll das Einkommen der ohnehin privilegierten Politikerkaste aufpoliert werden.

Es ist nicht anzunehmen, dass in der Schweizer Bundesversammlung auch nur ein Mensch sitzt, der im Discounter nach Rabattprodukten suchen muss, um über die Tage zu kommen. Bei der ganz normalen Bevölkerung erlebt man das aber auch in der reichen Schweiz tagtäglich. Man muss sich schon sehr weit vom Volk und seinen Problemen entfernt haben, um auf die Idee zu kommen, selbst noch mehr zu wollen und dasselbe den Bürgern nach einem ganzen Arbeitsleben zu verweigern.

Aber vielleicht war diese Idee ja auch nur dem Umstand geschuldet, dass das Parlament zu lange bei 20 Grad herumsitzen musste. Nun, wo wieder 22 Grad herrschen, funktionieren vielleicht auch die unterkühlten Synapsen wieder richtig. Noch bleibt Zeit, diese Unanständigkeit zurückzunehmen. Was sich vielleicht auch lohnt, weil im kommenden Herbst die Parlamente neu bestellt werden. Und es ist nicht gerade ein Wahlkampfschlager, nur an sich selbst zu denken.

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