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„Streiten wir für Religion“

Der Tag, an dem ich fast die Fernbedienung gegen den TV warf

Vor einigen Jahren habe ich mir die Talkshow „Real Time“ von Bill Maher angesehen. Ich muss gestehen, dass Maher für mich eine Art heimliches Laster (guilty pleasure) darstellt. Obwohl er heutzutage einer der schärfsten Kritiker der Religion ist, fühle ich mich von seinen Sendungen angezogen, vielleicht unter dem Motto „Kenne deine Feinde“. In dieser Sendung also interviewte Maher den bekannten politischen Aktivisten und evangelikalen Christen Ralph Reed.

Nach einem etwa fünfminütigen Geplänkel über verschiedene politische Themen hielt Maher inne und sagte: „Wie wir wissen, Ralph, sind Sie ein gläubiger Mensch.“ Reed widersprach nicht. Maher fuhr fort: „Und das bedeutet, dass Sie alle möglichen Dinge für wahr halten, für die es gar keine Beweise gibt.“ Zu meiner großen Überraschung und Enttäuschung antwortete Reed einfach mit „Ja“.

Ich war kurz davor, meine Fernbedienung auf den Fernsehbildschirm zu werfen. Ich habe einen großen Teil meines Erwachsenenlebens damit verbracht, genau gegen die Art von irrationalem Fideismus zu kämpfen, die Reed zu vertreten schien. Eines der prägenden Ereignisse der Gnade in meinem Leben war, als ich als junger Oberschüler das erste der berühmten Argumente von Thomas von Aquin für  die Existenz Gottes hörte.

Fideismus ist gefährlich

Bischof Robert Barron: „Streiten wir für Religion. Glauben in der digitalen Welt“

Von da an wusste ich intuitiv, dass Glaube und Vernunft keine Gegensätze sind, sondern sich in Wirklichkeit gegenseitig bedingen. Einer der traurigen Aspekte unserer Zeit ist, dass viel zu viele Menschen, sowohl Gläubige als auch Nichtgläubige, an einer Form des Fideismus festhalten. Erstere sind weder willens noch in der Lage, in einen Dialog mit einer breiteren Kultur einzutreten, und Letztere lehnen eine so verstandene Religion als primitiv und irrational ab.

Ein unverzichtbarer Schritt auf dem Weg zu einer kohärenten Diskussion über Religion ist daher die Klärung des Wesens des Glaubens.

Wir müssen über den Glauben diskutieren können

Wenn Ralph Reed Recht hat, dann können religiöse Menschen ihren Glauben geltend machen, ihn übertrieben darstellen oder ihn anderen aufzwingen, aber sie können nicht darüber diskutieren. Echter Glaube befindet sich nicht unterhalb der Vernunft, sondern oberhalb von ihr.

Was unterhalb der Vernunft liegt, ist der Stoff, aus dem Leichtgläubigkeit, Aberglaube, Naivität oder einfach nur Dummheit gemacht sind, und kein erwachsener Mensch, der etwas auf sich hält, sollte auch nur im Geringsten daran interessiert sein, es zu fördern oder sich zu eigen zu machen. Reife religiöse Menschen meiden es zu Recht, genauso wie Wissenschaftler und Philosophen.

Umgekehrt steht das, was über der Vernunft steht, niemals im Widerspruch zu ihr. Es handelt sich vielmehr um eine Art von Wissen, allerdings eines, das über die üblichen Möglichkeiten der Beobachtung, des Experimentierens, der Hypothesenbildung und des rationalen Denkens hinausgeht.

 

Bei dem Text handelt es sich – mit freundlicher Genehmigung des Herder-Verlags – um einen Auszug aus dem am heutigen Montag erschienenen Buch von Bischof Robert Barron „Streiten wir für Religion. Glauben in der digitalen Welt“. Mit einem Vorwort von Johannes Hartl. Übersetzt von Lukas Weber. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2023, 128 Seiten, gebundene Ausgabe 15,00 Euro, eBook 11,99 Euro

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