Warum die Welt auch da schön ist, wo sie bleibt, wie sie ist

Wir sitzen in unserem verfallenden Palazzo im nördlichen Italien tief in den Wolken und sehen nicht mal mehr den nahen Kirchturm. Der Wetterbericht in Deutschland, der vor Lebensgefahr in der Lombardei wegen Überschwemmungen warnt, hat nicht recht. Es regnet nur. „Überhaupt“, erkläre ich Judith, „ist die Zahl der Menschen, die bei Naturkatastrophen ums Leben gekommen sind, in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gesunken.“
Meine Frau blickt nicht mal auf, während sie den Teig für das Stockbrot knetet, das wir mit den Kindern über dem Feuer rösten wollen, so wie der Regen ein bisschen nachlässt. Es gebe auch immer weniger Menschen, die Hunger leiden müssten, füge ich inspiriert von Judiths Eifer hinzu. Obwohl sich die Menschheit zahlenmäßig in den vergangen 50 Jahren verdoppelt habe, hätten mehr als 90 Prozent von ihnen genug zu essen.
Heute sind wir erst mit 75 biologisch recht alt
Judith schaut durch die doppelt verglasten Sprossenfenster, die wir im vergangenen Jahr anstelle der papierdünnen Scheiben aus der vorletzten Jahrhundertwende eingebaut haben. „Unsere Vorfahren hat durchschnittlich mit 57 Jahren eine Lungenentzündung dahingerafft, wir sind heutzutage erst mit 75 biologisch recht alt“, was unter anderem an doppelt verglasten Scheiben, Gaszentralheizungen und medizinischem Fortschritt liege, erkläre ich munter.
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Judith versteckt die gefärbten Eier. Sie stammen von norditalienischen Hühnern. Das Pinselchen zum Bemalen hat Haare vermutlich von piemontesischen Wildschweinen. Das Holz für den Stil stammt aus süditalienischer Pinie, die kleine Messingeinfassung, die Haare und Stil verbindet, dürften fleißige Hände im hinteren Asien gefertigt haben.
Manches ist auch schön, wie es ist
Das Ganze gibt es für ein paar Cent im Laden von Nonna Emilia, ohne dass eine ordnende Hand in den Produktionsprozess eingreifen musste. „Es lebe der Kapitalismus!“, rufe ich. „Er ist es, der die Welt ein bisschen besser macht.“
Die Wolken hängen noch immer so tief, dass wir an diesem Morgen den alten Kronleuchter anschalten. Noch bevor ich über die Segnungen der Elektrizität referieren kann, schallen die Glocken durch den dichten Nebel und rufen zum Ostergottesdienst. „Manches ist auch schön, wie es ist“, sagt Judith.
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