Mehr als bloße Spiele
Der gesellschaftliche Wertewandel ist ein unbestreitbares Faktum. Nirgends zeigt er sich deutlicher als auf dem Gebiet der Sexualmoral und der Geschlechterpolitik. Man denke nur an die gesellschaftliche Normalisierung von Gelegenheitssex, Pornographie und homosexuellen Partnerschaften seit den 1960er-Jahren. Was noch vor wenigen Jahrzehnten tabu war, gilt heute als Selbstverständlichkeit.
Neben anderen, insbesondere technisch-medizinischen Gründen (wie die Erfindung der Antibabypille), dürfte bei dieser Entwicklung zweifellos auch der Wandel in der medialen Darstellung von Sexualität und Geschlechtlichkeit eine Rolle gespielt haben.
Mit Blick auf Sexualität metapolitisch bedeutsam
Mit Blick auf Sexualität und Geschlechtlichkeit dürfte kaum ein Videospiel der letzten Jahre metapolitisch so bedeutsam gewesen sein wie „The Last of Us Part II“ (2020). Der erste Teil von „The Last of Us“ (2013) war ein von Spielern und Kritikern gleichermaßen gefeiertes Action-Adventure-Spiel, das vor allem für seine großartige Geschichte gelobt wurde.
In deren Zentrum stand nicht so sehr das schon hundertfach auserzählte Überleben nach der Zombie-Apokalypse, sondern vielmehr die Entwicklung einer innigen Beziehung zwischen dem Waisenmädchen Ellie und ihrem erwachsenen Beschützer Joel. War es im ersten Teil noch überwiegend Joel, den der Spieler steuerte, so ist es in „The Last of Us Part II“ für einen Großteil des Games Ellie.
Sie ist inzwischen erwachsen geworden und führt eine lesbische Beziehung mit einer bisexuellen Freundin, die – wie sich im Laufe des Spiels herausstellt – von ihrem Ex-Freund schwanger ist. Auch ein Transgender-Charakter, der nicht mehr Lilly, sondern Lev heißen möchte, sich den Schädel rasiert hat und deshalb vor religiösen Fanatikern fliehen muss, kommt in der Geschichte vor und begleitet den Spieler auf einem längeren Abschnitt seines Abenteuers.
Versuch der Indoktrination mit LGBTQ-Weltanschauung?
Wie Nutzerkritiken auf der Rezensionsseite „Metacritic“ exemplarisch zeigen, empfanden nicht wenige Spieler „The Last of Us Part II“ als den unangebrachten Versuch, sie mit der LGBTQ-Weltanschauung zu indoktrinieren. Ganz anders reagierte die Presse. Der Rezensent des Spielemagazins Eurogamer etwa lobte das Spiel ausdrücklich für die profilierte, aber unaufgeregte Darstellung von LGBTQ-Beziehungen und -Charakteren: „Es ist keine große Sache, sie sind einfach da.“
Genau diese Kombination aus Prominenz und Nonchalance stellt in diesem Fall aber natürlich den eigentlichen metapolitischen Akt dar. Wenn es um die Deutungshoheit in Sachen Sexualität und Gender geht, können Computerspiele zweifellos mehr als „bloß Spiele“ sein.
Sebastian Ostritsch: „Let’s Play oder Game Over? Eine Ethik des Computerspiels“, dtv, München 2023, Paperback, 256 Seiten, 18 Euro
Obenstehender Text ist ein Auszug aus dem Buch, den wir mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag hier exklusiv vorab zur Verfügung stellen. Das Buch erscheint am 20. April 2023 im Buchhandel.
Kommentare