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Skandalheischend und lebenszerstörend

Verantwortungslos: Über die Grenzen des Journalismus

Journalisten nerven. Sie sind neugierig, streitlustig, misstrauisch, was oft als dreist, argwöhnisch und Zwietracht säend empfunden wird. Im Idealfall sind neben diesen Charaktereigenschaften dem Journalisten noch zu eigen: ein Rückgrat zu haben und frei von Hochmut zu sein, wie es im „Neuen Handbuch des Journalismus“ von Wolf Schneider und Paul-Josef Raue heißt.

Journalisten sollen nicht nur, nein, sie müssen manchmal nerven, ansonsten machen sie ihre Arbeit nicht richtig. Und diese ist in einer Demokratie von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Das erkannte schon Alexis de Tocqueville in der in den 1830er Jahren erschienenen Studie „Über die Demokratie in Amerika“:

„Ich glaube, die Menschen, die in der Aristokratie leben, können die Pressefreiheit allenfalls entbehren; die aber in demokratischen Ländern leben auf keinen Fall. Um die persönliche Unabhängigkeit dieser Menschen zu gewährleisten, verlasse ich mich weder auf die großen politischen Versammlungen noch auf die parlamentarischen Vorrechte noch auf die Verkündigung der Volkssouveränität. ... Die Presse ist recht eigentlich das demokratische Werkzeug der Freiheit.“

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe konstatierte in seinem „Spiegel-Urteil“ am 5. August 1966:

Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muss er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben.“

Uniformität, Naivität, Aktivismus und Abhängigkeit sind ständig lauernde Gefahren

Doch einiges funktioniert heute im Journalismus nicht mehr so, wie es sollte. Vielleicht hat es das auch noch nie. Uniformität, Naivität, Aktivismus und Abhängigkeit sind beständig lauernde Gefahren. Ebenso die Aufgabe vom Streben nach Objektivität und der Abbildung der möglichst ganzen Breite eines Themas, was heute oft verharmlosend als „Haltungsjournalismus“ bezeichnet wird. In bestimmten Zusammenhängen scheint diese Entwicklung schon zur Norm geworden zu sein.

Der Springer-CEO Matthias Döpfner zählte am vergangenen Samstag in einem langen Text zu Recht die mangelnde Distanz zur Politik, den Hang zur Selbstreflexion („Journalisten schreiben zu oft für andere Journalisten“ und „aus der Perspektive unserer eigenen Blase“) sowie die Neigung zu Doppelstandards und „heuchlerisch hohen moralischen Erwartungen“ dazu.

Und – und das ist interessant – er kritisierte: „Wir Journalisten greifen Politiker immer häufiger und immer härter auf persönlichen Ebenen an – und immer seltener und immer seichter in der Sache.“ Die „gute Absicht“, betont Döpfner, rechtfertige zu oft „illegitime Mittel“.

Womit wir bei der Bild-Zeitung aus dem Hause Springer wären. Der Boulevardjournalismus lebt von der Personalisierung, Skandalisierung und Intimisierung, also dem Bedeutungszuwachs von Emotionen und dem Fokus auf Personen. Dabei überschreiten Boulevardmedien oft Grenzen – moralischer, aber auch rechtlicher Natur.

Der Schutz des Persönlichkeitsrechts wiegt zu Recht schwerer

Im April hat die Bild-Zeitung in einem Verfahren vor dem Landgericht Köln gegen Kardinal Rainer Maria Woelki verloren. Das Boulevardblatt hatte dem Geistlichen vorgeworfen, er habe die Personalakte eines beförderten Priesters gekannt, in der von sexuellen Handlungen mit einem jugendlichen Prostituierten und einer entsprechenden Polizei-Mahnung die Rede sein soll oder sei.

Doch belegen konnte die Bild dies nicht – dennoch schrieb sie es. Das Landgericht entschied denn auch: Durch den Bericht sei das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Kardinals verletzt worden. Und: Bei der Abwägung desselben auf der einen und der Meinungs- und Medienfreiheit auf der anderen Seite wiege der Schutz des Persönlichkeitsrechts schwerer.

Aus gutem Grund: In der von sozialen Medien dominierten Skandalgesellschaft gerät man schnell in Verruf. Dies oder jenes stand in der Zeitung, dann wird schon was dran sein. Solche und ähnliche Zuschreibungen bleiben hängen. Der Skandal ist schnell groß, in den Echokammern des Internets vervielfältigt und schwer – eigentlich gar nicht – aus der Welt zu schaffen. Die eventuelle Gegendarstellung hingegen ist oft klein und unbeachtet.

Aus gutem Grund gibt es im Pressekodex unter der Ziffter 8 einen entsprechenden Punkt „Schutz der Persönlichkeit“:

„Die Presse achtet das Privatleben des Menschen und seine informationelle Selbstbestimmung. Ist aber sein Verhalten von öffentlichem Interesse, so kann es in der Presse erörtert werden. Bei einer identifizierenden Berichterstattung muss das Informationsinteresse der Öffentlichkeit die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegen; bloße Sensationsinteressen rechtfertigen keine identifizierende Berichterstattung. Soweit eine Anonymisierung geboten ist, muss sie wirksam sein.“

Ein Leben lang gebrandmarkt

Es war nicht da erste Mal, dass das Boulevardblatt vor Gericht unterlag. Und möglicherweise vor Gericht landen könnte nun ein neuer Bild-Artikel. Überschrieben ist er mit der Überschrift: „Woelkis Porno-Priester“. Der Beitrag war dem Springer-Medium so wichtig, dass er in den Newsletter „BILD Top 7“ aufgenommen wurde und noch am Freitagabend per Push-Nachricht auf Hunderttausende Smartphones versendet wurde.

Bebildert ist der Artikel mit einem freundlich dreinblickenden Mann mit Priesterkragen. In der Dachzeile steht: „Er war jahrelang sein Stellvertreter.“ Es handelt sich um einen ehemaligen Generalvikar im Erzbistum Köln, also dessen früheren obersten Verwaltungschef, der laut Bild auf einer Liste stehen soll, die Zugriffsversuche auf blockierte, risikobehaftete Internetseiten wie solche mit Gewalt- oder Pornodarstellungen aufreiht.

Der ehemalige Vikar soll innerhalb von einer Woche 80 Mal versucht haben, „offenbar legale“ Porno-Seiten aufzurufen. Es stellt sich unmittelbar die Frage: Wieso versucht ein promovierter Mann, der es bis an die Spitze eines bedeutenden Bistums geschafft hat, 80 Mal auf Seiten zu gelangen, die offenbar blockiert werde? Und wenn er es nicht wusste: Wieso versucht er es 80 Mal und gibt nicht nach den ersten paar Versuchen auf? Was sagen Kirchenrechtler und Moraltheologen dazu? Fragen, auf die man im Bild-Artikel keine Antworten findet.

Zeitungskiosk in Düsseldorf: Bild ist nicht nur die auflagen-, sondern auch online die reichweitenstärkste Zeitung des Landes

Die Vermutung liegt nahe, dass das Medium in seinem jahrelangen Kampf gegen die katholische Kirche im Allgemeinen und Kardinal Woelki im Speziellen den früheren Generalvikar geschlagen hat, aber Woelki treffen wollte. Dass der Priester durch den Bild-Artikel nun womöglich ein Leben lang gebrandmarkt ist, weil er mit Foto und vollem Namen in der größten deutschen Zeitung prangte, scheint die Journalisten nicht zu interessieren.

Ebenso wenig scheinen sie die Konsequenzen von Formulierungen wie dieser zu interessieren: „Selbst wenn sich der Verdacht der strafbaren Kinder- oder Jugendpornographie nicht bestätigt, ist der Fall für Woelki jedenfalls peinlich: Denn für die katholische Kirche ist jede Form von Pornographie eine große Sünde.“

Der Satz bezieht sich auf die im Artikel genannte staatsanwaltschaftliche Überprüfung, ob sich auf der Liste, auf der neben dem früheren Generalvikar noch „Dutzende“ (Kölner Stadt-Anzeiger) weitere Mitarbeiter stehen, auch Seiten mit gesetzeswidrigen Inhalten befinden. Sowohl Stadt-Anzeiger als auch Bild-Zeitung, denen die Liste vorliegt, sprechen nicht von illegalen Inhalten. Übrigens hat keine andere Zeitung außer dem Boulevardblatt den Namen des Priesters genannt geschweige denn abgebildet.

Eine Information interessierte keinen der Journalisten

Was offenbar auch keinen der Journalisten interessiert hat: die Zahl der Mitarbeiter, die an das EDV-System des Erzbistums angeschlossen sind. Ein Pressesprecher teilte auf Corrigenda-Nachfrage mit, es handle sich dabei nicht nur um jene des Generalvikariats, sondern auch um alle, die in angeschlossenen Einrichtungen (wie etwa das historische Archiv) tätig sind sowie um die Mitarbeiter mehrerer Pfarrgemeinden – insgesamt einige Tausend. Einige „Dutzend“ davon sind nicht „massenhaft“, wie die Bild schrieb.

Dennoch ist klar: Auch wenn der Konsum von legaler Pornographie weder laut staatlichem noch laut kirchlichem Recht strafbar ist, handelt es sich um eine Sünde. Im Katechismus heißt es dazu:

„Sie verletzt die Keuschheit, weil sie den ehelichen Akt, die intime Hingabe eines Gatten an den anderen, entstellt. Sie verletzt die Würde aller Beteiligten (Schauspieler, Händler, Publikum) schwer; diese werden nämlich zum Gegenstand eines primitiven Vergnügens und zur Quelle eines unerlaubten Profits. Pornographie versetzt alle Beteiligten in eine Scheinwelt. Sie ist eine schwere Verfehlung.“

Papst Franziskus hat erst im Herbst gerade auch mit Blick auf Nonnen und Priester vor der „Versuchung der digitalen Pornographie“ gewarnt. „So tritt der Teufel ein“, mahnte das Kirchenoberhaupt. „Ich sage euch, das ist eine Sache, die den Geist schwächt.“

Gerade Priester und andere Würdenträger sollten nicht nur mit Blick auf das eigene Seelenheil bedacht sein, in Sachen Sexualmoral vorbildlich zu agieren, sondern auch deshalb, weil sie die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche mitverkörpern und repräsentieren. Ironischerweise könnte ausgerechnet die moralisch oft fragwürdig handelnde Bild-Zeitung sie daran erinnert haben.

Der Zweck heiligt nicht die Mittel, egal um wen es sich handelt

Doch der Zweck heiligt hier nicht die Mittel. Das gilt genauso im Falle eines Migranten, über den auf einer ganzen Seite mit Namen und mit einem nicht unkenntlich gemachten Foto als vermeintlichem Rädelsführer von gewaltsamen Übergriffen berichtet wird, obwohl später vor Gericht festgestellt wird, dass er daran gar nicht beteiligt war.

Das gilt ebenso im Falle eines kommunalen AfD-Politikers, der von einer regionalen Zeitung wegen eines Gerichtsstreits um eine Kautionsrückzahlung einer Miete „regelrecht vorgeführt“ wurde, wie der Presserat es beschrieb. Auch er wurde mit Namen und Foto abgebildet. Und auch hier lag ein Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex vor.

Oft geht es aber nicht nur um den Skandal, sondern um die maximal mögliche Emotionalisierung. Etwa wenn trauernde Angehörige plötzlich das Foto ihrer getöteten Tochter auf dem größten Nachrichtenportal des Landes sehen, ohne dass sie ihre Zustimmung dafür gegeben haben. Auch der Opferschutz zählt zum Schutz der Persönlichkeit. „Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich“, heißt es dazu im Pressekodex.

Es kommen aber noch weitere Dimensionen hinzu: Wer einmal am Medienpranger war, dessen Name verschwindet nicht so schnell oder überhaupt nicht mehr aus dem Internet. Arbeitgeber, Kollegen, neue Bekanntschaften: Sie googeln den Namen und stoßen auf derlei Artikel. Erschwerend kommt hinzu: Die sprachliche Stoßrichtung der Medien findet oft, bewusst oder unbewusst, Eingang in die Alltagssprache der Menschen. Wird der „Porno-Priester” jemals wieder diesen „Spitznamen” los? Oder ist die skandalheischende Berichterstattung nicht viel mehr der Beginn eines lebenslangen Mobbings?

Skandale oder hochintime Informationen können sich aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten viel schneller und weiter verbreiten als früher. Die Skandalkurve geht heute steiler nach oben. Journalisten können daran maßgeblichen Anteil haben. Zu einer weiteren erstrebenswerten Eigenschaft für sie könnte daher zählen: Verantwortung tragen. Nervig sein können und sollen sie trotzdem.

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Christ
Vor 1 Jahr 1 Monat

Wie anders denn als Hass und Hetze ist das Vorgehen der SZ gegen den bayerischen Hubert Aiwanger zu bewerten? Auch Wikipedia entblödet sich nicht, den Rufmord unter besagtem SZ-Titel („Auschwitz-Pamphlet“-Vorwürfe) sofort dem Aiwanger-Eintrag hinzuzufügen. Seit Journalisten sich als Volkserzieher verstehen und Scharfrichter spielen, schaden sie neben ihren Opfern vor allem einem: ihrem eigenen ehemals geachteten Berufsstand.

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H.u.P.Dornfeld
Vor 1 Jahr 1 Monat

Volle Zustimmung!

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Christ
Vor 1 Jahr 1 Monat

Wie anders denn als Hass und Hetze ist das Vorgehen der SZ gegen den bayerischen Hubert Aiwanger zu bewerten? Auch Wikipedia entblödet sich nicht, den Rufmord unter besagtem SZ-Titel („Auschwitz-Pamphlet“-Vorwürfe) sofort dem Aiwanger-Eintrag hinzuzufügen. Seit Journalisten sich als Volkserzieher verstehen und Scharfrichter spielen, schaden sie neben ihren Opfern vor allem einem: ihrem eigenen ehemals geachteten Berufsstand.

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H.u.P.Dornfeld
Vor 1 Jahr 1 Monat

Volle Zustimmung!

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Veritas
Vor 1 Jahr 1 Monat

Geehrter Herr Steinwandter, in dieser Sache schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits stimme ich Ihnen zu, andererseits ist Transparenz auch wichtig, weil es den Weg zur Wahrheit ebnet. Selbstverständlich heißt das nicht, man müsse jedes Detail des Lebens preisgeben, aber wenn es sich um Politiker, Vikare oder andere öffentliche Personen handelt, sehe ich da mehr Spielraum, als bei reinen Privatpersonen.