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Künstliche Intelligenz

Götterdämmerung für „Bullshit-Jobs“

Programme auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) sind in aller Munde. Vor allem ChatGPT, der Algorithmus, der auf Zuruf Nachrichtenmeldungen, Gedichte und sogar Computercodes ausspuckt, hat sich als erste KI-Applikation einen Weg in das breitere öffentliche Bewusstsein gebahnt. Doch andere Anwendungen, wie etwa die verschiedenen Bildgeneratoren Midjourney AI oder DALL-E, gibt es bereits wesentlich länger, ebenso wie das Übersetzungsprogramm DeepL, das letztlich ähnlich funktioniert. Sie alle haben gemeinsam, dass sie weiten Teilen der Akademikerschicht dringliche Fragen nach ihrem zukünftigen Platz am Arbeitsmarkt stellen.

Vor allem die Veröffentlichung von ChatGPT führte anfänglich zu fast schon apokalyptischen Prognosen über die bevorstehende Übernahme der Weltherrschaft durch Roboter. Darauf folgte eine Phase der Beruhigung und Relativierung der Möglichkeiten der KI, und mittlerweile kursieren auf Twitter massenweise Screenshots, in denen der Chatroboter mit einfachen Fangfragen aufs Glatteis geführt werden kann. Wie so häufig tendiert die Öffentlichkeit dazu, von einem Extrem ins andere umzuschlagen, bevor sich eine halbwegs realistische Sicht durchsetzt.

Die Erfahrung mit jenen Programmen, die bereits länger auf dem Markt sind, zeigt, dass das Potential zur Umstrukturierung der Arbeitswelt durchaus gegeben ist. Während der Verfasser dieser Zeilen selbst noch vor einigen Jahren mit Übersetzungen ein Zubrot verdiente, wird dieser Beruf durch die rasante Entwicklung von Programmen wie DeepL in absehbarer Zeit entweder der Vergangenheit angehören oder nur noch aus redaktioneller Tätigkeit bestehen.

Dunkle Wolken am Horizont

Auch Programmierer entdecken mittlerweile die Möglichkeiten von ChatGPT, etwa um Codes zu schreiben. Wenn die Fehleranzahl bisheriger Resultate erwartungsgemäß weiter reduziert wird, kann das Programm ein beeindruckendes Werkzeug in den Händen fähiger Programmierer werden.

Die Ängste der schreibenden Zunft außerhalb des künstlerischen Sektors, die unter anderem aus Journalisten, Werbetextern und Essayisten besteht, sind auch nicht gänzlich unbegründet. Die auf Knopfdruck erzeugten Texte von ChatGPT entbehren oftmals zwar der „Persönlichkeit“ und des Tiefgangs, aber für die durchschnittliche Meldung sind diese Faktoren ohnehin nur unnötiger Ballast.

Wie bei der agrarischen und industriellen Revolution zuvor, würde auch eine digitale Revolution den Menschen nicht vollständig aus dem entsprechenden Sektor verdrängen, aber die Zahl der in ihm Beschäftigten würde drastisch sinken. Der moderne Bauer ist im Vergleich zu seinen Vorfahren auch ein Agrar-Manager, und große Fabriken benötigen keine Menschenmassen an den Fließbändern mehr, sondern vergleichsweise wenige hochqualifizierte Ingenieure, die die hochkomplexen Maschinen bedienen und instand halten.

Sitzungen – zur Aufrechterhaltung des Scheins

Ein ähnlicher Prozess zeichnet sich nun unweigerlich für Teile des akademischen Raumes ab. ChatGPT wird weder die Werbetexter noch die Journalisten an sich abschaffen, aber die Zahl der nötigen Mitarbeiter deutlich reduzieren. Zumindest wenn wir das wollen, denn bereits heute finden sich in weiten Teilen der akademischen Bürowelt immer mehr sogenannte „Bullshit-Jobs“, deren eigentlicher Inhalt darin besteht, mit viel Aufwand die eigene Existenz zu rechtfertigen.

Viele Arbeitsprozesse leiden bereits seit langem unter dem Joch der Redundanz und Ineffizienz. Wo früher ein präziser Briefwechsel für eine Absprache zwischen zwei entfernten Parteien genügte, werden heute mehrere E-Mails hin und her geschickt, unvollständig beantwortet und obligate Erinnerungen verschickt, um in zehnmaligem Hin und Her weniger festzulegen als früher in einem einzigen Brief.

Doch wer E-Mails schreibt und auf Excel-Tabellen starrt, ist beschäftigt. Den Höhepunkt solcher Beschäftigungstherapien bilden die unumgänglichen Dienstberatungen oder Meetings, deren primärer Zweck in der Aufrechterhaltung des Scheins liegt, dass diese Form des Austauschs irgendeinen positiven Einfluss auf den Zusammenhalt in der Gruppe und die allgemeine Arbeitseffizienz habe. Wer den Arbeitsalltag in den betroffenen Institutionen jedoch kennt, weiß, wie trügerisch dieser Schein ist.

Die ideologische Wurzel des „Studiums für alle“

Viele dieser Tätigkeiten wären eigentlich nicht nötig. Als Elon Musk Twitter übernahm, entließ er einen beträchtlichen Teil der Belegschaft, da er bei seiner Übernahme feststellte, dass „auf jeden Coder zehn Leute kamen, die irgendetwas managten“. Er entschlackte das Unternehmen, das seitdem – entgegen allen Unkenrufen, die den Untergang Twitters vorhersagten – technisch problemlos weiterläuft.

Musk steht mit seiner Herangehensweise prototypisch für das klassische Unternehmertum, das Wirtschaftlichkeit und Leistung in den Vordergrund stellt. Dem gegenüber steht der quasi-sozialistische Entwurf von Firmen, Institutionen und Ämtern, die ihre Aufgabe nicht in der effizienten Ausführung ihrer Arbeit sehen, sondern in der moraltherapeutischen Erziehung der Bevölkerung sowie in einer möglichst umfassenden Beschäftigung einer Klasse von Akademikern, die sich vor allem durch die Unbestimmtheit ihrer Fähigkeiten auszeichnet. Nur so ist es erklärlich, warum junge Damen mit einem Bachelor in Politikwissenschaften massenweise Sekretariatsdienste für einen schicken englischsprachigen Titel und oft schlechtes Gehalt ausführen.

Seit den 1960er Jahren hat die Zahl der Akademiker in der westlichen Welt explosionsartig zugenommen. Die Gründe dafür liegen in der Ideologie der Revolutionäre dieser Zeit, die ein Studium für alle einerseits als machbar und andererseits als wünschenswert betrachteten. Aus ideologischer Perspektive ist das nachvollziehbar. Der akademische Raum ist seit jeher von einer besonderen Offenheit gegenüber liberalen und sozialistischen Utopien geprägt, die einfache Rechnung lautete also: je mehr Akademiker, desto mehr potenzielle Revolutionäre.

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Leben für die Förderung der permanenten Perestroika

Während viele Menschen bei Akademikern noch immer primär an Ärzte und Anwälte denken, ist die Realität mittlerweile die, dass eine inflationäre Anzahl geisteswissenschaftlicher Fächer geschaffen wurde, deren gesellschaftliche Aufgabe große Überlappungen mit der eines Berufsrevolutionärs hat: ein Leben für die Förderung des permanenten gesellschaftlichen Umbaus, eine Existenzberechtigung basierend auf vermeintlicher ideologischer Notwendigkeit.

So konnte die heimliche Revolution nach dem langen Marsch durch die Institutionen eine Akademikerklasse heranzüchten, die zwar wenig zur tatsächlichen Wissensbildung und Wirtschaftlichkeit beiträgt, aber ideologisch in weiten Teilen mit revolutionärem Gedankengut sympathisiert. Indem diese Klasse an die Schalthebel der Politik, des akademischen Raumes und der Medien gelangte, wurde sichergestellt, dass kein öffentlicher Zweifel darüber aufkam, dass eine Gesellschaft sich das „einfach mal leisten müsste“.

Der US-Soziologe James Burnham sah bereits in den 1940er Jahren eine solche Entwicklung voraus, indem er von der „Managerial Revolution“ sprach: Das private Unternehmertum sei am Ende, und das Regime der Manager übernehme. Diese neue Elite errang eben nicht nur Macht in den Unternehmen.

Deutschland hinkt auf diesem Gebiet zahlenmäßig ein wenig hinterher. Wegen des dualen Bildungssystems ist die Akademikerquote im internationalen Vergleich noch recht niedrig. Spitzenreiter sind Kanada und Russland, beides Länder mit einer Akademikerquote von über 50 Prozent. Gerade im Falle Russlands dürfte dies mitunter ein Erbe der Sowjetunion sein, die ähnliche Ziele des gesellschaftlichen Umbaus schon früh verfolgte und ihre systemrelevante Unterstützung aus der Intelligenzija bezog.

KI als Chance für eine neue Ehrlichkeit

Die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz stellt weiten Teilen dieser Schicht die Rute ins Fenster. Bereits jetzt befürchtet man, dass die Möglichkeiten der KI schon bald viele Texte produzierende Zeitgenossen um ihre Stellen bringen könnten. Doch würde es nicht zwingend zum Aussterben gesamter Berufsstände führen, sondern vielmehr zu einer Spezialisierung. Verwaltungen etwa müssten nicht mehr Beschäftigte suchen, denn KI könnte viele der Tätigkeiten übernehmen, die von erfahrenen Mitarbeitern kontrolliert und gesteuert würden. Ähnliches gilt für den wissenschaftlichen Betrieb.

Eine solche Veränderung würde einen Großteil der selbstlegitimierenden Prozesse der akademischen Welt redundant machen. Die Fähigkeit, allen formalen Ansprüchen Genüge zu tun, ausreichend Fußnoten einzubauen und genügend Werke zu zitieren, um den Peer-Review-Prozess erfolgreich zu überstehen, würde überflüssig werden oder zumindest noch offensichtlicher als das in Erscheinung treten, was es eigentlich ist: ein Initiationsritual mit einem enttäuschend geringen wissenschaftlichen Wert.

Damit aber könnte sich der wissenschaftlichen Arbeit die Chance auf eine neue Ehrlichkeit auftun. In einer Welt, in der komplexe Rituale der Selbstrechtfertigung mit einem Schlag wertlos erscheinen, müsste zwangsläufig der Fokus wieder auf den ursprünglichen Kern, die Prämisse, die philosophische Grundlage der Arbeit gelenkt werden.

Man kann nicht einfach alle entlassen

Es würde aber auch dazu führen, dass der akademische Raum nicht mehr der Tummelplatz all jener wäre, die entweder aus politischen Ambitionen oder der veralteten Vorstellung, ein Studium wäre ein Garant für ein besseres Leben, studieren wollen, sondern – wie über Jahrhunderte zuvor – er einer kleinen Elite vorbehalten wäre. Diese sollte dann einerseits die modernen Werkzeuge der KI sinnvoll einzusetzen wissen, andererseits über den geistigen Unterbau verfügen, um sie sinnvoll anzusteuern.

Gegen solche Entwicklungen spricht aber die Demographie. Eine solche technische Revolution würde, konsequent umgesetzt, einen Großteil der Akademiker arbeitslos machen. Was früher ein demographisch zu vernachlässigender Faktor gewesen wäre, hätte nun weitaus gravierendere Folgen, als wenn man alle Fabriken schließen und nach China auslagern würde. Wenn je nach Land 20 bis 40 Prozent aller Erwachsenen mit einem Schlag auf der Straße landen würden, wäre die öffentliche Ordnung (sowie die ideologische Unterstützung dieser Ordnung) wohl nicht mehr lange zu gewährleisten.

Exakt aus diesem Grund darf angenommen werden, dass diese Mittel sich nur begrenzt durchsetzen werden, und zwar hauptsächlich im privaten Sektor, der ein Auge auf die Wirtschaftlichkeit werfen muss. Der wuchernde administrative Apparat in staatlichen und semi-staatlichen Institutionen wird aber wohl auch weiterhin auf das Modell der Beschäftigungstherapie durch Bullshit-Jobs setzen, zu groß ist das Risiko des Verlusts der staatslegitimierenden Unterstützung der akademischen Klasse.

Damit der Mensch zu aktiv gestaltender Arbeit finden kann

Dennoch stellt die Entwicklung der KI auch eine Möglichkeit dar, auf die drohende Erstarrung einer vollkommen durchakademisierten Gesellschaft auf Basis beschäftigungstherapeutischer Tätigkeiten hinzuweisen. Aus diesem subversiven Grund allein schon sollte man wohl die Entwicklung der KI begrüßen und sich selbst und anderen die Frage stellen, ob das nicht auch von einer KI erledigt werden könnte. Nur, wo diese Frage gestellt wird, besteht Hoffnung, dass der Teufelskreis sinnentleerter Lohnsklaverei durchbrochen wird und der Mensch zu einem aktiv gestaltenden Wirken in der Welt zurückkehren kann.

 

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