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Regionale Architektur statt Glas, Stahl, Beton

Bauen als Panoptikum des Lebens

Die Frage „Wie bauen?“ ist alles andere als banal. Wenn Martin Heidegger die Formel aufstellt „Mensch sein heißt wohnen“ und den Begriff des Wohnens etymologisch mit dem Begriff des Bauens gleichsetzt, dann ist das ein Anspruch an das Bauen, der heute nicht mehr allzu sehr befolgt werden will.

In unserer modernen individualistischen Gesellschaft sind Bauen und Wohnen so etwas wie der Höhepunkt des individuellen Selbstverwirklichungsdrangs. Bauen war zwar immer schon eine Frage von Repräsentation und Selbstdarstellung. Im Gegensatz zum Heute zielte das Bauen in der Vergangenheit allerdings immer auf eine Ewigkeit hin und sollte dem Bauherren eine vermeintliche Unsterblichkeit verleihen.

Heute sind Instagram-„Likes“ offenbar wichtiger. Gebaut wird maximal für die kommenden 20 bis 30 Jahre. Dass das alles weder „nachhaltig“ noch „grün“ ist, ist eine Tatsache, die lieber nicht zu sehr beachtet werden soll. Die öffentlich bekundete „grüne“ Haltung ist ja eher eine Ermahnung an die „anderen“ denn eine Richtschnur für die eigene Lebensführung.

Weißer Kubus aus Glas, Stahl und Beton

Die internationalen Architekturmagazine geben uns den „Traum“ aus Glas, Stahl und Beton vor. Irgendeine abstrakte Form muss es sein, am besten ein unverständlicher Kubus in der unberührten Natur. Die Formgebung hat eher mit der gegenstandslosen Kunst denn mit der konkreten baulichen Form zu tun, die sich aus baulicher Tradition, Regionalität und Wohnkultur ergibt. Das ist kein Vorwurf, sondern durchaus Programm.

Nur durch die freie abstrakte Form, so die Vertreter der Moderne oder Post-Moderne, könne sich der Funktionalismus durchsetzen, der sich keiner Form und keiner Konstruktion mehr, angeblich noch nicht einmal der Statik, unterordnen müsse. Nun ist dieser „Funktionalismus“ allerdings alles andere als neu.

Das „Bauhaus“, das 1919 als Kunstschule gegründet wurde, plädierte offen gegen die Form und für die Funktionalität. Später hat man dem Bauhaus zu Recht zum Vorwurf gemacht, dass das alles mehr ein ästhetisches Programm denn eine Überzeugung war. Abseits der Bekundungen ging es sehr wohl um den Formalismus des weißen Kubus mit Flachdach.

Die Frage nach der Nachhaltigkeit

Das moderne Bauen kann nicht allzu nachhaltig sein. Die Ökobilanz von Stahlbeton, Stahl und Glas ist katastrophal. Das Flachdach ist nur durch Unmengen an synthetischen Baustoffen umsetzbar. Gleiches gilt für Fenster, Fensterrahmen und nicht zuletzt für die Wärmedämmung.

Die großzügigen Glasflächen bedingen das Klimagerät im Sommer. Im Winter wird dann ordentlich geheizt, zumindest mit dem Prädikat „ökologisch“, so dass der exzessive Energiebedarf zumindest moralisch unbedenklich scheint, sehr wohl aber ein Anzeichen für Fehlplanung ist.

Das größte Problem liegt allerdings in der mangelnden Dauerhaftigkeit. Wenn das Gebaute nach 20 bis 30 Jahren nicht mehr gefällt, weil die Mode verflogen, die exponierten Baumaterialien vergilbt und der Umbau nicht mehr wirtschaftlich möglich ist, dann weicht das ehemalige „Traumhaus“ dem Neubau. Letztlich dann, wenn die nächste Generation sich nicht mehr durch eigenwillige abstrakte Wohnraumaufteilungen und zeitgeistige Gestaltung begrenzen lassen will.

Bauen als territoriales Prinzip

Bauen und Wohnen sind keine banalen Angelegenheiten. Durch das Bauen richten wir uns im Raum ein. Unserem Bedürfnis nach physischer und emotionaler Geborgenheit wird durch die eigenen vier Wände Rechnung getragen. Der Mensch ist ein territoriales Lebewesen, auch wenn uns die moderne flexible Gesellschaft das Gegenteil weismachen will. Indem wir wohnen, projizieren wir unsere Gedanken, Erinnerungen und Erlebnisse auf einen konkreten Raum hin.

Vorschau Traditionelle Reetdachhäuser in Nieblum auf der nordfriesischen Insel Föhr (Schleswig-Holstein, Bundesrepublik Deutschland)
Bauen mit regionalem Bezug und Werkstoffen aus der unmittelbaren Umgebung: Traditionelle Reetdachhäuser in Nieblum auf der Insel Föhr, Nordfriesland

Da ist es nur gut und recht, Baumaterialien aus der unmittelbaren Umgebung zu verwenden. Der regionale Bezug ist ein Prädikat für das distinguierte Bauen, verlangt die Verwendung natürlicher Werkstoffe wie Holz und Stein nämlich hohes handwerkliches Geschick sowie baukulturelles Wissen. Wer intelligent baut, weiß den natürlichen Werkstoff Holz mit seinen vielfältigen Stärken einzusetzen und verzichtet durch konstruktive Detailplanung auf den exzessiven Einsatz von holzschützenden Chemikalien und auf Verpackungen und Verblendungen, die einen Schein erzeugen, der dem Sein widerspricht.

Der Rückgriff auf natürliche Baustoffe zahlt sich in jedem Fall aus. Im Gegensatz zu modernen synthetischen Baustoffen verfügen natürliche Werkstoffe über ein Leben, über eine Geschichte, über eine konkrete Herkunft, sie altern förmlich mit uns mit, sie zeigen Gebrauchsspuren und speichern Erinnerungen.

Die Magie des Realen

Das gute Bauen ist ein Panoptikum des Lebens. Wir bauen gut, indem wir die elementaren Zusammenhänge, die unser Leben prägen, in eine bauliche Form fügen, welche unseren Ansprüchen über lange Zeiträume hinweg genügt.

Was gut ist und was nicht, beweist letztlich und so auch beim Bauen allein die Zeit. Das Bauwerk, das nach 20 bis 30 Jahren abgerissen wird, war eine konkrete Fehlplanung. Gut bauen wir dann, wenn das Bauwerk nach 200 Jahren unter Denkmalschutz steht und auch noch nach dem fünften Umbau seine ursprüngliche Aura besitzt.

Dazu müssen eine Aura sowie ein Mut zur Gestaltung erst einmal vorhanden sein, was beim gegenstandslosen Bauen bewusst nicht gewollt ist. Wenn Form, Materialität und funktionelle Anforderungen ineinandergreifen, äußert sich vielleicht das, was der Schweizer Architekt Peter Zumthor die „Magie des Realen“ im Bauen nennt und sich in dieser ganz spezifischen Aura äußert, die den guten vom schlechten Entwurf unterscheidet.

Material, Konstruktion, Tragen und Getragenwerden, Erde und Himmel, und Vertrauen in Räume, die wirkliche Räume sein dürfen; Räume, zu deren raumbildender Umhüllung und raumprägender Stofflichkeit, zu deren Hohlform, deren Leere, Licht, Luft, Geruch, Aufnahmefähigkeit und Resonanzfähigkeit man Sorge trägt“ (Zumthor in: „Architektur denken, 2012). Das trifft es.

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