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Weihnachten

Den verschütteten Sinn wiederentdecken

Ist wie so vieles andere nun auch das Weihnachtsfest vom allmählichen Aussterben bedroht? Ich bin nicht der Einzige, dem aufgefallen ist, dass im Dezember 2025 keine echte Weihnachtsstimmung aufkommen konnte. Es war, als ob alle weiterhin taten, was eben getan werden musste, aber nicht wirklich mit dem Herzen bei der Sache waren. Erstaunlich ist dies nicht. Es war unvermeidlich, dass früher oder später auf die Jahre des kommerziellen Rausches, der Entchristlichung, des Zerfalls der Familien und der Islamisierung ein gewisser Niedergang des Weihnachtsfestes selbst folgen musste.

Beginnen wir mit dem öffentlichen Raum, um uns dann ins Private vorzutasten. Offen gesagt war ich enttäuscht, als ich die Beiträge und Kommentare las, die in den Tagen vor und nach Weihnachten in den sozialen Netzwerken kursierten. Ich schließe hier ausdrücklich die Texte aus dem Lager der politischen Rechten mit ein.

Dass die Linke Weihnachten jedes Jahr instrumentalisiert, um ihrem Materialismus einen christlichen Anstrich zu geben, ist nichts Neues. Die Geburt des Jesuskindes in einer bescheidenen Krippe als Argument, um noch mehr Millionen von Flüchtlingen nach Europa zu holen, kennen wir seit Jahren. Ebenso wie die sozialistische Verfälschung des christlichen Aufrufs, Gott in jedem Menschen zu erkennen und daher seinen Nächsten zu lieben: „Jesus würde die Linke wählen“.

Politische Instrumentalisierung der Geburt Jesu

Doch was mich am meisten schockiert hat, war zu sehen, wie sehr sich die politische Rechte mittlerweile genau derselben Tendenzen schuldig macht. So wurde die christliche Aufforderung, Frieden in Gott zu finden, zu einer Forderung nach politischem Frieden umgedeutet. Sie wird damit zu einem Argument gemacht, um den Ukrainern – oder den Russen, je nach Belieben – vorzuwerfen, sie würden die Weihnachtsbotschaft missachten, indem sie den Krieg fortsetzen, anstatt zu kapitulieren oder sich zurückzuziehen.

Und es versteht sich von selbst, dass natürlich sowohl Russophile als auch jene, die ein enges Bündnis zwischen den Nationen Nordamerikas und Europa befürworten, meinen, dass ihre eigene politische Seite immer auch die christlichen Werte verteidigt. Ebenso veranlassten die geographischen Ursprünge des Messias die einen dazu, die Christen aufzufordern, die Israelis gegen die Bewohner des Gazastreifens zu unterstützen – schließlich war Jesus ein „jüdisches Baby“ –, und die anderen, die Heilsgeschichte und die Ablehnung des Christentums durch die Juden zu instrumentalisieren, um den Letzteren das Recht abzusprechen, im Land ihrer Vorfahren zu leben.

Schließlich erspare ich der Leserschaft die unzähligen Kommentare, welche Weihnachtswünsche mit der üblichen politischen Kritik am großen Bevölkerungsaustausch, am atheistischen Satanismus oder der Islamisierung des Abendlands verbanden. Ganz zu schweigen von den gewohnten endlosen Diskussionen zwischen Christen und Neuheiden oder Atheisten über die Frage, inwieweit die frühe Kirche vorchristliche Daten, Riten und Symbole usurpiert hat oder nicht. Politik, wohin man schaut.

Die Nachfolge Christi als Kern des Christentums

Nicht, dass wir uns missverstehen: Natürlich sind manche der oben aufgeführten Argumente relevant, und natürlich sollte das Weihnachtsfest uns ermöglichen, die religiöse, kulturelle, patriotische oder sogar ethnische Identität zu bekräftigen. Schließlich hat der Ritus seit jeher auch die Funktion, eine gemeinsame Identität zu schaffen. Notwendigerweise führt das auch zu einer Abgrenzung gegenüber all jenen, die diese Identität nicht teilen.

Es liegt auf der Hand, dass das Feiern von Weihnachten in einem zivilisatorischen Umfeld, das mittlerweile für das genaue Gegenteil dessen steht, was einst den Kern von Christentum und abendländischer Kultur ausmachte, diesen Kontrast auf spektakuläre Weise deutlich macht. Aber sich immer wieder obsessiv auf diesen Schmerz zu konzentrieren, anstatt Weihnachten so zu feiern, wie es gedacht war, und einmal die Politik Politik sein zu lassen, ist Teil des Problems selbst.

Denn im Zentrum des Christentums und der abendländischen Kultur steht die radikale Erinnerung an unser transzendentes Wesen, an das Wunder, eine unsterbliche Seele zu besitzen, die nach dem Bild des Schöpfers geschaffen ist. Damit verbunden ist der Aufruf, der kompromisslosen Innerlichkeit Christi zu folgen, um selbst zu Kindern Gottes zu werden, wie es so eindringlich im Johannesevangelium formuliert wird. Dessen Beginn wird nicht ohne Grund am Ende einer jeden tridentinischen Messe vorgelesen.

Nicht mit einer Gegenmanipulation reagieren

Weihnachten und damit die Geburt Christi zu feiern, hat absolut keinen Sinn, wenn wir nicht zumindest an diesem einen Tag Christus auch in uns das Licht der Welt erblicken lassen, wie der große Mystiker, Theologe und Lyriker Angelus Silesius sagte. Ich habe nichts dagegen, dass man 364 Tage im Jahr über den russischen Präsidenten Wladimir Putin, den Gazastreifen oder Massenmigration spricht – aber zumindest die politische Rechte sollte den guten Geschmack, ja das Gespür für Heiligkeit besitzen. Sie sollte sich wenigstens am 365. Tag auf den Kern des Glaubens konzentrieren, ohne ihn mit politischer Instrumentalisierung zu beflecken.

Last-Minute-Einkauf vor Weihnachten in der Kölner Innenstadt am 23.12.25. So kurz vor Weihnachten herrscht in der Fußgängerzone gewöhnlich großes Gedränge. Davon ist hier nichts zu spüren

Denn genau dieser Begriff des Heiligen ist es, der den grundlegenden Unterschied zwischen der Linken und der Rechten ausmacht oder wenigstens ausmachen sollte. Wir sollten auf die Manipulation der christlichen Botschaft seitens der Linken nicht mit einer Gegenmanipulation von rechts reagieren, sondern mit einer Konzentration auf das, was im Zentrum und nicht nur am Rande des Glaubens an das Übernatürliche steht: die absolute Überlegenheit der inneren und individuellen Suche nach dem Göttlichen, nach der civitas caelestis, des Gottesstaates. Dieser steht allen äußeren politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Erwägungen gegenüber, die, um es mit den Worten des heiligen Augustinus zu sagen, lediglich der civitas terrena, dem irdischen Staat, angehören.

Wenn Christus die Händler aus dem Tempel vertrieben hat, gilt dieses Beispiel auch und vor allem für unser Inneres. Wir müssen es frei von allen materiellen Exzessen halten. Doch das ist eine Botschaft, die im 21. Jahrhundert leider selbst innerhalb des rechten Lagers immer unverständlicher zu werden scheint.

Das Verschwinden der letzten Äußerlichkeiten

Was wir in den vergangenen Tagen beobachten konnten, war nicht nur eine Instrumentalisierung des Glaubens durch die Politik, sondern auch der Beginn eines langsamen, aber sicheren Verschwindens des Weihnachtsfests aus dem öffentlichen Raum. Wir alle sind mit den üblichen Klagen über die zunehmende Oberflächlichkeit des Feierns von Weihnachten aufgewachsen. Die geistige und geistliche Bedeutung des Festes wurde ebenso unter der Hyperkommerzialisierung begraben wie unter dem gezielten Austausch Christi und seiner tragischen Menschlichkeit durch die gutmütig-einseitige Figur des Weihnachtsmanns.

Trotz dieser jahrzehntelangen inneren Aushöhlung hat die besondere Atmosphäre des Weihnachtsfestes lange irgendwie überlebt. Das Bewusstsein, an einem Fest teilzunehmen, das anders ist als alle anderen, war weitgehend erhalten geblieben. In diesem Jahr scheint mir aber selbst der atmosphärische Rest infrage gestellt worden zu sein.

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Zumindest da wo ich lebe, waren die öffentlichen und privaten Weihnachtsdekorationen stark eingeschränkt und ohne jede explizite christliche Konnotation. Die Städte waren in den Tagen vor dem Fest fast menschenleer, selbst zu Zeiten, in denen normalerweise der letzte Ansturm auf noch fehlende Geschenke stattfindet. Sogar die Supermärkte, die normalerweise am 23. und 24. Dezember wegen der Einkäufe für das Weihnachtsessen überfüllt sind, waren kaum stärker frequentiert als an Wochentagen.

Und selbst als ich durch verschiedene Dörfer und Städte fuhr, um zur Mitternachtsmesse zu gelangen, war ich überrascht, dass die meisten Lichter schon ausgeschaltet waren, während die Menschen normalerweise bis weit nach Mitternacht Weihnachten feierten. Nur im Untergeschoss der Kirche feierte eine örtliche Jugendgruppe absurderweise mit lauten Bässen und Gegröle bis in die frühen Morgenstunden und verdarb den gregorianischen Gesang der lateinischen Messe. Alles in allem entstand wenigstens in meinem unmittelbaren Umfeld der Eindruck, viele Menschen würden mittlerweile Weihnachten eher aus Gewohnheit und Pflichtgefühl als aus echter Begeisterung feiern. Wenn überhaupt.

Katzenjammer nach kapitalistischer Übersteigerung

All das mag subjektiv und wahrscheinlich in anderen Regionen Europas anders erlebt worden sein. Doch selbst wenn meine Beobachtungen nur für mein eigenes Umfeld gelten, scheint mir der Fall Belgiens doch an sich bereits recht aufschlussreich zu sein. Nicht nur, weil meine Heimat im Herzen Europas und verschiedener sich überschneidender Kulturkreise liegt, sondern auch, weil sie seit jeher ein aussagekräftiges Laboratorium für große Trends und Tendenzen darstellt, die den Rest des Kontinents mitunter erst mit einer gewissen Verzögerung erreichen.

Im Grunde genommen ist das, was sich hier abzeichnet, nicht wirklich überraschend, sondern unvermeidlich. Auf die kapitalistische Übersteigerung des Festes zur Konsumorgie musste früher oder später der große Katzenjammer folgen. Hand in Hand mit der Entchristlichung einer Gesellschaft, die mit dem eigentlichen Kern des Festes nichts mehr zu tun haben will, der Islamisierung des Stadtbilds – und natürlich dem Zerfall der Familie. Dies, weil die gelebte Realität von Patchworkfamilien, Incels – unfreiwillig alleinstehenden Männern – und selbstverwirklichenden Karrierefrauen mit der Konstellation der Weihnachtsgeschichte weder symbolisch noch praktisch irgendwelche Schnittmengen aufweist.

Einmal mehr scheint unsere spätzeitliche, entchristlichte Gesellschaft also dabei zu sein, ein grundlegendes Merkmal gemeinsamer ritueller und symbolischer Identität aufzugeben. Es ermöglichte bisher, sich selbst im Anderen wiederzuerkennen und ein kohärentes Ganzes zu konstituieren. Dieses Aufgeben ist nicht nur bedauerlich, sondern lässt auch nichts Gutes für die Zukunft erwarten, denn fragmentierte Gesellschaften sind in Krisenzeiten besonders anfällig. Sie laufen Gefahr, gewaltsam auseinanderzubrechen, wenn es darum geht, die Verteilung knapper Güter und politischer Macht zu organisieren.

Eine Chance zur Neuevangelisierung

Gleichzeitig sollten wir diese Entchristlichung aber auch als Chance sehen, das Fest der Geburt des Erlösers endlich wieder ganz für das Christentum zurückzugewinnen. Wie bei den meisten anderen Festen haben sich die Kulturchristen, die sie jahrelang nur aus Gewohnheit oder unter sozialem Druck begangen haben, inzwischen mehrheitlich von diesen Überresten der Tradition abgewandt.

Sie geben sich ganz der Leere einer nihilistischen und konsumeristischen Existenz hin, sodass bald nur noch die überzeugten Gläubigen übrig sind, um die Umsetzung von Glaubensinhalten im Festkalender aufrechtzuerhalten. Das ist eine Gelegenheit, ihn von allem Äußerlichen zu reinigen und zu seiner ursprünglichen Reinheit zurückzukehren.

Befreit von all jenen, die durch ihren Materialismus und ihre Oberflächlichkeit den Zugang zur Pforte des Übernatürlichen verstellten, können wir nun wieder einen Weg durch die Trümmer bahnen. All denen, die bisher von Oberflächlichkeit, Kommerzialisierung oder Opportunismus angewidert waren, dürfen wir helfen, das wahre Wesen der Nachfolge Christi wiederzuentdecken.

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