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Kolumne „Mild bis rauchig“

Eva 2.0

Es ist Stimmung in der deutschen katholischen Kirche. Zwar keine gute, aber es ist was los. Wer den Wasserstand des Stimmungstiefs ermessen will, sollte regelmäßig die von den deutschen Bischöfen alimentierte Internetseite katholisch.de aufsuchen. Dort enthüllt sich in einer Mischung aus sensationslüsterner Journaille und masochistischem Voyeurismus die ganze Verkommenheit des deutschen Katholizismus.

Kein Tag, an dem nicht die Kirche als geistliche Institution infrage gestellt und in das Rampenlicht soziologischer Verhöre gestellt wird. Berichte von Missbrauchsfällen geben sich in der Stafette um den besten Eyecatcher in der Skandalisierung den Stab aus Kriegsberichterstattungen über den Kampf um Reformen und moderne Reformationen, aus genüsslich präsentierten Kirchenaustrittszahlen und dem stets gegenwärtigen Blick nach Rom auf den sprunghaften und vielgesichtigen Papst und seine ebenso heterogene Mitarbeitertruppe in die Hand.

Die Kirche ist unzerstörbar, obwohl sie auf Menschenfundament errichtet ist

Was dabei in der Regel fehlt, ist die Sichtweise, die das Evangelium auf die Kirche hat. Sie ist gänzlich anders und lässt den modernen Zuschauer, der sich derzeit in der Medienarena an den Makeln der Kirche und ihrem „quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlich Öffentlichkeit“ (Thomas Schüller) ergötzt, die Augenbrauen hochziehen. Am vergangenen 29. Juni, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, wurde in der katholischen Welt an diese entscheidende Dimension erinnert: „Du bist Petrus, der Fels“, sagt Christus zu dem schlichten Fischer Simon vom See Genezareth, „und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.“ (Mt 16,18)

Darin liegt die entscheidende Gründerabsicht Jesu Christi. Die Kirche ist unzerstörbar, obwohl sie auf einem Fundament errichtet ist, das aus Menschen besteht. Sie ist Schale für Gottes Trank, der durch manchen Sprung in der Schüssel nicht weniger wert wird. Die Welt wird nicht entmaterialisiert, und dennoch wird sie vergöttlicht durch die Menschwerdung Jesu Christi. Gott nimmt Fleisch an, das dadurch weder entbeint noch vergötzt wird.

Die Welt ist der Ort des Heils, seit Christus, der „neue Adam“, den Schuldbrief des alten Adam zerrissen hat. Der Erlöser heilt durch sein freiwillig gelebtes und geopfertes Leben den Riss, den die Anmaßung des ersten Menschen, wie Gott sein zu wollen, in die Welt getragen hat. Die Heillosigkeit des Irdischen, die in seiner Unfähigkeit liegt, sich selbst der eigenen Vergänglichkeit zu entledigen, wird aufgehoben, indem das Irdische einen irdischen Weg findet, in das Ewige zu gelangen. Und das ist: die Kirche!

Eine Spur zum Paradies

Natürlich ist dies eine Zumutung. Das bestreitet niemand, am wenigsten derjenige, der sich selbst als Gottmensch der Welt zumutet. Der Fall in die Versuchung, selbst Gott zu sein, hatte Adam und Eva des geschenkten Paradieses beraubt und sie zur Strafe ihrer ebenfalls geschenkten und missbrauchten Freiheit dazu verurteilt, künftig im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot zu essen.

Der neue Adam, Christus, der ganz und gar Mensch ist und ganz und gar Gott, nimmt diesen Fluch hinweg. Er verzaubert nicht die Erde zum Spieleparadies, aber er legt in ihr eine Spur, damit die Menschen mitsamt ihren Schwächen und Belastungen und vor allem mitsamt ihren drückenden Freiheiten, die heute Glück und morgen Abgrund bedeuten, einen erneuten Zugang zu dem Paradies erlangen, das nicht in dieser Welt liegt.

Vielleicht ist es sogar das eigentliche, erbsündliche Missverständnis, zu vermuten, dass der Mensch, wenn er vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, sich selbst zum Herrn über Gut und Böse machen kann. Die teuflische Einrede verspricht ja genau dies: Ihr werdet sein wie Gott. Die Vertreibung aus dem Paradies ist die Quittung für diese Anmaßung. So war es zumindest die Sichtweise in der Menschengeschichte mit Gott über die Jahrhunderte hinweg. Zwar ergriffen in den verschiedenen Epochen – vor allem seit der Aufklärung – eine Reihe von alternativen Erlösern die Fahne und proklamierten, wie Immanuel Kant, Karl Marx, Friedrich Nietzsche oder Michel Foucault, den Ausgang aus dem Elend als Umzug aus dem geschenkten Gottesgarten in das eigene Gärtlein der Selbstfindung und -verwirklichung.

Der alte Trug, dem die Menschen aufsitzen

Aber: „Die Strafe dessen, der sich sucht, ist, dass er sich findet“ (Nicolás Gómez Dávila). Ja, in der Tat: es ist der alte Trug, dem die Menschen aufsitzen, wenn sie der Schlange gehorchen, nach dem Erkennen Gottes zu greifen und – mal konstruierend, mal dekonstruierend, mal produzierend und mal richtend oder gar vernichtend – nach dem Bauplan der Wirklichkeit zu greifen. Die Sache geht immer schief. Denn am Ende sieht der Mensch tatsächlich immer nur sich selbst in dem ihm von allen Seiten vorgehaltenen Spiegel.

Es gehört darum unter den gegenwärtigen Tragödien, die sich in der katholischen Kirche unseres Landes abspielen, zu den am weitreichendsten, dass sich in ihr gewaltige Mehrheiten entschieden haben, der Versuchung zu erliegen, Gott auf Augenhöhe zu begegnen und darin dem uralten Revolutionsmuster zu verfallen, das dem Menschen stets das Paradies kostet. Unter dem Vorwand der Krisenbewältigung lösen sie die eigentliche, die vernichtendste Krise aus.

Immer wieder geht es um das alte Bedürfnis nach Autonomie. Man will selbst die Regeln bestimmen, nach denen gelebt und geglaubt wird und sich keinem Gott unterordnen, der eine Kirche gegründet hat, die den Anspruch des Heilsinstruments hat, obwohl sie aus in der Regel recht unheiligen Menschen besteht. Gerade in dieser Sucht nach Freiheit liegt aber der Grund für die Sklaverei, in die Menschen geraten, wenn sie sich von der Wahrheit befreien, die Gott ist.

Christliches Paradoxon: Im Gehorsam liegt die Freiheit

Die in der deutschen Kirchenrevolte prominente Initiative „Maria 2.0“ ist dafür das beste Beispiel. Unter dem Vorwand, die Botschaft Jesu authentisch zu leben, flüstert die Schlange den Aktivistinnen ein, das Lebensgefühl sei der Gott, den Jesus ihnen zeige. Und tatsächlich: Nach dem Biss in den Apfel sehen die Damen die Welt anders. Vordergründig bekämpft man männerbündische Machtstrukturen, die bislang verhindert haben, dass es zur Freiheit kommen konnte. In Wahrheit aber erliegt man der für Frauen und Männer gleichermaßen gefährlichen Abnabelung von dem, was Gott ohne den Menschen und sein Lebensgefühl dabei gefragt zu haben als Wirklichkeit ins Werk gesetzt hat.

Von daher ist die Titulierung gänzlich schlecht und ihrerseits verführerisch bis betrügerisch gewählt. Denn „Maria“ ist der Name derer, die durch das unbedingte und vollkommen unautonome „Ja“ zum Willen Gottes seine Mutter geworden ist. Das Paradoxon der christlichen Religion besteht eben gerade in der Einsicht, dass im Gehorsam die Freiheit liegt und in der Abkehr von den menschheitsgeschichtlich uralten Selbsterlösungsbedürfnissen das Finden des eigenen Ich. Denn das Ich kann immer nur so sehr es selbst sein, wie es bereit ist, in der Ordnung zu leben, die Gott im Garten Eden aufgestellt hat.

Das ist harte Kost für Menschen, die den Auszug aus dem Paradies weniger als Folge eines Sündenfalls, denn als begrüßenswerte Folge einer Revolution empfinden, bei der der Mensch sich und seine Bedürfnislage hat durchsetzen können. Deswegen wäre es an der Zeit, den Namen der Initiative umzubenennen. Allein um der Authentizität willen.

Die Kirchenreformation 2.0 ist keine Überraschung

Denn was man ist und sein will, ist ja „Eva 2.0“ – jene Frau mit gesteigertem Bedürfnis nach Durchsetzung ihres Willens Gott gegenüber. Die Reformatorinnen sind sich ja schließlich darin einig, dass es ein offensichtlicher Fehler war, so zu sein, wie Maria, die fraglos das tut, was Gott sagt und deswegen in der christlichen Tradition die „neue Eva“ genannt wird, die im Gegensatz zur alten Eva gehorsam ist und deswegen den „neuen Adam“, Christus, zur Welt bringt, der die autonome Welt wieder mit Gott verbindet, soweit sie es möchte.

Die Kirchenreformation 2.0, die sich derzeit in der katholischen Kirche Deutschlands entfesselt, ist aber keine Überraschung. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer jahrzehntelang erfolgreich kirchenamtlich unterstützten Autonomiebewegung, die die Kirche als Kirche abschaffen will. Und dafür die Freiheit des alten Adam und seiner Gefährtin fordert, wie Gott zu sein. Dieser neue Sündenfall innerhalb der Kirche, den neuen gegen den alten Adam zurückzutauschen, wird nicht ohne Folgen bleiben, wenn man ihn weiter als lebensnah und zeitgemäß hofiert.

Denn auch wenn die Damen der Initiative „Maria 2.0“ den Namen der Gottesmutter gekapert haben, es ändert nichts daran, dass sie als „Eva 2.0“ agieren und durch ihre penetrante Werbung dafür, in den Apfel der Lebenswirklichkeiten zu beißen, den Menschen unserer entgotteten Tage das Paradies aufs Neue verschließen. Man muss vermuten: aus Unwissenheit darüber, was die Kirche ist. Weswegen die Hoffnung bleibt, die Gertrud von le Fort in ihren „Hymnen an die Kirche“ (1924) besingt:

„Ich möchte mein Haupt eine Stille lang in deinen Schoß legen! Ich möchte eine Hoffnung lang in deinen Armen rasten! Aber du bist keine Herberge am Wege, und deine Tore öffnen sich nicht nach außen: Keiner, der dich fahren lässt, hat dich erfahren! Du sprichst zu den Zweifelnden: Schweiget’, und zu den Fragenden: Kniet nieder!’ Du sprichst zu den Flüchtigen: Gebt euch preis’, und zu den Flügelnden: Lasst euch fallen!’ An dir wird jede Wanderschaft lahm, und jede Wallfahrt findet an dir nach Hause. Darum flüchten meine Tage vor dir hin, wie der Windstoß hinflüchtet vor der Stille. Aber ich weiß, dass ich dir nimmermehr entkomme, denn wahrlich, so wie du verfolgst, kann nur Gott verfolgen!“

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Julia Uhmann
Vor 7 Monate

Maria 2.0 zeigt der katholischen Kirche lediglich auf, wie sie sich selbst das Wasser abgräbt und versucht, die Verantwortungsträger auf Wege hinzuweisen, wie dies verhindert werden kann. Den Spiegel sollten sich alle Hauptamtlichen vorhalten, die sich gegenüber dem Wort Gottes und ihrem Kirchenvolk wie die drei Affen verhalten - taub, blind und in Verweigerung einer ernsthaften Kommunikation.
Ob vor jeder Revolution immer das Paradies herrschte, das möge bitte näher erläutert werden. Und wo wir ohne Kant wären, ebenfalls. Soll der/die Bürger/in nicht mündig sein? Ein demokratiefeindlicher Gedanke ...

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Maria Peter
Vor 9 Monate 4 Wochen

Trefflich dargelegt. Danke.

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P. Mag.theol. …
Vor 4 Monate 4 Wochen

„Ihr werdet sein w i e Gott ...“ bringt den winzigen „Hebel-An-Satz“ ans Licht, mit dem „Meister Luzifer“ - umhüllt von „SchlangenHaut“ - die beiden Ur-Eltern zu Fall gebracht hat. [Was aber zumeist übersehen wird: der „Blitz-Aus-/Ein-Schlag“ hatte ihn selbst ent-hüllt, d.h. „vermaterialisiert“.] Dass Maria Gabriel i n s i c h selbst anhört (als „Sedes Sapientiae“) und also begegnet, zeigt, dass die falsche Gleichmacherei nicht wahr-genommen hat, wie Eva in Adam transformiert worden ist; erst der Sündenfall hat beide von-ein-ander getrennt... Daher ist Apk 12 (i.V.m. Gen 37,9f) auf Joh 21,11 verwiesen! Es handelt sich also um die „3. Eva“ im 'Mantel Mariens', die das ganze Netz der Heiligen ans feste Land der Auferstehungs-Wirklichkeit“ gezogen hat... (cf. Adrienne von Speyr mit Hans Urs von Balthasar!) > Was hier zu unter-scheiden ist mit Simon Petrus, ist „Kirche als Person“ - gegenüber Saulus-Paulus und einer „Kirche als Organisation/Institution“?! Denn: „Das Ewige Leben ist nicht den Orden / Institutionen verheißen worden, sondern den Einzelnen i n ihnen - wie übrigens jedem Christenmenschen auch!“ (J. Th. Rath CSSp) ...

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Julia Uhmann
Vor 7 Monate

Maria 2.0 zeigt der katholischen Kirche lediglich auf, wie sie sich selbst das Wasser abgräbt und versucht, die Verantwortungsträger auf Wege hinzuweisen, wie dies verhindert werden kann. Den Spiegel sollten sich alle Hauptamtlichen vorhalten, die sich gegenüber dem Wort Gottes und ihrem Kirchenvolk wie die drei Affen verhalten - taub, blind und in Verweigerung einer ernsthaften Kommunikation.
Ob vor jeder Revolution immer das Paradies herrschte, das möge bitte näher erläutert werden. Und wo wir ohne Kant wären, ebenfalls. Soll der/die Bürger/in nicht mündig sein? Ein demokratiefeindlicher Gedanke ...

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Maria Peter
Vor 9 Monate 4 Wochen

Trefflich dargelegt. Danke.