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Kolumne „Mild bis rauchig“

Gans oder gar nicht

Sie ist gut gebaut und in der Regel braungebrannt. Sie ist umschwärmt von zahlreichen Menschen und trägt einen unverkennbaren Duft an sich. In der ersten Begegnung ist sie oft ein wenig unterkühlt. Aber wenn sie einmal aufgetaut ist, kann sich ihrer Anziehungskraft und Attraktivität kaum jemand entziehen. Vorausgesetzt, sie ist richtig zubereitet und war mindestens drei Stunden im Backofen: die Weihnachtsgans.

Trotz der gegenwärtig deftigen Marktpreise, die die Gänse einmal mehr zu einem Luxusartikel werden lassen, ist und bleibt sie der Klassiker unter den Weihnachtsgerichten. Allerdings – nicht der Klassiker Nummer eins am Heiligen Abend. Dort hat ihr die Brühwurst den Rang abgelaufen. Statistisch haben die Würstchen die Gänse überholt.

Möglicherweise liegt das am Zubereitungsaufwand, denn Gänse sind kompliziert und widersprechen damit dem Ringen um Termine und Zeit gerade an Weihnachten. Brühwürste sind am Heiligen Abend stressfrei und idiotensicher warmzumachen.

Auf Kriegsfuß mit dem Zeitgeist

Die Gans ist fett, und damit verliert sie für ein ganzes Heer von Figur- und Gesundheitsbewussten schon von vornherein an Attraktivität. Gänse stehen damit ungewollt auf Kriegsfuß mit dem Zeitgeist. Man will ihre Bedeutung in der Vergangenheit nicht schmälern. Das ändert jedoch nichts daran, dass man sie auf Platz zwei verweist. Ein Schicksal, das sie mit allen Klassikern teilt.

Nicht zuletzt auch mit der Hauptperson des Weihnachtsfestes. Denn Retter und Erlöser gibt es – wenigstens in unseren Breiten – unkompliziertere. Solche, die schneller reagieren und nicht so umständlich im Stall geboren werden, um nach allerlei Umwegen auf skandalöse Weise zu sterben und darin das Heil zu wirken.

Heil und Erlösung muss heute schneller gehen. Es braucht ein einfaches Programm und Präsidenten und Kanzler, die es verkünden, damit man in ihnen den Retter und Erlöser vermutet. Das Programm darf dem Zeitgeist nicht widersprechen und darf nicht belasten, es darf nicht schwer im Magen liegen, sondern muss auf eine einfache und leichte Gleichung gebracht werden können. Und es muss schnelle Ergebnisse zu Tage fördern, die heiß gemacht werden durch die Medien und nicht ein Leben lang gar schmoren.

In der Abgeschiedenheit vorbereiten, nicht auf dem Parteitag

Dem Christkind billigt man zu, für Jahresendromatik zu sorgen. Eine wirkliche Rettung aus den Problemen der Gegenwart traut man ihm weniger zu.

Finanz- und Energiekrise, Arbeitslosigkeit, Klimaveränderung, Überalterung der Gesellschaft, Bildungsnotstand, Beziehungskrisen, islamistischer Dschihad mitsamt seinem internationalen und bösartigen Terror, Völkerwanderungen und Kriege möchte man schnell beseitigt haben. Man braucht dazu einen, der jetzt sagt, was zu tun ist. Und nicht einen, der einen selig anlächelt, ein wenig in der Krippe strampelt und dann als holder Knabe in himmlischer Ruh‘ einschläft.

Man braucht keine „Stille Nacht“, sondern das Tagesgeschäft. Man braucht schon einmal gar nicht die Mundpropaganda einiger weniger Wissender, die das Ereignis erzählend weitergeben. Man braucht die schnelle Info, möglichst gleich online. Weil man ja auch nicht Zeit hat zu warten. Rettung muss sein wie Erste Hilfe und nicht wie eine aufwendige Kur. Heil muss es in Tablettenform geben und nicht in Form von Erziehung.

Hier trennen sich Weihnacht und Alltag auf eine gefährliche Weise. Gefährlich, weil abhandenkommt, wo so etwas wie Erlösung aus Unlösbarkeiten eigentlich liegt. Nämlich nicht in politischen Routenplänen oder im Donnerhall griffiger Parolen, sondern im Zutrauen in die Gegenwart dessen, der Gott ist und Mensch wurde. Und der sich allen zeigt, die misstrauisch genug sind, den Rettern ihrer Epoche nicht zu glauben und sie so weit wie möglich zu ignorieren. Die sich das Gespür dafür bewahrt haben, dass sich das Richtungsweisende in der Welt immer in der Abgeschiedenheit vorbereitet und nie auf dem Parteitag.

Die Strategie des lieben Gottes mitvollziehen

Es wird darum wiederum in einer Woche um die Frage gehen, ob man diese Strategie des lieben Gottes mitvollziehen will oder lieber das Ganze als nette Folklore in eine zahnlose Fassung bringt, die nicht wirklich geeignet ist, weltbewegend zu sein. Ein Fest mit Gemütlichkeitsalarm ohne störendes Verstörendes, ohne den Anspruch zu glauben, dass Gott Mensch wurde.

Vielleicht ist darum tatsächlich der Kampf der Gans um den Platz eins unter den Weihnachtsessen nicht nur ein kulinarisches Ranking, sondern zugleich ein Symbol für den Kampf um die Wahrheit des Christentums, die nicht schnell und bequem zu haben ist wie eine aufgewärmte Brühwurst – sich vielmehr langsam ins Herz spielen will, um den Menschen ganz zu erfassen und ihm Erlösung zu schenken, wo Lösungen von Problemen allein nicht ausreichen.

Da, wo der Mensch sich zu verlieren oder gar sich abzuschaffen droht, da setzt ihm das Christentum mit der Weihnacht eine heilsame Rettung aus der Verlorenheit aufgewärmter Ideologien entgegen – um ihn ganz zu erfassen und zu umfangen. Ihn, den Menschen, den Gott so liebt, dass er selbst einer wurde – ganz und gar!

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