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Kolumne „Mild bis rauchig“

Peanuts

Er ist der Sohn eines Friseurs und hat eine Schwester namens Sally. Er ist ein glühender Verehrer des fiktiven Baseballspielers Joe Shlabotnik. Zudem ist er der Besitzer des kleinen Hundes Snoopy, dessen Verrücktheit und Versponnenheiten er gutmütig erträgt.

Er ist ein ewiger Verlierer und Pechvogel, dessen Baseballmannschaft mit ihm als Manager nur ein einziges Mal gewinnt. Er ist das Opfer böser Streiche aller Mädchen und hat wegen seines Verliererimages psychische Probleme, die er Lucy anvertraut, die ihn psychologisch berät, obwohl unter anderem sie selbst für seine psychischen Probleme maßgeblich verantwortlich ist.

Außerdem ist er hoffnungslos in ein kleines, rothaariges Mädchen verliebt. Auch hier ist er erfolglos: Charly Brown – die Hauptfigur der amerikanischen Zeichentrickserie „Die Peanuts“, was zu Deutsch sowohl mit „Erdnüsse“ als auch mit „Kleinigkeiten“ übersetzt werden kann.

Sympathisch ist Charly Brown nicht wegen seiner Fähigkeiten und Begabungen. Sympathisch ist er eher, weil er ein ernsthaft unglückliches Kind ist. Vermutlich ist dies auch das Erfolgsgeheimnis der Serie, die seit den 1950er Jahren ungebrochen beliebt ist, ob bei Jung oder Alt. Sie dreht sich nicht um einen Helden, sondern um einen Loser, einen kleinen Verlierer.

Trotz all der Widrigkeiten den Spaß nicht verlieren

Charly Brown und seine Freunde bilden anhand einer Gruppe US-amerikanischer Vorstadtkinder eine Plattform für die Widersprüchlichkeiten menschlichen Lebens. Erwachsene treten als handelnde Personen nicht auf. Aber als Zuschauer finden sie sich dennoch in den Peanuts wieder. Und zwar weil dort der Verlierer als Sympathieträger hilft, den eigenen Erfolgsdruck in Beruf, Beziehung und Gesellschaft abzubauen.

Man versteht die Situationen nur zu gut, in denen Charly Brown immer wieder den Tücken des Lebens unterliegt: Beziehungsstress, Mobbing, Fitnessprogramme, Diätvorschriften, Alltagsbewältigung und über allem das „Ich bin überfordert“-Syndrom, das gegenwärtig massiv alle befällt – und zwar auch die „Ich hab alles im Griff“-Sorte von Menschen.

Als Christ findet man als Loser jedoch eine Antwort auf die Frage, wie man angesichts der Widrigkeiten des Lebens den Spaß an eben demselben nicht verliert. Denn in der Bergpredigt werden die Verlierer der Gesellschaft sogar in den Mittelpunkt gerückt und als die Gewinner des Lebens ausgegeben.

Das tapfere Ertragen der Mängel ist der Grund für Charlys Beliebtheit

Selig sind die, die ihre Armut Gott gegenüber erkannt haben; die in der Lage sind, das Reich Gottes zu verstehen. Wörtlich: „Ihnen gehört das Himmelreich.“ Selig sind die, die keine Gewalt anwenden, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, selig sind diejenigen, die nicht die Ellenbogen benutzen, sondern Erbarmen schenken. Selig, die ein reines und unverstelltes Herz ohne Falschheit und strategisches Kalkül haben, selig sind die Friedlichen und Besonnenen und am Ende gar diejenigen, die verfolgt und von denen bekämpft werden, für die der Egoismus das Maß der Dinge ist.

Ihnen allen, den Schwachen, Verachteten, Demütigen, den Losern und wegen ihrer mangelnden Kampfeslust für die eigenen Interessen Verlachten und nicht zuletzt auch alle, die deswegen am Rand stehen, weil sie gut sind, weil sie nicht nach den Gesetzen dieser Welt leben, gehört das Himmelreich – sagt Jesus Christus in der berühmten Bergpredigt. Am Schluss der Rede fasst Er es zusammen: „Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.“

Diese Sichtweise entspricht zwar möglicherweise so ganz und gar nicht unserem persönlichen Empfinden, andererseits entlockt sie einem mindestens ebenso viele Sympathien wie für Charly Brown, den Verlierer-Star der Peanuts. Denn auch bei ihm ist das tapfere Ertragen seiner Mängel und Leiden der Grund für seine Beliebtheit und seinen Charme.

Christen sind Witzfiguren, Verlierer sind selig

Man fühlt sich auf eine gewisse Weise solidarisch mit ihm. Genauso tut es gut, sich in denen wiederfinden zu dürfen, die die Bergpredigt seligpreist. Und das sind nicht die Starken, Mächtigen, die Durchsetzungsfähigen und Siegreichen, sondern die Kleinen und Schwachen.

Und warum sind die Loser selig? Ist das Christsein per se auf dem Verliererkurs? Ist man eine Witzfigur wie Charly Brown, wenn man an Jesus glaubt und in der Nachfolge Christi lebt?

Man kommt nicht umhin, diese Frage zu bejahen. Schon die ersten Christen haben sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, an einen Loser zu glauben. Graffiti in ausgegrabenen Wachstuben aus dem antiken Rom beweisen dies: Auf ihnen zeigen Soldaten ihre christlichen Kollegen, wie sie vor einem Kreuz knien, an dem ein Esel hängt.

Der Kern des Lebens und Wirkens Jesu Christi

Unfassbar, dass es Menschen gibt, die einen sterbenden Gott anbeten! Aber das ist der Kern des Lebens und Wirkens Jesu Christi. Er war Gott, hat aber auf Sein Gottsein verzichtet, als Er sich schlagen, anspucken und kreuzigen ließ. Er war mächtig, hat aber Seine Macht nicht genutzt zur Abwehr und zum Kampf, sondern zum Heilen und Helfen. Er war überlegen und stark, hat sich aber kleingemacht und das Kreuz bis zum endgültigen Zusammenbruch getragen.

Auf diese Weise hat Er Sein Wesen, das Wesen Gottes, enthüllt, der Seine Machtfülle im Verbinden und Heilen offenbart, in Güte und Barmherzigkeit. Deswegen sollen alle, die an Ihn glauben, diesen Weg ebenso einschlagen. Nicht weil das Verlieren so schön ist, sondern weil sich die Größe eines Menschen in der Schwachheit der Liebe zeigt, in der Freiheit zur Demut, im Verzicht auf die Gewalt und auf den Hass.

Es ist ein paradoxes Konzept, das die Bergpredigt verlangt. Aber es ist nachweislich ein erfolgreiches Konzept: die scheinbare Stärke dieser Welt kann nur durch die Schwachheit der Liebe beschämt und besiegt werden. Die Stärke des Christen liegt darin, verstanden zu haben, dass die Macht der Mächtigen nicht durch Gegengewalt, sondern durch die zähe und gottvolle Beständigkeit derer besiegt wird, denen es um das Himmelreich und nicht um den Platz an der Sonne geht.

Insofern ist man mit Charly Brown in bester Gesellschaft, wenn man die Maßgaben der Bergpredigt befolgt. Als Christ gehört man zu den Peanuts, zu den Kleinen, Verachteten, Verlachten und Untergebutterten. Weil dieser Status am Ende siegt. Denn Sieg bedeutet in der Sprache Gottes „Macht zur Hingabe“.

Die Liebe ist der Sieg über die Stärken des Vergänglichen

Sie überwindet die Ellenbogengesellschaft und die egoistische Welt des Lebenskampfes. Denn die Liebe ist der Sieg über die Stärken des Vergänglichen. Sie führt über sich selbst hinaus zu dem, der die Liebe in Person ist, und in die Seligkeit eines Himmels, der durch ein Kreuz aufgeschlossen wurde.

Niemand hat allerdings behauptet, es sei einfach, so zu leben. Denn so sehr die Bergpredigt zu den beliebtesten Texten der Bibel gehört, so sehr ist sie gerade keine romantisch-softige Pazifismuspräambel, sondern etwas, das zutiefst dem menschlichen Bedürfnis nach Selbstbehauptung widerspricht.

Die Seligpreisungen sind kein Begrüßungsgeld für das Reich Gottes. Sie sind die Verheißung für jeden, der sich müht, gegen die Versuchungen zum Mächtigseinwollen zu siegen. Und deswegen rücken sie – wie so vieles, was Christus verlangt – schnell in große Ferne, wenn man nicht aufpasst.

Denn zu den armen, ungerecht behandelten, ehrlichen, barmherzigen und verfolgten Peanuts zu gehören, zu den Kleinen, ist nicht leicht. Solange man nicht verstanden hat, dass allein im Verlieren der Sieg liegt.

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