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Kolumne „Ein bisschen besser“

Sahra und der Kürbis

Wir wollten eben zum Kürbisschnitzen gehen, was in diesen Tagen vor Halloween Volkssport ist. Bei meiner Frau Judith und mir und dem Töchterchen halten sich die geschnitzten Kunstwerke dann auf dem Balkon gern bis in das Frühjahr hinein. Sie sind zu groß für den Kehrichteimer, aber niemand will den Sperrmüll nur für den ollen Kürbis bestellen. Irgendwann riechen sie leicht faulig und kleine Tiere krabbeln darin herum, kurz danach fallen sie in sich zusammen wie eine alte Hütte, bei der das Dach einkracht, und dann müssen sie weg.

Als wir klein waren, sind wir ohne Halloween und ausgehöhlte Kürbisse ausgekommen und wussten nicht mal, dass uns etwas fehlt. Aber ich weiß, dass diese Argumentation natürlich abenteuerlich ist, weil alle bedeutenden Erfindungen vom Rad über das Schießpulver bis zum Smartphone nicht fehlten, bevor sie da waren. Nur für zwei Menschen, die sich gefunden haben, gilt das nicht, denn sie haben sich vorher natürlich ihr Leben lang gesucht. Sie spürten im tiefsten Innern, dass ihnen etwas fehlt, wie Judith und ich uns bei jeder Gelegenheit versichern, aber, wenn wir ganz ehrlich sind, nur bei jeder zweiten Gelegenheit auch daran glauben. Wir hatten beide ein glückliches Leben vorher, dass dann unzweifelhaft noch glücklicher geworden ist.

Ob sie im Frühjahr auch einkracht wie ein fauliger Kürbis?

Auch Sahra Wagenknecht glaubt, dass uns ohne sie und ihre frisch erfundene Partei etwas fehlen würde und ist gerade dabei, uns davon zu überzeugen. Der Umstand, dass wir vorher gar nicht wussten, dass ausgerechnet sie uns fehlt, zieht natürlich in ihrem Fall genauso wenig wie zum Beispiel bei der Schießpulvererfindung. Jeden neunten hat sie schon überzeugt, sagt eine Umfrage, jedenfalls würde jeder neunte sie zur Kanzlerin wählen. Ich habe in unserer engeren Familie durchgezählt, da sind wir zu siebt, mit Hund acht, und ich glaube, das ist irgendwie ein bisschen besser so.

Trotzdem hoffen wir nicht, dass Sahra Wagenknecht im Frühjahr wie ein Kürbis auf dem Balkon steht und nur noch darauf wartet, dass ihr das Dach einkracht. Ich möchte mir das schon optisch gar nicht vorstellen, und Judith ist sogar der Meinung, dass sie auch inhaltlich nicht auf den Balkon gehört. Aber das werden wir in den vor uns liegenden langen Herbstnächten, wenn draußen die Kerze im Kürbis flackert, sicher noch heiß diskutieren.

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