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Kolumne „Mild bis rauchig“

Loriot ist nicht tot ... Ach was!?

Ein Leben ohne Mops ist „möglich, aber sinnlos“! Dieser berühmte Ausspruch des Humoristen Vicco von Bülow alias Loriot wurde oft anlässlich seines posthum begangenen hundertsten Geburtstages am 12. November zitiert. Er trifft einen Punkt seiner Persönlichkeit mitten ins Schwarze. Genauso wie seine Knollennasenmännchen und seine geradezu ikonenhaft teutonischen Fernsehsketche aus dem deutschen Humorbestand nicht mehr wegzudenken sind, so wenig sind es auch seine gezeichneten Hunde, die sich bedenklich dem menschlichen Leben annähern.

„Von Möpsen & Menschen. Eine Art Biographie“ heißt eines der Bücher von Loriot. Und es beweist sich darin die Ähnlichkeit zwischen den Vierbeinern und der Krone der Schöpfung. Vor siebzig Jahren trug dies Loriot sogar den Unmut von Henri Nannen, dem damaligen Chefredakteur des Stern, ein, der ihn nach Leserprotesten mit seinen Cartoons aus der Zeitung warf, weil diese Art Humor von vielen als anstößig empfunden wurde.

Der Rollentausch, in dem in den Zeichnungen Hunde Menschen wie Haustiere halten, beleidige den homo sapiens, wurde vermeldet, und es war Schluss mit lustig. Später wurde die Welt scheinbar reifer im Umgang mit dem neuen Humor des umtriebigen Satirikers. Und die Hunde kamen zurück. Auch im privaten Umfeld des Cartoonisten und Regisseurs bestimmten Möpse auf Bildern und als Skulpturen in allen Variationen das Bild bis hin zu Emil, seinem letzten ihn überlebenden realen Mops. Loriot wurde gar seinerzeit posthum vom Verlag Gruner + Jahr für seine Hundeliebe mit dem „Dog Award 2012“ geehrt, und zwar in der Kategorie „Persönlichkeit“.

Loriots Welt ist nicht vergangen, sondern nur ins Neospießige transformiert

Nachdem er vor einer Woche hundert Jahre alt geworden wäre, sind zahlreiche und vielfältige aktuelle Würdigungen in der Welt. Für mich als Angehöriger der Boomer-Generation gehört Loriot zum unverzichtbaren Teil meiner Jugend. Aussprüche, Szenen, Bilder gruben sich nach oft nur einmaligem Sehen in das Gedächtnis und wurden in Form geflügelter Zitate Teil des Alltags. Die Hintergründe seiner Sketche konnten von uns damals noch erkannt werden, denn es gab sie noch, die Menschen in Popelinemänteln, Jackenkleidern, Brillen mit „Kassengestell“, kleinen spießigen Herrenhüten und verzopfter Ausdrucksweise als Spiegelbild der deutschen Nachkriegswelt und ihrer gutbürgerlichen Ästhetik.

Heute mag das schwieriger sein. Damals wussten wir die Knollennasenmännchen im Stresemann mit schwarzem Sakko und gestreifter Hose, die beamtenhafte Kompliziertheit der Loriot’schen Charaktere, die die Gratwanderung zwischen Ersthaftigkeit und Komik zu bewältigen haben und dabei stets ins Grotesk-Kuriose abrutschen, die preußische Korrektheit in den unmöglichsten Situationen und die Paarbeziehungen zwischen Höflichkeit und Abgrund als Spiegelbild eines deutschen Wesens zu deuten, das in den Jahren unserer Boomer-Jugend noch allgegenwärtig war.

Das ist heute anders. Ein aktuell Dreißigjähriger kann möglicherweise dem Humor von Loriot nicht mehr viel abgewinnen. Einfach, weil zu den meisten Szenen der Sketche und Cartoons die lebende Entsprechung fehlt. Dennoch lacht auch die Generation X oder Z mehrheitlich über Loriot. Obwohl es heute keine Frauen in Kittelschürze mehr gibt und keine Vertretergattinnen mit Toupierfrisur, keine Müller-Lüdenscheidts und Dr. Klöbners. Man lacht dennoch heute über sie, weil die Welt, die sie repräsentieren, nicht vergangen ist, sondern nur ins Neospießige transformiert.

Der Deutsche trägt heute nicht mehr Schlips und Kragen, ist aber nicht minder teutonoid

Der neue Deutsche trägt nicht mehr Schlips und Kragen, sondern den bequemen, jederzeit in die Sofalandschaft einfügbaren Freizeitlook. Dennoch ist er deswegen nicht minder teutonoid. Die heutigen Dialoge entpuppen sich ähnlich loriotesk als nicht minder verbissen als in der Spießerära der Sechziger und Siebziger. Heute werden sie nicht mehr über Skat und Kalbshaxe geführt, sondern über vegane Ernährung und Diversitäten.

Die Gesprächspartner umkurven ähnlich wie zu den Glanzzeiten der Loriotsketche beflissen ihre neuen Themen, die heute als wichtig, mainstreamig, neudeutsch und mehrheitsfähig anerzogen werden. Der Dialog des Knollennasenehepaars über die Frage der Beschäftigung eines herumsitzenden Ehemanns, der schließlich im mordlüsternen Desaster endet, weil die Gattin den Gatten ohne Unterbrechung bevormundet und missversteht, wird heute lediglich mit anderen Vorzeichen geführt.

Heute rennt die Frau nicht mehr in der Küche hin und her und besorgt den Haushalt. Heute beschallt sie ihren Mann mit den im emanzipierten Matriarchat antrainierten Floskeln wie „Was denkst du gerade?“ mit Kritik an seinen Hobbys, mit Gesprächen über „unsere Beziehung“, mit Fragen wie „Wann kommst du nach Hause?“, „Kann ich mitkommen?“, „Warum gehst du ohne mich?“, oder sie unterzieht ihn der Nachprüfung, „was denn die Waage heute gesagt hat“. Am Ende empfindet der X-Mann die Lösung seiner Unterjochung exakt wie sein hosenträgertragender Vorgänger aus der deutschen Sechzigerjahrewohnstube: „Ich bringe sie um! Morgen bringe ich sie um!“

Loriot ist kein Erzieher, sondern ein Schalk, der neben sich sitzt und sich beobachtet

Und auch die bis heute ungelöste Frage von Opa Hoppenstedt: „Was ist der Unterschied zwischen SPD und CDU?“ kann gegenwärtig nochmals gestellt werden. Sie wird bei den heutigen Politikern dieselbe Hilflosigkeit hinter der Fassade ihrer Phraseologien hervorbringen. Loriot inszeniert seine Gesellschaftsspiegelungen so geschickt, dass er etwas einfängt, was sich durch Boomer- und X- bis Z-Generationen hindurch erhält und bei aller Mutation der Empfindungswelt gleichbleibend beobachtet werden kann: die deutsche Humorlos-Genetik.

Und über die lachen alle Generationen, sobald sie erkannt haben, dass sie selbst es sind, über die sie lachen dürfen. Vielleicht liegt hier sogar das Erfolgsgeheimnis Loriots: dass er selbst immer ein Teil seiner Karikaturen war. Er löst als Satiriker mit der Welt, die er humorig zerlegt, auch sich selbst in Einzelteile auf. Das unterscheidet ihn von heutigen Oberlehrer-Comedians, die immer die Guten sind.

Loriot ist kein Erzieher. Er ist ein Schalk, der in der Lage ist, neben sich zu sitzen und sich zu beobachten, wie zum Beispiel beim Kurs zur „Gepflegten Konversation“, wo ein Kursteilnehmer mit Sätzen wie „Auf dem Campingplatz in Bozen liegen die Waschräume separat!“ oder „Wenn meine Frau Klöße macht, sind sie leicht und bekömmlich!“ vergeblich versucht, sich in ein Gespräch einzubringen. Der krampfig-angestrengte und gleichzeitig gehorsam gelehrige Konversationsschüler wird im Scheitern seiner preußisch akkuraten Bemühungen nicht nur von Loriot beobachtet, er ist zu einem Teil der brandenburgische Satiriker selbst.

Der Kern der Botschaft dieses Sketches – wenn man es denn als eine Botschaft empfinden mag –, dass man es nämlich mit teutonischer Unfähigkeit zum Smalltalk schwerhat, leichte Unterhaltungen zu führen, die nicht den Charakter einer Arbeitsbesprechung haben, dieser Kern ist eine zeitlose Botschaft, der Loriot mit seinem humorigen Spiegel einen festen Platz in der Mentalitätsgeschichte unseres Landes gesichert hat.

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Hape Kerkeling hat es im WDR auf den Punkt gebracht: „Da wird unsere Gesellschaft so seziert, auf den Punkt, was eben auch das Deutsche ausmacht.“ Und das Deutsche ist unter anderem die Fähigkeit, sich an der eigenen Humorlosigkeit zu amüsieren – sozusagen im geschützten Reservat der Humoristen- und Cartoonistenlounge: „Ich lache auch ab und zu ganz gern!“

Wenn aktuelle Statistiken sagen, dass ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen Loriot nicht als besonders lustig empfinden, dann heißt das doch im Umkehrschluss, dass zwei Drittel über ihn lachen können. Ich halte das für extrem beruhigend und hoffnungsträchtig. Denn damit wäre gesagt, dass es Loriot tatsächlich gelungen wäre, so etwas wie eine Humorikone zu sein, die im Kontrast zur deutschen Ernsthaftigkeit ihre Wirkung offenbar zeitüberhoben entfaltet – in einer geradezu anarchischen Sprengwirkung, die die Ernsthaftigkeit ihrer Konditionierungen entkleidet und sie der Lächerlichkeit preisgibt.

Vielleicht ist es aber auch nur die Präzision seiner Beobachtungsgabe, die Loriot so erfolgreich gemacht hat, so dass er – obwohl posthum zum Hundertsten gefeiert – eigentlich nicht wirklich tot ist. Denn sein Blick auf Menschen und Dinge gleicht manchmal einer Röntgenaufnahme, die das freilegt, was dem bloßen Auge und seinem oft gehaltenen, betriebsblinden Blick nicht zugänglich ist. Und offenbart dabei innere Strukturen, die einen lachen lassen, auch wenn sie tragisch sind.

Loriot selbst hat es an einem Beispiel deutlich gemacht. Auf seine Ehecartoons angesprochen und das, was er damit hätte sagen wollen, enthüllte er mit seiner Antwort eine persönliche Überzeugung als Hintergrund seiner paartherapeutischen Zeichentricks und Sketche: „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen!“ Angesichts dieser verblüffend einfachen, humorigen und treffsicheren Entkleidung eines Naturgesetzes als tragischen Irrtum bleibt als Reaktion nicht viel mehr als ein erstauntes „Ach was!“, das sich durch Loriots Fernseh- und Filminszenierungen zieht und das er dort jedem entgleiten lässt, der sich seines Irrtums überführt sieht, die Welt verstanden zu haben.

 

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