„Man muss etwas für die Sprache tun, man muss für sie kämpfen“

Eigentlich ist er Ökonom und Mathematiker, doch mindestens genauso wie Zahlen und Statistiken interessiert Walter Krämer die deutsche Sprache. Deshalb gründete der Universitätsprofessor 1997 den „Verein Deutsche Sprache“, der sich heute mit 36.000 Mitgliedern weltweit für die Wahrung der deutschen Zunge einsetzt und dessen erster Vorsitzender er bis heute ist. In seinem Haus in Steinhude, etwa 30 Kilometer westlich von Hannover, empfängt der gebürtige Rheinland-Pfälzer zum Interview. Vor dem Haus weht eine schwarzrotgoldene Fahne.
Sie dürfen mich mit Herr Krämer anreden.
Ja, tatsächlich. Das Gendern etwa ist ein richtiger Angriff auf das Skelett, die innere Struktur der Sprache. Wenn man es wirklich ernst nimmt und systematisch betreibt, dann sind gewisse Konstruktionen im Deutschen nicht mehr machbar. Nehmen Sie mal drei Damen, die sitzen am Frühstückstisch, machen ihren Frühstückstratsch und dann sagt eine davon: „Wer hat seinen Lippenstift im Bad vergessen?“ Bitte gendern Sie das mal!
Nein, das geht nicht, denn dann weiß man ja nicht, wessen Lippenstift. Oder nehmen Sie die ganzen Partizipien Präsens: „Die toten Radfahrenden in Berlin“ …
Genau. In der Zeit habe ich neulich gelesen, bei der jüngsten Wahl in Nordrhein-Westfalen seien „viele Wählende zu Hause geblieben“. Jemand, der zu Hause bleibt, wählt nicht. Also das ist einfach ein Angriff, ein Frontalangriff auf die Funktionsfähigkeit unserer Sprache. Allein deswegen schon muss man hier dagegenhalten.
„Frontalangriff auf die Funktionsfähigkeit unserer Sprache“
Leider nein. Mit kräftiger Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Medien dominieren hier die Dummschwätzer das Feld. Oder wie das Ex-Bundesfamilienministerin Kristina Schröder einmal so schön in der Welt formulierte: Wer so mit Fakten zum Klima umginge, wie es die Genderaktivisten mit der Sprache tun, würde sofort als Wissenschaftsleugner diffamiert. Denn rein sprachwissenschaftlich ist das alles längst geklärt. Nehmen Sie die sogenannte Markierungstheorie, die der Linguist Peter Eisenberg aus Potsdam immer wieder populär zu machen sucht, entwickelt von dem russischen Linguisten Roman Jakobson in den dreißiger Jahren. Sie besagt, dass in vielen grammatischen Kategorien eine bestimmte Ausprägung nicht markiert ist.
Das sehen Sie etwa an den Zeiten. Nehmen Sie das Präsens. Diese Zeit ist nicht markiert. Wenn Sie sagen „Ich liebe meine Frau“, dann kann das bedeuten, Sie lieben sie morgen noch, und Sie haben sie gestern geliebt. Wenn Sie aber sagen „Ich liebte meine Frau“, dann heißt das, Sie lieben sie heute nicht mehr, vielleicht ist sie gestorben, vielleicht lieben Sie jemand anderes. Das Präteritum ist also markiert. Das Präsens aber nicht. Wenn Sie sagen „Ich liebe“, kann das auch andere Zeiten inkludieren. Und so ist es auch bei den Genera. Das fälschlicherweise mit „Maskulinum“ betitelte Genus ist nicht markiert. Es umfasst alles, was kreucht und fleucht. Das Femininum dagegen ist markiert. Wenn Sie sagen „Die Bundeskanzlerin hat gefordert“, dann ist es klar, das war eine Frau.
Wenn Sie sagen „Der Bundeskanzler hat gesagt“, kann es Mann, Frau oder Trans gewesen sein, man weiß es nicht. Es umfasst alle. Und diese Eigenschaft vieler indogermanischer Sprachen, diese Nicht-Markiertheit gewisser Schubladen, ist unheimlich wertvoll, weil sie uns der Notwendigkeit enthebt, über drei, vier, fünf, sechs Geschlechter nachzudenken. Das wird von den Gender-Propagandisten ja vollkommen verdrängt, dass wir dadurch ein riesiges Problem weniger haben, wie wir mit den anderen Geschlechtern umgehen. Die sind alle damit drinnen in dem Topf.
Ja, das wollen die. Aber das wird nicht funktionieren. Ein Beispiel: Die Polizei sagt, es werden Zeugen gesucht. Hier ist vollkommen klar, dass die Personen, die gesucht werden, jedweden Geschlechtes sein können. Nur wenn man eindeutig ein bestimmtes Geschlecht meint, dann muss man das konkret benennen.
Wenn man zum Beispiel die Männer in der deutschen Politik als Chauvinisten charakterisieren will, dann kann man nicht sagen, „Die deutschen Politiker sind Chauvinisten“, da muss man schon das Geschlecht expressis verbis hinzufügen: die männlichen deutschen Politiker.
„Himmlisch schöne Sätze“
Keiner unserer Vereinsfreunde wird so vermessen sein, das zu behaupten. Die meisten indogermanischen Sprachen sind aus dem Sanskrit hervorgegangen. Andere Sprachen haben andere Wurzeln. Das Deutsche ist also nicht die Mutter aller Sprachen. Es ist aber so, dass Deutsch ein weiteres Spektrum hat als viele andere Sprachen, es lässt von extrem hässlich bis himmlisch schön alle Facetten des Ausdrucks zu. Im Französischen kann man dagegen kaum hässlich reden. Man müsste sich schon sehr viel Mühe geben.
Im Italienischen ist es auch schon schwer, sich blöd auszudrücken. Im Deutschen ist das problemlos möglich. Schlagen Sie nur irgendeinen Genderleitfaden auf. Zum Ausgleich gibt es aber auch himmlisch schöne Sätze auf Deutsch, die ich so schön, so wohlklingend in keiner anderen Sprache gefunden habe …
„Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ Versuchen Sie das doch mal auf Französisch, Italienisch, Russisch, Englisch zu sagen. Sie kriegen es nicht annähernd so wohlklingend und so harmonisch, so schön hin, wie das Goethe konnte.
Zur Person Walter Krämer
Jahrgang 1948, lehrte bis April an der Technischen Universität Dortmund Wirtschafts- und Sozialstatistik. Neben Fachpublikationen veröffentlichte der preisgekrönte Statistiker zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher. Seit 1969 ist er FDP-Mitglied, zwischenzeitlich gehörte er auch der SPD an. 2021 trat der zweifache Familienvater wegen einer Genderleitlinie des Bistums Hildesheim aus der Kirche aus.
Wie kommen Sie darauf? In gewissen Kreisen funktioniert das aber in der Tat wie ein Pawlowscher Reflex. Ich bin in der Mitte und seit über 50 Jahren Mitglied einer Partei, die wie keine andere für die politische Mitte steht. Und ich unterstütze auch die meisten ihrer Ziele, nicht alle. In der Europolitik etwa bin ich mit meiner Partei durchaus nicht einverstanden.
Richtig. Ich war übrigens auch ein paar Jahre lang simultan Mitglied der SPD, zu Helmut Schmidts Zeiten, bin aus der FDP aber nie rausgeschmissen worden.

„Die meisten Bundesbürger sind feige“
Außer in den Köpfen gewisser Schwachmaten aus der rot-grünen Ideologenszene, wo man auf gewisse Reize sofort in eine Ecke gestellt wird, siehe Pawlow. Ich habe vor dem Haus einen Mast mit der deutschen Fahne. Den hatte ich mir zu meinem 50. Geburtstag von meiner Frau gewünscht. Viele Leute, die hier vorbeikommen, fragen sich, ist das hier jetzt eine AfD-Hochburg? Die würde ich gerne zu einem Psychiater ihres Vertrauens schicken. Das automatische Verorten in der rechten Ecke bei jedem Eintreten für Deutsch und Deutschland ist eine Krankheit, eine typisch deutsche Krankheit.
Würden viele gerne auch hier, aber die meisten Bundesbürger sind feige, die haben Angst, dass die Nachbarn denken könnten, man sei ein Rechter. Und weil man das nicht über sich hören will, kuscht man und zieht den Schwanz ein.
Zum Beispiel, indem in unser Grundgesetz endlich ein Passus reinkommt, der da lautet: „Die Sprache der Bundesrepublik ist Deutsch“.
Weil das zum Beispiel verhindern würde, dass Leute auf den Gedanken kommen, als Gerichtssprache in Deutschland Englisch einzuführen, was ja übrigens auch von Leuten meiner Partei befürwortet wird. Auch gibt es Bestrebungen, als zweite Amtssprache in Deutschland Englisch einzuführen. Dem muss man entgegentreten. Das ist doch ein großer Vorteil unseres schönen Kontinents Europa, dass wir die Vielfältigkeit der Sprachen noch haben und dass eben nicht eine Einheitssuppe über alles drübergegossen wird, die alle nur halb verstehen und in der keine richtige Verständigung mehr möglich ist.
Genau, der Spruch stammt von Ortega y Gasset. Wenn man tausend Brillen kaputtmacht, fallen tausend Möglichkeiten, das Universum zu beschreiben, auf einmal weg. Dass die Leute das nicht sehen, verstehe ich nicht.
„Die wirklich Großen haben für Gender-Befürworter nur Verachtung übrig“
Das sind ja auch nicht die wirklich großen Intellektuellen, die das Gendern propagieren. Das ist eher die mittlere Schicht, Leute, die es gerade mal zum Spiegel-Redakteur geschafft haben oder in die „Tagesschau“-Redaktion. Die wirklich Großen, nehmen Sie Peter Handke, Nobelpreisträger, der wurde in einem Zeit-Interview gefragt: Gendern Sie? Nein! Oder Herta Müller, auch Nobelpreisträgerin, die haben für solche Typen nur Verachtung übrig. Die Korrelation zwischen literarischer Qualität und Einsatz für Gendersprache ist eindeutig negativ: Die wirklich Großen, die wissen, was sie an der deutschen Sprache haben, die weigern sich, diese verhunzen zu lassen. Und machen auf keinen Fall selbst bei dieser Verhunzung mit.
Wir befinden uns gerade an einem kritischen Punkt. Zunächst einmal muss man festhalten, dass sich auch Minderheiten durchsetzen können. Das ist nichts Außergewöhnliches. Nehmen Sie die Oktoberrevolution. Da kommen sechs Leute mit dem Zug nach Russland und übernehmen ein Weltreich gegen den Willen der meisten Russen. Das ist machbar, wenn man gewisse Schalthebel der Macht kontrolliert, und da ist die Gender-Mafia mit den öffentlich-rechtlichen Medien unter ihrer Knute im Vorteil.
Bei den Öffentlich-Rechtlichen kann man heute nichts mehr werden, wenn man nicht den Gesslerhut zieht vor diesen ideologischen Zwangsherrschern. Dem muss man öffentlich entgegentreten. Und je mehr Leute das öffentlich tun, desto mehr andere haben den Mut, zu sagen: Auch ich grüße den Gesslerhut nicht mehr. Ich behandle ihn als das, was er ist: als Zumutung, als Erpressung, als Angriff auf unsere Sprache und Kultur.
Ja, wie schon bei der deutschen Fahne vor dem Haus. Nehmen Sie doch meine Hochschullehrer-Kollegen. In einer Uni nach der anderen wird im Senat eine abartige Gender-Richtlinie verabschiedet, von den Gleichstellungsbeauftragten eingereicht. Und dieses feige Gesindel traut sich nicht, dagegenzustimmen, obwohl alle das für Schwachsinn halten.
„Die Dudenredaktion hat ihren Auftrag verraten“
Diese Übernahme hat doch schon längst stattgefunden. Und eine Normierung in dem Sinn, dass ein Text, den ein Bürokrat in Hamburg schreibt, von einem anderen Bürokraten verstanden wird, der in München das Ding lesen muss, ist auch gut. Das war ja auch das Konzept von Konrad Duden: die Sprache festzuhalten, einen gemeinsamen Nenner finden, damit im amtlichen Schriftverkehr die Verständlichkeit garantiert ist. Aber auch nur im amtlichen Schriftverkehr. Sie können als Privatperson ja sowieso machen, was Sie wollen. Da hat der Duden überhaupt nichts zu sagen.
Nein, das ist ja das Problem. Die Dudenredaktion hat ihren Auftrag verraten. Sie bildet die Sprache nicht mehr ab, wie sie ist, sondern wie sie in den Augen der Duden-Ideologen sein sollte. Deshalb steht in der Netzfassung des Duden jetzt, „der Mieter“ sei eine „männliche Person, die etwas mietet“. Und nicht mehr wie vorher „eine Person, die etwas mietet“.
Ja, das war ein Aufruf im Internet, mittlerweile von über 40.000 Menschen unterschrieben. Und Sie müssen sich mal ansehen, wer da alles unterschrieben hat. Von Peter Sloterdijk, dem laut Cicero einflussreichsten Intellektuellen Deutschlands, über Gloria von Thurn und Taxis bis zu einem römischen Kurienkardinal. Verglichen damit ist die Gender-Mafia ein Haufen mittelmäßiger Ideologen, die auf Teufel komm raus ihre Sicht der Welt dem Rest der Republik überstülpen wollen.
„Wir haben es selbst in der Hand, ob es die Sprache in 200 Jahren noch gibt“
Der „Verein Deutsche Sprache“ wurde gegründet, um das Verdrängen des Deutschen durch das Englische zu verhindern. An meiner Universität Dortmund werden inzwischen sehr viele Vorlesungen und andere Veranstaltungen auf Englisch angeboten. Das heißt, Deutsch als Sprache der Wissenschaft gerät in Gefahr. Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hatte im Fernsehen ganz öffentlich betont, dass Englisch auch in Deutschland inzwischen die Sprache für die wichtigen Dinge des Lebens sei, für Verträge, für große Gedanken. Und Deutsch sei die Sprache, in der man Privates regele oder mit seinen Kindern spreche. Und um zu verhindern, dass Oettinger recht behält, damit das nicht Wirklichkeit wird, gibt es den „Verein Deutsche Sprache“.
Da muss man aufpassen. Ich habe nichts dagegen, dass Einwanderer ihre Herkunftskultur weiter pflegen. Aber, aber, aber: Das muss parallel laufen zum Erlernen der Sprache des Gastlandes. Das ist mindestens genauso wichtig wie das Pflegen der eigenen kulturellen Wurzeln. Ich will auf keinen Fall den Kindern ihre eigene Herkunftskultur abspenstig machen. Aber sie sollen unbedingt auch die deutsche Sprache lernen. Das ist eine conditio sine qua non. Und wenn das erreicht wird durch eine Deutschpflicht auf dem Schulhof, bin ich dafür.
Es wird sie sicher in dem Sinn geben, wie es heute noch Plattdeutsch gibt oder andere Dialekte, die man in Heimatvereinen pflegt. Und ab und zu mal an speziellen Abenden kramt jemand ein altes Buch hervor und liest eine Geschichte daraus vor.
Wir haben es selbst in der Hand. Ob Deutsch in 200 Jahren noch eine Sprache ist, in der man wissenschaftliche Arbeiten schreiben oder Gedichte verfassen kann, die sich lohnen, angehört zu werden, das ist nicht selbstverständlich, da muss man was für tun, man muss für die Sprache kämpfen. Deswegen gibt es ja auch unseren Verein.