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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Friedrich, der Rassist

Autoren von Weltruf hat die Schweiz nicht sehr viele zu bieten. Friedrich Dürrenmatt war einer von ihnen. Und das gleich in mehreren Disziplinen. Ob Romane („Der Richter und sein Henker“, „Das Versprechen“), Theaterstücke („Die Physiker“, „Der Besuch der alten Dame“) oder eine Vielzahl von Hörspielen: Seine Werke gingen um die Welt.

„Die Physiker“ wurde 1962 uraufgeführt. 60 Jahre später fühlt sich nun ein linksbewegter Zürcher Mittelschullehrer bemüßigt, sich über Dürrenmatts Erbe zu setzen. Er will das Stück in seinem Unterricht erst wieder behandeln, wenn der Verlag die Regieanweisungen „korrigiert“. Denn darin ist zwei Mal die Rede von einem „Neger“.

Der besagte Empörungskünstler heißt Philippe Wampfler, und wenn er nicht gerade vor einer Schulklasse steht, sorgt er auf Twitter für eine bessere Welt. Was auch immer eine schrille Blase gerade als absolut zwingend in den Raum schreit – er leistet Folge und reiht sich als Söldner für die gute Sache ein.

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Der „Kulturwissenschaftler“ (laut Eigenbeschreibung) versteht Kultur zudem offenbar nicht als Ort der Auseinandersetzung, sondern als hohe Kunst der Vermittlung dessen, was man gerade hören möchte. Beziehungsweise: Was er hören möchte. Er verweigert seinen Schülern eines der größten Werke der Dramatik für 15 Minuten Ruhm in den sozialen Medien.

Austausch ist wichtiger als Abschottung

Der Plan ist aufgegangen: Wampflers Forderung, und damit auch er, wurde in den vergangenen Tagen eifrig diskutiert. Auf jeden Kritikpunkt hat er auch gleich eine Antwort. Zum Beispiel auf den oben angedeuteten, wonach es vernünftiger ist, sich aktiv mit Schülern über kontroverse Themen auszutauschen, statt sie vor diesen abzuschotten. Nein, findet er: „Schüler*innen of Colour haben das Recht, in der Schule vor Rassismus geschützt zu werden. Ihre Bedürfnisse haben Vorrang – auch vor einer Auseinandersetzung.“

Die gymnasiale Ausbildung als geschützte Werkstätte: Eine interessante These. Aber setzt sie nicht voraus, dass der Begriff in den Regieanweisungen des über 60 Jahre alten Werks auch wirklich rassistisch gemeint war? Spielt keine Rolle, so der Lehrer, denn: „Diese Passage wirkt auf Betroffene rassistisch.“

Man könnte nun spielerisch darüber diskutieren, ob es nicht auch eine Herabsetzung einer Rasse ist, wenn sich ein tief-weißer Mittelschullehrer anmaßt, zu definieren, was seine schwarzen Mitmenschen zu empfinden haben. Das wirkt schon fast einen Hauch kolonialistisch: „Ich weiß, was Ihr nicht wollt und behüte euch davor, ob Ihr mich darum bittet oder nicht.“

Warum nicht gleich weitere Literatur ausschließen, Herr Lehrer?

Gelten lassen will Philippe Wampfler auch nicht, dass Kunstwerke, die vor einem bestimmten Hintergrund in einer bestimmten Zeit entstanden sind, im Original zu belassen seien, verbunden mit Interpretationen von heute beispielsweise. „Texte werden immer wieder den Erwartungen der Leser*innen angepasst“, schreibt er dazu.

Na gut, dann passen wir die Weltliteratur doch den Wünschen des Herrn Lehrers an. Die Frage ist nur, warum Leute wie er immer auf halber Strecke stehenbleiben. Der konsequente Verwender von genderneutralen Sprachformen sollte auch keine Literatur mehr behandeln, in der diese nicht gepflegt werden.

Also vermutlich so ziemlich jedes Buch, das vor 2020 geschrieben wurde. Seinem Fachkollegen in Mathematik sollte er empfehlen, die Zahl „8“ aus dem Repertoire zu streichen: Die wird von irgendwelchen Glatzen immer wieder zweckentfremdet. Und wenn nicht in einer Begleitillustration sichergestellt ist, dass der Protagonist eines Romans auf jede Form von kultureller Aneignung wie beispielsweise eine Rastafrisur verzichtet, sollte man das Buch ebenfalls zur Seite legen. Sicher ist sicher.

Eine gute Nachricht

„Die Physiker“ ist ein großartiges Stück Drama. Es ist eine Ehre, es den Schülern vermitteln zu dürfen. Tut man das nicht aufgrund der zweifachen Verwendung des Worts „Neger“, kann das nur zwei Gründe haben. Erstens: Da setzt einer seine persönliche Sehnsucht, als besonders sensibel und „woke“ und beschützerisch zu gelten, über die Interessen der ihm Anvertrauten. Zweitens: Da ist jemand zu faul, mit seinen Schülern eine Debatte zu führen und ihnen den Wandel der Sprache im Lauf der Zeit näherzubringen. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem.

Der Verlag Diogenes hat das Ansinnen einer „Korrektur“ bereits zurückgewiesen. Das Haus ist seit Jahrzehnten mit der Person von Friedrich Dürrenmatt verbunden und hat offenbar nicht vor, nach Orwellscher Manier die Vergangenheit zu verändern, nur damit ein unterbeschäftigter Mittelschullehrer wieder gut schlafen kann.

Das ist immerhin eine gute Nachricht. Ebenso wie die Erkenntnis, dass sich die Welt auch in 60 Jahren noch an Friedrich Dürrenmatt erinnern wird. Aber kaum an Philippe Wampfler.

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