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Kolumne „Mild bis rauchig“

Stille stillt!

Man hört nur die Geräusche der Natur und den Gesang der Mönche, wenn sie sich zum Stundengebet treffen. Das erste menschliche Wort erklingt etwa 20 Minuten nach Filmbeginn. Was eigentlich ein Verkaufskiller wäre, entpuppte sich bei diesem Film als Verkaufsschlager. Neben dem Deutschen Filmpreis erhielt der Streifen 2006 auch den Europäischen Filmpreis. Ohne Handlung, ohne direkten Anfang und ohne Ende, ohne Spannungsbogen zeigt der Film „Die große Stille“ das Leben der Mönche in der Grande Chartreuse, dem Mutterkloster des Kartäuserordens, das in einer einsamen Gebirgsgegend nördlich von Grenoble liegt. 

Gemäß der Spiritualität des Ordens wird im Film kaum gesprochen; bisweilen werden Zwischentexte eingeblendet. Auch auf Filmmusik hat der Regisseur verzichtet. In 162 Minuten wird schlicht und einfach das Leben im Kloster mitgeschnitten.

Die Mönche sehen ihre Berufung darin, im Schweigen und in der Einsamkeit Gott zu finden. Umgeben vom Felsmassiv der französischen Alpen leben seit 1084 die Mönche des Einsiedlerordens der Kartäuser nach strengen Regeln. Der Tag der Mönche wird durch die acht Gebetszeiten gegliedert: Vom ersten Gebet um 23.30 Uhr bis zum letzten vor der Nachtruhe um 19.30 Uhr wechseln sich Gebete von zusammengenommen etwa acht Stunden Länge mit Studium und Arbeit ab.

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Es soll so wenig wie möglich gesprochen werden. Kommuniziert wird hauptsächlich über einen Zettelkasten, in dem jeder Mönch Nachrichten hinterlassen kann. Ihr Schweigen wird nur an Sonn- und Festtagen und beim gemeinsamen wöchentlichen Spaziergang unterbrochen.

Neben der Arbeit und dem Beten ist auch das Fasten ein wichtiger Bestandteil des Lebens der Mönche. Besuchen kann man das Kloster nicht, es ist eine eigene von der Umwelt abgeschottete Gemeinschaft.

Schweigen ist kein Verzicht auf Kommunikation

Als der deutsche Filmemacher Philip Gröning 1984 auf die Idee kam, über diesen Orden einen Film zu machen, bekam er auch folgerichtig keine Dreherlaubnis. Man vertröstete ihn darauf, dass die Zeit noch nicht reif sei und man sich wieder melden würde.

Urplötzlich erhielt er dann 15 Jahre später die Einladung, zu kommen. Alleine mit seiner Kamera. Gröning nahm sechs Monate am Leben der religiösen Gemeinschaft teil und dokumentierte den Alltag der Mönche im Wechsel der Jahreszeiten, die Gebete, die Gesichter, bis hin zur Zubereitung des Essens in der Klosterküche. 

Heraus kam ein bisher nie dagewesenes Projekt. Ein Film, der 162 Minuten ohne jeden Dialog auskommt und dennoch die Kinos füllte. Bei allem Verzicht auf die menschliche Sprache verspürte niemand das Gefühl, einen Stummfilm anzuschauen. Im Gegenteil! Die große Stille, die einen im Kino einnahm und in die man selbst eintauchen konnte, zeigte Menschen, die voller Dialog sind, die, gerade weil sie sich des äußerlichen Austauschs enthalten, dennoch in ständigem Austausch mit Gott sind. 

Der Film ließ den Zuschauer glaubhaft spüren, dass es kein Verzicht auf Kommunikation bedeutet, wenn man schweigt, sondern dass – ganz im Gegenteil – die Kommunikation allererst durch das Schweigen möglich wird. Denn nur der, der schweigt, kann hören. Die Stille ist deswegen für die Mönche die Voraussetzung dafür, in einen Dialog mit Gott einzutreten, der das ewige Wort ist, die ursprünglichste aller Aussagen.

Gott spricht zuerst – und ist mitteilsam

Gott ist es, der zuerst spricht. Er ist sogar so sehr mitteilsam, dass Er Sein Wort in dieser Welt zum Klingen bringen möchte, indem Er es Fleisch werden lässt. Dieses Wort zu hören, setzt allerdings voraus, dass man sich zuvor leer machen kann. Dass der Platz, an dem Gottes Geist zu uns spricht, geräumt ist von Geschwätz und Getöse. Denn es ist ein Prinzip des Sprechens Gottes, dass Er das Schweigen des Menschen abwartet, bis Er Seine Stimme erhebt.

Dieses Grundgesetz des Kommunizierens mit Gott gilt ebenso für das, was man „Eucharistische Anbetung“ nennt. Dabei steht dem Menschen im Gotteshaus das Sakrament der Eucharistie gegenüber, also der in der Messfeier gewandelte und in der Zeigevorrichtung der Monstranz sichtbare unsichtbare Gott. 

Darin liegt kein Widerspruch, denn Jesus Christus hat am Abend vor Seinem gewaltsamen Tod glaubhaft den Seinen versichert, dass Er es ist, der unter der Gestalt des Brotes wahrhaft und keineswegs nur symbolisch da ist. Und zwar, wenn die Jünger und ihre Nachfolger das kultisch vollziehen, was Er ihnen aufgetragen hat, immer wieder zu tun zum Gedenken an Ihn. 

Diese körperliche Anwesenheit in Form des Sakramentes ist nach der Tradition der katholischen Kirche das Vermächtnis eines zeit- und gestaltlosen Gottes, in dieser Welt real und in das Sakrament hineininkarniert gegenwärtig. Der Mensch, der sich dieser „Aussetzung des Allerheiligsten“ in der Monstranz, wie man diese Form der Verehrung der Eucharistie nennt, selbst aussetzt, liefert sich Gott aus in Stille und Hingabe.

Nur der, der außer sich ist, kann auf Gott treffen

In der Stille, im Nichts-Sagen, wird er zunächst leer für Ihn und setzt sich Ihm aus, der sich selbst zuvor aus-setzt im Allerheiligsten Sakrament des Altares. Anbetung bedeutet dabei nicht das insgeheime Formulieren von Gebeten oder Bitten, sondern das zweckfreie Vor-Gott-Sein, das zugleich ein Akt der Außer-sich-Seins ist. Nur der, der leer ist, kann angefüllt werden, nur der, der schweigt, hört. Nur der, der außer sich ist, kann auf Gott treffen. 

Es ist wie beim versonnenen Versinken in die Schönheit einer Landschaft oder beim Staunen über ein Gemälde, das einen buchstäblich „hingerissen“ sein lässt, was so viel sagen will, wie: Ich bin jetzt nicht mehr bei mir, sondern im Staunen und im Anschauen ganz bei diesem Bild. Und damit auf eine unnachahmliche Weise doch bei mir, weil dieses Außer-sich-Sein nichts ist, das entfremdet, sondern ganz und gar die Bestimmung des Menschen ist. „Der Mensch ist nie schöner, als wenn er anbetet!“, hat Arnold Rademacher (1873-1939), ein großer Theologe der vorletzten Jahrhundertwende, einmal gesagt.

Dies trifft den Kern dessen, was sich in der Kirche im Laufe der Jahrhunderte unter den Formen der Verehrung des Sakraments der Eucharistie neben der Feier der heiligen Messe herauskristallisiert hat. Vor ein paar Tagen wurde sogar die säkulare Öffentlichkeit durch das katholische Fronleichnamsfest darauf aufmerksam, bei dem in Prozessionen das Eucharistische Sakrament in der Monstranz auf die Straßen getragen wird und den Verkehr hier und da zum Erliegen bringt.

Fronleichnamsprozession im nordrhein-westfälischen Velbert im Jahr 2022

Das Wissen um die Fleischwerdung Gottes lässt staunen und allererst schweigen vor dieser Zusage Jesu Christi, so nah nahe zu sein. Eucharistische Anbetung bringt einen wie von selbst zu einer Ruhe, die nicht Nichtstun bedeutet, sondern höchstes Engagement. Denn der Mensch, der anbetet, lässt alles in sich schweigen, was ihn sonst bestimmt und peinigt. Es ist eine, wenn man so will, Entschleunigung der besonderen Art. Sie ergibt sich aus dem Glauben, dass Christus in der Eucharistie tatsächlich da ist und dass es nichts Sinnvolleres gibt, als sich in Seiner Gegenwart aufzuhalten.

Die Eucharistische Anbetung ist also nicht ein Sonderfall der Frömmigkeit, sondern die entscheidende Weise, in dieser Welt schon in der größeren Wirklichkeit zu sein. Allein der Schleier, der sich noch durch die sakramentale Gestalt vor die Augen des Körpers legt, ist noch eine Trennung, Gott so zu sehen, wie Er ist. Wer sich in Seine Gegenwart begibt, wird von ihr verwandelt.

Es ist nötig, regelmäßig den Stecker zu ziehen

Deswegen braucht es Räume der Stille und der Abgeschiedenheit vom Getriebe unseres Alltags, um sich Christus in der Eucharistie auszusetzen. Es braucht Kirchen, in denen die Eucharistische Anbetung möglich gemacht wird. Und es braucht mehr und mehr Gläubige, die diese Möglichkeit auch nutzen, wenn sie angeboten wird. Damit in unserer ständig um Kommunikation bemühten Zeit Inseln der Eigentlichkeit entstehen, auf denen der Mensch zu Gott und dadurch (!) zu sich finden kann. 

Salopp könnte man sagen: Es ist nötig, regelmäßig den Stecker aus der Dose unserer permanenten Kommunikation zu ziehen, einmal offline zu gehen, was die Informationsflut unserer Tage betrifft, die uns nur scheinbar anfüllt und uns in Wahrheit leer macht, weil sie unsere Ohren und Herzen verstopft und uns für das Wort Gottes taub macht. 

Dem Dauerterror der sozialen Netzwerke, der uns suggeriert, wir seien nicht ganz vollständig, wenn wir uns nicht dem Gerede und der allgemeinen Mitteilungsdiktatur unterwerfen, muss eine – wenigstens zeitweise – Absage erteilt werden, wenn man Gott sprechen hören will.

Eine selbstauferlegte Entschleunigung kann Wunder wirken

Ein paar Gramm Kartäusertum müssen daher eigentlich in die geistliche Ernährung derer beigemischt werden, die ein reales Gottesverhältnis entwickeln und pflegen wollen, ein wenigstens kleiner Raum der Stille, in dem die Geräuschkulisse der Informationsflut abgestellt wird und man für Gott leer werden kann.

Die Erfahrung zeigt, dass eine solche selbstauferlegte Entschleunigung Wunder wirken kann. Eben weil Gott Seine Wunder in der Stille wirkt: das Wunder der Schöpfung und auch das Wunder der Menschwerdung, das in einer „Stillen Nacht“ geschah.

Wer sich selbst das nicht verordnet, wird nie die Stimme Gottes im Alltag hören. Und auch wenn es sicher bei normal beschäftigten Zeitgenossen niemals „die große Stille“ werden kann, die sie umhüllt wie die Kartäuser, so kann doch schon ein kleines Schweigen heilsam sein.

Jeder findet mit ein wenig Bemühung eine Kirche, die ihm eine kleine Kartause werden kann. Einen Ort, wo er schweigen und auf Gott hören kann – auf einer Insel der kleinen Stille zwischen den Wogen des Alltags. Denn im Schweigen ist Gott zu finden, der jeden sprachlos macht, der auf Ihn hört. Und sich in der Stille von Ihm stillen lässt.

 

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Kommentare

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Kommentar
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Peter Schafranek
Vor 1 Monat 3 Wochen

Wunderbarer Text zur Kommunikation mit Gott und zur Bereicherung des Lebens.

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Andreas Graf
Vor 1 Monat 3 Wochen

Der Kartäuserorden dürfte bis jetzt die meisten Heiligen hervorgebracht haben. Angesichts der besonderen Umstände richte sich ein jeder einen Hausaltar ein und zünde sich beim stillen betrachtenden Gebet eine Kerze an. "Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten." (Mt. 6,6)

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Maria Schober
Vor 1 Monat 2 Wochen

Danke, für diese wunderbaren Gedanken. Vor allem die Sichtweise über die eucharistische Anbetung! Sehr lesens- und erlebenswert:

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Peter Schafranek
Vor 1 Monat 3 Wochen

Wunderbarer Text zur Kommunikation mit Gott und zur Bereicherung des Lebens.

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Andreas Graf
Vor 1 Monat 3 Wochen

Der Kartäuserorden dürfte bis jetzt die meisten Heiligen hervorgebracht haben. Angesichts der besonderen Umstände richte sich ein jeder einen Hausaltar ein und zünde sich beim stillen betrachtenden Gebet eine Kerze an. "Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten." (Mt. 6,6)

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Cyprinus
Vor 1 Monat 3 Wochen

Ihre erste Aussage vermag ich nicht zu beurteilen. Aber das Folgende, Ihre Empfehlung zur praktischen Umsetzung des Herrenwortes, teile ich und empfehle es nachdrücklich. Ich kann bestätigen, dass man sich damit tatsächlich die Grundbedingung ermöglicht: „Nur der, der außer sich ist, kann auf Gott treffen“.