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Kolumne „Mild bis rauchig“

Weihnachtsverbot

Die Zeiten sind rauer geworden. Nicht nur, dass die Preise steigen und alles ständig kaputtgeht, sobald die Garantie abgelaufen ist, jetzt steht auch noch Putin vor der Tür, Trump will Grönland haben, und es schließen reihenweise die Lieblingslokale. Und noch dazu: Die Sprache wird anstrengender. Die „Generation Z“ versteht die „Boomer“ nicht mehr und umgekehrt, und es gibt täglich mehr Wörter, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr verwendet werden dürfen. „Schwarzfahren“ ist genauso rassistisch wie die „weiße Weste“ und das „Zigeunerschnitzel“, „etwas mit links machen“ übervorteilt Linkshänder und gehört vermieden, gefälschte Doktorarbeiten sind nicht mehr „getürkt“, sondern plagiiert. 

Dass einem etwas „spanisch vorkommt“ oder unbekannte Sachen für mich „wie böhmische Dörfer“ sind, diskriminiert die Bewohner von Deutschlands Lieblingsurlaubsinsel und die Tschechei, die „Mohrenstraße“ muss in „Möhrenstraße“ umbenannt werden, Winnetou vom „Indianer“ zum Indigenen, und „Fräulein“ ist sexistisch, weil es schließlich das Gegenstück „Herrlein“ nicht gibt, zumal es ja ohnehin keine Männer mehr gibt, sondern allenfalls „als männlich gelesene Personen“. 

Angesicht dieser für sensible Gemüter höchst anstrengenden neuen Variante des Gesellschaftsspiels „Finde den Fehler“ kam mir als einem als männlich gelesenem Angehörigen des Klerus mit dem Auftrag zur Verkündigung der Meinung der katholischen Kirche am zweiten Weihnachtsfeiertag ein Gedanke, den ich an dieser Stelle gern dokumentieren möchte. 

Ein echter Überzeugungstäter

Am Tag nach Weihnachten feiert meine katholische Kirche das Fest des hl. Stephanus, des ersten Märtyrers der Kirche. In der Auseinandersetzung mit den jüdischen Gelehrten seiner Zeit über die Frage, wer Jesus Christus sei, bekennt er sich offen und ohne Umschweife dazu, dass es sich bei ihm um den Sohn Gottes handelt. In der Apostelgeschichte (Apg 6,8 – 7,60), aus der an diesem Festtag ausschnittweise gelesen wird, vernimmt man die Schilderung eines argen Streits zwischen Stephanus und dem jüdischen Establishment, das die Rede des Stephanus als Zumutung auffasst.

Denn: Er war so grundüberzeugt, so sicher, so exklusiv in seinen Anschauungen, so gar nicht kompromissbereit und damit in Gänze inkompatibel im erlaubten Meinungsspektrum seiner Zeit. Auch schon damals gab es den gesellschaftlichen Aufreger nach Maßgabe der Mainstreamüberzeugung.

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Die Gruppe aufgebrachter Juden, die unter der Federführung eines gewissen Saulus von Tarsus – aus dem bekanntlich später der Völkerapostel Paulus wird – ideologisch radikalisiert worden ist, begegnet in Stephanus einem gegen den Strich gebürsteten frischbekehrten Christen, der dazu auch noch Diakon geworden war, also einem echten Überzeugungstäter. Er vermeldet seinen Glauben, der nicht nur auf Widerstand Andersdenkender stößt, sondern der darüber hinaus auch noch mit einem ungeschminkten Absolutheitsanspruch auftritt und alle heiligen Kühe des religiösen Establishments seiner Zeit schlachtet. 

Und er tut dies auf eine Weise, die als unfassbar provokant wahrgenommen wird. Denn mitten im theologischen Streitgespräch lässt er erkennen, dass er geradezu unerreichbar ist für die Drohungen der Mitdiskutanten, doch bitte nicht den schmalen Pfad des Mittelweges und seiner Mehrheitsmeinung zu verlassen, die er durch seine historische Einordnung von Tod und Auferstehung Jesu Christi gehörig verlässt. Gibt er doch darin der Mehrheit die Schuld für die Verkennung der Erlösungstat Gottes. 

Stephanus will nicht diskutieren, er will verkünden

Statt auf Argumente einzugehen, wendet er seinen Blick ab und schaut auf eine andere Welt und betet für seine Gegner. Er sieht etwas, das die anderen nicht sehen können. Wir lesen: „Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen.“ Das ist für seine Gesprächspartner zu viel. Denn sie erwarten, dass Stephanus seine Gedanken darlegt und seine Überzeugungen intellektuell verteidigt und dass er auf diese Weise begründet, wieso er die Tabuzonen dessen, was mehrheitlich festgelegt ist, bricht. 

Stattdessen verlässt er nonchalant die Ebene der Vernunft und verkündet seinen Jesus als Gottes Sohn, den er sieht, wie er sagt. Das ist nun der rote Knopf für die versammelte Gelehrtenschaft. Und die Szene bekommt eine entscheidende Dimension. Denn Stephanus will gar nicht diskutieren, er will verkünden, und zwar nicht das, was er sich ausgedacht hat, sondern das, was er sieht und was er als real erkannt hat. 

Das bringt die Menschen damals auf die Palme: Dass er behauptet, all das, was er für wahr hält, käme nicht von ihm, aus seinen Spekulationen, sondern es käme aus seinem Blick in die Realität des Himmels, wo er den von den anderen gehassten Jesus von Nazareth als den Christus und Sohn Gottes im Himmel zur Rechten Gottes sieht. Das bringt das Fass zum Überlaufen und kostet Stephanus am Ende das Leben. Nicht seine persönliche Überzeugung reizt die anderen. Seine Behauptung, es gäbe eine Wahrheit, die sich ihm darüber hinaus noch bildlich zeigt und die deswegen unverbrüchlich ist und – alles andere ablösend – das Ergebnis einer objektiven Offenbarung Gottes und eben nicht der Ausfluss seiner subjektiven Meinung. 

Die jüdischen Gelehrten werfen daraufhin Steine. Aber eigentlich gar nicht in erster Linie auf die neue Lehre, sondern auf den, der behauptet, es sei keine Lehre, sondern es sei das, was Gott von sich gezeigt hat – ihm, den Aposteln und vielen anderen.

An der Aggressivität gegen die christliche Wahrheit hat sich nichts geändert

Seit den Tagen des Stephanus hat sich an dieser Aggressivität gegen die Behauptung der christlichen Religion, die objektive und von Gott geoffenbarte Wahrheit zu sein, nichts geändert. Jeder kann selbst den Test machen. Nie wird der Widerstand gegen den Glauben größer sein, als wenn man erkennen lässt, dass man nicht bereit ist, ihn als eine persönliche Meinung zu relativieren, sondern – wie Stephanus – als etwas, das man als eine Mitteilung aus dem Herzen Gottes versteht, die einen so ergriffen hat, dass man es nicht der Relativität opfern und unverbindlich und gleichwertig neben andere Meinungen zu stellen bereit ist.

Aktuelles Beispiel für die Reizung, die eine solch manifeste Überzeugung von der Einzigkeit der christlichen Wahrheit auslöst, ist die vor knapp vierzehn Tagen ausgestrahlte ARD-Doku mit dem Titel „Die hippen Missionare. Mit Jesus gegen die Freiheit“.

Darin wird genau wie damals in der Auseinandersetzung mit Stephanus gegen ein Christentum zu Felde geritten, das jung und dynamisch die erkannte Wahrheit als einzige glaubt, und das konsequenterweise diese nicht als relative, sondern als die Wahrheit schlechthin verkündet. 

Das Besondere bei diesem medialen Aufstand ist, dass – ähnlich wie beim jungen Diakon Stephanus – die „Tätergruppe“ der Verkünder ebenso jung ist – und erfolgreich ob ihres entschiedenen Glaubens im Gegensatz zum Einerseitsandererseits der üblichen kirchenamtlichen Wortmeldungen. So kann man es zum Beispiel beim Adoratio-Kongress in Altötting, bei der Loretto-Gemeinschaft in Salzburg oder beim Gebetshaus Augsburg finden – Initiativen, die mehr und mehr Anhänger finden, besonders bei den unter Dreißigjährigen. 

Gebetsinitiativen, „Jüngerschaftsschulen“, charismatische, aber auch durchaus traditionsbewusste junge Katholiken finden sich mittlerweile in allen deutschen Diözesen und mischen den Laden abseits von religiös blutleeren und einzig kirchensteuerlich zusammengehaltenen Beamtenmilieus auf.

Die mediale Steinigung einer jungen „Tätergruppe“

Der Passauer Bischof Stephan Oster, der zufälligerweise auch noch den Namen des mutigen Diakons aus der Apostelgeschichte trägt, schreibt zu dieser Form der medialen Steigung eines jungen und überzeugten und deswegen auch nicht zu jedem Preis anpassungsbereiten Christentums auf seinem Blog

„Wenn es dann um das Evangelium Jesu Christi geht, dann scheint auch dieses irgendwie positiv besetzt – aber nur solange es sich einfügt in die gängige Freiheitsauffassung einer liberalen, digital abgelenkten und weitgehend materialistischen Gesellschaft. Man pickt sich also aus den heiligen Texten jene Stellen heraus, die dem gesellschaftlich liberal gesinnten Menschen guttun.“

Und so stellt der Stephanustag, einen Tag nach dem Fest der Menschwerdung Gottes, die Frage in den Raum, wo man im Kontext der Verkündigung dieses nicht relativen, sondern höchst entschiedenen Gottes steht. Ob man zum „Team Stephanus“ gehört, oder ob einen der Relativismus unserer Tage schon weichgespült hat, so dass man gar nicht mehr die objektive Wahrheit Jesu Christi vertreten will. 

Stephanus stellt diese Frage in der Tat einen Tag nach Weihnachten nicht zufällig. Denn dieses Fest feiert nicht eine menschliche Weisheit oder Überzeugung, sondern behauptet die Offenbarung Gottes an die Welt, dass Jesus Christus das Heil ist und niemand sonst. Das ist der Kern dessen, was den Glauben der Christen ausmacht: Die als Überzeugung und Lebensmaxime angenommene offenbarte Wahrheit, dass Gott Mensch geworden ist und in Ihm allein das Heil liegt. Katholiken zwingt die übrigens an Weihnachten beim Beten des Glaubensbekenntnisses physisch in die Knie, wenn sie im Credo „et incarnatus est“, „und ist Fleisch geworden“ sagen oder singen.

Vor wem beugen wir die Knie?

Man fühlt sich ein wenig ans alte Rom erinnert, wo man die Christen durch ein physisches Weihrauchopfer vor dem Gott-Kaiser in die Bredouille einer existenziellen Entscheidungssituation brachte, um den Absolutheitsanspruch ihres Glaubens entweder zu dekuvrieren oder zu brechen.

Nach allem, was sich derzeit gegen das treue Christentum zusammenbraut, sind Tage absehbar, in denen die relativistische Diktatur eines stets beleidigten Agnostizismus mit ihren medialen Säuberungen dafür gesorgt haben wird, dass die Christen sich entscheiden müssen, vor wem sie ihr Knie beugen, wenn sie noch gesellschaftlich mitspielen möchten. Tage, in denen – vielleicht – auch einmal das Wort „Weihnachten“ auf der Liste der verbotenen Begriffe landet.

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