Direkt zum Inhalt
Der 266. Nachfolger Petri

Der nächste Pontifex: Kontinuität, Kompromiss oder Kontrast?

Wie früh darf man nach dem Tod eines Papstes auf seinen Nachfolger spekulieren? Sehr früh, geht es nach den Italienern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In den Stadtstaaten der Halbinsel war es Brauch, auf den Nachfolger zu wetten, und zwar in einer Frühform der Lotterie. Nicht nur in Rom, sondern auch in Venedig und Genua entstand daraus ein solches Geschäft, dass sich Papst Gregor XIV. gezwungen sah, das Lotteriespiel um das anstehende Konklave mit Androhung der Exkommunikation zu verbieten.

Spekulationen darüber, welcher Kardinal auf den verstorbenen Pontifex folgt, sind daher nichts Neues unter der Sonne – vor 500 Jahren gehörten sie sogar zum guten Ton. Freilich standen die Wettchancen dazumal deutlich höher. Bei den Konklaven um 1500 nahmen rund 40 Kardinäle teil, und die Italiener kannten ihre Favoriten sowie die von Frankreich, Spanien oder Österreich protegierten Teilnehmer. Monarchen machten überdies deutlich, welchen Kardinal sie als Papst am wenigsten auf dem Thron sehen wollten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. 

Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

In Ermangelung der Vorteile der italienischen Renaissance lautet die Frage daher weniger, wer der nächste Papst wird, als vielmehr, aus welchen Reihen er kommt, welche Qualitäten und welche Verbindungen er hat, um in den engeren Kreis jener papabili zu gelangen, aus denen die Kardinäle zuletzt das Oberhaupt der katholischen Kirche wählen. Bei 135 Kardinälen und viel geringeren Kenntnissen über Rivalitäten, Animositäten und Cliquen fällt das deutlich schwerer als bei den überschaubareren Fronten zu Machiavellis Zeiten.

Franziskus ernannte 108 der 135 wahlberechtigten Kardinäle

Dazu kommen einige Unwägbarkeiten, wie sie die jüngere Geschichte kaum kennt. Ein Papst nutzt die Kardinalsernennung üblicherweise, um Einfluss auf seinen Nachfolger zu nehmen. Von den 135 Kardinälen, die zur Wahl berechtigt sind (das heißt, Kardinäle, die das 80. Lebensjahr noch nicht vollendet haben), hat Franziskus 108 ernannt; Benedikt XVI. 22; Johannes Paul II. 5. Dazu sei gesagt, dass der von Johannes Paul II. ernannte Vinko Puljić aus Gesundheitsgründen wohl nicht am Konklave teilnehmen wird.

Damit machen die bergoglianischen Kardinäle zwar die weit überwiegende Mehrheit im Konklave aus; und in der Tat hätte dies in der Vergangenheit bedeutet, dass der Nachfolger als „Franziskus II.“ das Erbe seines Vorgängers fortgesetzt hätte. Neben der Unbeliebtheit des Pontifikats in den letzten Jahren spricht aber noch ein Punkt dagegen: Eine große Zahl der Kardinäle kennt sich so gut wie gar nicht. Auch ihre theologischen wie politischen Ansichten sind unbekannt.

Die Prälaten Asiens und Afrikas, von denen Franziskus zahlreiche aus Proporz- und Prestigegründen ernannt hat, gelten eher als konservativ. Erzbischöfe, insbesondere in Europa, die traditionell einen Kardinalshut erhalten haben, gingen leer aus – was das „liberale“ Lager eher geschwächt als gestärkt hat.

Ein Hirte muss sich den Wölfen stellen

Kommen wir zu einem Punkt, der seit dem Ableben des Heiligen Vaters kaum im Zentrum stand: nämlich die positiven Aspekte, die Franziskus zur Führung des Papstamtes befähigten. Franziskus hatte eine autoritäre, patriarchalische Ader, die durchaus auch toxische Schlagseite haben konnte. Aber ein Papst braucht als Oberhaupt von fast 1,5 Milliarden Katholiken Durchschlagskraft.

Der Wunsch nach einem „heiligen“ Papst ist verständlich, übersieht allerdings, dass die katholische Kirche in Italien kaum überlebt hätte ohne Persönlichkeiten wie Innozenz III., Alexander VI. und Pius IX., deren Unnachgiebigkeit in politischen Fragen den Bestand des Papsttums als solches sicherte. Bei allen Verdiensten Benedikts XVI. hat dessen Rücktritt der Kirche keinen Dienst erwiesen; dagegen ist der robuste Argentinier gleich zweimal von einer lebensgefährlichen Operation aus dem Krankenhaus zurückgekehrt und hat in päpstlicher Tradition noch den Ostersegen gespendet, bevor er am nächsten Morgen starb. Ein Hirte muss sich den Wölfen stellen (können).

> Abonnieren Sie den Corrigenda-Newsletter und erhalten Sie einmal wöchentlich die relevantesten Recherchen und Meinungsbeiträge

Das ist der Grund, warum die Kardinäle nur im Fall größter Uneinigkeit einen älteren „Übergangspapst“ wählen dürften. Die Situation der Kirche lässt die Wahl eines Geronten im Grunde nicht zu. Der neue Pontifex sollte physisch rüstig genug sein, um die Herausforderungen zu stemmen, die vor ihm liegen. Bergoglio war bei seiner Wahl 76 Jahre alt. Tendenziell sollte der nächste Pontifex jünger sein. Bereits die letzten fünf Jahre seiner Amtszeit waren vom Alter gezeichnet.

Wer als Papst ins Konklave geht, geht als Kardinal hinaus

Die nächste Qualifikation steht im Kontrast zum Stil Franziskus’. Auch wenn der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki im deutschen Fernsehen von einem „Franziskus II.“ schwärmt, so dürfte das Pontifikat aufgrund der Verwerfungen in der Kurie nur von einigen Radikalen unter anderem Namen fortgesetzt werden wollen. Vielmehr wird eine ausgleichende, diplomatische Persönlichkeit Vorrang haben, wobei die ideologische Verortung nachrangig sein dürfte.

Auch das ist der Grund, warum Kandidaten im Franziskus-Orbit – namentlich Pietro Parolin, Luis Antonio Tagle und Matteo Maria Zuppi – sowie progressive Persönlichkeiten vom Schlage Jean-Claude Hollerichs weitaus weniger wahrscheinlich sind, als die Medien behaupten. Ein „liberaler“ Kandidat dürfte in Wirklichkeit bis zum Auftritt an der Loggia des Petersdoms kaum bekannt sein.

Die zehn unten vorgestellten Kardinäle sind daher auch weniger als echte „Top-Kandidaten“ zu sehen, denn vielmehr als stellvertretender Querschnitt der Konklavekandidaten als solche. Es gilt nicht nur die Weisheit, dass derjenige als Kardinal aus dem Konklave herausgeht, der als Papst hineinging; es gehört auch zur Wahrheit, dass die Medien 2005 Jorge Mario Bergoglio als möglichen neuen Papst nannten, nicht aber 2013.

Zehn Typen, zehn Kandidaten

Jean-Marc Kardinal Aveline

Jean-Marc Aveline (66): Erzbischof von Marseille seit 2019; bekannt für interreligiösen Dialog.

Avelines Name fällt in letzter Zeit häufiger. Er hat in der Vergangenheit Vermittlungsgeschick gezeigt und kennt als Franzose die Herausforderung einer kleineren Kirche mit einer stärkeren Fokussierung auf Glauben und Tradition. Er gilt als tolerant gegenüber der Zelebration der „Alten Messe“ und ist zugleich für den Kontakt und Austausch der Religionen.

Péter Erdő (72): Erzbischof von Esztergom-Budapest; ehemaliger Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen.

Anders als die EU schätzt der Vatikan Ungarns diplomatische Schaukelpolitik. Kardinal Erdő könnte auch das Schifflein Petri nach den unruhigen Franziskus-Jahren womöglich wieder in ruhiges Fahrwasser bringen. Er gilt als moderater Kandidat mit Kurienerfahrung und als theologisch versiert. Ein Kompromisskandidat, der in der aktuellen Situation seine Chancen hat.

Péter Kardinal Erdő

Jean-Claude Hollerich (66): Erzbischof von Luxemburg; Generalrelator der Weltsynode zur Synodalität.

Ein Wunschkandidat der „Reformer“. Mit seinen Ansichten dürfte sich Hollerich jedoch eher am Rande dessen bewegen, was als „papabile“ in der Kurie gilt. Er ist daher eher als Fantasie progressiv-katholischer Journalisten zu bewerten denn als ernsthafte Wahl. Dasselbe ließe sich über die Kardinäle Marx, Roche und Cupich sagen.

Jean-Claude Kardinal Hollerich
Giorgio Kardinal Marengo

Giorgio Marengo (50): Apostolischer Präfekt von Ulaanbaatar, Mongolei; jüngster Kardinal der Kirche.

Marengo dürfte aufgrund seines jungen Alters bei diesem Konklave noch keine Rolle spielen. Ähnlich wie Pizzaballa hat er als Italiener in der Peripherie eine Doppelrolle. Er kennt die Situation der Minderheitenkirche, kann aber ebenso mit dem römischen Klerus kommunizieren. Eher ein Pius-XIII.-Szenario.

Gerhard Ludwig Müller (77): Ehemaliger Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre (2012-2017).

In der Corona-Krise hat Müller insbesondere in den Kirchen Amerikas, Asiens und Afrikas an Ansehen gewonnen, als er sich gegen die Restriktionen aussprach. Der einstige Bischof von Regensburg wurde von Gloria von Thurn und Taxis als „Donald Trump“ des Vatikans bezeichnet. Möglicherweise dürfte aber auch Müller als Kandidat bereits zu alt sein. Er könnte jedoch Einfluss auf die Wahl des nächsten Papstes ausüben.

Gerhard Ludwig Kardinal Müller

Pietro Parolin (70): Kardinalstaatssekretär des Vatikans seit 2013; führender vatikanischer Diplomat.

Parolin galt als rechte Hand von Papst Franziskus. Seine Wahl wäre ein „Ratzinger-Moment“ wie nach dem Tod von Johannes Paul II. Ihm wird diplomatisches Geschick nachgesagt, obwohl sein „China-Deal“ von Regimegegnern wie Kardinal Zen stark kritisiert wird. Früher galt er als Favorit. Sein Bezug zum letzten Pontifikat könnte nun zum Ballast werden und ihn gerade deshalb verhindern. Dennoch dürfte der Vizentiner die stärkste Karte im Blatt der „Franziskaner“ sein.

Pietro Kardinal Parolin
Pierbattista Kardinal Pizzaballa

Pierbattista Pizzaballa (60): Lateinischer Patriarch von Jerusalem seit 2020; zuvor Custos des Heiligen Landes.

Als Italiener in der Kurie vermittelbar, ohne in der Kurie zu sein. Er bringt Erfahrungen in der Administration eines „schwierigen“ Bistums mit sich. Ein Kandidat des Ausgleichs und ein Mann, der die Position von verfolgten Christen und Christen als Minderheit kennt. Womöglich der Pontifex, den die römische Kirche braucht; aber ist er auch der Pontifex, den die Una Sancta verdient?

Robert Kardinal Sarah

Robert Sarah (79): Ehemaliger Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung (2014-2021).

Sarah ist der Liebling vieler Konservativer. Seine Popularität darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Afrikaner schlicht zu alt sein dürfte, um die nötige Durchsetzungskraft im Petrusamt zu entfalten.

Luis Antonio Kardinal Tagle (67): Pro-Präfekt des Dikasteriums für Evangelisierung seit 2022; ehemaliger Erzbischof von Manila. 

Tagle galt vor einigen Jahren wie Parolin als einer der Favoriten im Lager derjenigen, die die Linie von Franziskus fortführen könnten. In den vergangenen Jahren hat er diesen Nimbus verloren, auch wegen der nachlassenden Popularität des Pontifikats. Tagle mischte sich im Heimatland Manila politisch ein, kritisierte Homophobie und eiferte im Stil Franziskus nach. Das sind allerdings Auszeichnungen, die beim nächsten Konklave keinen Wert mehr haben könnten.

Luis Antonio Kardinal Tagle
Matteo Kardinal Zuppi

Matteo Zuppi (69): Erzbischof von Bologna seit 2015; Präsident der Italienischen Bischofskonferenz seit 2022.

Zuppi ist als italienisches Äquivalent von Georg Bätzing bestens vernetzt. Das ist ein Vorteil, lässt ihn aber auch als katholischen „Apparatschik“ erscheinen, wie er derzeit weniger in Mode ist. Zuppi gilt eher als progressiv und hat sich in der Vergangenheit in die italienische Migrationspolitik eingemischt. Ob solche Kontroversen in der Zukunft gewünscht sind, ist fraglich.

> Kennen Sie schon unseren Corrigenda-Telegram- und WhatsApp-Kanal?

40
16

8
Kommentare

Kommentare