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„Critical Race Theory“

Eine Pandemie des Geistes

In den Staaten der angelsächsischen Welt tobt seit Jahren ein erbitterter Kulturkampf. Ausgelöst wurde er von akademischen Vertretern und Aktivisten der „Critical Race Theory“ („Kritische Rassenlehre“). Die zugehörigen Konflikte und Argumentationsmuster gelangen zunehmend nach Deutschland, wie in verschiedenen gesellschaftlichen Debatten zuhauf deutlich wird. „Struktureller Rassismus“, „Polizeiproblem“ und „Diversität“ sind die gängigen Schlagwörter. Tritt man dem Phänomen nicht entschlossen entgegen, riskiert man den Fortbestand der Welt, wie wir sie kennen.

Ursprünglich ein Phänomen des akademischen Elfenbeinturms in amerikanischen Law Schools (= juristische Fakultäten), hat sich die „Critical Race Theory“ längst politisch verselbstständigt und ist in den außeruniversitären Raum vorgedrungen, wo sie seit Beginn des letzten Jahrzehnts wie ein aggressives Virus wütet. In jüngerer Vergangenheit veröffentlichte populärwissenschaftliche Literatur einflussreicher Vorkämpfer lassen nur erahnen, dass „CRT“, die vereinfachte Abkürzung und zugleich politisches Schlagwort, Einfluss auf alle Bereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ausübt.

Beispielhaft genannt seien hier „White Fragility“ („Weiße Zerbrechlichkeit“) von Robin DiAngelo, 90 Wochen lang auf der Bestsellerliste der renommierten New York Times, und „How To Be an Antiracist“ („Wie man ein Antirassist ist“) von Ibram X. Kendi. Letzteres ist in die „must reads“ des Time Magazins aufgenommen worden. Beide Werke gibt es mittlerweile auch in deutscher Übersetzung mit einer Fülle deutschsprachiger Imitationen, etwa „Der weiße Fleck“ des deutschen „Antirassismus“-Aktivisten Mohamed Amjahid oder „Exit Racism“ von Tupoka Ogette.

Schwarze sind Opfer, Weiße stets Täter

Von Befürwortern und Apologeten wird behauptet, es ginge lediglich um „Aufklärung über Rassismus“. Es wird so getan, als sei CRT eine anerkannte Methode der Geschichtswissenschaft. In Wahrheit befördert die „kritische Rassenlehre“ die Segmentierung der Gesellschaft in „Rassen“ und ordnet Angehörige einzelner ethnischer Gruppen im Stile marxistischer Dialektik bestimmte Positionen in einer Täter-Opfer-Hierarchie zu.

Schwarze seien demnach „Opfer“ des gesamtgesellschaftlichen Systems und bedürften entsprechender Unterstützung. Weiße werden als Täter und „Komplizen“ in der Aufrechterhaltung dieses „Systems“ und damit ihrer Privilegien gebrandmarkt. Dieser Ansatz ist nicht nur unhistorisch, sondern reduziert das Individuum, völlig unabhängig von persönlichen Leistungen und Lebenssituationen, auf seine Hautfarbe. Besonders absurd wird es, wenn die Anhänger dieser Ideologie auf längst überwundene Mechanismen zurückgreifen – plötzlich soll es „Safe Spaces“ für „marginalisierte“ (= unterdrückte) Gruppen geben. So wird die vorgeblich der Vergangenheit angehörende Rassentrennung durch die Hintertür wieder eingeführt – Martin Luther King würde sich im Grabe umdrehen.

CRT als Speerspitze gegen die Aufklärung

Die CRT präsentiert sich selbst als „Wissenschaft“, wo sie doch tatsächlich keine ist. Sie lehnt die Grundlagen der Aufklärung – Vernunft, Logik und Argumentation – als von „Weißen erfundene, diskriminierende Strukturen“ ab. Kritisches Hinterfragen, eigentlich wissenschaftliche Selbstverständlichkeit, wird unterbunden, indem sich Anhänger in der Wiederholung fiktiver Selbstgewissheiten bestätigen und die Ergebnisse Debatten, Untersuchungen und Studien von vornherein feststehen. Als eine Form ergebnisorientierter Argumentation steht am Ende jedes Räsonnements stets das „rassistische System“ als herbeiphantasierter Sündenbock für alles Übel in der Welt.

Verantwortlich dafür seien Weiße in ihrer Gesamtheit, unabhängig von individuell vorhandenen rassistischen Positionen. Rassismus sei demnach keine Frage einer persönlichen Einstellung, sondern in den Köpfen weißer Menschen omnipräsent und das primäre Motiv aller ihrer Handlungen. Sie können niemals nicht rassistisch sein und sollen daher ihr Leben damit verbringen, ewig Buße zu tun für ihre Hautfarbe. Ihre „Privilegien“ sollen sie an die Angehörigen ethnischer Minderheiten „abtreten“.

Das Individuum spielt keine Rolle

An seine Grenzen stößt diese Perspektive auf die Welt jedoch, wenn Minderheiten keine „Opfer“ sind. Erfolgreiche Afroamerikaner sind den CRT-Hohepriestern ein Dorn im Auge. Ihnen wird die Partizipation am „System“ unterstellt, und sie gelten wahlweise sogar als „Black face of white supremacy“, als „schwarzes Gesicht der weißen Unterdrückung“ also – so etwa die Bezeichnung des kalifornischen Radiomoderators und Politikers Larry Elder in einer Kolumne der Los Angeles Times. Ganz ähnlich ergeht es Minderheiten, die es wagen, andere Auffassungen zum Thema Rassismus zu vertreten.

Vorschau Larry Elder
Erfolgreiche Afroamerikaner wie der Moderator und republikanische Politiker Larry Elder sind CRT-Anhängern ein Dorn im Auge.

Die Quintessenz dabei ist: Widerspruch gegen die Thesen der „Critical Race Theory“ wird nicht geduldet. Sie nimmt für sich in Anspruch, die absolute und unangreifbare Wahrheit abzubilden. Weißen wird bei Kritik pauschal eine rassistische Haltung unterstellt, Nichtweiße wiederum werden persönlich als „Sklaven der Strukturen“ abgewertet. Das Individuum spielt in der verrückten Welt ihrer Ideologen keine Rolle mehr, denn es sei lediglich das Produkt der gesamtgesellschaftlichen Strukturen.

Widerstand der US-Republikaner formiert sich

In den Vereinigten Staaten formiert sich wachsender Widerstand gegen diese vor allem in den Schulen und Universitäten praktizierte Indoktrinierung, besonders in den Reihen der Republikanischen Partei. Aufklärende Literatur, wie das 2019 erschienene Grundsatzwerk „Cynical Theories“ sowie die auf CRT begrenzte Fortsetzung „Race Marxism“ des Autors James Lindsay, erfreut sich wachsender Beliebtheit. Für den 2021 gewählten Gouverneur von Virginia, Glenn Youngkin, war der Einfluss der „Theorie“ in Bildungseinrichtungen ein wahlkampfentscheidendes Thema, und auch der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, zugleich aussichtsreicher Anwärter auf die Nominierung der Republikaner für die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren, bedient sich der Expertise des prominenten CRT-Experten Christopher Rufo.

Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Bei ungehindertem Krankheitsverlauf lässt die „Theorie“ die Fundamente des gesellschaftlichen Zusammenhalts, ja des freiheitlichen Staates der Moderne schlechthin, gänzlich verkümmern. Es handelt sich um eine Pandemie des Geistes.

Gegenbewegungen in Europa

Führt man sich diese Entwicklungen jenseits des Atlantiks und deren erfahrungsgemäß rapide Importgeschwindigkeit nach Europa vor Augen, ist es wahrscheinlich, dass der Einfluss dieses Denkens hierzulande gerade in seinen Kinderschuhen steckt und sich weiter intensivieren wird. Abzuwarten bleibt hingegen die Reaktion konservativer und liberaler Kräfte. Erste Gegenbewegungen sind durchaus vielversprechend, so etwa die Arbeit der Journalistin Judith Sevinç Basad oder die Veröffentlichung einer deutschen Übersetzung von „Cynical Theories“.

Angesichts der traditionell meist zögerlichen und unbeholfenen Antworten von Konservativen und Liberalen auf von Linken kolportierte Ideen sieht die Perspektive hier jedoch eher düster aus. Allzu oft stimmen insbesondere Union und FDP ohne jegliche kritische Reflexion in das Zeitgeistcredo ein und sprechen die Glaubensbekenntnisse der Gegenwart, um beim medialen Mainstream zu punkten. Sie sehen dabei nicht oder ignorieren bewusst, dass sie so gemeinsam mit der identitären Linken die Axt an den Stamm der liberalen Moderne setzen. Der unter anderem mit CRT gepflasterte Weg in die Postmoderne führt dabei allerdings nicht in eine „bessere Welt“, sondern in eine Diktatur.

 

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