Direkt zum Inhalt
Ein Fest als Aufforderung

Pfingsten – eine liebevolle Provokation

Ein langes Wochenende, das ist wohl für die meisten Menschen in unserem Land alles, was sie mit Pfingsten verbinden. Von den großen christlichen Festen ist es mit Sicherheit das unbekannteste: Es gibt kein allgemeines „weltliches“ Brauchtum, wie etwa Eiersuche an Ostern oder Plätzchenbacken an Weihnachten; auch eine Kommerzialisierung scheidet aus. Selbst der Name ist ein Understatement: „Pentecoste“, „fünfzig“, heißt es schlicht. Was also sollte man sich schon darunter vorstellen können, wenn man nicht praktizierender Christ ist?

Der Inhalt des Festes klingt schlechthin mysteriös bis unglaubwürdig: Die Ausgießung des Heiligen Geistes – am fünfzigsten Tag nach Ostern. Doch die Folgen dieses Geschehens sind für jedermann klar ersichtlich: Es handelt sich um die Geburtsstunde der Kirche. Ob man gläubig ist oder nicht, diese Wirkung des Pfingstereignisses hat den Lauf der Welt, hat Kultur, Wissenschaft, Technologie, alle Aspekte unserer Existenz entscheidend geprägt.

Ein Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Wollte man die in der Apostelgeschichte beschriebene Episode als hysterische Massenpsychose abtun, müsste man erklären, wie sich daraus eine derart nachhaltige und beeindruckende Dynamik entfalten konnte.

Ohne Pfingsten wäre die spirituelle Bewegung einiger jüdischer Fischer wohl schnell am Ende gewesen. Wer dem Auferstandenen begegnet war, wäre zeit seines Lebens von der Wirklichkeit dieser Erfahrung ergriffen gewesen, aber dies hätte wohl kaum andere überzeugen können.

Von wegen überspannte Spinner

An Pfingsten dagegen kommt ein anderer Zeuge ins Spiel, nämlich der „von oben“, der von Christus herabgesandte Heilige Geist, der die Erlebnisse der Jünger bestätigte – für jeden sichtbar. Wer diese für überspannte Spinner hielt, konnte nun selbst erfasst werden von der festen Gewissheit, dass Jesu Worte wahr waren, dass seine Auferstehung und Himmelfahrt tatsächlich und wirklich stattgefunden hatten.

Erst durch die Bestätigung durch den Geist konnte das Christentum zur Weltreligion werden, die von einem Ende der Erde bis zum anderen Anhänger gefunden hat. Seine Botschaft, obwohl in ihren Grundlagen eindeutig am jüdischen Welt-, Gottes- und Menschenbild festgezurrt, konnte nun nicht nur antiken Juden, Griechen und Römern als einsichtig erscheinen, sondern würde in späteren Jahrhunderten einen südamerikanischen Indigenen ebenso überzeugen wie einen Vietnamesen, würde von Island bis Australien Menschen begeistern.

An dieser Stelle sei, um erwartbarem Widerspruch entgegenzutreten, dazu geraten, sich die Missionsgeschichte genau anzuschauen. Denn Zwangsmission ist in der Geschichte des Christentums die Ausnahme, auch wenn populärhistorisches Halbwissen hartnäckig das Gegenteil behauptet; aus politischen Motiven erfolgte Konversion kam vor, ist aber in der Gesamtschau ebenfalls sekundär.

Christlicher Geist und moderne „Spiritualität“ haben wenig miteinander zu tun

Tausende von Märtyrern haben seit Pfingsten bezeugt, dass sie mit Leib, Herz und Seele das angenommen haben, was ihnen offenbar wurde: Im ersten wie im 21. Jahrhundert bekehren sich Menschen zu dem Glauben, den die Jünger nach Pfingsten zu verkünden begannen. Und zwar meistens gerade dort, wo das Bekenntnis kein angenehmes Leben beschert, sondern Menschen in Schwierigkeiten oder gar Lebensgefahr bringt. Eine verstörende Tatsache für alle, die sich zurechtlegen, dass der Mensch eben spirituelle Erfüllung suche, und diese oder jene Strategie wähle, um dieses Ziel zu erreichen.

Dennoch bleibt der Heilige Geist ambivalent: So evident sein Wirken in der Gemeinschaft der Gläubigen, so geheimnisvoll bleibt er doch im persönlichen Erleben jedes Einzelnen.

Hier wird ein zweiter spannender Aspekt des Festes deutlich: Das, was Christen (jedenfalls mehrheitlich) unter Geist, Spiritus, verstehen, und das, was heute gewöhnlich als „Spiritualität“ verstanden wird, haben ziemlich wenig miteinander gemein. Spirituelle Erfahrung wird heute gewöhnlich als etwas Schwammiges, Diffuses beschrieben.

„Irgendwie“ glauben, „irgendwas“ spüren, ein Drang, mit sich selbst in Einklang zu kommen, das ist für viele Menschen Teil ihres Lebens. Immer noch machen wir geistliche Erfahrungen, nicht anders als Menschen zur Zeit des Neuen Testaments. Allerdings leben wir spätestens seit der Moderne in einem Zeitalter, das zunehmend rationalistischen Prinzipien folgt.

Ironischerweise folgt daraus nicht, dass die Erfahrung des Göttlichen – oder sagen wir neutraler: der Transzendenz – mit Mitteln der Vernunft untersucht wird, sondern, dass sie weggeschoben wird. Was nicht empirisch fassbar ist, muss schließlich Illusion sein, wird letztlich auf Hirnaktivität reduziert. Ein Kurzschluss, der dazu führt, dass geistliche Erfahrungen in eine subjektiv-emotionale Schublade gesperrt werden: Sie dürfen stattfinden, aber nur in einem Bereich unseres Bewusstseins, der von der Realität abgetrennt wird.

Im Christentum gehören Vernunft und geistliche Erfahrung zusammen

Die deutsche Sprache offenbart, wie absurd der Graben ist, der zwischen der geistlichen Sphäre und dem Intellekt aufgerissen wird: Die Worte „geistig“ und „geistlich“ haben schließlich denselben Wortstamm, beziehen sich auf dasselbe. Dennoch sollen sie miteinander nichts zu tun haben.

Anders im Christentum: Hier gehört die Vernunft zur geistlichen Erfahrung nicht nur dazu, sie wird dadurch gestärkt. Unter den sieben Gaben, die die Bibel als durch den Heiligen Geist geschenkt betrachtet, sind vier unmittelbar mit der Vernunft verknüpft: Weisheit, Einsicht, Rat und Erkenntnis. Nicht Ekstase (auch wenn dies in pfingstlerischen Kreisen eine große Rolle spielt, die allerdings die Ausnahme darstellen), nicht diffuse „spirituelle“ Ahnung, sondern Klarheit prägt christliche Spiritualität. Das Christentum sieht keinen Widerspruch zwischen Geist und Verstand, sieht natürliche und übernatürliche Welt miteinander verbunden.

Und mehr noch: Diese übernatürliche Welt bleibt nicht unerreichbar außerhalb unserer selbst. Der Heilige Geist wird uns auch geschenkt, senkt sich in uns hinein. Wir sind nicht nur transzendenzfähige Wesen, wir sind dazu berufen, Gott in uns zu tragen, in einer engen Beziehung zu ihm zu stehen, ja sogar in einer liebenden Beziehung.

Gott nicht in einer jenseitigen Welt suchen, sondern im Hier und Jetzt

Das Pfingstfest lädt dazu ein, sich diesem erstaunlichen und überwältigenden Geschehen zu öffnen. Seine Unzugänglichkeit verliert es erst, wenn wir dazu bereit sind, eigene zeitgebundene Sichtweisen auf den Prüfstand zu stellen und uns von Gott überraschen zu lassen.

Pfingsten ist darum ungleich provokanter als Weihnachten oder Ostern: Es lässt sich nicht abtun als christlicher Ausdruck universaler menschlicher Erfahrungen wie die Geburt eines Kindes oder ein Frühlingsfest. Pfingsten fordert uns dazu heraus, Gott nicht in einer jenseitigen, entrückten Welt zu suchen. Wir sollen ihn finden, im Hier und Jetzt, unter uns und in uns.

1
0

Kommentare