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Evangelische Kirche in Deutschland

Tschüss Glaube: Wie aus einer Kirche eine grüne NGO wird

Mit einer Strategie der Erneuerung will die evangelische Kirche in Deutschland (EKD) der stetig sinkenden Zahl von Protestanten in den zwanzig lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen begegnen. Seit 1990 hat die Zahl der Kirchenmitglieder um etwa 30 Prozent abgenommen. Allein 2022 verließen 380.000 Menschen die Kirche.

Es ist nur ein schwacher Trost, dass trotz sinkender Mitgliederzahlen die sprudelnden Steuereinnahmen (2022 waren es 6,2 Milliarden Euro) für die ohnehin reiche Kirche in keiner Weise beeinträchtigt sind – zumindest bisher dank hoher Lohn- und Einkommensteuern, an die die Kirchensteuer angekoppelt ist.

Kirchentage symbolisieren den Wandel

Besonders die teilweise schrillen und provozierenden evangelischen Kirchentage legen seit vielen Jahren deutlich Zeugnis von dem Willen der Kirche zu fragwürdiger Modernität und gesellschaftspolitischer Parteilichkeit ab.

Auf dem Kirchentag im Juni 2023 in Nürnberg standen vor allem die Themen Klimawandel, Kolonialismus und Rassismus im Zentrum des Programms; viel Aufmerksamkeit galt den Aktivisten der „Letzten Generation“. Die EKD-Synode, das Kirchenparlament der evangelischen Christen, hatte sich schon im November 2022 mit den Klima-Aktivisten solidarisiert. Manche Pressekonferenz der „Letzten Generation“ fand in evangelischen Kirchen statt. 

Der Nürnberger Kirchentag endete mit der Predigt des aus Südafrika stammenden Pastors Quinton Ceasar, der sich klar zum Kampf gegen Klimawandel und Rassismus bekannte.

„Jetzt ist die Zeit, zu sagen, wir sind alle die Letzte Generation. Jetzt ist die Zeit, zu sagen, black lives always matter. Jetzt ist die Zeit, zu sagen, Gott ist queer.“ Dann küsste der Pastor eine Transfrau. Worte und Gesten des temperamentvollen Geistlichen wurden bei dem Gottesdienst mit Applaus und Freudenrufen gefeiert.

Schlussgottesdienst mit Pastor Quinton Ceasar am Evangelischen Kirchentag 2023. Ceasar unterstützt die Letzte Generation, Black Lives Matter und sagt, dass Gott queer sei

Auf der Kirche lastet ihr Versagen in der NS-Zeit

Hintergrund des starken, zuweilen fast krampfhaft wirkenden gesellschaftspolitischen Engagements der evangelischen Christen ist sicher auch die anhaltende Scham über die Rolle der Protestanten in den Jahren der Nazi-Herrschaft. Nicht nur, dass die Nationalsozialisten in protestantisch geprägten Regionen Deutschlands bei den Wahlen 1933 besonders erfolgreich waren, viele evangelische Geistliche waren auch von der rassistischen NS-Ideologie infiziert.

Die rechtsradikale Bewegung der „Deutschen Christen“ kaperte 1933 mehrere Landeskirchen, gleichwohl sich Protestanten der „Bekennenden Kirche“ heftig dagegenstellten. 1934 gehörten 268 Theologen dem Nationalsozialistischen Evangelischen Pfarrerbund an.

Auch wenn es mutige Pfarrer und Theologen gab, die sich gegen die Nazi-Ideologie stemmten, dominierte die Kollaboration mit dem Regime. Eine Untersuchung in Schleswig-Holstein zeigte, das mehr als 80 Prozent der Geistlichkeit das „nationalsozialistische Gesellschaftsprojekt“ aktiv unterstützten.

Tiefer Antisemitismus der evangelischen Kirche

Führende evangelische Theologen wie Prof. Walter Grundmann (Mitglied der NSDAP) und Prof. Hans Erich Eisenhuth wollten alles Jüdische aus der Bibel tilgen. Zu Füßen der Wartburg in Eisenach arbeiteten jahrelang etwa 200 evangelische Theologen an einem „Entjudungsinstitut“.

Ziel war es, jüdische Hinweise aus der Bibel oder den Gesangbüchern zu tilgen. Hebräische Begriffe wie „Amen“ und „Halleluja“ wurden gestrichen. Jesus wurde als arischer Galiläer umgedichtet. Angesichts des radikalen Antisemiten Martin Luther (der die Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ schrieb) konnten sich die Protestanten auf ihren Kirchengründer berufen.

Die protestantische Nähe zum Zeitgeist – reloaded?

Im „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ musste die Kirche 1945 zutiefst beschämt die Nähe evangelischer Geistlicher zu völkischen Wahnideen bekennen, die Bereitschaft großer Teile der Kirche, den deutschen Nationalismus, den Kriegswillen der Nazis und den widerwärtigen Antisemitismus zu unterstützen. Gleichzeitig wurde den Protestanten klar, wie sehr sie die Augen vor der Ermordung von Millionen Juden und dem entsetzlichen Euthanasie-Programm verschlossen hatten.

Die Erfahrung des politischen Versagens und der historischen Schuld prägt wohl bis heute die Haltung vieler Theologen, Pfarrer und Kirchenfürsten. Was sie sicher ehrt – wäre da nicht das ungute Gefühl, dass sich auch heute wieder die Kirche an den Zeitgeist schmiegt.

Dieser Zeitgeist unterscheidet sich natürlich in vieler Hinsicht von den gängigen Sichtweisen der 1930er Jahre. Die heute gängigen Ideale der Politik sind kaum mit dem menschenverachtenden, mörderischen Nationalsozialismus vergleichbar. Allerdings könnte man auch manche Berührungspunkte finden.

EKD mit eigenem „Gender-Sprachhandbuch“

Dazu gehört beispielsweise die unkritische Akzeptanz „moderner Ideen“ wie die Anstrengungen, Literatur und Kunst „politisch korrekt“ anzupassen oder ein irres, hässliches Gender-Deutsch durchzusetzen (schon wieder soll die Sprache bereinigt werden, diesmal von der männlichen Dominanz). Nachdem die EKD 2020 den Gläubigen ein „Gender-Sprachhandbuch“ präsentierte, lästerte der frühere Lehrerverbandspräsident Josef Kraus bei „Tichys Einblick“ über „die Kirche als Gender-Sekte“

In diese Reihe passt auch die Akzeptanz aktueller Wissenschaftsmoden wie die über eine angebliche Vielzahl der Geschlechter, der „post-kolonialen Studien“ oder einer Weißen-feindlichen Identitätspolitik. Schließlich befindet sich die Kirche auch heute wieder sehr nahe an der Agenda der herrschenden Parteien – und hat so manche Berührungspunkte mit dem neuen, modernen Antisemitismus.

Diese gebiert sich zwar heute vor allem als „israelisch-kritisch“ oder anti-zionistisch, birgt im Kern aber kaum verhohlene Feindseligkeit, wenn nicht sogar Hass auf die Juden – und ganz besonders auf den winzigen jüdischen Staat auf biblischem Boden.

Tiefe Scham über den Sündenfall der Kirche

Vor allem die „Barmer Theologische Erklärung“ der Bekenntnissynode vom 31. Mai 1934 inspirierte die Nachkriegskirche. In jener Erklärung hatten sich die evangelischen Nazi-Gegner deutlich von der Mehrheit der opportunistischen Glaubensbrüder und insbesondere den „Deutschen Christen“ abgegrenzt, die begeisterte Hitler-Verehrer waren.

Die evangelische Kirche konfrontierte sich nach 1945 beschämt mit dem Sündenfall der Protestanten in der NS-Zeit und verpflichtete sich, künftig gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und christliche Werte zu verteidigen. Nie wieder sollte in Deutschland Unrecht geschehen, ohne dass evangelische Christen ihre Stimme erheben.

Protestantismus im Norden: lebendig und ohne Gläubige

Wer wissen möchte, wie die Zukunft der Evangelischen Kirche aussehen könnte, sollte ins traditionell zutiefst protestantische Skandinavien schauen. Kirchen sind dort – wie die Monarchie – glanzvolle Relikte früherer Feudalzeiten, durchaus noch immer respektiert und geachtet, aber eher machtlos und letztendlich mit wenig Bedeutung für die Gesellschaft.

Die Schweden kokettieren damit, dass sie das am stärksten säkularisierte Land der Welt seien. Umfragen zufolge glauben nur noch 18 Prozent der Schweden an einen Gott. In Europa gibt es demnach nur noch in Estland und Tschechien weniger Gottesgläubige, in Deutschland soll noch jeder zweite gläubig sein. Die Zahl sonntäglicher Gottesdienstbesucher in ganz Schweden würde locker in ein großes Fußballstadion passen.

Die „Schwedische Kirche“ muss dennoch kaum um ihre Existenz bangen. Sie wird vor allem als Bewahrer lutherischer Traditionen geschätzt, die noch immer als Teil nationaler Identität wahrgenommen werden. Dazu gehören schließlich auch säkulare Werte wie Arbeitsethos, Bescheidenheit und Gemeinsinn, hoch gehalten auch von den Sozialdemokraten, die das moderne Skandinavien geprägt haben. Zudem ist die „Svenska Kyrka“ wichtiger Zeremonienmeister an christlichen Festtagen, bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen.

Der schwedische Religionswissenschaftler David Thurfjell (Universität Södertörn) begründete den Verlust der Religiosität in seinem Buch „Das gottlose Volk“ mit der Dominanz einer „nachchristlichen Mittelklasse“, die ein säkulares Selbstbild habe.

Die EKD vor einer skandinavischen Zukunft

Ungeachtet aller Erfahrungen des gesellschaftlich weitgehend marginalisierten Christentums in Skandinavien befindet sich die EKD auf dem offenbar sehr verführerischen Weg in die weitere Säkularisierung und Politisierung. Allerdings reichen die Wurzeln der evangelischen Sehnsucht, auch in der Moderne noch eine gewichtige politische Rolle zu spielen, tief in die Geschichte Deutschlands. 

Schon zu Zeiten von Reichskanzler Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert fühlten sich manche evangelische Geistliche angesichts des großen sozialen Elends zu Beginn des Industriezeitalters von sozialistischen Fantasien angezogen. Später traten evangelische Theologen und Pfarrer in die SPD ein. „Ich bin Anhänger Christi. Christus aber war Sozialist“, formulierte 1900 Pfarrer Christoph Blumhardt.

In der Weimarer Republik entstand aus der Bewegung der Religiösen Sozialisten die sozialistische Partei „Bund der religiösen Sozialisten Deutschland“, der eine Überwindung des Kapitalismus anstrebte. Der Vorsitzende des Bundes, Pfarrer Erwin Eckert, vertrat marxistische Positionen und wurde nach dem Krieg Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands.

Kirche in der DDR zwischen Anpassung und Widerstand

Nach dem II. Weltkrieg fanden sich die evangelischen Landeskirchen in der DDR in einem marxistischen, offen religionsfeindlichen Staat wieder. Der „Bund evangelischer Kirchen“ wurde im Namen der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit dennoch toleriert. Immerhin gab es bei der Wende 1989 noch 5,4 Millionen Protestanten.

Die SED suchte die Kirchen nicht ohne Erfolg mit angeblich gemeinsamen „humanistischen“ Idealen, dem Streben nach Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität zu vereinnahmen. Religiosität und Gottesglaube wurden von den Kommunisten als reaktionäre Relikte angesehen, schließlich war Religion in marxistischen Augen „Opium des Volkes“.

Die Kirche bot in der DDR einen gewissen Freiraum für offene Gespräche, war Anlaufstelle für Dissidenten und Ausreisewillige. Aber es gab unter dem Dach der Kirche auch evangelische Regimegegner. Viele Geistliche – wie Friedrich Schorlemmer oder Christoph Wonneberger – unterstützen maßgeblich die „friedliche Revolution“ in der DDR und ermöglichten mit den Sturz des SED-Regimes.

Manches deutet darauf hin, dass der DDR-Atheismus letztendlich durchaus Wirkung erzielt hatte. Religion hat in den neuen Bundesländern einen schweren Stand, nur 15 Prozent der Bürger sind noch in der Kirche, weit weniger als in den alten Bundesländern.

EKD positioniert sich politisch klar links

Überall in Deutschland sucht die EKD heute nach Wegen, den Trend der Ablösung und Entfremdung von der Kirche zu stoppen. Dabei scheint sie es besonders wichtig zu finden, sich politisch deutlich links zu positionieren.

Evangelische Gemeinden und Pfarrer haben wesentlich zu der „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge und Migranten beigetragen. Dabei leisten sie mit großem Einsatz und viel Geld allerorten Hilfe für die Menschen aus Afrika, Asien und Osteuropa. Mit „Kirchenasyl“ und der Finanzierung von Schiffen zur Seenotrettung im Mittelmeer macht die EKD deutlich, dass sie einer Begrenzung der Migration mit Misstrauen gegenübersteht.

Zusammen mit dem Bündnis United 4 Rescue machte die EKD 2019 eine Spendensammlung für ein Rettungsschiff für Flüchtlinge im Mittelmeer

Die Grenze der „Aufnahmekapazität“ Deutschlands und Europas sei erst dort erreicht, „wo es zur Selbstaufgabe“ komme, und diese Grenze sei „noch lange nicht erreicht“, hatte die Ex-Ratsvorsitzende Kurschus 2021 betont. Offene Grenzen seien ein Gebot der Barmherzigkeit.

EKD und Grüne Seit’ an Seit’

Kein Problem mit der Positionierung hatte die EKD auch, als während der Corona-Pandemie die Grundrechte der Bürger und die Versammlungsfreiheit der Kirche deutlich eingeschränkt wurden. Die EKD unterstützte die Maßnahmen der Regierung: „Impfen ist eine Pflicht aus christlicher Nächstenliebe heraus,“ meinte Bischöfin Kurschus.

In der Sozial- und Wirtschaftspolitik orientiert sich die EKD weitgehend am Weltbild der Linken und Grünen aller Parteien: „Unser kapitalgetriebenes und gewinnorientiertes Wirtschaftssystem ist in seiner ungezügelten Form ein Raubtier geworden“, formulierte es Kurschus, die in der politischen Meinungsfreude ihrem Vorgänger Bedford-Strohm in nichts nachstand. Konsequenterweise fordert die EKD auch die Einführung einer „Reichensteuer“.

Naive Gutgläubigkeit gegenüber dem Islam

Mit dem Misstrauen gegen den Kapitalismus und dem Vertrauen in staatliches Planen, Dirigieren und Kontrollieren verbindet sich ein bei Grünen und Linken weit verbreiteter Anti-Amerikanismus. Die Präsidentschaft von Donald Trump (2017-2021) bezeichnete Bedford-Strohm einmal als einen „Albtraum“. Die Kirche kritisierte auch scharf Trumps Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen und die US-Botschaft von Tel Aviv dorthin zu verlegen.

Diese Kritik spiegelt auch das gebrochene, zuweilen feindselige Verhältnis der EKD zu Israel wider. Zwar propagiert die Kirche vehement den Kampf gegen jegliche Form von Antisemitismus und das Existenzrecht Israels. Aber gleichzeitig beharrt die Kirche auf eine weitgehend unkritische Unterstützung der „palästinensischen Sache“, der Palästinenser in „Flüchtlingslagern“ und vor allem aller möglichen „Friedens-Organisationen“.

Gleichzeitig sind die Protestanten Deutschlands beim Thema Islam und der muslimischen Minderheit im Land von einer naiven Gutgläubigkeit und weltfremdem Wunschdenken geprägt. Kritik am Islam wird in der Regel in guter linker Tradition als „Islamophobie“ diskeditiert.

Mit diesem Kampfbegriff wird aber oft auch die nüchterne Analyse der islamischen Geschichte und Werte oder die sachliche Kritik am muslimischen Frauenbild oder der Scharia abgetan. Die Sorge über die anhaltende Ausbreitung des Islam in Westeuropa und der zunehmende islamische Einfluss in allen Bereichen der Gesellschaft scheint die EKD kaum zu beunruhigen.

Verfolgung der Christen weltweit ein Randthema

Sehr viel gravierender scheinen die Themen, über die die EKD nur marginal spricht. So gibt es kaum eine adäquate Antwort auf die offensive islamische Missionsarbeit in Deutschland oder den zuweilen bedrohlichen Einfluss islamischer Werte und Traditionen in Kindergärten oder Schulen.

Auch scheint die Diskriminierung und Verfolgung von Christen durch Muslime in vielen Teilen der Welt nicht wichtig genug zu sein, um es öffentlich anzuprangern. Dabei weiß auch die EKD, dass Christen die am meisten verfolgte Religion auf dem Globus sind. Ein Thema, dem die evangelische Kirche vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit widmen.

Pro-Life-Positionen wackeln

Es gibt kaum einen Bereich, in dem sich die EKD nicht eindeutig und vernehmlich zu linken, grünen und woken Idealen bekennt. Sogar bei christlich essenziell wichtigen Themen wie Abtreibung und Sterbehilfe gibt es viel Unterstützung für „liberale“ Sichtweisen. Traditionell konservative Standpunkte über die Heiligkeit des Lebens, die weder eine Abtreibung noch ein selbstgesetztes Lebensende akzeptieren kann, spielen in der evangelischen Kirche keine große Rolle.

Die katholische Kirche, die durchaus auch mit Phänomenen wie Säkularisierung, Politisierung und Mitgliederschwund zu kämpfen hat, zeigt sich allerdings zunehmend befremdet über den Kurs der EKD. Der Tübinger katholische Moraltheologe Franz-Josef Bormann sprach jüngst sogar von einem EKD-„Generalangriff“ auf katholische Standpunkte.

Es sei eine „ökumenische Provokation“, dass sich evangelische Theologen für Suizidassistenz in kirchlichen Einrichtungen einsetzten. Bei zentralen ethischen Fragen wie Sterbehilfe und Abtreibung habe sich die EKD „vom Konsens mit der katholischen Kirche verabschiedet“, so das Mitglied des Deutschen Ethikrats im theologischen Portal communio.de.

Die Protestanten akzeptierten inzwischen, dass der strafrechtliche Schutz des Ungeborenen erst etwa ab der 22. Schwangerschaftswoche greifen soll. Folgerichtig beteilige sich die EKD auch nicht mehr – wie seit 1994 üblich – an der jährlichen „Woche für das Leben“. Auch sei für die evangelische Kirche das „therapeutische Klonen“ inzwischen kein Tabu mehr, beklagte Bormann.

Sexueller Missbrauch keineswegs „ein katholische Problem“

Die ohnehin um eine zukunftsfähige Strategie ringende Kirche der deutschen Protestanten musste jüngst auch noch feststellen, dass ihre Weste bezüglich sexuellen Missbrauchs keineswegs so weiß war, wie das viele früher glaubten. Die Protestanten, die kein Zölibat im Priesteramt kennen, hatten geglaubt, Missbrauch in der Kirche sei eine typisch katholische Problematik.

Ein unabhängiges Forscherteam präsentierte im Januar ihre schockierende Studie und sprach von etwa 2.200 Missbrauchsopfern und fast 1.300 mutmaßlichen Tätern. Das alles sei zudem auch noch – angesichts der vermuteten Dunkelziffer – nur „die Spitze der Spitze des Eisbergs“, sagt der Sozialpädagoge und Teamleiter Martin Wazlawik. Den Forschern habe nur eine begrenzte Zahl von Kirchendokumenten vorgelegen.

Auf Basis der Daten der einzigen Landeskirche, die ihre Personalakten vollständig preisgab, erstellten die Wissenschaftler eine beunruhigende Hochrechnung. Demnach wären in Schleswig-Holstein seit 1946 bundesweit mehr als 9.000 Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht worden. Etwa ein Drittel seien Mädchen und Frauen gewesen, zwei Drittel männlich. Von den mutmaßlich rund 3.500 Tätern – so gut wie alle Männer – seien ein Drittel Pfarrer oder Vikare.

Wegen eines vermutlich vertuschten Missbrauchsfalls war im November 2023 die damalige Ratsvorsitzende, Annette Kurschus, zurückgetreten. Sie war 1990 als Pfarrerin mit einem Fall von homosexuellen Übergriffen in ihrer Gemeinde nicht transparent und angemessen genug umgegangen, hieße es. Dem Rücktritt vorangegangen war ein „Kommunikationsdebakel“ (Die Welt), das wochenlang für Schlagzeilen sorgte.

Kirche in der Krise

Das Erscheinungsbild der EKD in der Öffentlichkeit kann die Kirchenleitungen wenig freuen. „Die evangelische Kirche im Niedergang“, titelte Die Welt angesichts der jüngsten Entwicklungen und Turbulenzen in der Kirche. „Die EKD hat sich von Luther und von substanzieller theologischer Argumentation verabschiedet“, schrieb der Mainzer Theologieprofessor Walter Dietz.

Zuweilen wirken die Versuche der evangelischen Kirche geradezu verzweifelt, inmitten der digitalen Revolution, globaler Krisen, wachsender Säkularisierung, der wachsenden Verunsicherung der Menschen und der spürbaren Polarisierung im freien Westen Orientierung zu finden und selbst Orientierung zu geben.

Rheinländische Landeskirche schafft Sonntagsgottesdienst ab

Der Wille zu Veränderung und Modernisierung kennt in der evangelischen Kirche wenige Grenzen. Die rheinländische Landeskirche (EKiR) beschloss auf ihrer Synode im Januar eine Reform, die sie selbst als „historisch“ bezeichnete: Als erste evangelische Landeskirche in Deutschland schafft die EKiR (mit 2,2 Millionen Mitgliedern die zweitgrößte Landeskirche) den Sonntagsgottesdienst ab. Ab März muss der Gottesdienst nicht mehr am Sonntag stattfinden, sondern kann an jedem anderen beliebigen Wochentag gefeiert werden.

Diesem gravierenden Traditionsbruch folgten gleich mehrere andere Beschlüsse, denen zufolge künftig Taufen, Trauungen und Konfirmation nicht mehr in der Kirche, sondern überall zelebriert werden können. Der Rheinische Präses Thorsten Latzel meinte im Interview mit dem Domradio, die Kirche kehre zur „urchristlichen Praxis“ zurück.

Künftig sollen in der Landeskirche auch Eltern, die nicht Mitglieder der evangelischen Kirche sind, ihre Kinder taufen können.

„Überfinanzierte Nichtregierungsorganisation“

Die EKD hält seit vielen Jahren unbeirrt an ihrem politischen, am Zeitgeist orientierten Kurs fest. „Eine überfinanzierte Nichtregierungsorganisation mit Restbeständen religiöser Folklore“, schrieb polemisch der Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai. Die EKD „schippert inzwischen irgendwo im großen grünen Meer des Wohlfühlprotestantismus, der Unterstützung des Schleuserunwesens, der rotgrünen Gesinnung, der Geringschätzung der Gemeinden herum.“

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Auch in der evangelischen Kirche gibt es zuweilen Einsicht in eine mögliche Fehlentwicklung. „Manchmal reden wir in unseren Predigten vielleicht ein bisschen zu wenig über Gott“, sagte der Theologe Thies Gundlach, der bis 2021 ein besonders reformfreudiger Vizepräsident im EKD-Kirchenamt war.

„Es ist doch Aufgabe eines Predigers, den Himmel auf Erden zu holen und nicht die Erde sozusagen zu verhimmlischen und politische Positionen mit Noten des Himmels zu versehen“, betonte der Lebensgefährte der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt in einem Interview des Evangelischen Pressedienstes.

Religion und Glaube nicht mehr im Zentrum

Die um Relevanz ringende EKD muss sich heute den Vorwurf gefallen lassen, dass Religion offenbar nicht mehr im Zentrum des Kirchenlebens steht. Auch beim hehren Versuch, Lehren aus der düsteren Nazi-Vergangenheit der Kirche zu ziehen, scheint sie weit übers Ziel hinauszuschießen – und dort zu landen, wo sie auf keinen Fall sein möchte: modernen Ideologen und machtgierigen Politikern auf den Leim zu gehen.

Abgesehen von der Willfährigkeit, ohne zu zögern auf den Zug der lauten Moderne aufzuspringen, spricht vieles dafür, dass die „Offenheit“ gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen und die deutliche Politisierung der Kirche den Bedeutungsverlust von Religion und Kirche in der zunehmend säkularisierten Moderne noch beschleunigt.

 

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Kommentare

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Andreas Graf
Vor 9 Monate 1 Woche

Auch wenn es hier um die EKD geht, profitieren sie doch maßgeblich mit von den finanziellen Vorteilen des Reichskonkordates von 1933, das immer noch gültig ist. Das Reichskonkordat ist ein Pakt mit dem Teufel, mit dem sich die Großkirchen an die Welt gebunden haben. Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Ein Halleluja wird in der Kirche nicht mehr gesungen. Das ist reine Folklore. Das Salz ist fade geworden. Wie war das noch einmal mit dem Schatz im Acker? Nein, damit ist kein Geldsack gemeint. Wahre Schätze werden im Himmel verwahrt, nicht auf der Bank. Die Kirche muss sich entscheiden: Konkordat oder Mystik. Beides geht nicht.

2
Jens Liebetrau
Vor 9 Monate 1 Woche

Absolut zutreffend.

1
Wilfried Süß
Vor 6 Monate 1 Woche

Hat der Mann leider Recht.
Dieser Zeitgeist wird vertreten

1
Jutta
Vor 9 Monate

Naja, aber es gibt doch noch zB Pastoren wie Olaf Latzel...der viell ein bisschen sehr heftig ist...und doch sehr gute, christuszentrierte Predigten hält...oder Gemeindehilfsbund ....mit Hesse, Cochlovius usw....
Theo Lehmann nicht zu vergessen....
Da können sich die KK und Pfarrer und Priester durchaus eine Scheibe von abschneiden...die Predigten sind "knackig" und nüchtern und klar.

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Wilfried Süß
Vor 6 Monate 1 Woche

Hat der Mann leider Recht.
Dieser Zeitgeist wird vertreten

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Jutta
Vor 9 Monate

Naja, aber es gibt doch noch zB Pastoren wie Olaf Latzel...der viell ein bisschen sehr heftig ist...und doch sehr gute, christuszentrierte Predigten hält...oder Gemeindehilfsbund ....mit Hesse, Cochlovius usw....
Theo Lehmann nicht zu vergessen....
Da können sich die KK und Pfarrer und Priester durchaus eine Scheibe von abschneiden...die Predigten sind "knackig" und nüchtern und klar.

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Andreas Graf
Vor 9 Monate 1 Woche

Auch wenn es hier um die EKD geht, profitieren sie doch maßgeblich mit von den finanziellen Vorteilen des Reichskonkordates von 1933, das immer noch gültig ist. Das Reichskonkordat ist ein Pakt mit dem Teufel, mit dem sich die Großkirchen an die Welt gebunden haben. Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Ein Halleluja wird in der Kirche nicht mehr gesungen. Das ist reine Folklore. Das Salz ist fade geworden. Wie war das noch einmal mit dem Schatz im Acker? Nein, damit ist kein Geldsack gemeint. Wahre Schätze werden im Himmel verwahrt, nicht auf der Bank. Die Kirche muss sich entscheiden: Konkordat oder Mystik. Beides geht nicht.

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Jens Liebetrau
Vor 9 Monate 1 Woche

Absolut zutreffend.