Kann diese Masse an kulturfremden Einwanderern integriert werden, Frau Schröter?
Susanne Schröter nimmt kein Blatt vor den Mund, was ihre Einschätzungen zu Islamismus, Masseneinwanderung, postkolonialem Antisemitismus und Familienpolitik betrifft. Nicht nur die Ethnologie-Professorin eckt an, auch das von ihr ins Leben gerufene Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) und dessen Veranstaltungen erregen Anstoß. Nachdem Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer mit „Neger“-Aussagen auf der von Schröter initiierten Frankfurter Konferenz zur Migrationspolitik vergangenen April für einen Eklat gesorgt hatte, veröffentlichte der Exzellenzcluster „Africa Multiple“ der Universität Bayreuth eine kritische Stellungnahme zur „Billigung von Rassismus am Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“.
Die Wissenschaftlerin würde „Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus“ gießen, heißt es dort. Als Reaktion darauf gab es eine Solidaritätsbekundung mit Schröter, die von 850 Personen unterzeichnet wurde. Unter den Unterstützern war auch die ehemalige Bundesministerin Kristina Schröder (CDU).
Zum ersten Oktober 2023 hätte Susanne Schröter eigentlich das Ruhestandsalter erreicht. Doch die Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird noch zwei Jahre weitermachen. Schröter hat eine „Goethe Research Professorship“ erhalten und soll an der Konzeption und Umsetzung eines hochschulübergreifenden Forschungs- und Transferzentrums Islam mitarbeiten. Im Interview mit Corrigenda spricht die Islamexpertin über Antisemitismus von links, den Schulterschluss zwischen Islamisten und Postkolonialisten, Judenhass bei Arabern und ob Integration gelingen kann.
Frau Schröter, die palästinensische Fatah-Jugend war bis vor kurzem die „Schwesterorganisation“ des SPD-Jugendverbands Jusos. Einigen Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend in Österreich droht der Ausschluss wegen „Verteidigung von Gaza“. Woher kommt die linke Solidarität für Gaza, die Palästinenser und der damit einhergehende Antizionismus und Antisemitismus?
Das ist eigentlich eine relativ alte Verbindung. Die Linke hatte nach dem Holocaust zunächst große Sympathien für Israel, weil die Kibbuzim häufig sozialistische Agenden hatten und weil man auch nachhaltig beeindruckt war von dem Leiden der Juden in Europa. Das hat sich geändert, als sich Israel als starker Staat konstituierte – anders hätte er auch gar nicht überleben können gegen die feindlich gesonnenen arabischen Staaten ringsherum und die arabische Bevölkerung auf dem Territorium.
Das führte bei der Linken zu einem Umschwung. Plötzlich war Israel, beziehungsweise die Juden, nicht mehr die schwachen Opfer, sondern ein wehrhafter und erfolgreicher Staat. Das passte überhaupt nicht mehr in die linke Agenda.
Warum nicht?
Es gab einen Umschwung im linken Opferfokus, der sich auf die Palästinenser richtete. Grundsätzlich gilt für den Mainstream linker Ideologien, dass die Welt in Täter und Opfer eingeteilt wird. Ursprünglich ging es um den Gegensatz zwischen Kapitalisten und Arbeitern. Letztere wurden zu revolutionären Subjekten erklärt. Sie sollten die alte Gesellschaftsordnung in einem gewaltsamen Umsturz hinwegfegen und eine gerechte neue Gesellschaft errichten. Das hat allerdings in westlichen Staaten nicht funktioniert, und zudem hatten sich die kommunistischen Experimente in der Sowjetunion und in China selbst ad absurdum geführt. In sozialistischen Staaten herrschte Armut und politische Unterdrückung.
Die westliche Linke suchte daher neue revolutionäre Subjekte, auf die die eigenen Wünsche projiziert wurden und fand sie in den sogenannten Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Doch auch dort etablierten sich nach Revolutionen fast ausnahmslos autoritäre Herrscher, die Diktaturen errichteten. Daher suchte man neue Gruppierungen. Dafür sind die Palästinenser eine prädestinierte Opfergruppe, weil sie keinen Staat haben, aber gerne einen hätten. Die Geschichte ihres Leidens wird in Endlosschleife erzählt. Damit will ich nicht sagen, dass die Palästinenser nicht leiden. Aber es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weshalb die Situation der Palästinenser so misslich ist. Nur zum geringen Teil ist dies ein Problem Israels.
„Dieser Theorie nach ist Israel ein Apartheidstaat“
Welche Rolle spielt die Linke dabei?
Die Linke sieht das sehr verkürzt und eindimensional. Die Palästinenser seien die Opfer Israels, des israelischen Zionismus, und deshalb stellt man sich auf deren Seite. Dazu kommt natürlich ein erhebliches Maß an Revolutionsromantik. Die palästinensischen Organisationen waren von Anfang an sehr militant, haben sehr gewaltsam agiert. Das ist einer linken Idee von Widerstand sehr entgegengekommen. Schon früh haben deutsche Linke mit Palästinensern zusammengearbeitet und beispielsweise gemeinsame militärische Trainings oder auch Attentate durchgeführt. Die Linke hat aber nicht antizionistisch, sondern von Anfang an auch antisemitisch agiert. So gab es 1969 und 1970 zwei Anschläge auf jüdische Einrichtungen von linksextremen Tupamaros in Berlin und in München.
Sind Israelkritik, Teilnahme an der Boykottkampagne BDS und Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern Teil des linken Kulturkampfs?
Vorhin habe ich über die radikalen Linken gesprochen. Das, was Sie benennen, betrifft eher die akademische Linke. Diese ist von der postkolonialen Theorie geprägt, welche den Westen als Täter und den Rest der Welt als Opfer sieht. Der Westen sei immer noch von kolonialem Denken geprägt. Er brauche immer ein abgewertetes Anderes – das sind hauptsächlich die Muslime –, damit er sich selbst großartig fühlen und seine Dominanz und Ausbeutung rechtfertigen könne. So lautet die Legende, die in unendlich viele theoretische Texte verpackt wird. Postkoloniale Theorie wird an westlichen Universitäten gelehrt und ist besonders in den Geisteswissenschaften sehr populär.
Dieser Theorie zufolge ist Israel erstens ein Teil des Westens und zweitens ein Kolonialstaat. Außerdem wird Israel als weißer Staat imaginiert, dem ebenso wie dem „weißen Westen“ ein inhärenter Rassismus unterstellt wird. Das ist natürlich völlig faktenfrei. Viele Israelis kommen aus arabischen Ländern oder aus Afrika. Die israelische Gesellschaft ist eher bunt. Aber in der postkolonialen Theorie muss Israel weiß sein, damit die Zuschreibung zu rechtfertigen ist, es handele sich um einen Apartheidstaat. Die zentralen Thesen der postkolonialen Theorie verbinden radikale Linke, die sich beispielsweise in palästinensischen Komitees organisieren, mit einer akademisch geprägten Linken, deren Vertreter selbst in den höchsten Spitzen des Kulturbereichs zu finden sind.
In einem Artikel der New York Times stellen ranghohe Hamas-Funktionäre schwarz auf weiß klar: Ziel ihres Massakers am 7. Oktober sei gewesen, einen dauerhaften Kriegszustand mit Israel zu provozieren. Mit ihrem Terrorangriff wollte die Hamas auch eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien verhindern. Ziel der Hamas ist ganz klar die Vernichtung Israels. Warum verschließen Linke anscheinend ihre Augen vor diesen Tatsachen?
Eigentlich müsste das der ultimative Weckruf sein. Deutlicher kann man die eigene zynische Strategie nicht benennen, die als Teil des Kalküls auch unter Palästinensern unzählige Opfer produzieren möchte. Doch die Linke bleibt in weiten Teilen bei ihrer selektiven Wahrnehmung. Man möchte sich das eigene Weltbild nicht zerschlagen lassen und fällt immer wieder auf die Propaganda der Hamas herein. Die ist auch nicht neu. Die Hamas beherrscht den Propagandakrieg perfekt. Das Produzieren von Opfern ist dabei zentral. Das nicht wahrzunehmen, funktioniert eigentlich nur mit einer kompletten Ausblendung der Realität.
„Islamisten sagen: Wir brauchen eine Revolution, aber danach kommt das Kalifat“
Auf den pro-palästinensischen Demonstrationen marschieren Islamisten Seite an Seite mit Linken. Eigentlich, so würde man annehmen, sind das zwei miteinander unvereinbare Weltanschauungen. Wie blicken Islamisten auf diese Solidarisierung des linken Milieus?
Die sind natürlich hoch erfreut. Auf der anti-israelischen Demonstration in Essen am 3. November, auf der Islamisten das Kalifat gefordert hatten, hielt ein Redner einer radikalen islamistischen Gruppe eine einstündige Ansprache. Er begann damit, sich auf all die nicht-muslimischen Menschen zu beziehen – dabei erwähnte er auch UN-Generalsekretär António Guterres –, die Israel verurteilen. Dann wurde die Rede immer islamischer. Es war interessant, wie er seinen Vortrag aufbaute: Vom angeblich gesicherten Befund, dass Israel Kriegsverbrechen verübe, entwickelte er die These, der zionistische Staat sei das Produkt des westlichen Kolonialismus, weil dieser in der muslimischen Welt einen Vasallen haben wollte.
Außerdem habe der Westen schon seit dem Kolonialismus die Hirne der Muslime vernebelt, so dass sie von dem gottgewollten Auftrag, sich in einer Ummah (die islamische Weltgemeinschaft; die Idee, alle Muslime seien ein Körper, Anm. der Red.) in einem einzigen Kalifat zu organisieren, abgerückt seien und Nationalstaaten gegründet hätten. Diese Nationalstaaten hätten die Ummah gespalten und dazu geführt, dass Muslime überall unterdrückt werden können. Jetzt sei es die Aufgabe der Muslime, sich wieder zu vereinen.
Das klingt wie eine Vermischung aus islamistischem Gedankengut und postkolonialem linkem Weltbild.
Absolut, die zentralen Thesen ähneln sich. Die postkoloniale Idee ist ja: Der Westen ist an allem schuld, der Westen unterdrückt die Völker des Südens, insbesondere die Muslime. Das wird von den Muslimen mit Begeisterung aufgegriffen. Westliche Linke sagen: Wir brauchen eine Revolution, der Kapitalismus muss abgeschafft werden. Die Islamisten sagen: Wir brauchen eine Revolution, aber danach kommt das Kalifat.
Das erinnert an Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“, in dem eine muslimische Partei zusammen mit einer sozialistischen eine Regierungskoalition bildet.
Schauen Sie sich Frankreich an. Houellebecq hatte ja die französischen Verhältnisse im Blick. In den Pariser Banlieues, die zum Teil nicht mehr regierbar sind, werden Islamisten von kommunistischen Bürgermeistern unterstützt, die sich bei muslimischen Wählern beliebt machen wollen. Da haben wir schon Allianzen zwischen Linken und Islamisten.
Auf den Bildern der Demonstrationen sieht man junge arabische Jugendliche, die in Deutschland aufgewachsen sind. Auf den Demonstrationen schreien sie „Allahu akbar“ und „Free Palestine“. Bei einer NDR-Straßenumfrage in Hamburg sagte ein junger Moslem: „Jeder wahre Muslim will Israel vernichten“. Können Sie erklären, warum dieser Judenhass anscheinend so tief verankert ist, selbst in muslimischen Einwanderern der zweiten, dritten Generation?
Weil er in den familiären und religiösen Strukturen fest verankert ist und außerdem durch Medien ständig aktualisiert wird. Regierungen muslimischer Länder nutzen das Feindbild Israel, um von eigenen Problemen abzulenken, aber es gibt auch eine Geschichte, die auf die islamische Frühgeschichte zurückgeht. Diese wird immer wieder zitiert, sowohl von islamischen Führern als auch von Jugendlichen auf der Straße. In Deutschland gab es schon 2014 antisemitische Demonstrationen, bei denen muslimische Jugendliche zu Synagogen gezogen sind. Dabei haben sie gerufen: Chaibar, Chaibar, Mohammeds Heer ist wieder da. Da wurde Bezug auf einen alten Konflikt genommen, den Mohammed mit den Juden hatte. Als er in Medina politischer Führer und Religionsführer wurde, hoffte er, dass sich die drei ansässigen jüdischen Stämme ihm anschließen würden. Das haben sie aber nicht gemacht. Daraufhin hat er die Stämme vertreiben lassen. Einen von ihnen hat er vollständig vernichtet. Die Männer wurden getötet, die Frauen und Kinder versklavt. Eine der Oasen, die er vernichtet hat, war Chaibar.
Die Feindschaft Mohammeds gegenüber den Juden spiegelt sich in religiösen Texten wider, unter anderem im Koran, wo es viele explizit antisemitische Texte gibt. Juden werden dort als die Nachfahren von Schweinen und Affen bezeichnet. In einem Hadith, einem Mohammed zugeschriebenen Text, heißt es sogar, dass der Tag des Jüngsten Gerichts erst kommen werde, wenn der letzte Jude auf Erden ermordet wurde und wenn selbst der Baum, hinter dem sich der Jude versteckt, sagt: „O Muslim, Diener Gottes, hinter mir ist ein Jude, komm und töte ihn“. Genau dieser Spruch steht in der Charta der Hamas. Das ist sozusagen die religiöse Quelle des muslimischen Antisemitismus. Die politische Seite besteht aus einer Instrumentalisierung des Nahostkonflikts.
„Die Existenz solcher Parallelgesellschaften wird gern geleugnet“
Aber es verwundert doch, dass der Antisemitismus von jungen Arabern kommt, die in Deutschland geboren wurden, hier zur Schule gingen, einen deutschen Pass besitzen, einen westlichen Lebensstil führen.
Das liegt an der Existenz segregierter Milieus, in denen Muslime in ihrer eigenen Welt leben. Es handelt sich um Communities, um Stadtviertel, in denen eine eigene Ökonomie die Menschen mit dem Wichtigsten versorgt, in denen man sich in seiner Herkunftssprache verständigen kann und wo die Normen und Werte des Islam oder der Traditionen ihrer Heimatländer gelten. Die Existenz solcher Parallelgesellschaften wird gern geleugnet, doch sie existieren in allen europäischen Ländern, in denen es eine starke Zuwanderung aus muslimischen Ländern gegeben hat oder noch immer gibt. Für Außenstehende sehen solche Viertel im Anfangsstadium noch bunt und exotisch aus, doch wenn sie sich vollständig von der Außenwelt abgekoppelt haben, dann zeigt sich auch die Brutalität der Gegengesellschaft. Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und eine allgemeine Feindseligkeit gegen den Westen sind dann nicht mehr zu übersehen.
Und Sie meinen, dass es genau die jungen Erwachsenen aus diesen Parallelgesellschaften sind, die zu den antisemitischen Demonstrationen gehen?
Ja, da gibt es ein großes Potenzial für antisemitische Mobilisierungen, das von politischen Akteuren genutzt wird. In Berlin beispielsweise haben säkulare palästinensische Gruppen proaktiv versucht, einen Schulterschluss zu Muslimen in bestimmten Quartieren herzustellen. Das ist auch geglückt. Deshalb gibt es Demonstrationen, wo Aktivisten mit bunten Haaren und Piercings zusammen mit verschleierten Frauen zu sehen sind. Sie unterscheiden sich fundamental hinsichtlich ihrer Werte, aber das Feindbild Israel schweißt sie zusammen. Die säkularen Palästina-Komitees verfolgen natürlich eine politische Strategie. Sie nutzen die Gunst der Stunde und versuchen, die Muslime in den eigenen Kampf hineinzuziehen.
Zur Person Susanne Schröter
Susanne Schröter ist Professorin am Institut für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts und Senatsmitglied der Deutschen Nationalstiftung. Sie ist im wissenschaftlichen Beirat der Bundeszentrale für politische Bildung. Im November 2014 gründete Schröter das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) und ist seitdem Direktorin der Einrichtung.
Schröters Forschungsschwerpunkte sind Islamismus und Dschihadismus, progressiver und liberaler Islam, Frauenbewegungen in der islamischen Welt, Konstruktionen von Gender und Sexualität, Säkularismus und Religion, Flüchtlinge und Integration, politische, religiöse und ethnische Konflikte.
Die Mutter von drei Kindern ist Mit-Initiatorin der „Republik21“, einer Denkfabrik für neue bürgerliche Politik, sowie Mitglied des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit e. V.
Können Sie Namen von solchen palästinensischen Organisationen nennen?
Eine ist zum Beispiel Samidoun. Ihr wurde gerade ein Betätigungsverbot seitens des Bundesinnenministeriums erteilt. Samidoun ist ein Gefangenennetzwerk, das sich zur Betreuung der palästinensischen Gewalttäter in israelischen Gefängnissen gegründet hat. Es handelt sich um eine internationale Organisation, wahrscheinlich sogar um eine Tarnorganisation der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, die für Anschläge verantwortlich ist. In Deutschland bestand ihre Anhängerschaft nach Angaben des Verfassungsschutzes hauptsächlich aus Palästinensern, die in Syrien lebten und 2015 nach Deutschland gekommen sind, wo es bereits eine große palästinensische Community gab. Relativ neu ist das Netzwerk „Migrantifa“, die sich antikapitalistisch und antiwestlich geben.
Kann diese Masse kulturfremder Einwanderer noch integriert werden? Spüren sie überhaupt noch einen gesellschaftlichen Druck, sich zu integrieren?
Nein, tatsächlich sind viele nicht daran interessiert. Integration bedeutet, dass man in der neuen Gesellschaft ankommt, gerne da ist und dass man auch einen großen Teil der Werte übernimmt. Wenn sich Werte, Normen und Traditionen stark voneinander unterscheiden, wird es schwierig. Nehmen wir beispielsweise den Antisemitismus: Wenn jemand in einer Umgebung aufgewachsen ist, in der die Feindschaft zu Israel als normal gilt, in der schon in der Familie, in der Moschee und in der Schule gelehrt wurde, dass Israel vernichtet werden muss und die Juden schlechte Menschen sind, dann wird Integration schwer.
Man kann nicht erwarten, dass jemand, der mit einem antisemitischen Weltbild aufgewachsen ist, dieses an der Grenze ablegt. Sozialisation ist etwas, was zur eigenen Identität geworden ist. Wenn man das ändern will, braucht es die Bereitschaft, das zu tun. Dazu braucht es wahrscheinlich auch eine engmaschige persönliche Betreuung. Aber das ist bei der großen Menge an Menschen, die zuwandern, personell gar nicht zu stemmen. Was passiert: Die Leute kommen an und werden in Aufnahmeeinrichtungen gesteckt. Da sind sie unter sich. Später kommen sie in muslimischen Communitys unter, wo sie wieder unter sich sind. Integration findet gar nicht mehr statt.
„Viele Politiker glaubten, eine pluralistische Gesellschaft sei ein Selbstläufer“
Sie haben vorher als Beispiel die Banlieues in Frankreich erwähnt. Die Polizei habe dort kaum mehr Kontrolle. Würden Sie sagen, dass sich solche Zustände auch teilweise in Deutschland schon etablieren?
Wenn ich mir anschaue, wie selbstbewusst kriminelle Banden in bestimmten Milieus geworden sind, so, als ob ihnen die Polizei gar nichts mehr anhaben könnte, muss ich sagen, dass dies eine besorgniserregende Entwicklung ist. Der Staat verliert ein Stück weit die Kontrolle, und das Gegenüber nutzt das natürlich aus. Die Einwanderungspolitik insgesamt müsste jetzt überprüft werden. Welche Leute können wir mit welchem Einsatz überhaupt bei uns integrieren und welche nicht? Solche Überlegungen wurden in den vergangenen Jahren verhindert. Viele Politiker glaubten, eine pluralistische Gesellschaft sei ein Selbstläufer. Man müsse bloß die rassistischen Deutschen oder Franzosen unter Kontrolle bringen, dann würde es schon gutgehen. Das stimmt natürlich nicht. Das ist auch naiv. Natürlich gibt es unterschiedliche kulturelle Prägungen. Wenn es das nicht gäbe, bräuchte es keine interkulturelle Kommunikation. Dann könnten wir überall hingehen und würden automatisch verstanden werden. Aber so ist es nicht.
Kann Integration überhaupt gelingen beziehungsweise verlangt werden, wenn wir selbst unsere eigenen Werte und Errungenschaften der abendländischen Kultur nicht mehr schätzen? Wie sollen Einwanderer stolz auf ihre neue Heimat werden, wenn wir es selbst nicht sind?
Da sprechen Sie das wichtigste Thema überhaupt an: dieses mangelnde Selbstbewusstsein, den Stolz auf das Eigene. Damit meine ich keinen plumpen Nationalismus. Aber Selbstbewusstsein existiert nahezu nirgendwo mehr, im Gegenteil, ich erlebe weitgehend Selbsthass, vor allem in linken Milieus. Man selbst bezeichnet sich als Täternation und fühlt sich für alle Probleme der Welt verantwortlich. Es ist dieses Omnipotenz-Gefühl: wir haben alles in der Hand, wir können überall Schaden anrichten, wir könnten aber auch die Welt in ein Paradies verwandeln. Vollkommen irreal.
Das entspricht gar nicht der gegenwärtigen globalen Situation, wo sich die Machtverhältnisse schnell ändern und der Westen zusehends an Bedeutung verliert. China ist eine neue Supermacht, die ostasiatischen Staaten, Brasilien, Mexiko, Indien, die Golfmonarchien und immer noch die Russische Föderation sind alle wirtschaftlich im Kommen. Ich könnte die Liste noch fortsetzen. Alle diese Staaten sind extrem selbstbewusst, sie entschuldigen sich bei Gesprächen nicht erst für begangenes Unrecht der Vergangenheit, sie machen sich nicht klein und vertreten ihre Interessen. Westliche Staaten tun dies letztendlich auch, aber sie verschleiern alles mit einer unsäglichen Moralrhetorik, die das Gegenüber sofort durchschaut. Das macht keinen Sinn. Für eine Einwanderungsgesellschaft ist mangelndes Selbstbewusstsein ohnehin nicht vorteilhaft. Wer möchte sich schon in eine Gesellschaft integrieren, die sich selbst hasst? Wir machen außenpolitisch und innenpolitisch große Denkfehler, die uns alle ganz böse auf die Füße fallen werden.
„Mir ist positiv aufgefallen, dass Frauen als Mütter sehr geschätzt werden“
Die FDP-Bundestagsabgeordnete Katja Adler hat dazu kürzlich einen „X“-Post verfasst. Zusammengefasst sagt sie, man könne nicht von Zuwanderern verlangen, unsere Werte und Kultur zu achten, wenn wir jene Werte zugleich selbst als „rechts“ oder „rassistisch“ abstempeln.
Natürlich. Unsere Werte und Kultur abzulehnen ist die Blaupause für das Scheitern einer Einwanderungsgesellschaft. Gerade eine Einwanderungsgesellschaft braucht ein klares Wertegerüst, damit sie nicht völlig in unterschiedliche Fragmente auseinanderfällt.
Zuwanderer vor allem aus dem islamischen Kulturkreis haben ein deutlich konservativeres Familienverständnis als viele Deutsche. Ist das nicht eine tatsächliche Kulturbereicherung?
Ich finde, in manchen Punkten können wir tatsächlich davon lernen. Ich bin zum Beispiel sehr angetan davon, wie respektvoll ältere Menschen behandelt werden. Das ist mir immer wieder bei Moscheebesuchen aufgefallen. Der Greta-Thunberg-Spruch „How dare you?“ ist sozusagen das genaue Gegenteil dieses Respekts. Das ist in den muslimischen Communitys anders. Auch ist mir positiv aufgefallen, dass Frauen als Mütter sehr geschätzt werden.
Und in Bezug auf die jungen oder künftigen Generationen?
Da ist einiges bei uns meiner Meinung nach in eine schiefe Richtung geraten. Wenn bei uns eine Frau schwanger wird, bekommt sie als erstes zu hören, was die Schwangerschaft für ihre berufliche Laufbahn bedeutet. Da sagt keiner: „Das ist aber schön, wie können wir dich unterstützen?“ Das ist in muslimischen Communitys definitiv anders. Ich will das aber auch nicht zu sehr glorifizieren. Oft ist es in den muslimischen Familien so, dass Frauen nicht arbeiten dürfen, ihrem Mann oder der Schwiegermutter untertan sein und sich mit den Kindern beschäftigen sollen. Die Abwertung und Unterdrückung von selbstständigen Frauen, die ihren eigenen Kopf haben, ist ein großes Problem. Solche Verhältnisse möchte ich nicht beschönigen.
Aber grundsätzlich ist es so, dass Frauen als Mütter geachtet werden – auch von ihren Kindern –, und dass man es als Verpflichtung begreift, sich um die Mütter und Väter zu kümmern, wenn sie alt sind. Der Umgang mit Familien, älteren Menschen, Müttern, die Freundlichkeit Kindern gegenüber sind positive Werte. Da könnten wir uns vielleicht zurückerinnern, dass das bei uns auch einmal so war und dass wir auch etwas verloren haben.
„Unser Gesellschaftsbild ist sehr wenig auf Familien ausgerichtet“
Finden Sie, dass die Politik hierzulande genug tut, um Familien zu unterstützen?
Nein, überhaupt nicht. Ich finde, dass Familien es außerordentlich schwerhaben. Ich kann mich erinnern an meine eigene Zeit als junge Mutter, diesen Spagat, den man immer machen muss, wenn man auch arbeitet. Es gibt zu wenige Betreuungseinrichtungen, es gibt keinerlei Rücksichtnahme am Arbeitsplatz, beispielsweise was Gremiensitzungen betrifft, die unnötig in die Länge gezogen werden.
Vieles hat sich in den letzten 30 Jahren nicht verändert. Das sehe ich auch bei meiner Tochter, die drei Kinder hat. Allein die Kosten für einen vernünftigen Kindergarten sind so hoch, dass man sich fragen muss, ob sich eine Berufstätigkeit überhaupt noch auszahlt. Dazu kommt, dass unser Gesellschaftsbild sehr wenig auf Familien ausgerichtet ist. Die Gesellschaft orientiert sich an ungebundenen Menschen und deren Bedürfnissen nach Karriere und Freizeitaktivitäten. Eine echte Familienorientierung vermisse ich tatsächlich sehr.
Wenn man mehr finanzielle Anreize für Familien schafft, würden die Deutschen dann wieder mehr Kinder bekommen? Oder liegt es doch eher an einem kulturellen Wandel?
Es ist beides. Zum einen kann es nicht sein, dass die Entscheidung für ein Kind davon abhängt, ob man es sich leisten kann. Meiner Meinung nach müssten Eltern massive Steuerentlastung bekommen. Eventuell sollten sie ab dem dritten Kind gar keine Steuern mehr zahlen müssen. Das würde ich befürworten. Das wird aber nicht reichen, weil eine Entscheidung für ein Kind nicht nur eine monetäre Angelegenheit ist.
Es braucht auch einen kulturellen Wandel, der den Menschen in allen seinen Lebensphasen wertschätzt. Kinder sind die Zukunft eines Landes, die Erwachsenen die Gegenwart, und die Alten haben den Wohlstand aufgebaut und die heute Erwachsenen aufgezogen. Jeder trägt etwas bei und hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Wir waren alle einmal Kinder und hilfsbedürftig, und wir werden alle einmal alt und wieder abhängig von anderen werden. So ist das Leben. Darauf sollte die Gesellschaft sich ausrichten. Eine ausschließliche Orientierung auf den kinderlosen jungen Erwachsenen halte ich für fatal.
Es gibt zur Zeit eine starke normative Ausrichtung an Leistungen im Freizeitbereich. Wer macht die tollste Reise oder so. Junge Menschen, die Eltern werden wollen, bekommen sofort zurückgespiegelt, dass sie dies und jenes mit einem Kind nicht mehr machen können. Als ob es überhaupt darauf ankäme. Da würde ich mir wünschen, dass wieder ein bisschen mehr Wärme in das Leben kommt.
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Sehr inhaltsstarkes Interview! Man nimmt viel mit. Frau Prof. Schröter sollte öfter in Talkshows auftreten!
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Ein tolles Interview, danke!
Wie recht sie hat, und ich mag, wie nüchtern und ausgewogen und differenziert sie ist.
Mehr Wärme ... das ist es ...
Ich arbeite grösstenteils an der Kasse im Einzelhandel, in einem Bioladen.
Da erlebt man oft gebrechliche Alte (liebevoll gemeint, ich mag sie sehr, diese Menschen, die so viel erlebt haben) und wie dankbar sie sind, wenn man Rücksicht nimmt und gemächlich tut und hilft.
Und es gibt auch viele Kinder ... das finde ich auch schön, obwohl ich von Erziehung und achtsamem Umgang mit Lebensmitteln eine etwas andere Einstellung habe ...
Ausländische Kunden haben wir eher wenige ...
Mir tun unsere jungen Menschen, die gerne ein normales Leben haben wollen und bereit zu harter Arbeit sind, leid.
Dieser Selbsthass ist grauenvoll.
Das erinnert an das Buch: Charakterwäsche, Schrenck-Notzing.
Bisschen schwierig zu lesen, ich lese immer wieder mal rein ...
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