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Union stellt sich gegen Reform des Abtreibungsrechts

Paragraph 218 streichen? „Die Ampel würde hier einen großen Fehler begehen“

Monatelang blieb es ruhig um den Vorstoß der Ampel-Regierung, obwohl es dabei um Leben und Tod geht. Im Koalitionsvertrag („Mehr Fortschritt wagen“) sind SPD, Grüne und FDP übereingekommen, eine „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ einzusetzen, die „Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches sowie Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen wird“.

Die Kommission hat sich zwar bereits Ende März konstituiert, die Kritik an ihr hielt sich trotz der gebotenen Angriffsfläche aber in Grenzen. Doch jetzt haben vier Bundestagsabgeordnete von CDU und CSU einen internen Brandbrief verfasst, in dem sie ihre Fraktionskollegen vor einer weiteren Aushöhlung des Schutzes ungeborenen menschlichen Lebens warnen.

In dem Schreiben, das auf den 6. September 2023 datiert ist und auch Corrigenda vorliegt, heißt es: „Respekt vor der Schöpfung und Akzeptanz eines jeden Lebens sind Grundpfeiler des christlichen Menschenbilds, das unserer Verfassung zugrunde liegt. Dieser Maßstab galt bisher auch beim Abtreibungsrecht.“ Auch das ungeborene Leben müsse geschützt werden. Unterzeichnet ist der Brief von den beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Andrea Lindholz und Dorothee Bär (beide CSU), dem rechtspolitischen Sprecher Günter Krings sowie der familienpolitischen Sprecherin Silvia Breher (beide CDU).

In Deutschland gebe es derzeit „eine kluge Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht der Frau sichert und zugleich das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und Hilfen im Schwangerschaftskonflikt berücksichtigt“.

Kommissions-Mitglieder mit einschlägigen Äußerungen

Die Abgeordneten verweisen zudem auf die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach es sich nicht wie von Linken und sogenannten Progressiven behauptet um „Schwangerschaftsgewebe“ handle, sondern „um ein ungeborenes Leben, das bereits Grundrechte – auch gegenüber der Mutter – hat“.

Hieraus erwächst, so die beiden Grundsatzentscheidungen der Karlsruher Richter, eine staatliche Verpflichtung, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Abtreibung müsse daher verboten sein, weil dieser Schutz anderweitig nicht ermöglicht werden könne. Schwangerschaftsabbrüche müssten deshalb grundsätzlich als Unrecht angesehen werden.

Der Paragraph 218 stammt aus der Kaiserzeit. 1992 einigte sich der Bundestag nach jahrzehntelangem Streit in einem Kompromiss auf eine Fristenlösung mit Beratungspflicht. Laut Paragraph 218a bleibt eine Abtreibung somit straffrei, wenn die Schwangere mindestens drei Tage vor dem Eingriff einen Beratungsschein ausgestellt bekommen hat, wenn die Abtreibung von einem Arzt vorgenommen wird und wenn seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. Ein Gericht kann überdies von einer Strafe absehen, wenn die betroffene Frau sich zur Zeit des Eingriffs in besonderer Bedrängnis befunden hat.

Vorschau Konstituierende Sitzung der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesjustizminister Marco Buschmann (v. l.)
Konstituierende Sitzung der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesjustizminister Marco Buschmann (v. l.)

Die Ampel-Koalition hatte im Frühjahr durch Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Die Grünen/Bündnis 90), Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) federführend für ihre Ressorts eine „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ berufen. Sie ist in zwei Gruppen aufgeteilt: Mit Abtreibung befasst sich Arbeitsgruppe eins, mit Eizellspenden und Leihmutterschaft Arbeitsgruppe zwei. Einige Mitglieder hatten in der Vergangenheit schon einschlägig von sich reden gemacht, die alles andere als ergebnisoffene Lösungsvorschläge erwarten lassen. Kirchliche Vertreter sind überhaupt nicht in das Gremium berufen worden.

„Spaltet unsere Gesellschaft in unverantwortlicher Weise“

Lindholz, Bär, Krings und Breher schreiben in ihrem Brief:

„Die insbesondere von den Grünen und der SPD damit angestrebte Aufrechnung des austarierten Abtreibungskompromisses würde unsere Gesellschaft in unverantwortlicher Weise spalten und gerät in Konflikt mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens.“

Die Unionsabgeordneten weisen zudem auf den Widerspruch der Ampel-Koalition hin, wenn diese einerseits „Normen zum Schutz fundamentaler Grundrechte aus dem Strafgesetzbuch streichen möchte, andererseits aber im Koalitionsvertrag vereinbart, Teile des Tierschutzrechts in das Strafgesetzbuch zu überführen und das maximale Strafmaß zu erhöhen“.

Dies könne nur dahingehend verstanden werden, „dass der Schutz der Rechte des ungeborenen Lebens heruntergestuft werden soll. Das verfassungsrechtliche Untermaß dürfte damit unterschritten werden.“ Weil das Thema Abtreibung aus ihrer Sicht „denkbar ungeeignet für ideologischen Aktivismus und regierungsamtliche Vorgaben“ sei, „ist es höchst bedenklich, dass die Mitglieder der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin lediglich von der Regierungskoalition ausgewählt wurden“. Das Gremium decke „ein sehr begrenztes Spektrum ethisch relevanter Bereiche unserer Gesellschaft ab und deutet auf eine gezielte Vorauswahl zur Sicherstellung eines in der Koalition gewollten Ergebnisses hin“.

„Diesen Kompromiss sollten wir nicht leichtfertig aufgeben“

Die Unionsfraktion dürfe die Behandlung dieser „bedeutenden ethischen Fragen nicht allein der Bundesregierung und der von ihr eingesetzten Kommission überlasen“, betonen die vier Abgeordneten. „Wir werden daher selbst in geeigneter Form allen Abgeordneten die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit diesen grundlegenden Themen eröffnen und dabei neben dem Selbstbestimmungsrecht der Frau auch dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Einhaltung der Grundrechtsordnung den angemessenen Stellenwert einräumen.“

Der Vorstoß der vier Abgeordneten findet Zustimmung in der Unionsfraktion. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), betont am Freitag auf Corrigenda-Nachfrage: „Das Schreiben spiegelt die Ansicht der Unionsfraktion wider und findet auch meine klare Unterstützung.“ Die Juristin weist darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht ein Konzept verlange, das den Schutzanspruch des ungeborenen Lebens im allgemeinen Bewusstsein erhalte, und ergänzt:

„Dem dient die Verankerung im Strafgesetzbuch, die zum Ausdruck bringt, dass es hier um den Schutz eines höchstrangigen Rechtsgutes geht, nämlich dem Schutz des menschlichen Lebens. Das halte ich für angemessen. Wir haben einen tragfähigen Kompromiss in einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte erreicht, der die Selbstbestimmung der Frau und den Lebensschutz berücksichtigt. Diesen Kompromiss sollten wir nicht leichtfertig aufgeben. Die Ampel würde hier einen großen Fehler begehen.“

Auch der hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch stellt sich auf Corrigenda-Anfrage hinter seine vier Fraktionskollegen:

„Die Initiative der Union, den Lebensschutz zu stärken, unterstütze ich. Die bisherige Rechtsprechung sah vor, die Notlagen der Frauen zu berücksichtigen und Abtreibungen unter gewissen Rahmenbedingungen zu dulden, gleichzeitig aber dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein Leben de facto beendet wird. Daher steht die Abtreibung zu Recht im Strafgesetzbuch, wenngleich sie unter bestimmten Voraussetzungen eben straffrei bleibt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu. Abtreibungen sind daher zu Recht verboten in Deutschland, sie bleiben jedoch in eng definierten Sonderfällen straffrei. Das ist der hart errungene gesellschaftliche Konsens, der keinesfalls leichtfertig aufgegeben werden darf.“

Dass die Ampel-Regierung an diesem Kompromiss nicht rütteln sollte, dieser Meinung ist auch eine Mehrheit der Deutschen. Laut einer Ende Mai vom ZDF-Magazin „Frontal“ beauftragten Umfrage sind 54 Prozent dafür, den Paragraphen 218 Strafgesetzbuch beizubehalten. Lediglich ein gutes Drittel (36 Prozent) möchte ihn beseitigen. Interessant an der Erhebung ist vor allem: Selbst eine Mehrheit der Kanzlerpartei SPD (52 Prozent) sowie der FDP (55 Prozent) sind gegen die Abschaffung.

Union als Verteidiger des Schutzes ungeborenen Lebens?

Abgesehen von der moralischen und ethischen Bewertung stellt sich überdies die Frage, ob eine Herauslösung der Abtreibungsregelung aus dem Strafgesetzbuch rechtlich überhaupt möglich ist. Eines der zentralen verfassungsrechtlichen Aufgaben des Strafrechts ist es, Rechtsgüterschutz zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall ist das Rechtsgut nichts weniger als das menschliche Leben, das bereits mit der Nidation, also der Einnistung beginnt und damit den Schutz des Grundgesetzes erfährt.

In der Vergangenheit war es die Union, vor allem die CSU, die der weiteren Aushöhlung des Schutzes von ungeborenem Leben einen Riegel vorgeschoben hat. Ob sie diese Tradition fortführt, könnte sie spätestens im Frühjahr 2024 beweisen. Dann will die von der Ampel eingesetzte Kommission ihren Abschlussbericht vorlegen und die Regierung zur Tat schreiten.

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Kommentare

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Kommentar
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Klaus Rabensteiner
Vor 7 Monate 4 Wochen

Die Begriffe "reproduktive Selbstbestimmung" oder "reproduktive Gesundheit" als Euphemismen für Abtreibung zu benutzen ist offenbar seit langem Kalkül einer linksliberalen Gesellschaftspolitik. In obigem Artikel nehmen Sie mehrmals Abstand von diesem Usus und erwähnen den Begriff Abtreibung. Das ist auch richtig so. Daß das menschliche Leben als Rechtsgut aber erst mit der Nidation beginnt, übernehmen Sie unkommentiert. Damit sind frühabortive Methoden mechanischer oder medikamentöser Natur rehabilitiert. Für mich gilt: Mensch von Anfang an, also ab der Befruchtung, die dann ein einzigartiges Continuum in Gang setzt.

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Constanze
Vor 7 Monate 4 Wochen

Leider kann man CDU und CSU kein einziges Wort mehr glauben. Wer hat denn die letzten Jahre federführend regiert? Hat die CDU/CSU irgend etwas für den Lebensschutz getan? Nein! Die CSU hat doch auf ihrem letzten Parteitag den derzeitigen Stand des §218 StGB als guten Kompromiss bezeichnet - 100.000 tote Kinder sind jedes Jahr also ein guter Kompromiss?
Für mich ist diese Aktion nichts anderes als Wahlkampfgetöse - an ihren Taten sollt ihr sie erkennen!

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Bettina Behle,…
Vor 7 Monate 4 Wochen

Sehr sachlicher Artikel, an den Grundrechten unserees Grundgesetzes orientiert. Greift due Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf - dessen Urteile nach Art 31 Bundesverfassungs- gerichtsgesetz immerhin eine Gesetzeskraft zukommt.
Aich das ungeborene Leben hat eine Würde im Sinne von Art. 1 GG.
Die Verantwortung der Frau/Eltern beginnt dort, wo sie sich ungeschützt einlassen. Vergewaltigungen berechtigen daher zur Abtreibung.

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Radegund Jung
Vor 7 Monate 4 Wochen

Klaus Rabensteiner trifft den Sachverhalt: Das Leben des Menschen beginnt biologisch mit der Befruchtung, nicht erst mit der Nidation! Mit der Befruchtung beginnt auch das Recht auf Leben für den gezeugten Menschen!
Es bleibt zu hoffen, dass der Vorstoß der Unionsabgeordneten in der Union geschlossen angenommen wird, die Union Widerstand leistet und das inhumane, gegen die Ökologie des Menschen verstoßende Ampel-Vorhaben ablehnt.

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Constanze
Vor 7 Monate 4 Wochen

Leider kann man CDU und CSU kein einziges Wort mehr glauben. Wer hat denn die letzten Jahre federführend regiert? Hat die CDU/CSU irgend etwas für den Lebensschutz getan? Nein! Die CSU hat doch auf ihrem letzten Parteitag den derzeitigen Stand des §218 StGB als guten Kompromiss bezeichnet - 100.000 tote Kinder sind jedes Jahr also ein guter Kompromiss?
Für mich ist diese Aktion nichts anderes als Wahlkampfgetöse - an ihren Taten sollt ihr sie erkennen!

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Klaus Rabensteiner
Vor 7 Monate 4 Wochen

Die Begriffe "reproduktive Selbstbestimmung" oder "reproduktive Gesundheit" als Euphemismen für Abtreibung zu benutzen ist offenbar seit langem Kalkül einer linksliberalen Gesellschaftspolitik. In obigem Artikel nehmen Sie mehrmals Abstand von diesem Usus und erwähnen den Begriff Abtreibung. Das ist auch richtig so. Daß das menschliche Leben als Rechtsgut aber erst mit der Nidation beginnt, übernehmen Sie unkommentiert. Damit sind frühabortive Methoden mechanischer oder medikamentöser Natur rehabilitiert. Für mich gilt: Mensch von Anfang an, also ab der Befruchtung, die dann ein einzigartiges Continuum in Gang setzt.

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Isis Alina Klinken
Vor 7 Monate 3 Wochen

Genau, selbstverständlich beginnt das Leben mit der Befruchtung!