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Kolumne „Der Schweizer Blick“

Die Schweiz als Frontstaat

Es gibt eine Konstante in der Schweizer Politik: Immer, wenn man denkt, die Neutralität sei zwar bedroht, aber noch intakt, kommt eine Bewegung wie „Operation Libero“ daher und demonstriert das Gegenteil. Operation Libero ist eine politische Bewegung, die sich für eine liberale, europafreundliche Schweiz einsetzt.

Sie tut es mit einem offenen Angriff auf die friedenspolitische DNA der Schweiz. Die Schweiz ist seit Jahrhunderten für ihre Neutralität bekannt, die sie in internationalen Konflikten bewahrt und als Vermittlerin agieren lässt.

Die besagte Gruppe wurde vor über zehn Jahren gegründet, um „sich für eine weltoffene und zukunftsgewandte Schweiz“ einzusetzen. Man hätte den Gründern wohl damals schon mitteilen müssen, dass dieses Ziel bereits erreicht ist. Wo verschließt sich die Schweiz denn der Welt, und wo agiert sie rückwärtsgewandt? 

Aber die Eigenbeschreibung war ohnehin nur ein Feigenblatt. Operation Libero agiert seit dem ersten Tag als links-grüne Bewegung mit Themen und Taktiken, wie sie zahlreiche Gruppierungen und NGO vom selben Pol aufweisen. Offenbar haben das zahlreiche frühere Unterstützer gemerkt, und die Operation, die mit der Freiheit, die sie im Namen trägt, reichlich wenig zu tun hat, serbelt seit längerer Zeit. Sie drohte auch schon öffentlich mit dem Niedergang, um die Spender zu aktivieren. Vielleicht geht sie nun dermaßen in die Offensive, um sich mal wieder in Erinnerung zu rufen.

Bewerbung ohne Legitimation

Denn die Leute von Operation Libero haben in die Tasten gegriffen und einen Brief geschrieben. In diesem haben sie sich im Namen „williger Schweizerinnen“ – wohlgemerkt: ohne jede demokratische Legitimation – bei Emmanuel Macron und Keir Starmer beworben. Nein, nicht für ein Erasmus-Semester in Paris oder einen Praktikumsplatz in Westminster. Sondern für die Aufnahme der Schweiz in die sogenannte „Koalition der Willigen“.

Diese Koalition, man erinnert sich, war einst das Label für die militärische Invasion des Irak. Ohne UN-Mandat. Ohne internationale Zustimmung. Dafür mit viel Moralrhetorik und wenig Realitätsbezug. Genau in diesem Geist will Operation Libero nun auch die Schweiz positionieren: Mitten hinein in den geopolitischen Sturm.

Neutralität sei, so das Wording der Libero-Leute, bloß ein „Mythos“. Die wahre Freiheit werde heute „in der Ukraine mit Waffen verteidigt“. Mit dieser einen Zeile kippt die Organisation das sicherheitspolitische Fundament der Schweiz um wie ein Kind seinen Turm aus Bauklötzen.

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Kriegstreiber statt Friedensförderer

Man muss sich den Irrsinn auf der Zunge zergehen lassen: Eine zivilgesellschaftliche Gruppierung, die sich gerne als moralischer Kompass inszeniert, fordert öffentlich, die Schweiz möge Teil eines militärischen Bündnisses werden – eines, das explizit Waffenlieferungen und Truppenentsendungen als Optionen diskutiert.

Was hat das noch mit Friedenspolitik zu tun, die früher auf der Agenda der Gruppe stand? Es ist das Gegenteil: kriegstreiberisch. Es ist gefährlich. Und es ist – man muss es leider so sagen – eine groteske Form politischer Selbstüberschätzung.

Die Bewegung um Sanija Ameti, die sich einst dadurch ins Rampenlicht brachte, dass sie mit einer Waffe auf das Jesuskind schoss (auf einem Bild, immerhin), erhebt sich nun zur außenpolitischen Avantgarde. Die Botschaft: Nicht die gewählte Regierung, nicht das Parlament, nicht das Volk – wir entscheiden, wo die Schweiz steht. Und das ist offensichtlich.

Aber natürlich: Wer heute auf Neutralität pocht, gilt als naiv. Wer Diplomatie fordert, als Putinversteher. Und wer gegen die Einbindung der Schweiz in fragwürdige Militärallianzen ist, als Feind der westlichen Werte.

Diese Schwarzweiß-Rhetorik ist nicht nur dumm, sie ist gefährlich. Sie öffnet der Kriegslogik Tür und Tor – und sie tut es im Namen von Moral. Es ist genau diese Mischung aus Selbstgerechtigkeit und geopolitischem Spieltrieb, die Europa in seiner jüngeren Geschichte immer wieder ins Unglück gestürzt hat.

Minderheiten geben den Ton an

Dass eine Bewegung wie Operation Libero damit durchkommt – medienwirksam, flankiert von wohlwollender Berichterstattung –, zeigt, wie entkernt der Neutralitätsbegriff in der öffentlichen Debatte bereits ist. Die schweigende Mehrheit, die noch immer an das Prinzip der friedlichen Vermittlung glaubt, wird kaum gehört.

Was bleibt, ist der Eindruck einer Republik, in der sich kleine, laute Minderheiten ermächtigt fühlen, in unser aller Namen geopolitische Manöver durchzuführen. Unterstützt von Applaus aus den immer gleichen Echokammern, ignorieren sie jede historische Verantwortung und sägen an der letzten stabilen Säule schweizerischer Staatlichkeit: der aktiven, glaubwürdigen Neutralität.

Wer Frieden will, bewirbt sich nicht für eine Kriegsallianz. Wer die Schweiz liebt, zerrt sie nicht in ein Abenteuer, das niemand absehen kann. Und wer sich um europäische Sicherheit sorgt, der sollte lieber Brücken bauen – nicht Munition liefern.

Operation Libero will die Schweiz zu einem Teil der geopolitischen Schießbude machen. Beruhigend ist nur, dass die Mehrheit der Schweizer da nicht mitspielen wird.

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